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Jugendliche und Typ-1-Diabetes – ticken sie im gleichen Takt?

<p class="article-intro">Wenn Kinder an Diabetes erkranken, stellt das für sie selbst, ihre Familie und ihr Umfeld eine große Herausforderung dar. Unan&shy;genehme Behandlungen, ständige Kontrolle und Sorge, viele Ambulanz- und Arztbesuche machen ein kindgerechtes Leben oft schwer – zu oft dreht sich alles um den Diabetes. Andererseits sind die Kinder aber auch gut aufgehoben: Die Kinder- und Jugendmedizin betreut nicht nur die Patienten selbst engmaschig, sondern systemisch und familienzentriert auch ihre pflegenden Angehörigen. Die Kinder müssen sich nicht selbst um Krankheitsverlauf und Therapie kümmern und über viele Jahre nehmen sie die nötigen Anweisungen als selbstverständlich hin: Sie sind, wie man sagt, vorbildlich compliant.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Grundwissen von Entwicklungspsychologie und dadurch Verst&auml;ndnis f&uuml;r Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz wirken entlastend.</li> <li>Bereitschaft zur geteilten Verantwortung verbessert die Stoffwechselwerte.</li> <li>Jugendlichen einen Teil der diabetesbezogenen Aufgaben abnehmen</li> <li>Begleitung statt Kontrollzwang oder Vernachl&auml;ssigung</li> <li>Screening zur Transitionsbereitschaft</li> </ul> </div> <h2>Pubert&auml;t: Alles wird anders</h2> <p>Mit der Pubert&auml;t wird pl&ouml;tzlich alles anders: In einem unglaublich kurzen Zeitfenster m&uuml;ssen Jugendliche, die gerade noch umhegte Kinder waren, gro&szlig;e Entwicklungsaufgaben bew&auml;ltigen.<sup>1</sup> Sie m&uuml;ssen mit k&ouml;rperlichen Ver&auml;nderungen zurechtkommen, Sexualit&auml;t kennenlernen und erproben, mit ganz neuen Gef&uuml;hlen umgehen. Es ist die Zeit, eigene Werte zu entwickeln, oft in Konfrontation mit den Eltern, denen sie gerade noch bedingungslos gefolgt sind, soziale Zugeh&ouml;rigkeit au&szlig;erhalb der Familie zu erleben und Freundschaften aufzubauen. Selbstst&auml;ndigkeit ist Sehnsucht und Aufgabe zugleich: aus dem Elternhaus ausziehen, erste Joberfahrungen, lange N&auml;chte, die Begegnung und der Umgang mit Alkohol, Rauchen, Drogen, dann auch selbstst&auml;ndiges Reisen oder der F&uuml;hrerschein. In rasantem Tempo durchlaufen Jugendliche eine enorme k&ouml;rperliche, intellektuelle und soziale Reifung, f&uuml;r die Rebellion, Widerspruch und Selbstfindung unbedingt n&ouml;tig sind. Autonomie kann nur durch Abgrenzung entstehen.<br />Diese Phase ist schon f&uuml;r gesunde Jugendliche schwierig zu bew&auml;ltigen (und f&uuml;llt Ratgeber-Bibliotheken) &ndash; um wie viel mehr f&uuml;r Kinder mit chronischen Erkrankungen und ihre Familien! Diabetes wird in der Pubert&auml;t bei allem, was auf die Jugendlichen einst&uuml;rmt, fast m&ouml;chte man sagen nat&uuml;rlich, zur Nebensache. Nur muss die Krankheit dennoch gemanagt werden, und zwar 24 Stunden an 7 Tagen der Woche und 52 Wochen pro Jahr ohne Auszeit. Diabetes konfrontiert die Jugendlichen mit schwer l&ouml;sbaren Widerspr&uuml;chen: Neues Entdecken und zugleich diszipliniert bleiben, Widerspruch lernen und zugleich Regeln einhalten, spontan unerh&ouml;rten Gef&uuml;hlen folgen und zugleich reflektieren und vorausplanen &ndash; das ist eigentlich fast unm&ouml;glich, aber es betrifft in &Ouml;sterreich immerhin 3000 Heranwachsende pro Jahr.<sup>2 </sup><br />Es wird deutlich: Adoleszenz und Diabetes in einen Takt zu bringen ist kaum m&ouml;glich (Abb. 1.): erh&ouml;hte HbA1c-Werte, vers&auml;umte Kontrolltermine in den Ambulanzen, erfolglose Therapieversuche und &bdquo;no-shows&ldquo; bei Arztterminen, eigene &Auml;ngste vor Aspekten, die die Jugendlichen jetzt besser verstehen: Komplikationen wie Hypo- oder Hyperglyk&auml;mien, Langzeitfolgen oder Komorbidit&auml;ten. Kein Wunder, dass sich da oft Frustration und Aggression aufbauen. Entwicklungspsychologisch geh&ouml;ren Risikobereitschaft, Impulsivit&auml;t und Selbst&uuml;bersch&auml;tzung zur Pubert&auml;t und sind wichtig zur Erprobung der eigenen Kr&auml;fte und Grenzen. Aber sie stellen nat&uuml;rlich keine optimalen Voraussetzungen f&uuml;r den Umgang mit einer chronischen Erkrankung dar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s28_1.jpg" alt="" width="1417" height="1563" /><br />Wie gehen wir im Gesundheitssystem am besten damit um? Zun&auml;chst hilft ein gutes Verst&auml;ndnis von den tats&auml;chlich ablaufenden Entwicklungsschritten im Verhalten, Denken und F&uuml;hlen, zum Beispiel durch Jean Piagets<sup>3</sup> nach wie vor hilfreiches Stufenmodell der kognitiven Entwicklung in der Adoleszenz. Inzwischen zeigt uns die Hirnforschung mit ihren modernen bildgebenden Verfahren zus&auml;tzlich, dass auch im Gehirn gro&szlig;e Umbauarbeiten stattfinden, die erst weit nach dem 20. Lebensjahr abgeschlossen sind.</p> <h2>Transition</h2> <p>Nicht nur bei unseren heranwachsenden Patientinnen und Patienten vollziehen sich viele Ver&auml;nderungen. Im selben Zeitraum werden sie auch von der Kinderklinik und P&auml;diatrie der medizinischen Erwachsenenbetreuung &uuml;bergeben: Und diese Transition ist mit gro&szlig;en Herausforderungen verbunden (Abb. 2).<br />In der Erwachsenenmedizin wird nicht mehr familien-, sondern patientenzentriert betreut, Angeh&ouml;rige werden nicht mehr selbstverst&auml;ndlich miteinbezogen, Kontrolltermine finden in gr&ouml;&szlig;eren Abst&auml;nden statt, alle Fach&auml;rzte m&uuml;ssen gesondert aufgesucht werden, die Konsultationszeiten sind k&uuml;rzer: Daf&uuml;r wird viel Selbstverantwortung und Eigeninitiative vorausgesetzt. Das ist f&uuml;r Jugendliche, die p&auml;diatrische Betreuung gewohnt sind, eine gro&szlig;e Umstellung &ndash; aber auch f&uuml;r die Betreuenden in der Kinderheilkunde bedeutet es eine Verabschiedung von Patienten nach vielen Jahren intensiver F&uuml;rsorge und multidisziplin&auml;rer Betreuung.<br />Bei Diabetes und vielen anderen chronischen Erkrankungen verschlechtern sich in dieser Phase oft die medizinischen Messwerte. So weisen Jugendliche z.B. zweieinhalbmal h&auml;ufiger &uuml;berh&ouml;hte HbA1c-Werte auf als in kinder&auml;rztlicher Betreuung.<sup>4</sup> Nicht selten fallen Jugendliche sogar ganz aus der Betreuung &ndash; &bdquo;lost in transition&ldquo; wird dieses Ph&auml;nomen genannt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s28_2.jpg" alt="" width="1454" height="1034" /><br />Dieser &Uuml;bergang kann viel besser gelingen, wenn wir ihn in Bezug auf den Entwicklungsstand der jungen Menschen planen und vorbereiten: Wissen &uuml;ber die Krankheit, Therapiemanagement, schrittweise Verantwortungs&uuml;bernahme, Heranf&uuml;hren an die spezialisierte Betreuung durch Diabetologen und Internisten sind dabei ebenso wichtig wie psychologische Betreuung.<br />Kein junger Mensch gleicht dem anderen, manche erreichen schon sehr fr&uuml;h, andere viel sp&auml;ter die Reife, die es f&uuml;r ein gutes Therapiemanagement im Erwachsenenalter braucht. Der Zeitpunkt der &Uuml;bergabe in die Erwachsenenmedizin darf also nicht am Geburtsdatum festgemacht werden, sondern muss auf die individuelle Entwicklung abgestimmt werden.<br />Aber wie stellt man diese individuelle Transitionsbereitschaft fest? Da die Transition nicht nur in &Ouml;sterreich, sondern weltweit als gro&szlig;e Herausforderung erkannt wird, gibt es viele Studien, die sich mit dieser Frage befassen.</p> <h2>TRAQ</h2> <p>Eine gute M&ouml;glichkeit stellen standardisierte Frageb&ouml;gen dar. Wir adaptieren einen solchen international bereits erprobten Fragebogen, den TRAQ (Transition Readiness Assessment Questionnaire)<sup>5, 6</sup> gerade f&uuml;r &Ouml;sterreich. Wir erfragen damit ganz konkrete Kompetenzen wie Arztterminkoordination, Selbstst&auml;ndigkeit in der Therapie oder die Arzt-Patient-Kommunikation. Die Ergebnisse geben gute Hinweise darauf, wie wir junge Menschen in der schwierigen Transitionsphase unterst&uuml;tzen k&ouml;nnen. <br />Im Prozess der Transition selbst ist das gemeinsame Erarbeiten von Transitionsprotokollen sehr hilfreich:<sup>7</sup> Wichtige Informationen wie zust&auml;ndige medizinische Ansprechpartner, individuelle Krankheitsgeschichte, Vorschl&auml;ge zu regelm&auml;&szlig;ig durchzuf&uuml;hrenden Untersuchungen und empfohlene Intervalle sollen &uuml;bersichtlich zusammengefasst werden. Ein solches Protokoll macht es leichter, erforderliche regelm&auml;&szlig;ige Untersuchungen, Zuweisungen und die Therapie auf individuelle Besonderheiten abzustimmen.</p> <h2>Psychologische Unterst&uuml;tzung</h2> <p>Wenn man junge Patienten nach ihren Bed&uuml;rfnissen in dieser Phase fragt, geben sie besonders oft fehlende psychologische Unterst&uuml;tzung an.<sup>8</sup> In &Ouml;sterreich werden allerdings edukative und psychologische Betreuung f&uuml;r Jugendliche aufgrund fehlender Ressourcen nach wie vor zu selten und nicht standardisiert angeboten. Und das, obwohl Studien auf die positive Wirkung von Angeboten wie Einzel- oder Gruppencoachings, psychologisch betreuten Workshops und Camps oder systemischen Interventionen auf die Motivation, das Selbstmanagement und das Erleben von Selbstwirksamkeit hinweisen.<sup>7,&nbsp;9,&nbsp;10</sup> <br />Immer noch beliebte erzieherische Ma&szlig;nahmen wie Drohungen, Angstmachen oder Bestrafungen helfen nicht, sondern f&uuml;hren zu Widerstand, Vermeidung und Aggression. Kluge Anreizsysteme und kontinuierliche, konsequente Begleitung aber zeigen positive Wirkung. Wenn Eltern und Betreuende das Therapiemanagement gut vorbereitet schrittweise &uuml;bergeben und bereit sind, Verantwortung zu teilen, ist der Erfolg auch an einer stabileren Stoffwechsellage und weniger Belastung messbar.<sup>11</sup><br />Das Prinzip Hoffnung f&ouml;rdert die Gesundheit &ndash; diese vielfach best&auml;tigte Erkenntnis aus der Psychologie gilt auch in der Arbeit mit chronisch kranken Jugendlichen. &Uuml;ber bessere psychologische Betreuung hinaus ist daher eine Positivkampagne zum Typ-1-Diabetes sehr zu empfehlen: Information &uuml;ber gute Therapierbarkeit, normale Lebenserwartung und laufende technische Neuerungen, die ein Leben mit immer weniger Einschr&auml;nkungen erm&ouml;glichen, k&ouml;nnen Zuversicht vermitteln.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Wir k&ouml;nnen viel tun, um es jungen Menschen leichter zu machen, die gro&szlig;en Herausforderungen anzunehmen und zu meistern, vor die sie eine solche Krankheit stellt.<br />&bdquo;Psychosoziale Bedingungen sind die wichtigsten Einflussfaktoren auf Krankheitsmanagement und Therapie von Diabetespatienten&ldquo; &ndash; das stellen auch die ISPAD Guidelines fest.<sup>12</sup> <br />Wenn wir uns als betreuende Experten in der Kinder- und Jugendmedizin auf die individuelle Adoleszenz und Transitionsphase unserer jugendlichen Patienten gut vorbereiten und sie darin zeitgerecht und verst&auml;ndnisvoll unterst&uuml;tzen, helfen wir ihnen dabei, selbst Verantwortung zu &uuml;bernehmen und Krankheit zu managen. Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit in der &Uuml;bergangsphase des Betreuungswechsels mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Erwachsenenmedizin. Hier gilt es, die aktuelle Lebenssituation, das soziale Umfeld und den individuellen Entwicklungsstand der jungen erwachsenen Patienten st&auml;rker zu bedenken und diese anf&auml;nglich intensiver zu betreuen, als es im Erwachsenenbereich vielleicht &uuml;blich ist. <br />Psychologische Unterst&uuml;tzung sowohl f&uuml;r Diabetespatienten mit Typ 1 als auch f&uuml;r solche mit Typ 2 bietet die AG Psychodiabetologie des Berufsverbandes der &Ouml;sterreichischen Psychologinnen und Psychologen<sup>13</sup> an.<br />In diesem Sinne w&uuml;nsche ich unseren jungen Patientinnen und Patienten ein vertrauensvolles Verh&auml;ltnis zu ihren neuen &Auml;rzten und ein gutes Erwachsenwerden mit Diabetes.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong>&nbsp;Havighurst RJ: Developmental Tasks and Education. 3. Auflage. London: Longman Group United Kingdom, 1972 <strong>2</strong>&nbsp;Rami-Merhar B et al.: Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. Wien Klin Wochenschr 2016; 128(S2): 119-23 <br /><strong>3</strong>&nbsp;Ault RL: Children&rsquo;s cognitive development: Piaget&rsquo;s theory and the process. New York: Oxford University Press, 1977 <strong>4</strong>&nbsp;M&uuml;ther S et al.: Transition von Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen in die Erwachsenenmedizin. Aktuelle Entwicklungen. Monatsschr Kinderheilkd 2014; 162(8): 711-8 <strong>5</strong>&nbsp;Wood DL et al.: The Transition Readiness Assessment Questionnaire (TRAQ): its factor structure, reliability, and validity. Acad Pediatr 2014; 14(4): 415-22 <strong>6</strong>&nbsp;Culen C et al.: Be on TRAQ &mdash; Translating and Adapting the Transition Readiness Assessment Questionnaire (TRAQ) for use in German speaking youth with special health care needs (YSHCN). In Vorbereitung. 2018 <strong>7</strong>&nbsp;American Academy of Pediatrics, American Academy of Family Physicians, and American College of Physicians, Transitions Clinical Report Authoring Group: Supporting the health care transition from adolescence to adulthood in the medical home. Pediatrics 2011; 128(1): 182-200 <strong>8</strong>&nbsp;DAWN-2-Studie: www.dawnstudy.com <strong>9</strong>&nbsp;Grey M et al.: Internet psycho-education programs improve outcomes in youth with type 1 diabetes. Diabetes Care 2013; 36(9): 2475-82 <strong>10</strong>&nbsp;Scholten L et al.: Moderators of the efficacy of a psychosocial group intervention for children with chronic illness and their parents: what works for whom? J Pediatr Psychol 2015; 40(2): 214-2 <strong>11</strong>&nbsp;Helgeson VS et al.: Predictors of metabolic control among adolescents with diabetes: a 4-year longitudinal study. J Pediatr Psychol 2009; 34(3): 254-70 <strong>12</strong>&nbsp;Delamater A: Psychological care of children and adolescents with diabetes. Pediatr Diabetes 2007; 8(5): 340-8 <strong>13</strong>&nbsp;AG Psychodiabetologie [Internet]. Berufsverband der &Ouml;sterreichischen Psychologinnen und Psychologen [zitiert am 18. J&auml;nner 2018]. Verf&uuml;gbar unter: https://www.boep.or.at/berufsverband/fachsektionen/klinische-psychologie/ag-psychodiabetologie</p> </div> </p>
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