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Wie kann man gut alt werden?

Die psychotherapeutische Versorgung älterer Menschen

Immer mehr Menschen nehmen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. In Anbetracht der älter werdenden Bevölkerung sind präventive Maßnahmen und eine fundierte psychotherapeutische Herangehensweise unerlässlich, um sie auch im Alter bestmöglich zu unterstützen. Dabei sind zwei Fragen zentral: Welche Themen beschäftigen Menschen im Alter und wie kann ihnen die Psychotherapie dabei helfen?

Wir wissen aus Deutschland, dass im Durchschnitt 11% der Frauen und 8% der Männer in psychiatrischer und psychotherapeutischer Betreuung sind. Der Höhepunkt liegt in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen und nimmt mit zunehmendem Alter nur wenig ab.1 In Österreich sind hierzu nur spärliche Daten vorhanden, allerdings kann man zumindest, was die psychotherapeutische Versorgung anbelangt, von einem Bedarf bei etwa 1,5 bis 3% der Bevölkerung ausgehen.2 Dass die Zahl derer, die psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, im Allgemeinen steigt, lässt sich nicht zuletzt wegen der Ausgaben des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger vermuten. Diese sind innerhalb von zwei Jahrzehnten (zwischen 1994 und 2015) um rund 500% gestiegen – von 14,2 auf 85,1 Mio. Euro.3

Hilft Psychotherapie auch älteren Menschen?

Insgesamt zeichnet sich ab, dass die psychotherapeutische Versorgung auch in späteren Lebensjahren immer wesentlicher wird. Dieser Grundtenor ließ sich auch bei der 10. Alterspsychiatrischen Tagung vernehmen, bei der man sich in diesem Jahr eingehend mit der vielköpfigen Generation der sogenannten „Babyboomer“ beschäftigte. „Wir können davon ausgehen, dass die Babyboomer-Generation es gewohnt ist, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, und das auch im höheren Alter tun wird“, erklärt Prim. Dr. Christian Jagsch, Organisator der Veranstaltung. Dabei wäre es in den Anfängen der Psychotherapie noch undenkbar gewesen, einen Menschen im hohen Alter überhaupt psychotherapeutisch zu betreuen. Freud selbst hat bei einem Vortrag einst festgehalten, dass bei Personen ab fünfzig Jahren die Plastizität der seelischen Vorgänge zu fehlen pflegt, auf die die Therapie aufbaut.4 Damals war Freud erst 48 Jahre alt, doch auch im späteren Leben blieb diese Einstellung bei ihm − sowie in anderen psychotherapeutischen Schulen − unverändert.

Erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts gab es erste Versuche, die Psychotherapie auch für ältere Personen zugänglich zu machen. In Deutschland prägte diese Bewegung allen voran Hartmut Radebold, der als Nestor der deutschsprachigen Psychotherapie Älterer gilt. Seine Zusatzausbildung für Psychotherapeuten, die sich speziell mit der Betreuung im Alter befasst, fand breiten Anklang und konnte zunehmend auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen.

Entwicklungsaufgaben im Alter

Wie unterscheidet sich die Psychotherapie im Alter? Grundlegende Annahmen zur Persönlichkeitsstruktur, Identität und dem Unbewussten können von der klassischen Psychoanalyse übernommen werden. Allerdings sehen sich Menschen im hohen Alter, wie auch in anderen Lebensabschnitten, mit speziellen Aufgaben konfrontiert. Zentral sind dabei die Themen Krankheit, Endlichkeit und Sterben.

Das Ende der Berufstätigkeit und der Eintritt in die Pension stellt für viele einen großen Einschnitt in ihrem Leben dar. Jagsch zufolge könnte diese Umstellung vor allem bei den Babyboomern künftig herausfordernd werden, da sie sich in hohem Maße mit ihrem Beruf identifizieren. Daher sollte sich diese Altersgruppe rechtzeitig auf die neuen Lebensumstände einstellen. „Viele bereiten sich zu spät auf die Pension vor“, warnt der Experte. Bereits 2 bis 3 Jahre im Vorhinein gilt es zu überlegen, wie der Alltag in der Pension aussehen könnte und welche Ziele man noch erreichen möchte.

Eine zweite Aufgabe, die im Alter in den Vordergrund rückt, ist die Auseinandersetzung mit altersbedingten somatischen Veränderungen. Obwohl in der Regel körperliche Schmerzen zunehmen und allerlei Einschränkungen auftreten, wird der Körper für viele Menschen im Alter ihr „letzter Verbündeter“. In der Psychotherapie muss diesen Anliegen daher ausreichend Platz eingeräumt werden. Zudem darf nicht darauf vergessen werden, dass gerade Erfahrungen aus dem Medizinsystem traumatisierend sein können, so etwa das Erwachen auf einer Intensivstation. Auch gesundheitsfördernde Umstellungen sollten im Alter thematisiert werden, sei es mehr Bewegung oder mit dem Rauchen aufzuhören. Für die Babyboomer könnten Jagsch zufolge gerade diese körperlichen Veränderungen im Alter ein heikles Thema werden. „Wir Babyboomer sind mit dem Eindruck groß geworden, dass uns nichts passieren kann.“

Dabei bietet das Alter auch die Gelegenheit, eigene Wünsche und Ideen wiederzuentdecken. Vernachlässigte Kindheitsträume können nun wieder aufgegriffen werden – sei es ein Hobby, eine Reise oder ein Instrument zu spielen, das man immer schon lernen wollte. Eine der wesentlichen Aufgaben im Alterungsprozess ist daher, das Alter als Chance wahrzunehmen, um den eigenen Bedürfnissen nachzugehen.

In Anbetracht der veränderten Umstände werden ältere Menschen oft mit neuen, ihnen unbekannten Gefühlen konfrontiert. So kann es durchaus passieren, dass eine Person im Alter erstmals eine Panikattacke erlebt. Auch die Tatsache, dass sich Kränkungen und Konflikte im Laufe des Lebens häufen, muss in der psychotherapeutischen Versorgung älterer Menschen berücksichtigt werden. Letztlich stellt vor allem das Thema Einsamkeit in diesem Lebensabschnitt ein besonders großes Laster dar. Es ist daher ratsam, Beziehungen, insbesondere auch zur jüngeren Generation, zu erhalten und zu gestalten. Als wertvolle Option nennt Jagsch den Einsatz von Gruppentherapien, bei denen die zusätzliche Funktion erfüllt wird, die Patienten vor Isolation und Einsamkeit zu schützen.

Worauf Psychotherapeutenachten können

Ein Hauptgrund, an dem Psychotherapien im Alter scheitern können, ist Jagsch zufolge die sogenannte umgekehrte Übertragung. Wie bei der üblichen Übertragung werden hier Gefühle oder Wünsche von früheren Beziehungen auf jemanden anderen projiziert − in diesem Fall vom Patienten auf den (meist jüngeren) Therapeuten.

Um eine günstige Situation für eine Psychotherapie zu schaffen, sollte der Therapeut die eigene Beziehung zu Eltern bzw. älteren Bezugspersonen weitgehend bearbeitet und keine idealisierte Vorstellung von älteren Menschen haben. Zudem kann es hilfreich sein, selbst einen Trauerprozess durchlebt zu haben. Ebenso positiv wirken sich Erfahrungen mit Krankheit oder der Kontakt zu Älteren im Alltag aus. Da körperliche Erkrankungen ein zentrales Thema sind, kann das Wissen um Krankheiten und Medikamente im therapeutischen Gespräch ebenfalls nützlich sein. Auch ein geschichtliches Grundwissen, dank dessen sich die Erfahrungen der Patienten historisch einordnen lassen, erweist sich Jagsch zufolge oft als Stütze.

Insgesamt ist für eine gute Betreuung wesentlich, als Therapeut selbst eine positive Haltung zum Altern und zur Psychotherapie im Alter zu haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann dieses besondere psychotherapeutische Setting nicht nur für den Patienten, sondern auch den Therapeuten sehr lohnend sein. „Ich habe selbst schon viel von meinen älteren Patienten lernen dürfen“, erzählt der Experte.

Psychotherapie & Demenz

Im Umgang mit Demenzkranken verweist Jagsch auf die Validation nach Naomi Feil. In dieser Kommunikationsmethode gilt die Faustregel, die Gedanken des Erkrankten immer bedingungslos anzuerkennen. „Was der Demenzpatient sagt, ist gültig und richtig“, so Jagsch.

Zudem erweist sich die psychotherapeutische Begleitung von pflegenden Angehörigen als nützliche Maßnahme. So konnte etwa gezeigt werden, dass sich die psychotherapeutische Unterstützung von pflegenden Angehörigen in einer expertengeleiteten und konzeptuell strukturierten Gruppe positiv auf Unruhe und Angst bei den gepflegten Demenzkranken auswirkt.5

Wie kann man gut alt werden?

Als präventive Maßnahme können Patienten wie auch Therapeuten auf die sogenannten „5 L“ zurückzugreifen:

  • Lieben: Die Beziehung zu anderen Menschen zu erhalten, ist ein wesentlicher Teil der psychischen Gesundheit. Zentral ist das innere Verzeihen und die Aufarbeitung von Konflikten.

  • Lernen: Im Alter kognitiv aktiv zu bleiben, gelingt besonders durch das Lernen neuer Abläufe und Inhalte sowie den Austausch mit anderen.

  • Laufen: Auch körperlich sollte man im Alter bemüht sein, in Bewegung zu bleiben. Dabei hilft es, sich immer wieder neue Ziele zu setzen.

  • Leben: Bewusst zu leben und sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, tragen wesentlich dazu bei, im Alter ein gutes Lebensgefühl zu bewahren.

  • Lachen: Humor ist essenziell und darf bzw. soll auch in der Psychotherapie Älterer einen Platz haben.

10. Alterspsychiatrische Tagung der ÖGAPP, 24.Juni 2022, Wien

1 Rommel A et al.: PPmP Psychother Psychosom Medizinische Psychol 2018; 68(8): e31 2 Löffler-Stastka H, Hochgerner M: Psychopraxis Neuropraxis 2021; 24: 57-61 3 Rechnungshof Österreich: Bericht des Rechnungshofes: Versorgung psychisch Erkrankter durch die Sozialversicherung. Reihe BUND 2019; 8: https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/Versorgung_psychisch_Erkrankter_SV.pdf 4 Freud S: Schriften zur Behandlungstechnik. Frankfurt am Main: Fischer, 1982. 116 5 Haupt M et al.: Int J Geriatr Psychiatry 2000; 15(12): 1125-9

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