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Der geriatrische Patient mit diabetischem Fußsyndrom
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Ralf Lobmann
Ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie<br> Interdisziplinäres Medizinisches Zentrum<br> Klinikum Stuttgart – Bad Cannstatt<br> Prießnitzweg 24, 70374 Stuttgart<br> E-Mail: r.lobmann@klinikum-stuttgart.de<br> Web: <a href="http://www.klinikum-stuttgart.de" target="_blank">www.klinikum-stuttgart.de</a>
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Chronische Wunden und speziell das diabetische Fußsyndrom beim älteren Patienten stellen in Praxis und Klinik eine besondere Herausforderung dar. Neben den durch den Diabetes selbst bedingten Störungen der Wundheilung wird diese zusätzlich von den alterstypischen Veränderungen beeinträchtigt.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Wundheilungsstörungen beim Menschen mit Diabestes stellen – insbesondere beim älteren Patienten – eine besondere Herausforderung dar.</li> <li>Extrinsische sowie intrinsische Faktoren beeinflussen das Wundheilungsgeschehen im Alter.</li> <li>Die grundsätzlichen Therapieprinzipien der „good wound care“ unterscheiden sich nicht von denen bei jüngeren Patienten. Dennoch sind alle diagnostischen Maßnahmen hinsichtlich der ihnen folgenden therapeutischen Konsequenzen abzuwägen.</li> </ul> </div> <p>Die demografische Entwicklung der alternden Gesellschaft in Deutschland und weltweit ist nicht mehr aufzuhalten. Die zunehmende Lebenserwartung, die reduzierte Zahl von Kindern pro Paar und die zunehmende Zahl von Single-Haushalten von aktuell bereits rund 40 % führen bei der gesteigerten Lebenserwartung zu weit mehr als 1,3 Mio. pflegebedürftigen Menschen. Somit wird die Geriatrie als medizinische Spezialdisziplin, die sich mit den physischen, psychischen und funktionellen sowie sozialen Aspekten bei der medizinischen Betreuung älterer Menschen befasst, an Stellenwert gewinnen. Gerade die hochbetagten Menschen – derzeit sind bereits ca. 250.000 Mitbürger in Deutschland 90 Jahre oder älter – zeigen oft eine hohe Vulnerabilität („frailty“) und leiden häufig an multi­plen aktiven Krankheiten. Bei Erkrankungen im Alter muss darüber hinaus ein natürlicher Alterungsprozess von Krankheitsprozessen abgegrenzt werden. Das individuelle Altern steht in Konkurrenz zu chronischen Erkrankungen bei zunehmender Multimor­bidität.</p> <h2>Wundheilung im Alter</h2> <p>Das kalendarische Alter allein ist dabei kein Kriterium. Generell zeigen ältere Menschen eine signifikant reduzierte „normale“ bzw. „altersentsprechende“ Wundheilung, sodass in der Behandlung entsprechende Besonderheiten zu beachten sind. Eine der bedeutendsten Komorbiditäten ist der Diabetes mellitus, der bei Menschen über 60 Jahre bereits bei einer Prävalenz von 22 % liegt, während in der Allgemeinbevölkerung zwischen 40 und 59 Jahren nur jeder Zehnte an einem Diabetes leidet.<br /> <br /> Ältere Menschen leiden aufgrund der strukturellen und physiologischen Veränderungen des Hautorgans und der oft bestehenden Multimorbidität häufig an chronischen Wunden. Die Haut des älteren Menschen ist aufgrund des physiologischen Alterungsprozesses gegen äußere Einflüsse weniger widerstandsfähig und dadurch leichter verletzbar. Eine verminderte Mitoserate verlangsamt die Revitalisierung und verzögert die Wundheilung. Die Merkmale der Altershaut unterliegen dem physiologischen Alterungsprozess (Tab. 1). Sie ist gekennzeichnet von einer Atrophie aller Gewebsschichten, der epidermale Turnover ist reduziert, die Retezapfen sind abgeflacht, die Kollagenfasern sind reduziert und die Kollagenaseaktivität erhöht. Melanozyten, insbesondere Langerhans-Zellen der Haut, sowie Hautgefäße und elastische Fasern sind vermindert. Auch die Hautanhangsgebilde (Haare, Schweißdrüsen) sind reduziert und/oder atrophiert. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1604_Weblinks_Seite15.jpg" alt="" width="893" height="613" /></p> <h2>Veränderungen der Wundheilung beim älteren Menschen</h2> <p>Die Wundheilung ist ein dynamischer Prozess, der ein abgestimmtes Zusammenspiel von zellulären Faktoren erfordert. Die zeitliche Abfolge reparativer Vorgänge wird klassischerweise in drei Phasen gegliedert: die exsudative bzw. inflammatorische Phase, die proliferative und die regenerative Phase. Diese Phasen umfassen die Koagulation, die Entzündungsphase, die Kollagensynthese, die Angiogenese, die Epithelialisierung sowie die Kontraktion und den Umbau in Narbengewebe („remodeling“).<br /> <br /> Experimentelle und klinische Studien haben gezeigt, dass der komplexe Heilungsverlauf in allen Phasen durch exogene und endogene Faktoren wie Steroide, die diabetische Stoffwechsellage, Hypoxie, Immunsuppression, Bestrahlung, Mangelernährung und nicht zuletzt auch durch das Alter selbst beeinflusst wird.</p> <h2>Extrinsische und intrinsische Faktoren</h2> <p>Extrinsische wie intrinsische Faktoren beeinflussen in besonderer Weise Störungen der Wundheilung im Alter. Die extrinsischen Faktoren beruhen auf einer hohen Komorbidität im Alter und umfassen beispielhaft die koronare Herzerkrankung, die zerebrovaskuläre Insuffizienz, Karzinome, die periphere Arterienverschlusskrankheit, pulmonale Grunderkrankungen und Diabetes mellitus sowie die Mangelernährung. Studien haben insbesondere gezeigt, dass die Wundheilung und Immunantwort gegen Wundinfektion maßgeblich durch kardiopulmonale Begleiterkrankungen beeinflusst werden.<br /> <br /> Die intrinsischen Beeinflussungen sind unabhängig von Komorbiditäten und sind Auswirkung des Alterungsprozesses an sich. In Studien (in vitro und in vivo) zeigten sich eine auf das Alter zurückzuführende Beeinträchtigung der Makrophagenfunktion, der Entzündungsreaktion, der Fibroblastenproliferation, der Kollagensynthese sowie der Kollagenqualität. Diese Faktoren sowie die Beeinträchtigung der Epithelneubildung und der Angiogenese führen zu einer reduzierten Reißfestigkeit des Narbengewebes.<br /> <br /> Die gealterte humane Haut besitzt weniger und kleinere Fibroblasten mit einer reduzierten Lebensdauer. Diese haben im Gegensatz zu jungen Fibroblasten ihre Fähigkeit verloren, eine durch Wachstumsfaktoren induzierte Proliferation und Zellfunktion zu induzieren. Die Keratinozyten von älteren Individuen zeigen in der Zellkultur einen Rückgang ihrer zellulären Antwort auf Wachstumsfaktoren und sind in ihrer Proliferationskapazität eingeschränkt. Die grundsätzlichen Mechanismen der verzögerten Wundheilung bei älteren Menschen sind noch weitgehend ungeklärt. In tierexperimentellen Studien zeigte sich eine verzögerte Heilungsrate im Rahmen des verzögerten Auftretens von Wachstumsfaktoren wie PDGF, IGF und TGF-beta. Gerade für IGF, das eine entscheidende Rolle bei der Wundheilung spielt, ist eine Altersabhängigkeit im Plasma bekannt. IGF-1 steuert den Wundheilungsprozess zur Stimulation der Kollagensynthese, der Fibroblastenproliferation und der Endothelproliferation. IGF-1 fördert dabei die VEGF-Synthese und reguliert somit die Angiogenese.<br /> <br /> Bei hypophysenektomierten Ratten beobachtete man einen Rückgang der IGF-1-Konzentration in Wunden und eine damit verbundene Beeinträchtigung der Wundheilung mit reduzierter Kollagensynthese und Hydroxyprolinkonzentration.<br /> <br /> Durch im Überschuss zugeführtes exoge­nes IGFBP-3 wird experimentell IGF-1 gebunden und kann somit nicht mehr an die Rezeptoren der Zellen binden; dies führt tierexperimentell zu einer 50 % igen Reduktion der Kollagenproduktion in der Wunde. In einer weiteren Studie konnte die Gruppe um Ko­shi­zuka et al zeigen, dass durch die Gabe von rekombinantem IGF-1 (rIGF-1) die Proteinkonzentration und Reißfestigkeit der Wunden bei gealterten Mäusen erhöht werden konnten.<br /> <br /> Trabold et al konnten nachweisen, dass die Konzentration von IGF sowie IGFBP-3 im Plasma und in der Wundflüssigkeit mit zunehmendem Alter abnahm. Die betagten Patienten zeigten ein ungünstiges Verhältnis der IGFs zu den IGFBPs und die Bioverfügbarkeit von freiem IGF nahm im zunehmenden Alter ab. Dabei trägt der Abfall des IGF-1-Systems bei den älteren Patienten im Plasma und in der Wundflüssigkeit möglicherweise zum Heilungsdefizit im Alter bei.<br /> <br /> Grundsätzlich ist im Fall der Schädigung der Altershaut mit einer verzögerten Reparationsleistung zu rechnen. Keratinozyten reagieren bei einer alternden Haut langsamer auf eine Verletzung. Die Immunantwort der Haut ist mit zunehmendem Alter ebenfalls reduziert. Neben der Funktionseinbuße des Säureschutzmantels ist hier die Abnahme der Langerhans-Zellen der Haut (die antigenpräsentierend sind) ein wesentlicher Faktor. Nach dem 65. Lebensjahr finden sich in der Haut etwa 15 % weniger Abwehrzellen als bei einem jungen Menschen von Mitte 20. Die Veränderungen der Mikrovaskulatur, die eine Verringerung des Blutflusses im Gewebe zur Folge haben, führen ebenfalls zur Abnahme der Abwehrkräfte bei einer Wundinfektion. Die Dermis, die in ihrer extrazellulären Matrix bei gealterter Haut nur noch über eine reduzierte Menge an Proteinen (Kollagen, Elastin) verfügt, verhält sich in Bezug auf die Wundheilung ebenfalls anders als eine vollwertige. Letztendlich führt die Abnahme der Aktivität von Schweiß- und Talgdrüsen zu einer vermehrten Bildung von Ekzemen und Hautinfektionen. <br /> <br /> Das Modell des Wundmanagements hat somit zu berücksichtigen, dass bei Patienten über 60 Jahre das Risiko für eine Wundheilungsstörung 3-fach erhöht ist und somit das Alter einen eigenständigen Risikofaktor darstellt.</p> <h2>Altersbedingte Veränderung der Phasen in der Wundheilung</h2> <p>In der Inflammationsphase zeigen sich bei älteren Individuen eine reduzierte Funktion der Makrophagen und eine vermehrte Sekretion inflammatorischer Mediatoren (Interleukin-x, TNF-alpha, TGF-beta), gleichzeitig ist die Freisetzung endogener Wachstumsfaktoren (VEGF, PDGF, KGF) reduziert. Neutrophile treten zwar im Wundareal vermehrt auf, sind allerdings in der Funktion beeinträchtigt. In der Proliferationsphase ist die Kollagenbildung beeinträchtigt. Fibroblasten und Keratinozyten sind ebenso zahlenmäßig reduziert wie auch deren Proliferations­kapazität. <br /> <br /> Da mit steigendem Alter auch die Dichte der Rezeptoren von Wachstumsfaktoren in der Haut abnimmt, ist damit auch die Signalverarbeitung an den Rezeptoren der Wachstumsfaktoren beeinträchtigt. Dies führt nicht zuletzt zu einem verspäteten Einsetzen des Reepithelialisierungsprozesses. In der Phase des Remodelings finden sich eine verspätete und reduzierte Wundfestigkeit, ein Verlust an Lysyloxidase (LOX), Crosslinks und eine vermehrte Degradation von Kollagen. Studien zeigten, dass sich in der Altershaut das Verhältnis von Proteasen zu Proteaseninhibitoren zugunsten von Proteasen verschiebt, was einen Einfluss auf die Mediatoren TNF-alpha und IGF-1-beta nach sich zieht. <br /> <br /> Für chronische Wunden ist dabei nicht nur die absolute Menge eines Proteasenüberschusses wundheilungsschädigend, wesentlich relevanter ist das Verhältnis von Protease zu Proteaseninhibitor. Im Tiermodell konnte die Arbeitsgruppe um Kellogg und Woods zeigen, dass Bewegung die Wundheilung verbessert und die inflammatorische Reaktion in der Haut reduziert. Daher sind auch beim älteren Menschen eine entsprechende Aktivität und Bewegungstherapie hilfreich.<br /> <br /> Gerade aufgrund der beiden besonderen Risikofaktoren Malnutrition und Immobilisation ist bei älteren Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom darauf zu achten, dass neben einer entsprechend ausreichenden Zufuhr von Nährstoffen und Spurenelementen auch ausreichendes physiotherapeutisches Angebot (z.B. auch im Setting einer Frührehabilitation) angeboten wird, um den Proteinverlust zu reduzieren. Beim betagten Menschen mit Diabetes treffen die altersbedingten Wundheilungsstörungen auf die diabetesassoziierten Effekte durch diabetische Neuropathie, Angiopathie und den hyperglykämischen Status sowie die bekannten Veränderungen der Wundheilungsdynamik auf zellulärer Ebene zusammen. Das Problem der chronischen Wunde stellt sich daher bei diesen Patienten nochmals verschärft dar.</p> <h2>Besonderheiten beim Menschen mit Diabetes</h2> <p>Durch ein individualisiertes Konzept müssen diagnostische und therapeutische Effekte optimiert und Nebenwirkungen dieser Maßnahmen minimiert werden. Durch die physischen und mentalen Defizite älterer und geriatrischer Patienten mit Diabetes ergeben sich in der Fußversorgung einige Besonderheiten. So schränken teils ausgeprägte Minderungen der Selbsthilfekapazitäten mit sogenannten geriatrischen Syndromen die Möglichkeiten klassischer Prophylaxe- und Therapiemethoden ein. Wobei sich die grundsätzlichen Therapieprinzipien der „good wound care“ nicht von jüngeren Patienten unterscheiden. Allerdings kann sich gerade die für die Heilung des diabetischen Fußes essenzielle konsequente Entlastung – im Kontext von lokal entlastenden, allgemein mobilisierenden und die Gangsicherheit fördernden, aber auch Sturzgefahren mindernden Maßnahmen – bei den älteren Patienten als schwierig gestalten. Bei älteren Patienten, die einen chirurgischen Eingriff benötigen, generell – und Menschen mit Diabetes im Besonderen – müssen die perioperativen Komplikationen beachtet werden. Hier sind insbesondere das Delir, das Sturz- und Frakturrisiko sowie die mit einem operativen Eingriff vergesellschaftete Verminderung des funktionellen Status zu nennen. Auch das in dieser Patientengruppe signifikant erhöhte Mortalitätsrisiko ist in die diagnostischen und therapeutischen Erwägungen mit einzubeziehen.<br /> <br /> Grundsätzlich ist es essenziell, auch die begleitenden Komorbiditäten in das therapeutische Konzept mit einzubeziehen. Bei älteren Menschen besteht eine Risikokonstellation, die ein besonderes Wundmanagement erforderlich macht, um eine erfolgreiche Wundheilung zu erzielen. Ziel müssen eine zeitnahe Wundheilung und damit auch eine verbesserte Lebensqualität sowie insbesondere der Erhalt der funktionellen Fähigkeiten des täglichen Bedarfs sein.</p></p>
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