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Malnutrition und Frailty – ein Problem bei älteren Diabetikern
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner
Landeskrankenhaus Hochzirl-Natters<br> E-Mail: monika.lechleitner@tirol-kliniken.at
30
Min. Lesezeit
06.07.2017
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<p class="article-intro">Die Prävalenz des Typ-2-Diabetes steigt mit zunehmendem Lebensalter an und beträgt entsprechend Österreichischem Diabetesbericht von 2013 bei über 74-Jährigen rund 21 % . Aufgrund dieser Zunahme der Zahl älterer Patienten mit Diabetes mellitus gewinnt die Berücksichtigung geriatrischer Syndrome – insbesondere von Malnutrition, Frailty, Sturzneigung, Demenz und Polypharmazie – an Bedeutung, um ein den individuellen Bedürfnissen entsprechendes und damit erfolgreiches Behandlungskonzept umsetzen zu können.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Therapieziele und die Wahl der Behandlungsform bei älteren Patienten mit Diabetes mellitus werden unter Einbeziehung der kognitiven und funktionellen Ressourcen festgelegt.</li> <li>Strikte einseitige Diätformen sind bei geriatrischen Patienten nicht angezeigt.</li> <li>Medikamente wie Metformin, SGLT2-Inhibitoren und GLP-1- Analoga weisen gewichtsreduzierende Effekte auf, die beim geriatrischen Patienten unerwünscht sein können.</li> </ul> </div> <p>Als Hauptfaktoren für das zunehmende Diabetesrisiko im fortgeschrittenen Lebensalter werden ein altersassoziierter Anstieg der Insulinresistenz und die Beeinträchtigung der pankreatischen Insulinsekretion angeführt (Abb. 1). Die aktuell verfügbaren medikamentösen Therapieformen für den Diabetes mellitus Typ 2 ermöglichen über eine Beeinflussung der komplexen pathophysiologischen Mechanismen eine Optimierung der glykämischen Kontrolle. Den besonderen Bedürfnissen und Herausforderungen in der Behandlung geriatrischer Patienten mit Diabetes mellitus widmen nationale und internationale Leitlinienempfehlungen gesonderte Beiträge.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s14_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="839" /></p> <h2>Geriatrische Syndrome</h2> <p>Sowohl in Bezug auf die Behandlungsform wie auch die Definition von Therapiezielen müssen bei älteren Patienten mit Diabetes mellitus mögliche funktionelle und kognitive Einschränkungen, Komorbiditäten sowie das Risiko von Arzneimittelnebenwirkungen und der Polypharmazie kritische Berücksichtigung finden. Geriatrische Patienten weisen vor allem auch eine hohe Vulnerabilität in Bezug auf hypoglykämische Komplikationen auf. Die gegenregulatorisch wirksamen neurohumoralen Mechanismen bei Hypoglykämie sind aufgrund altersassoziierter Veränderungen beeinträchtigt, die klinische Symptomatik kann uncharakteristisch sein und damit zu einer Verzögerung der Diagnose führen. Das infolgedessen erhöhte Sturz- und Verletzungsrisiko bedeutet eine besondere Gefährdung für den älteren Diabetiker. Zu den grundlegenden Maßnahmen in der Therapie des Typ-2-Diabetes zählt auch bei älteren Patienten die Lebensstilintervention mit Ernährungsempfehlungen und angepassten Bewegungsprogrammen. Da bei älteren Menschen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Malnutrition und Sarkopenie besteht, sind strikte, einseitige Diätformen nicht angezeigt.<br /> Der Begriff Malnutrition beinhaltet eine unzureichende Aufnahme von Makround Mikronährstoffen mit ungünstigen Effekten auf die Muskelmasse (Risiko Sarkopenie) sowie einer Zunahme der Morbidität und Mortalität. In enger Korrelation mit der Malnutrition und Sarkopenie steht das geriatrische Syndrom „Frailty“.<sup>1</sup> Entsprechend der Definition nach Fried umfasst Frailty einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust von über 5kg im Zeitraum von 12 Monaten, physische und psychische Erschöpfung, körperliche Schwäche, verlangsamtes Gehen, eine verminderte körperliche Aktivität und eine erhöhte Sturzneigung.<sup>2</sup> Frailty ist mit einer Zunahme des Risikos einer Institutionalisierung bzw. Hospitalisierung assoziiert, wie auch mit einer gesteigerten Mortalität.</p> <h2>Pathophysiologische Mechanismen</h2> <p>Epidemiologische und klinische Studien konnten das erhöhte Risiko für die Diagnose „Frailty“ bei vermindertem Körpergewicht bestätigen.<sup>3, 4</sup> Dabei kommt der Körperzusammensetzung und insbesondere der Muskelmasse eine zentrale Bedeutung zu. Das Auftreten einer Sarkopenie infolge der Malnutrition ist mit der Entwicklung von Frailty und weiteren ungünstigen prognostischen Aspekten, einschließlich einer erhöhten Mortalität, assoziiert.<sup>5</sup> Rezente Publikationen beschreiben eine Korrelation zwischen Sarkopenie, Frailty und der im Alter gesteigerten subklinischen Inflammation, die vor allem auf degenerative Prozesse im Immunsystem und Fettgewebe zurückgeführt werden kann.<sup>6–9</sup> Die subklinische Inflammation ist auch als Risikofaktor für die Entwicklung einer Insulinresistenz bekannt.<sup>10</sup> Eine Reihe von aktuellen Studien analysiert die Rolle des intestinalen Mikrobioms als wesentlichen Faktor für die subklinische Inflammation und die Entwicklung einer Reihe von Erkrankungen, einschließlich des Typ-2-Diabetes, aber auch von Sarkopenie und Frailty.<sup>11</sup><br /> Klinische Studien konnten aufzeigen, dass das Ausmaß der Insulinresistenz positiv mit der Entwicklung von Frailty korreliert.<sup>12</sup> Aus Subanalysen der Women’s Health and Aging Study geht darüber hinaus hervor, dass die Hyperglykämie, definiert durch den HbA<sub>1c</sub>-Wert, eine Assoziation mit dem Risiko für Frailty aufweist.<sup>13</sup> Bei 543 Studienteilnehmerinnen im Alter von 70–79 Jahren betrug die Prävalenz für Frailty 9,5 % bei einem HbA1c-Wert unter 6 % , bei einem HbA1c- Wert über ≥9 % fand sich ein Anstieg auf 19,6 % . Ein HbA<sub>1c</sub>-Wert über 8 % resultierte in einem 3-fach erhöhten Risiko zur Entwicklung von Frailty sowie funktionellen Einschränkungen.<sup>14</sup></p> <h2>Bedeutung für die klinische Praxis</h2> <p>Die Prävention bzw. Therapie einer Malnutrition reduziert das Risiko für die Entwicklung von Sarkopenie und Frailty. Die Entstehung der Malnutrition ist multifaktoriell und beruht zum Teil auf physiologischen altersassoziierten Veränderungen im Appetit- und Sättigungsverhalten, Kau- und Schluckstörungen, aber auch auf Komorbiditäten und Nebenwirkungen von Medikamenten. Ursachen sind verminderter Appetit und Durstgefühl sowie Geschmacksempfinden, Dysphagie, schlechter Zahnstatus und Prothesenversorgung. Altersarmut und Vereinsamung mit einer eingeschränkten Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln können das Malnutritionsrisiko erhöhen. Grundsätzlich sind einseitige Diätformen bei geriatrischen Patienten deshalb nicht angezeigt, eine mangelhafte Zufuhr an Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen muss wegen des Risikos der Entwicklung einer Sarkopenie vermieden werden. Weitere Folgen können das Entwickeln von Osteoporose sowie Anämie sein, aber auch eine Infektanfälligkeit und gestörte Wundheilung und abhängig von der Medikation ein erhöhtes Hypoglykämierisiko.<br /> Eine unbeabsichtigte Gewichtsreduktion bei älteren Menschen mit Diabetes kann auf Komorbiditäten zurückgeführt werden, aber auch im Rahmen einer hyperglykämischen Entgleisung auftreten bzw. durch die medikamentöse Therapieform (Metformin, SGLT2-Inhibitoren, GLP-1-Analoga) bedingt sein. Bei lang dauernder Therapie mit Metformin wird ein Vitamin-B-12-Mangel beobachtet. Als anaboles Hormon würde die Insulintherapie einige vorteilhafte Effekte hinsichtlich Körpergewichtszunahme aufweisen, zu berücksichtigen sind aber die Umsetzbarkeit im Alltag und das Hypoglykämierisiko, vor allem bei ungenügender begleitender Nahrungszufuhr.<br /> Die optimierte Betreuung älterer Menschen mit Diabetes muss die Problematik der Malnutrition, Sarkopenie und Frailty berücksichtigen. Grundlegend dabei sind die diagnostische Abklärung im Rahmen eines multidimensionalen geriatrischen Assessments und die Entwicklung individueller Ernährungsempfehlungen durch ein interprofessionelles Team (Abb. 2).<sup>15, 16</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1703_Weblinks_jatros_diab_1703_s15_abb2.jpg" alt="" width="1458" height="716" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Keevil VL et al: Proc Nutr Soc 2015; 74(4): 337-47 <strong>2</strong> Fried LP et al: J Gerontol Med Sci 2001; 56(3): M146-56 <strong>3</strong> Bernabei R e t a l; i n: A ctive A ging a nd H ealthy L iving 2014; IOS Press, ISBN 978-1-61499-424-4 (print), ISBN 978-1-61499-425-1 (online) <strong>4</strong> Pessanha FP et al: J Frailty Aging 2017; 6(1): 24-28 <strong>5</strong> Verlaan S et al: J Am Med Dir Assoc 2017; 18(5): 374-82 <strong>6</strong> Wilson D et al: Ageing Res Rev 2017; 36: 1-10 <strong>7</strong> Kalinkovich A et al: Ageing Res Rev 2017; 35: 200-21 <strong>8</strong> Soysal P et al: Ageing Res Rev 2016; 31: 1-8 <strong>9</strong> Bastard J P e t a l: Eur C ytokine N etw 2006; 1 7(1): 4 -12 <strong>10</strong> Herder C et al: Eur J Endocrinol 2016; 175(5): 367-77 <strong>11</strong> Saad MJ et al: Physiology 2016; 31(4): 283-93 <strong>12</strong> Pérez- Tasigchana RF et al: Age Ageing 2017: 1-6 <strong>13</strong> Blaum CS et al: J Am Geriatr Soc 2009; 57(5): 840-7 <strong>14</strong> Kalyani RR et al: J Am Geriatr Soc 2012, 60(9): 1701-7 <strong>15</strong> Sanz-Paris A et al: Nutrients 2016; 8(3): 153 <strong>16</strong> Buscemi S et al: Eur J Clin Invest 2016; 46(7): 609-18</p>
</div>
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