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Urolithiasis

Game-Changer im minimal invasiven Steinmanagement 2023

Durch die Vielzahl an möglichen technischen Verfahren und „Game-Changern“ in der Therapie der Urolithiasis könnte Patienten zukünftig verstärkt das Beste für ihre individuelle Situation angeboten werden. Dr. Kemal Sarica von der Biruni-Universität in Istanbul präsentierte die aktuelle Datenlage zu minimalinvasiven Verfahren des Steinmanagements im Rahmen der Urolithiasis.

Keypoints

  • Zukünftig wird es durch die Vielzahl an Möglichkeiten in der Urolithiasistherapie immer stärker zu einer Personalisierung in der Steintherapie kommen können.

  • Übergeordnetes Ziel ist es, die SFR hoch und die Komplikationsraten niedrig zu halten.

  • Bei länger andauernden Eingriffen können robotische Systeme helfen, die Ergonomie für den Operateur zu verbessern.

Urolithiasis ist eine der verbreitetsten urologischen Erkrankungen und ihre Inzidenz und Prävalenz steigen konstant an. „25% aller Patienten haben wiederkehrende Steinbildungen im Harntrakt, was einen signifikanten Einfluss auf die Lebensqualität und sozioökonomische Faktoren dieser Patienten hat“, erklärte Sarica. Während in der Vergangenheit offenchirurgische Verfahren Therapie der Wahl waren, stehen heute mit der semirigiden oder flexiblen Ureteroskopie, der perkutanen Nephrolithotomie (PCNL), der Stoßwellenlithotripsie (SWL) und der retrograden intrarenalen Chirurgie („retrograde intrarenal surgery“; RIRS) minimal invasive Methoden zum Management der Urolithiasis zur Verfügung.1 Einige dieser Verfahren können als Game-Changer in der Therapie der Urolithiasis bezeichnet werden, da sie die Komplikationsrate gering halten und mit einer hohen Steinfreiheitsrate (SFR) verbunden sind. Doch nicht jeder Stein kann mit den gleichen Verfahren behandelt werden. Die EAU-Leitlinien besagen beispielsweise, dass Steine kleiner als 2cm nicht für die SWL geeignet sind. Jedoch ist das eingesetzte Verfahren nicht immer nur abhängig von der Steingröße.

Management von größeren und multiplen Steinen

Durch die steigende klinische Erfahrung der Urologen sowie die Einführung von Holmium-YAG-Lasern und RIRS in die flexible Ureteroskopie (f-URS) ist es heute auch möglich, multiple und größere Steine (2–3cm) gut zu therapieren. Die Gesamtkomplikationsrate bei f-URS und Laser-Lithotripsie für Steine über 2cm liegt heute bei lediglich 10,1% und die Steinfreiheitsrate (SFR) bei Steinen von 2–3cm ist für die f-URS mit 95,7% sehr hoch.2 Dennoch brachte die Behandlung von großen Steinen Probleme durch die lange Dauer der Verfahren und die hohen Kosten, was zur Einführung von flexiblen, digitalen „Single-use“-Ureteroskopen (LithoVueTM, PusenUscope®, NeoFlex-UretroScope®) führte. Ein Review ergab eine SFR bei „Single-use“-Ureteroskopen von 87% (± 15%) und eine Komplikationsrate von 9,3% (± 9%).3 Es zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede in der Durchführungsdauer, in der SFR und in der Komplikationsrate bei „Single-use“-f-URS verglichen mit herkömmlicher f-URS.3

„Indikationen für die ‚Single-use‘-Ureteroskope können daher die für unerfahrene Chirurgen einfache Bedienbarkeit, eine ungünstige Lokalisation des Steines im unteren Pol, eine hohe Wahrscheinlichkeit für Komplikationen während des Eingriffs, Patienten mit schwer infizierten Nieren (z.B. durch MRSA) sein, sie können aber auch ein Back-up für wiederverwendbare Ureteroskope sein“, so Sarica.

Absaugen während Ureteroskopie

Ein weiterer Game-Changer in der Therapie der Urolithiasis ist das Absaugen während der Ureteroskopie. Sobald flexible Ureteroskope über eine längere Zeit im Steinverfahren Anwendung finden, kommt es zu einem steigenden intrarenalen Druck in der Niere, was ein Risiko für postoperative Infektionen birgt.4 Abhilfe kann hier das Absaugen mittels Harnröhrenzugangsschleuse (Ureteric Access Sheath [UAS], ClearPetra®), Uretroskopkanal und spezieller Saugvorrichtungen schaffen. Daten belegen die Sicherheit und Wirksamkeit der UAS durch reduzierte Retropulsion, eine bessere Steinfreiheit, klarere Sicht und eine signifikanteReduktion des intraluminalen Drucks.5 Zusätzlich konnten eine höhere SFR am ersten postoperativen Tag, weniger infektiöse Komplikationen, und eine kürzere Operationszeit durch das Absaugen mittels UAS gezeigt werden.6 Der Vorteil während eines Eingriffs mit Absaugung liegt in der aktiven Kontrolle des intrarenalen Drucks, da dieser durch das gleichzeitige Monitoring des Nierendrucks im niedrigen bis negativen Bereich gehalten werden kann.7 Das UAS-Verfahren kann genutzt werden, um während des Eingriffsgrößere Volumina an Steinen zu entfernen. Dabei erreicht die UAS eine SFR für 30 Tage von 100% vs. 75% bei „direct in-scope scution“ (DISS).8

Neue Lasertechniken und -systeme

Als Game-Changer in der Therapie der Urolithiasis kann auch der Einsatz von Lasertechnologie bezeichnet werden. In Studien wurden die Systeme des Holmium-YAG(Ho-YAG)- und des Thulium-Fibre-Lasers (TFL) verglichen. Es zeigte sich, dass TFL zu einem höheren Prozentsatz an Masse von produziertem Steinstaub(Fragmente <0,5mm) und einer größere Fragmentationsrate des Steines ≤5 Minuten als der Ho-YAG-Laser führt (TFL: 9 von 15 Steinen entsprechen 60% vs. Ho-YAG: 1 von 15 Steinen entspricht 7%).9 Ergebnisse bestätigen ebenso eine Überlegenheit des TFL bei der Operationszeit – TFL: 49 Minuten vs. Ho-YAG:57 Minuten (p=0,008) – und im Outcome. Hier konnten eine SFR für Nierensteine mittels TFL von 86% (vs. Ho-YAG 49%), eine SFR nach einmaligem Verfahren von 92% (vs. Ho-YAG 67%; p=0,001), eine nur 5%ige Beeinträchtigung der Sicht durch Blutungen (vs. Ho-YAG 22%, p=0,014) sowie eine SFR für Uretersteine in beiden Gruppen von 100% festgestellt werden.10 Die Vorteile des TFL liegen in der höheren Zerfallsgeschwindigkeit und im reduzierten Risiko für Retropulsion des Steines, der Aufrechterhaltung von optimaler Sicht, im Vermeiden von thermischen oder Strahlungsschäden, in der einfachen Anwendung und in der Vielseitigkeit.

Anwendung von robotischen Systemen für f-URS

Der zukünftig vermehrte Einsatz von Roboter-unterstützenden Systemen in der f-URS könnte ein weiterer Game-Changer in der Therapie der Urolithiasis sein. „Der größte Vorteil von Roboter-assistierten Systemen besteht in der Ergonomie für den Operateur, besonders bei größeren und multiplen Steinen, wenn das Uretroskop länger in einer fixen Position gehalten werden muss“, so Sarica. Die Roboter-assistierten Verfahren ermöglichen eine komfortablere Position für den Operateur, die sich im Vergleich des ergonomischen Scores bestätigt: klassische f-URS 31,3 vs. roboterassistierte f-URS 5,6. Zusätzlich liegt der Vorteil für den Chirurgen darin, dass er ständig den Überblick über alle wichtigen Parameter des Patienten hat.

Perkutane Nephrolithotomie (PCNL)

Die herausragendste Veränderung im perkutanen Steinmanagement mittels PCNL liegt in der Reduktion der Traktgrößen. Die Bandbreite der Miniaturisierung bei PCNL reicht von 4,8 bis 22 French (Fr): Mini-PCNL (14–22 Fr), Ultra-mini-PCNL (11–13 Fr), Super-mini-PCNL (10-12 Fr) und Micro-PCNL (4,85–10 Fr). Ein Problem der Mini-PCNL-Verfahren ist dieverlängerte Operationszeit. Diese wird vor allem durch die verlängerte Evakuierungszeit des Steines und durch den schmaleren Durchmesser des Trakts bedingt. Zusätzlich zeigt sich ein signifikant erhöhter intrarenalen Druck während des Verfahrens verglichen mit der klassischen PCNL, was das Risiko für eine Urosepsis erhöht.11 Die Vorteile der Miniaturisierung der PCNL liegendefinitiv in der geringeren Invasivität des Eingriffs, in der Begrenzung von häufigen Komplikationen, in mit der klassischen PCNLvergleichbaren Steinfreiheitsraten, der nicht besorgniserregenden Anwendung bei noch wachsenden Nieren bei Kindern, aber auch im verkürzten Krankenhausaufenthalt und in der gesteigerten Kosteneffizienz.

Absaugen während perkutaner Nephrolithotomie (PCNL)

In experimentellen und klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass das Risiko füreine Steigerung des intrarenalen Drucks (IRP) während eines Mini-PCNL-Verfahrens durch zusätzliches Absaugen gesenkt werden kann. Im endourologischen Steinmanagement ist das Absaugen während PCNL, mPCNL und Uretroskopie als effektiv und sicher einzustufen.Es verbessert die SFR und begrenzt die Komplikationsraten. Daten dazu zeigen eine SFR bei mPCNL mit Absaugen von 78,5% (vs. 69,1% ohne Absaugen) und eine Gesamtkomplikationsrate von 16,8% (vs. 27,3% bei traditioneller mPCNL).12 Im Vergleich der Komplikationsarten von mPCNL mit und ohne Absaugen sieht man v.a. signifikant höhere Raten an Fieber (mPCNL mit Absaugen 7,4% vs. 13,7%) und Urosepsis bei traditioneller mPCNL.12 Die mPCNL mit Absaugen bringt demnach eine höhere SFR in einer Einzelsitzung und weniger postoperative Komplikationen.12 „Zukünftig können Systeme für mPCNL mit Absaugen erwartet werden, die ein Monitoring des dynamischen Druck in Echtzeit ermöglichen und mit einer Bewässerungspumpe verbunden werden können, die automatisch stoppt, sobald der intrarenale Druck über 30mmHg steigt“, so Sarica. „Das könnte einerseits die Sichtverhältnisse während des Verfahrens verbessern und andererseits das Risiko für einen erhöhten IRP und Infektkomplikationen minimieren.“

Fazit

„Da wir heute alle Game-Changer in der Steintherapie der Urolithiasis zur Verfügung haben, können wir die beste Therapie für den individuellen Patienten auswählen“, fasst Sarica zusammen.

„Minimal invasive stone management in 2022: What are the new game changers forcing the present frontiers?“, Vortrag von Kemal Sarica, Biruni University, Istanbul, Türkei, im Rahmen des 8th Michael J. Marberger (MJM) Annual Meeting am 16. Dezember 2022, Wien

1 Fuchs AM: Retrograde intrarenal surgery for calculus disease: New minimally invasive treatment approach. J Endourology 1990; 4(4); publiziert online 2 Aboumarzouk O et al.: Flexible ureteroscopy and laser lithotripsy for stones > 2 cm: A systematic review and meta-analysis. J Endourol 2021; 26(10): 1257-63 3 Davis NF et al.: Single-use flexible ureteropyeloscopy: A systematic review. World J Urol 2018; 36(4): 529-36 4 Schwalb DM et al.: Morphological and physiological changes in the urinary tract associated with ureteral dilation and ureteropyeloscopy: an experimental study. J Urol 1993; 149(6): 1576-85 5 Zeng G et al. : Modified access sheath for continuous flow ureteroscopic lithotripsy: A preliminary report of a novel concept and technique. J Endourology 2016; 30(9): 992-6 6 Zhu Z et al.: Comparison of suctioning and traditional ureteral access sheath during flexible ureteroscopy in the treatment of renal stones. World J Urol 2019; 37(5): 921-9 7 Chen Y et al.: Novel flexible vacuum-assisted ureteral access sheath can actively control intrarenal pressure and obtain a complete stone-free status. J of Endourology 2022; 36(9): publiziert online 8 Gauhar V et al.: Technique, feasibility, utility, limitations, and future perspectives of a new technique of applying direct in-scope suction to improve outcomes of retrograde intrarenal surgery for stones. J Clin Med 2022; 11(19): 5710 9 Hardy L et al.: Comparative evaluation of 15 laser and perfluorodecalin combinations for tattoo removal. Lasers Surg Med 2019; 52(7): 583-5 10 Ulvik O et al.: Thulium Fibre Laser versus Holmium:YAG for ureteroscopic lithotripsy: Outcomes from a prospective randomised clinical trial. Eur Urol. 2022; 82(1): 73-9 11 Dibianco JM et al. : Precision stone surgery: Current status of miniaturized percutaneous nephrolithotomy. Curr Urol Rep 2021; 22(4): 24 12 Zhu Z et al : Suctioning versus traditional minimally invasive percutaneous nephrolithotomy to treat renal staghorn calculi: A case-matched comparative study. Int J Surg 2019; 72: 85-90

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