
Zytoreduktive Nephrektomie nach Systemtherapie bei metastasiertem RCC
Autor:
Dr. Felizian Lackner
Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Innsbruck
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Die Erstlinientherapie beim metastasierten Nierenzellkarzinom (mRCC) hat sich gewandelt: Weg von der operativen Primärtherapie hin zu einer gezielten Selektion durch systemische Therapie. Eine zytoreduktive Nephrektomie (CN) hat bei Ansprechen nach Immun- oder Kombinationstherapie weiterhin ihren Stellenwert bei ausgewählten Patienten mit stabilem Verlauf.
Keypoints
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Die CN ist nicht mehr Standard in der Erstlinientherapie des mRCC, sondern folgt einer gezielten Patientenselektion nach Systemtherapie.
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Verzögerte CN kann das Überleben verlängern und unnötige Eingriffe vermeiden.
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Laufende Studien wie PROBE und NORDIC-SUN werden den künftigen Stellenwert der CN definieren.
Die Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms hat in den vergangenen Jahren einen grundlegenden Wandel durchlaufen. Noch vor einem Jahrzehnt war die CN für viele Patienten mit Fernmetastasen fixer Bestandteil der Primärtherapie – zumeist in Kombination mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) wie Sunitinib.1 Dieser chirurgische Ansatz war dogmatisch verankert und wurde selten hinterfragt.
Neue Behandlungslogik beim metastasierten RCC
Mit dem Aufkommen moderner Kombinationstherapien aus Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI), wie Nivolumab plus Ipilimumab, oder ICI/TKI-Kombinationen, wie Avelumab/Axitinib oder Pembrolizumab/Lenvatinib, hat sich der therapeutische Algorithmus jedoch signifikant verändert. Statt einer operativen Primärmaßnahme rückt ein selektionsbasiertes, mehrstufiges Vorgehen in den Fokus: Zunächst erfolgt eine systemische Therapie zur Kontrolle der Metastasierung. Nur bei stabilem Verlauf oder objektivem Ansprechen wird anschließend eine CN erwogen. Diese Strategie erlaubt nicht nur die Identifikation von Patienten, die tatsächlich einen Überlebensvorteil durch die Operation haben könnten, sondern vermeidet auch chirurgische Eingriffe bei früh progredienten Krankheitsverläufen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht profitieren würden.
Ein exemplarischer klinischer Fall unterstreicht die Bedeutung dieses Konzepts: Ein 59-jähriger Patient stellt sich mit einem 9cm großen Nierenzellkarzinom vor. In der CT-Bildgebung zeigen sich vier kleine Lungenmetastasen sowie eine 1cm große Läsion im Pankreasschwanz. Der Allgemeinzustand ist gut, Laborwerte sind unauffällig, eine relevante Tumorsymptomatik besteht nicht.
In einer solchen Konstellation besteht keine unmittelbare Notwendigkeit zur Entfernung des Primärtumors. Vielmehr steht die Kontrolle der systemischen Erkrankung im Vordergrund. Eine initiale Immun- oder Kombinationstherapie kann nicht nur zur Verkleinerung des Tumors führen, sondern erlaubt auch eine frühe Beurteilung der Tumorbiologie unter Therapie mit potenziellen Konsequenzen für die weitere Behandlungsplanung.
Nephrektomie neu denken
Die SURTIME-Studie lieferte früh wichtige Impulse für dieses strategische Umdenken. In dieser randomisierten Phase-III-Studie wurde eine sofortige versus verzögerte CN nach Beginn einer systemischen Therapie mit Sunitinib verglichen. Trotz methodischer Limitierungen – unter anderem einer zu geringen Fallzahl mit lediglich 99 eingeschlossenen Patienten – zeigte sich ein deutlicher Trend zu einem längeren Gesamtüberleben (OS) in der Gruppe mit verzögerter Operation. Das mediane OS betrug 32,4 Monate gegenüber 15,0 Monaten in der Gruppe mit primärer CN.2 Auch wenn Sunitinib heute nicht mehr zu den Standardmedikamenten zählt, verdeutlichte die Studie einen entscheidenden Paradigmenwechsel.
Die Nephrektomie ist kein Automatismus mehr, sondern bedarf einer individualisierten, risikoadaptierten Indikationsstellung.
Dieser Trend wird durch aktuelle Real-World-Daten eindrucksvoll untermauert. Eine große retrospektive Analyse aus dem Canadian Kidney Cancer Information System (CKCis) untersuchte die Überlebensdaten von 588 Patienten mit mRCC, die zwischen 2014 und 2023 behandelt wurden.3 Die Patienten wurden in drei Gruppen eingeteilt: 331 erhielten ausschließlich eine systemische Therapie, 215 unterzogen sich einer primären CN mit anschließender Systemtherapie (CN-ST), 42 erhielten eine primäre Systemtherapie mit nachfolgender Operation (ST-CN). Nach Adjustierung für IMDC-Risikokategorie, Alter und Komorbiditäten zeigte sich ein signifikanter Überlebensvorteil für die ST-CN-Gruppe bei einer Hazard-Ratio (HR) von 0,30 (95% CI: 0,13–0,68). Auch die CN-ST-Gruppe schnitt besser ab als die Gruppe mit alleiniger Systemtherapie (HR: 0,68; 95% CI: 0,47–0,97), jedoch in geringerem Ausmaß. Diese Daten legen nahe, dass eine primäre Systemtherapie als Filter zur Selektion geeigneter Kandidaten für eine spätere Operation fungieren kann.
Das Konzept der verzögerten CN beruht auf mehreren tragenden Überlegungen:
1. Biologische Selektion
Patienten, deren Tumoren bereits unter der ersten Therapielinie rasch progredient sind, haben insgesamt eine schlechte Prognose. Eine CN würde in diesen Fällen weder das Überleben verlängern noch die Lebensqualität verbessern. Die Operation wäre eher belastend als nützlich und würde zu allem Überfluss die Zeit bis zur nächsten Systemlinie verlängern.
2. Tumor-Downsizing
Eine effektive Systemtherapie kann sowohl den Primärtumor als auch einzelne Metastasen verkleinern, wodurch sich die Komplexität des operativen Eingriffs verringert. In einigen Fällen ist sogar eine partielle Nephrektomie oder ein organschonenderes Vorgehen denkbar.
3. Vermeidung unnötiger Morbidität
Die CN ist ein Eingriff mit nicht zu unterschätzender Morbidität. Komplikationen können die Fortführung einer effektiven Systemtherapie verzögern oder unmöglich machen. Eine gezielte Selektion reduziert diese Risiken.
Blick in die Zukunft: laufende Studien
Auf Studienebene wird das Konzept der verzögerten CN derzeit intensiv untersucht. Zwei randomisierte Phase-III-Studien liefern hierzu bald weitere Evidenz.
PROBE-Studie & NORDIC-SUN-Studie
In der PROBE-Studie erhalten Patienten mit mRCC eine initiale Systemtherapie. Bei Ansprechen wird randomisiert zwischen CN mit anschließender Fortsetzung der Therapie oder Fortführung der medikamentösen Behandlung ohne Operation. Primärer Endpunkt ist das Gesamtüberleben.
Ein ähnliches Studiendesign findet sich in der NORDIC-SUN-Studie, das ebenfalls den Stellenwert der CN nach systemischer Therapie untersuchen soll. Der Ausgang dieser Studien wird entscheidend sein für die zukünftige Definition von Standardtherapiepfaden und die Formulierung von Leitlinienempfehlungen. Bereits heute ist jedoch klar: Die CN hat ihren Platz nicht verloren – sie ist vielmehr differenzierter und gezielter geworden.
Die initiale systemische Therapie mit nachfolgender zytoreduktiver Nephrektomie bei Ansprechen stellt heute einen modernen, evidenzbasierten Behandlungsansatz beim metastasierten RCC dar. Dieses Vorgehen erlaubt eine präzise Selektion geeigneter Patienten, nutzt die hohe Effektivität moderner Immuntherapiekombinationen und vermeidet überflüssige chirurgische Eingriffe bei Nichtansprechern. Während randomisierte Studien noch ausstehen, liefern aktuelle Daten bereits eine klare Orientierung: Die zytoreduktive Nephrektomie ist heute kein Automatismus mehr – sie ist individuell, evidenzbasiert, risikoadaptiert.
Literatur:
1 Mejean A et al.: Sunitinib alone or after nephrectomy in metastatic renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2018; 379(5): 417-27 2 Bex A et al.: Comparison of immediate vs deferred cytoreductive nephrectomy in patients with synchronous metastatic renal cell carcinoma receiving Sunitinib: the SURTIME randomized clinical trial. JAMA Oncol 2019; 5(2): 164-70 3 Park CL et al.: Impact of timing of immunotherapy and cytoreductive nephrectomy in metastatic renal cell carcinoma: real-world data on survival outcomes from the CKCis database. Curr Oncol 2024; 31(8): 4704-12
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