<p class="article-intro">Adipositas, Typ-2-Diabetes, Atherosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall sind nach wie vor weltweit die häufigsten Todesursachen. Obwohl eindeutig ein gefährlicher Risikofaktor, wird die Rolle von Zucker auch kontroversiell diskutiert. Inkretinmimetika sind ein innovativer therapeutischer Ansatz zur Stabilisierung des Blutzuckers bei Typ-2-Diabetes.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Unabhängig von Geschlecht, BMI und Lebensalter ist die abdominelle, hepatische und muskuläre Fettakkumulation ein kritischer Faktor.</li> <li>Die immunmediierte Entzündung zeigt zunehmend eine Th1/ M1-Polarisierung (Insulinresistenz, Atherosklerose).</li> <li>Spätfolgen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt werden durch diese Vorgänge frühzeitig determiniert; Alterungseffekte, Onkogenität?</li> <li>Fruktose ist mindestens so gefährlich wie Glukose (Lebertoxizität)!</li> <li>Hauptvorteile der Inkretinmimetika und Gliptine: signifikant weniger Hypoglykämien bei Monotherapie, stabiles Gewicht, Blutzuckerabnahme nach dem Essen.</li> <li>Langzeitnebenwirkungen – Cave: Pankreatitis?</li> </ul> </div> <p>Adipositas ist eine Pandemie des 21. Jahrhunderts. Selbst Länder, in denen Menschen vor Jahrzehnten noch an Hungersnot litten, sind mittlerweile davon betroffen. Adipositas bedingt eine erhöhte Morbidität und Mortalität und verursacht bereits mehr als 6 % der EU-Gesundheitsausgaben. Folgekrankheiten wie Atherosklerose, Typ-2-Diabetes, Fettleber, Sepsis, Hypertonie und Krebs belasten das Gesundheitssystem.</p> <h2>Zucker – ein Hauptfeind?</h2> <p>Generell ist das Missverhältnis zwischen Energiezufuhr und körperlicher Aktivität bahnend für Adipositas. Zweifelsfrei spielt der Zucker eine tragende Rolle bei der inadäquat hohen Kalorienzufuhr. Um gegenzusteuern hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März 2015 neue Empfehlungen für eine gesundheitlich vertretbare tägliche Zuckermenge verfasst. Es wird empfohlen, nicht mehr als sechs Teelöffel Zucker pro Tag (25g/Tag) zuzuführen. Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen soll die tägliche Energiezufuhr durch Zucker weniger als 10 % der täglichen Gesamtkalorienmenge betragen und in Zukunft auf 5 % gesenkt werden.<br /> Sogenannte „Soft Drinks“ enthalten in der Regel besonders viel Zucker. Vor allem Jugendliche konsumieren zu viel davon (128g/Tag bzw. ~43 Würfelzucker oder 384kcal). Steht das Gehirn unter Stress, steigt sein Energiebedarf drastisch an. Zucker gelangt sofort an den Zielort, es erfolgt aber kein Sättigungsreiz durch eine Verdauungsphase. Somit ist der Suchtfaktor hoch.<br /> Die erhöhte Zuckeraufnahme proportional zu der Zunahme von Übergewicht und Adipositas zu setzen, ist aber zu einfach. So stagniert trotz deutlicher Zuwachsraten von Übergewicht und Fettsucht laut Statistik Austria der österreichische Zuckerkonsum seit 2009 und zeigt zuletzt sogar eine abnehmende Tendenz (Abb. 1). Trotzdem nimmt Adipositas zu und stellt eine immer größere Gesundheitsgefahr dar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1702_Weblinks_s30_abb1.jpg" alt="" width="1421" height="720" /></p> <h2>Fettleber – schleichender Krankheitsverlauf mit fatalen Folgen</h2> <p>Neben Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs wird zu wenig bedacht, dass Übergewicht die Leber stärker und häufiger schädigt als Alkoholismus. Die Suszeptibilität für eine Fettlebererkrankung wird von Genpolymorphismen (wie z.B. rs738409-Variante des PNPLA3-Gens) beeinflusst.<sup>1</sup> Anfangs noch reversibel führt die Leberzellverfettung mit der Zeit zu irreparablen Schäden, die schlimmstenfalls sogar in Leberkrebs enden können. Dabei spielt neben einer Störung des Fettsäure- und Triglyzeridstoffwechsels in der Leberzelle eine chronische Entzündungsreaktion eine zentrale Rolle – „nonalcoholic steatohepatitis“ (NASH). Besonders besorgniserregend ist, dass die NASH bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger auftritt, schon über intrauterine Faktoren beeinflusst wird und es bereits durch diese Erkrankung notwendig gewordene Lebertransplantationen im Kindes- und Jugendalter gibt.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Fruktose mindestens so gefährlich wie Glukose</h2> <p>Neben Glukose begünstigt Fruktose die Fettansammlung in der Leber. Fruktose ist beispielsweise in großen Mengen in Limonaden enthalten. Einen besonderen Risikofaktor stellt Maissirup dar, der zu gleichen Teilen Glukose und Fruktose enthält und massenhaft als Nahrungsmittelzusatz verwendet wird (z.B. in Joghurt, Brot, Soßen, Limonaden). Fruktose hat ein besonders hohes Gefahrenpotenzial für Leberschädigung (i.e. „non-alcoholic fatty liver disease“, NAFLD) und soll vermieden werden.<sup>1, 4, 5</sup></p> <h2>Adipositas ist nicht gleich Adipositas</h2> <p>Ein interessantes Phänomen ist, dass es sogenannte metabolisch gesunde Adipöse bei beiden Geschlechtern gibt.<sup>6, 7</sup> Die Fettverteilung ist entscheidend. Obwohl grundsätzlich im Vorteil relativiert sich bei Frauen die Situation nach der Menopause. Unabhängig vom Body-Mass-Index (BMI) scheint es somit besondere Risikoprofile zu geben, wobei allerdings ab einem BMI >35 Morbidität und Mortalität de facto exponentiell ansteigen. Ein qualitativ tragender pathogenetischer Faktor ist der abdominelle Fettanteil („visceral adipose tissue“, VAT). Die VAT-Fettzellen vergrößern sich bei viszeraler Adipositas und es kommt zu einer Störung der Adipokinproduktion (vermindertes Adiponektin, erhöhtes Leptin, Resistin, proinflammatorische Zytokine, Interleukin 6, TNF-a), zu Insulinresistenz und einer Th1-gewichteten immunmediierten Entzündung im Fettzellstroma (Abb. 2a).<sup>8</sup> Diese chronische Variante spielt hinsichtlich Insulinresistenz, Atherosklerose und wahrscheinlich auch Krebs eine bahnende Rolle. Im Gegensatz zu der Situation bei viszeraler Adipositas ist das VAT eines schlanken Menschen immunologisch „ruhig“ und in stabiler Interaktion mit dem umgebenden Stroma (Abb. 2b).<sup>8</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1702_Weblinks_s30_abb2.jpg" alt="" width="1454" height="1000" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1702_Weblinks_s30_abb2b.jpg" alt="" width="945" height="1012" /></p> <h2>Inkretine – neue Aspekte der medikamentösen Zuckerkontrolle</h2> <p>Inkretine sind Peptidhormone, die im Dünndarm (Ileum) gebildet werden und neben Insulin, Glukagon und Amylin auch die Glukosehomöostase regulieren. Die wichtigsten Inkretine sind „glucagon- like peptide 1“ (GLP-1) und „glucose-dependent insulinotropic polypeptide“ (GIP). GLP-1 wird von den neuroendokrinen L-Zellen (im Ileum, Kolon), GIP von enteroendokrinen K-Zellen (im gesamten Darm, von Villi zu Krypten hin abnehmend) gebildet.<br /><br /> <strong>Wirkmechanismen der Inkretine</strong><br /> Inkretine wirken antidiabetisch und antihyperglykämisch. Im Detail haben sie folgende Effekte:</p> <ul> <li>Förderung der Synthese und Freisetzung von Insulin aus den Betazellen des Pankreas;</li> <li>Verbesserung der Empfindlichkeit von Betazellen auf Glukose und Erhöhung der Glukoseaufnahme ins Gewebe;</li> <li>Erniedrigung der Glukagonsekretion aus den Alphazellen im Pankreas und dadurch verminderte Glukoseproduktion in der Leber;</li> <li>Verlangsamung der Magenentleerung und Reduktion der Geschwindigkeit, mit der Glukose in den Blutkreislauf gelangt;</li> <li>Verminderung von Appetit und Körpergewicht;</li> <li>wirken nur, wenn der Blutzucker normal oder erhöht ist;</li> <li>möglicherweise protektive Wirkungen auf Betazellen und Förderung ihrer Proliferation.</li> </ul> <p><br /> <strong>„Glucagon-like peptide 1“ (GLP-1)</strong><br /> Das Peptidhormon wurde 1979 von Werner Creutzfeldt (1924–2006) in Göttingen entdeckt. Er erkannte, dass GLP-1 bei stoffwechselgesunden Menschen im Darm den Blutzucker steuert. Neben GIP ist GLP-1 das wichtigste Hormon für den Inkretineffekt. Dieser ist durch eine stärkere Insulinsekretion bei enteraler als bei parenteraler Glukosezufuhr gekennzeichnet. GLP-1 wird von den neuroendokrinen L-Zellen (Ileum, Kolon) als Reaktion auf Glukose im Chymus produziert. Es erfolgt nach Freisetzung ein sofortiger Abbau durch eine Serinprotease (Dipeptidylpeptidase 4, DPP-4). DPP-4 findet sich in der Niere, Lunge, dem Darm, den Gefäßwänden und im Plasma. Neben der antidiabetischen und antihyperglykämischen Wirkung ist der zentrale Sättigungseffekt im Gehirn durch Bindung an Rezeptoren der Area postrema entscheidend.<br /><br /> <strong>Medikamente</strong> Inkretinmimetika wie Exenatid und Liraglutid sind Analoga von GLP-1 und imitieren die Effekte der Inkretine. Es handelt sich dabei um Peptide, die subkutan injiziert werden müssen. Exendin-4 wurde ursprünglich aus dem Speichel der Gila-Krustenechse isoliert. Amylin Pharmaceuticals entwickelte 2005 ein gentechnisches Exendin-4 (= Exenatid) für die Therapie des Typ- 2-Diabetes. Seine Wirkung ist ähnlich der von GLP-1. Ein Nachteil von Exenatid ist, dass es nur als subkutane Injektion verfügbar ist und zweimal pro Tag verabreicht werden muss.<br /> Die Gliptine Vildagliptin, Sitagliptin und Saxagliptin hemmen die Degradation der Inkretine via Blockade des Abbauenzyms DPP-4 und fördern so ihre Effekte (Abb. 3).<sup>9</sup> Der Vorteil ist, dass sie in Tablettenform verfügbar sind und oral verabreicht werden können. Sie verursachen kaum Hypoglykämien und das Gewicht der Patienten bleibt stabil. Zu den Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen und erhöhte Anfälligkeit für Infektionskrankheiten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1702_Weblinks_s30_abb3.jpg" alt="" width="945" height="674" /><br /><br /> <strong>Dosierung und Interaktionen</strong> Sitagliptin 1x 100mg/Tag per os. Eine Kombination mit Insulin, Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen ist möglich. Cave: Hypoglykämie falls in Kombination mit Pioglitazon, Metformin, Sulfonylharnstoffhaltigen Arzneimitteln oder Insulin! Obstipation möglich. Es gibt noch keine Erfahrungswerte hinsichtlich der Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Während der Schwangerschaft und Stillzeit wird die Einnahme nicht empfohlen.<br /><br /> <strong>Kombination mit anderen Antidiabetika</strong> Die medikamentöse Therapie des Typ- 2-Diabetes soll immer mit dem Standardtherapeutikum Metformin in langsam aufsteigender Dosis begonnen werden.<sup>10</sup> Cave bei Niereninsuffizienz: Laktatazidose, bei Langzeittherapie Vitamin-B12-Spiegel kontrollieren!<br /> Gliptine kommen unterstützend zu einer Therapie mit anderen oralen Antidiabetika, in erster Linie mit Metformin zur Anwendung, wenn diese allein einen ungenügenden Erfolg erzielen. Bei Metformin-Unverträglichkeit können sie auch allein – als Monotherapie – eingesetzt werden. Gliptine haben weitaus weniger Nebenwirkungen als Sulfonylharnstoffe, insbesondere kaum Hypoglykämien oder Gewichtszunahmen.<br /> Seit einigen Jahren fordern die Zulassungsbehörden in den USA und in Europa Studien, die die möglichen Auswirkungen von neuen Diabetesmedikamenten auf das Herz-Kreislauf-System untersuchen. Bei der Durchführung solcher Studien wurde festgestellt, dass sich unter Gliptinen weder positive noch negative Nebenwirkungen im Herz-Kreislauf-Bereich zeigen. Darüber hinaus räumten die Studien Bedenken hinsichtlich einer möglichen Schädigung der Bauchspeicheldrüse aus. Die Zahl der aufgetretenen Bauchspeicheldrüsenentzündungen sowie -tumoren unterschied sich ebenfalls nicht in den Behandlungsgruppen. In einem aktuellen Bericht der FDA wird auf mögliche heftige Knochenschmerzen unter Gliptinen hingewiesen, die bei Absetzen der Therapie wieder verschwanden.</p> <div id="fazit"> <h2>Praxistipp</h2> „Die Basistherapie muss immer auch nicht medikamentöse Maßnahmen zur Umstellung des Lebensstils beinhalten: Ernährungsumstellung, Steigerung der körperlichen Aktivität, Einschränkung des Alkoholkonsums.“</div></p>
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<p><strong>1</strong> Mangge H et al: Patatin-like phospholipase 3 (rs738409) gene polymorphism is associated with increased liver enzymes in obese adolescents and metabolic syndrome in all ages. Aliment Pharmacol Ther 2015; 42(1): 99-105 <strong>2</strong> Wesolowski SR et al: Developmental origins of NAFLD: a womb with a clue. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2017; 14(2): 81-96 <strong>3</strong> Alkhouri N et al: Liver transplantation for nonalcoholic steatohepatitis in young patients. Transpl Int 2016; 29(4): 418-24 <strong>4</strong> Alwahsh SM, Gebhardt R: Dietary fructose as a risk factor for non-alcoholic fatty liver disease (NAFLD). Arch Toxicol 2017; 91(4): 1545-63 <strong>5</strong> Softic S et al: Role of dietary fructose and hepatic de novo lipogenesis in fatty liver disease. Dig Dis Sci 2016; 61(5): 1282- 93 <strong>6</strong> Mangge H et al: Uric acid best predicts metabolically unhealthy obesity with increased cardiovascular risk in youth and adults. Obesity 2013; 21(1): E71-7 <strong>7</strong> Weghuber D et al: High risk vs. “metabolically healthy“ phenotype in juvenile obesity - neck subcutaneous adipose tissue and serum uric acid are clinically relevant. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2013; 121(7): 384-90 <strong>8</strong> Wensveen FM et al: The “Big Bang“ in obese fat: events initiating obesity-induced adipose tissue inflammation. Eur J Immunol 2015; 45(9): 2446-56 <strong>9</strong> Pratley RE: Overview of glucagon-like peptide- 1 analogs and dipeptidyl peptidase-4 inhibitors for type 2 diabetes. Medscape J Med 2008; 10(7): 171 <strong>10</strong> Diabetesinformationsdienst München: Orale Antidiabetika; https://www.diabetesinformationsdienst-muenchen.de, letzter Zugriff 30. 3. 2017</p>
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</p>