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Schmerztherapie in Schwangerschaft und Stillzeit

<p class="article-intro">Schmerztherapeutisch stehen in der Schwangerschaft und der Stillzeit nicht medikamentöse und medikamentöse Behandlungsoptionen zur Verfügung. Erlauben es die zugrunde liegende Erkrankung und die Schmerzintensität, so ist den nicht medikamentösen Therapiemöglichkeiten der Vorzug zu geben. Kann jedoch mit den zur Verfügung stehenden nicht medikamentösen Behandlungsverfahren keine zufriedenstellende Schmerzreduktion erzielt werden, müssen Analgetika zum Einsatz kommen, da nicht effizient behandelte Schmerzen den Schwangerschaftsverlauf gefährden können.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine risikoarme medikament&ouml;se Schmerztherapie sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit ist m&ouml;glich.</li> <li>Voraussetzung: Kenntnis und Ber&uuml;cksichtigung des substanzspezifischen teratogenen und fetotoxischen Risikos einschlie&szlig;lich m&ouml;glicher postpartaler Entwicklungs- und Verhaltensst&ouml;rungen sowie potenzieller Nebenwirkungen beim S&auml;ugling.</li> </ul> </div> <p><br /> Jede Schwangerschaft weist unabh&auml;ngig von toxischen Einfl&uuml;ssen ein Basalrisiko von etwa 3&ndash;5 % f&uuml;r das Auftreten grobstruktureller Fehlbildungen auf. Nur 2 % dieser grobstrukturellen Fehlbildungen sind jedoch auf chemische oder physikalische Ursachen, einschlie&szlig;lich Arzneimitteln und Drogen, zur&uuml;ckzuf&uuml;hren. Die Spontanabortrate aller diagnostizierten Schwangerschaften liegt bei ca. 15 % .</p> <h2>Schmerztherapie in der Schwangerschaft</h2> <p>Die Empfindlichkeit des Embryos gegen&uuml;ber toxischen Einfl&uuml;ssen ist in Abh&auml;ngigkeit von seinem Entwicklungsstadium unterschiedlich stark ausgepr&auml;gt. In der Embryonalperiode ist die Vulnerabilit&auml;t gegen&uuml;ber teratogenen Faktoren am st&auml;rksten. Fehlbildungen treten in diesem Zeitraum am h&auml;ufigsten auf. In der anschlie&szlig;enden Fetalperiode nimmt die Sensibilit&auml;t wieder ab. Toxische Einwirkungen f&uuml;hren in diesem Zeitabschnitt zu kleineren morphologischen Anomalien und zu Organwachstums- und Organfunktionsst&ouml;rungen.<br />Die peripartale Medikamentenexposition kann passagere kindliche Anpassungsst&ouml;rungen zur Folge haben. Fr&uuml;hgeborene sind davon in st&auml;rkerem Ausma&szlig; betroffen als reife Neugeborene.</p> <h2>Generelle Therapieempfehlungen</h2> <p>&bull; Prim&auml;r Bevorzugung nicht medikament&ouml;ser Behandlungsmethoden<br />&bull; Die Auswahl des Analgetikums soll basierend auf folgender Risikoeinsch&auml;tzung getroffen werden: Zu welchem Medikament der infrage kommenden analgetischen Substanzgruppe liegen nach der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage die meisten Erfahrungen und die geringsten Verdachtsmomente f&uuml;r eine Sch&auml;digung des Ungeborenen vor?<br />&bull; Bevorzugung &auml;lterer, bereits erprobter Analgetika<br />&bull; Monotherapie<br />&bull; Dosierung und Behandlungsdauer so niedrig und so kurz wie m&ouml;glich<br />&bull; Kombination medikament&ouml;ser mit nicht medikament&ouml;sen Therapieoptionen</p> <h2>Nicht medikament&ouml;se Schmerztherapie</h2> <p>Am h&auml;ufigsten kommen folgende Therapieverfahren zum Einsatz:<br />&bull; Physikalische Behandlungsmethoden<br />&bull; Manuelle Medizin<br />&bull; Osteopathie<br />&bull; Akupunktur<br />&bull; Entspannungsverfahren<br />&bull; Psychologische Behandlungsmethoden<br />&bull; Biofeedback<br />&bull; Hypnose<br />&bull; Musik- und Kunsttherapie</p> <h2>Medikament&ouml;se Schmerztherapie</h2> <p>Die Therapieempfehlungen zu den einzelnen Wirkstoffen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_12_1.jpg" alt="" width="1419" height="2909" /></p> <p><strong>Nichtopioidanalgetika</strong> <br /><strong>Nicht steroidale Antirheumatika </strong><strong>(NSAR):</strong> Aufgrund der Prostaglandinsynthesehemmung kann die Anwendung im dritten Trimenon zum fr&uuml;hzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli (DAB) f&uuml;hren. Die Einnahme im letzten Schwangerschaftsdrittel kann ausgepr&auml;gte fetale und neonatale Nierenfunktionsst&ouml;rungen zur Folge haben. Nach pr&auml;nataler Exposition kann eine nekrotisierende Enterokolitis beim Neugeborenen auftreten. Die Verabreichung im ersten Trimenon wird immer wieder mit einem erh&ouml;hten Abortrisiko in Verbindung gebracht. Die derzeit vorliegende Studienlage erlaubt keine endg&uuml;ltige Bewertung dieses m&ouml;glichen Zusammenhangs. Ein teratogenes Risiko scheint nach aktueller Datenlage nicht vorzuliegen.<br /><strong>Acetylsalicyls&auml;ure (ASS):</strong> Eine Low-Dose-Behandlung bis max. 300mg/d ist w&auml;hrend der gesamten Schwangerschaft unbedenklich. Ab der 28. Schwangerschaftswoche kann es unter analgetischer ASS-Therapie (500mg Einzeldosis) zu einem fr&uuml;hzeitigen Verschluss des DAB kommen.<br />Bei Verabreichung analgetischer Dosierungen kurz pr&auml;partal liegt vor allem f&uuml;r Fr&uuml;hgeborene ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r das Auftreten intrakranieller Blutungen vor. Ein erh&ouml;hter peripartaler m&uuml;tterlicher Blutverlust ist m&ouml;glich. Die derzeitige Datenlage gibt keinen Hinweis auf nennenswerte teratogene Effekte.<br /><strong>Coxibe:</strong> Aufgrund der Prostaglandinsynthesehemmung sind in der Sp&auml;tschwangerschaft fetotoxische Effekte wie unter NSAR-Einnahme zu erwarten.<br /><strong>Metamizol:</strong> Ein erh&ouml;htes Fehlbildungsrisiko wird nicht angenommen. Die Anwendung im dritten Trimenon kann einen fr&uuml;hzeitigen Verschluss des DAB hervorrufen. Bei Verabreichung in der Sp&auml;tschwangerschaft ist eine Beeintr&auml;chtigung der fetalen Nierenfunktion m&ouml;glich.<br /><strong>Paracetamol:</strong> Aus der aktuellen Datenlage ergibt sich kein Hinweis auf ein teratogenes Risiko. Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der pr&auml;natalen Paracetamolexposition und dem vermehrten Auftreten von asthmatischen Beschwerden, Rhinokonjunktivitis, ekzemat&ouml;sen Hautver&auml;nderungen sowie erh&ouml;hten IgE-Werten im Kindesalter konnten bisher nicht plausibel belegt werden. Auch f&uuml;r den postulierten Zusammenhang zwischen der pr&auml;natalen Einnahme von Paracetamol und dem Auftreten von autistischen Symptomen und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivit&auml;ts-Syndrom (ADHS) ist eine kausale Assoziation nicht erwiesen.</p> <p><strong>Opioide</strong><br /> F&uuml;r kein Opioid liegen Hinweise auf ein erh&ouml;htes Fehlbildungsrisiko vor. Naloxon kann in allen Phasen der Gravidit&auml;t verabreicht werden. Beim Einsatz von Opioiden muss mit einer eingeschr&auml;nkten Variabilit&auml;t der kindlichen Herzfrequenz und mit verminderten Kindesbewegungen gerechnet werden. Die Anwendung von Tapentadol wird aufgrund fehlender Erfahrung nicht empfohlen. Bei peripartaler Verabreichung von Pethidin sind bei Neonaten verminderte Apgar-Werte und ein geh&auml;uftes Auftreten von Atemdepression, respiratorischer Azidose und Krampfanf&auml;llen festzustellen. Buprenorphin zeigt im Vergleich zu anderen Opioiden in einigen Studien eine milder verlaufende Entzugssymptomatik beim Neugeborenen.</p> <p><strong>Antikonvulsiva</strong><br />F&uuml;r Gabapentin und Pregabalin kann derzeit ein erh&ouml;htes Fehlbildungsrisiko aufgrund der wenigen Daten nicht ausgeschlossen werden. Ein teratogenes Risiko ist f&uuml;r Carbamazepin nachgewiesen und betrifft vor allem das Auftreten von Neuralrohrdefekten.</p> <p><strong>Antidepressiva</strong><br /><strong>Trizyklische Antidepressiva:</strong> Bisher liegen keine Hinweise auf ein teratogenes Risiko vor; Mittel der Wahl: Amitriptylin.<br /><strong>SSNRI:</strong> Die vorliegenden Daten zeigen weder f&uuml;r Duloxetin noch f&uuml;r Venlafaxin ein erh&ouml;htes Fehlbildungsrisiko. Keine Daten liegen f&uuml;r Milnacipran vor.<br /><strong>Trazodon:</strong> F&uuml;r die Beurteilung des teratogenen Risikos ist die Datenlage nicht ausreichend.<br /><strong>SSRI:</strong> F&uuml;r Paroxetin und Fluoxetin ist ein geringes Risiko f&uuml;r Herzfehlbildungen nicht auszuschlie&szlig;en. Mittel der Wahl: Citalopram und Sertralin. Die Assoziation zwischen der Einnahme von SSRI in der Sp&auml;tschwangerschaft und dem Auftreten eines persistierenden pulmonalen Hypertonus beim Neugeborenen wird diskutiert.</p> <p><strong>Triptane und Migr&auml;neprophylaxe</strong><br />Es liegen keine Hinweise auf ein teratogenes Risiko der Triptane vor.</p> <p><strong>Cannabinoide</strong><br />Es existieren kaum Daten &uuml;ber das Fehlbildungsrisiko und potenzielle kindliche Entwicklungsst&ouml;rungen nach intrauteriner Cannabinoidexposition.</p> <p><strong>Lokalan&auml;sthetika</strong><br />Ein teratogenes Risiko liegt nicht vor. Es gibt keinen Hinweis auf neurophysiologische Entwicklungsst&ouml;rungen.</p> <p><strong>Glukokortikoide</strong><br />Ein geringes Risiko f&uuml;r das Auftreten von Gaumenspalten mit oder ohne Lippenbeteiligung ist nicht auszuschlie&szlig;en.</p> <h2>Schmerztherapie in der Stillzeit</h2> <p>Hohe Fettl&ouml;slichkeit, geringes Molekulargewicht, geringer Ionisationsgrad, basischer pH-Wert und niedrige Plasmaproteinbindung beg&uuml;nstigen den &Uuml;bergang einer Substanz in die Muttermilch. Die meisten Medikamente erreichen in der Muttermilch eine Konzentration, die weit unter der therapeutischen Dosierung f&uuml;r S&auml;uglinge liegt! Einzeldosen eines Analgetikums k&ouml;nnen als unbedenklich angesehen werden. Therapieempfehlungen siehe Tabelle 2.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_12_2.jpg" alt="" width="400" /></p> <div id="keypoints"> <h2>Fazit</h2> Mit Kenntnis und Ber&uuml;cksichtigung des substanzspezifischen teratogenen und fetotoxischen Risikos, einschlie&szlig;lich m&ouml;glicher postpartaler Entwicklungs- und Verhaltensst&ouml;rungen sowie potenzieller Nebenwirkungen beim S&auml;ugling, ist eine risikoarme medikament&ouml;se Schmerztherapie sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit m&ouml;glich.</div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin<br />Dieser Artikel wurde erstmals ver&ouml;ffentlicht in: Universum Innere Medizin 05/17. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des MedMedia-Verlages.</p> </div> </p>
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