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Der geriatrische Patient mit diabetischem Fußsyndrom

<p class="article-intro">Chronische Wunden und speziell das diabetische Fußsyndrom beim älteren Patienten stellen in Praxis und Klinik eine besondere Herausforderung dar. Neben den durch den Diabetes selbst bedingten Störungen der Wundheilung wird diese zusätzlich von den alterstypischen Veränderungen beeinträchtigt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Wundheilungsst&ouml;rungen beim Menschen mit Diabestes stellen &ndash; insbesondere beim &auml;lteren Patienten &ndash; eine besondere Herausforderung dar.</li> <li>Extrinsische sowie intrinsische Faktoren beeinflussen das Wundheilungsgeschehen im Alter.</li> <li>Die grunds&auml;tzlichen Therapieprinzipien der &bdquo;good wound care&ldquo; unterscheiden sich nicht von denen bei j&uuml;ngeren Patienten. Dennoch sind alle diagnostischen Ma&szlig;nahmen hinsichtlich der ihnen folgenden therapeutischen Konsequenzen abzuw&auml;gen.</li> </ul> </div> <p>Die demografische Entwicklung der alternden Gesellschaft in Deutschland und weltweit ist nicht mehr aufzuhalten. Die zunehmende Lebenserwartung, die reduzierte Zahl von Kindern pro Paar und die zunehmende Zahl von Single-Haushalten von aktuell bereits rund 40 % f&uuml;hren bei der gesteigerten Lebenserwartung zu weit mehr als 1,3 Mio. pflegebed&uuml;rftigen Menschen. Somit wird die Geriatrie als medizinische Spezialdisziplin, die sich mit den physischen, psychischen und funktionellen sowie sozialen Aspekten bei der medizinischen Betreuung &auml;lterer Menschen befasst, an Stellenwert gewinnen. Gerade die hochbetagten Menschen &ndash; derzeit sind bereits ca. 250.000 Mitb&uuml;rger in Deutschland 90 Jahre oder &auml;lter &ndash; zeigen oft eine hohe Vulnerabilit&auml;t (&bdquo;frailty&ldquo;) und leiden h&auml;ufig an multi&shy;plen aktiven Krankheiten. Bei Erkrankungen im Alter muss dar&uuml;ber hinaus ein nat&uuml;rlicher Alterungsprozess von Krankheitsprozessen abgegrenzt werden. Das individuelle Altern steht in Konkurrenz zu chronischen Erkrankungen bei zunehmender Multimor&shy;bidit&auml;t.</p> <h2>Wundheilung im Alter</h2> <p>Das kalendarische Alter allein ist dabei kein Kriterium. Generell zeigen &auml;ltere Menschen eine signifikant reduzierte &bdquo;normale&ldquo; bzw. &bdquo;altersentsprechende&ldquo; Wundheilung, sodass in der Behandlung entsprechende Besonderheiten zu beachten sind. Eine der bedeutendsten Komorbidit&auml;ten ist der Diabetes mellitus, der bei Menschen &uuml;ber 60 Jahre bereits bei einer Pr&auml;valenz von 22 % liegt, w&auml;hrend in der Allgemeinbev&ouml;lkerung zwischen 40 und 59 Jahren nur jeder Zehnte an einem Diabetes leidet.<br /> <br /> &Auml;ltere Menschen leiden aufgrund der strukturellen und physiologischen Ver&auml;nderungen des Hautorgans und der oft bestehenden Multimorbidit&auml;t h&auml;ufig an chronischen Wunden. Die Haut des &auml;lteren Menschen ist aufgrund des physiologischen Alterungsprozesses gegen &auml;u&szlig;ere Einfl&uuml;sse weniger widerstandsf&auml;hig und dadurch leichter verletzbar. Eine verminderte Mitoserate verlangsamt die Revitalisierung und verz&ouml;gert die Wundheilung. Die Merkmale der Altershaut unterliegen dem physiologischen Alterungsprozess (Tab. 1). Sie ist gekennzeichnet von einer Atrophie aller Gewebsschichten, der epidermale Turnover ist reduziert, die Retezapfen sind abgeflacht, die Kollagenfasern sind reduziert und die Kollagenaseaktivit&auml;t erh&ouml;ht. Melanozyten, insbesondere Langerhans-Zellen der Haut, sowie Hautgef&auml;&szlig;e und elastische Fasern sind vermindert. Auch die Hautanhangsgebilde (Haare, Schwei&szlig;dr&uuml;sen) sind reduziert und/oder atrophiert. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1604_Weblinks_Seite15.jpg" alt="" width="893" height="613" /></p> <h2>Ver&auml;nderungen der Wundheilung beim &auml;lteren Menschen</h2> <p>Die Wundheilung ist ein dynamischer Prozess, der ein abgestimmtes Zusammenspiel von zellul&auml;ren Faktoren erfordert. Die zeitliche Abfolge reparativer Vorg&auml;nge wird klassischerweise in drei Phasen gegliedert: die exsudative bzw. inflammatorische Phase, die proliferative und die regenerative Phase. Diese Phasen umfassen die Koagulation, die Entz&uuml;ndungsphase, die Kollagensynthese, die Angiogenese, die Epithelialisierung sowie die Kontraktion und den Umbau in Narbengewebe (&bdquo;remodeling&ldquo;).<br /> <br /> Experimentelle und klinische Studien haben gezeigt, dass der komplexe Heilungsverlauf in allen Phasen durch exogene und endogene Faktoren wie Steroide, die diabetische Stoffwechsellage, Hypoxie, Immunsuppression, Bestrahlung, Mangelern&auml;hrung und nicht zuletzt auch durch das Alter selbst beeinflusst wird.</p> <h2>Extrinsische und intrinsische Faktoren</h2> <p>Extrinsische wie intrinsische Faktoren beeinflussen in besonderer Weise St&ouml;rungen der Wundheilung im Alter. Die extrinsischen Faktoren beruhen auf einer hohen Komorbidit&auml;t im Alter und umfassen beispielhaft die koronare Herzerkrankung, die zerebrovaskul&auml;re Insuffizienz, Karzinome, die periphere Arterienverschlusskrankheit, pulmonale Grunderkrankungen und Diabetes mellitus sowie die Mangelern&auml;hrung. Studien haben insbesondere gezeigt, dass die Wundheilung und Immunantwort gegen Wundinfektion ma&szlig;geblich durch kardiopulmonale Begleiterkrankungen beeinflusst werden.<br /> <br /> Die intrinsischen Beeinflussungen sind unabh&auml;ngig von Komorbidit&auml;ten und sind Auswirkung des Alterungsprozesses an sich. In Studien (in vitro und in vivo) zeigten sich eine auf das Alter zur&uuml;ckzuf&uuml;hrende Beeintr&auml;chtigung der Makrophagenfunktion, der Entz&uuml;ndungsreaktion, der Fibroblastenproliferation, der Kollagensynthese sowie der Kollagenqualit&auml;t. Diese Faktoren sowie die Beeintr&auml;chtigung der Epithelneubildung und der Angiogenese f&uuml;hren zu einer reduzierten Rei&szlig;festigkeit des Narbengewebes.<br /> <br /> Die gealterte humane Haut besitzt weniger und kleinere Fibroblasten mit einer reduzierten Lebensdauer. Diese haben im Gegensatz zu jungen Fibroblasten ihre F&auml;higkeit verloren, eine durch Wachstumsfaktoren induzierte Proliferation und Zellfunktion zu induzieren. Die Keratinozyten von &auml;lteren Individuen zeigen in der Zellkultur einen R&uuml;ckgang ihrer zellul&auml;ren Antwort auf Wachstumsfaktoren und sind in ihrer Proliferationskapazit&auml;t eingeschr&auml;nkt. Die grunds&auml;tzlichen Mechanismen der verz&ouml;gerten Wundheilung bei &auml;lteren Menschen sind noch weitgehend ungekl&auml;rt. In tierexperimentellen Studien zeigte sich eine verz&ouml;gerte Heilungsrate im Rahmen des verz&ouml;gerten Auftretens von Wachstumsfaktoren wie PDGF, IGF und TGF-beta. Gerade f&uuml;r IGF, das eine entscheidende Rolle bei der Wundheilung spielt, ist eine Altersabh&auml;ngigkeit im Plasma bekannt. IGF-1 steuert den Wundheilungsprozess zur Stimulation der Kollagensynthese, der Fibroblastenproliferation und der Endothelproliferation. IGF-1 f&ouml;rdert dabei die VEGF-Synthese und reguliert somit die Angiogenese.<br /> <br /> Bei hypophysenektomierten Ratten beobachtete man einen R&uuml;ckgang der IGF-1-Konzentration in Wunden und eine damit verbundene Beeintr&auml;chtigung der Wundheilung mit reduzierter Kollagensynthese und Hydroxyprolinkonzentration.<br /> <br /> Durch im &Uuml;berschuss zugef&uuml;hrtes exoge&shy;nes IGFBP-3 wird experimentell IGF-1 gebunden und kann somit nicht mehr an die Rezeptoren der Zellen binden; dies f&uuml;hrt tierexperimentell zu einer 50 % igen Reduktion der Kollagenproduktion in der Wunde. In einer weiteren Studie konnte die Gruppe um Ko&shy;shi&shy;zuka et al zeigen, dass durch die Gabe von rekombinantem IGF-1 (rIGF-1) die Proteinkonzentration und Rei&szlig;festigkeit der Wunden bei gealterten M&auml;usen erh&ouml;ht werden konnten.<br /> <br /> Trabold et al konnten nachweisen, dass die Konzentration von IGF sowie IGFBP-3 im Plasma und in der Wundfl&uuml;ssigkeit mit zunehmendem Alter abnahm. Die betagten Patienten zeigten ein ung&uuml;nstiges Verh&auml;ltnis der IGFs zu den IGFBPs und die Bioverf&uuml;gbarkeit von freiem IGF nahm im zunehmenden Alter ab. Dabei tr&auml;gt der Abfall des IGF-1-Systems bei den &auml;lteren Patienten im Plasma und in der Wundfl&uuml;ssigkeit m&ouml;glicherweise zum Heilungsdefizit im Alter bei.<br /> <br /> Grunds&auml;tzlich ist im Fall der Sch&auml;digung der Altershaut mit einer verz&ouml;gerten Reparationsleistung zu rechnen. Keratinozyten reagieren bei einer alternden Haut langsamer auf eine Verletzung. Die Immunantwort der Haut ist mit zunehmendem Alter ebenfalls reduziert. Neben der Funktionseinbu&szlig;e des S&auml;ureschutzmantels ist hier die Abnahme der Langerhans-Zellen der Haut (die antigenpr&auml;sentierend sind) ein wesentlicher Faktor. Nach dem 65. Lebensjahr finden sich in der Haut etwa 15 % weniger Abwehrzellen als bei einem jungen Menschen von Mitte 20. Die Ver&auml;nderungen der Mikrovaskulatur, die eine Verringerung des Blutflusses im Gewebe zur Folge haben, f&uuml;hren ebenfalls zur Abnahme der Abwehrkr&auml;fte bei einer Wundinfektion. Die Dermis, die in ihrer extrazellul&auml;ren Matrix bei gealterter Haut nur noch &uuml;ber eine reduzierte Menge an Proteinen (Kollagen, Elastin) verf&uuml;gt, verh&auml;lt sich in Bezug auf die Wundheilung ebenfalls anders als eine vollwertige. Letztendlich f&uuml;hrt die Abnahme der Aktivit&auml;t von Schwei&szlig;- und Talgdr&uuml;sen zu einer vermehrten Bildung von Ekzemen und Hautinfektionen. <br /> <br /> Das Modell des Wundmanagements hat somit zu ber&uuml;cksichtigen, dass bei Patienten &uuml;ber 60 Jahre das Risiko f&uuml;r eine Wundheilungsst&ouml;rung 3-fach erh&ouml;ht ist und somit das Alter einen eigenst&auml;ndigen Risikofaktor darstellt.</p> <h2>Altersbedingte Ver&auml;nderung der Phasen in der Wundheilung</h2> <p>In der Inflammationsphase zeigen sich bei &auml;lteren Individuen eine reduzierte Funktion der Makrophagen und eine vermehrte Sekretion inflammatorischer Mediatoren (Interleukin-x, TNF-alpha, TGF-beta), gleichzeitig ist die Freisetzung endogener Wachstumsfaktoren (VEGF, PDGF, KGF) reduziert. Neutrophile treten zwar im Wundareal vermehrt auf, sind allerdings in der Funktion beeintr&auml;chtigt. In der Proliferationsphase ist die Kollagenbildung beeintr&auml;chtigt. Fibroblasten und Keratinozyten sind ebenso zahlenm&auml;&szlig;ig reduziert wie auch deren Proliferations&shy;kapazit&auml;t. <br /> <br /> Da mit steigendem Alter auch die Dichte der Rezeptoren von Wachstumsfaktoren in der Haut abnimmt, ist damit auch die Signalverarbeitung an den Rezeptoren der Wachstumsfaktoren beeintr&auml;chtigt. Dies f&uuml;hrt nicht zuletzt zu einem versp&auml;teten Einsetzen des Reepithelialisierungsprozesses. In der Phase des Remodelings finden sich eine versp&auml;tete und reduzierte Wundfestigkeit, ein Verlust an Lysyloxidase (LOX), Crosslinks und eine vermehrte Degradation von Kollagen. Studien zeigten, dass sich in der Altershaut das Verh&auml;ltnis von Proteasen zu Proteaseninhibitoren zugunsten von Proteasen verschiebt, was einen Einfluss auf die Mediatoren TNF-alpha und IGF-1-beta nach sich zieht. <br /> <br /> F&uuml;r chronische Wunden ist dabei nicht nur die absolute Menge eines Proteasen&uuml;berschusses wundheilungssch&auml;digend, wesentlich relevanter ist das Verh&auml;ltnis von Protease zu Proteaseninhibitor. Im Tiermodell konnte die Arbeitsgruppe um Kellogg und Woods zeigen, dass Bewegung die Wundheilung verbessert und die inflammatorische Reaktion in der Haut reduziert. Daher sind auch beim &auml;lteren Menschen eine entsprechende Aktivit&auml;t und Bewegungstherapie hilfreich.<br /> <br /> Gerade aufgrund der beiden besonderen Risikofaktoren Malnutrition und Immobilisation ist bei &auml;lteren Patienten mit einem diabetischen Fu&szlig;syndrom darauf zu achten, dass neben einer entsprechend ausreichenden Zufuhr von N&auml;hrstoffen und Spurenelementen auch ausreichendes physiotherapeutisches Angebot (z.B. auch im Setting einer Fr&uuml;hrehabilitation) angeboten wird, um den Proteinverlust zu reduzieren. Beim betagten Menschen mit Diabetes treffen die altersbedingten Wundheilungsst&ouml;rungen auf die diabetesassoziierten Effekte durch diabetische Neuropathie, Angiopathie und den hyperglyk&auml;mischen Status sowie die bekannten Ver&auml;nderungen der Wundheilungsdynamik auf zellul&auml;rer Ebene zusammen. Das Problem der chronischen Wunde stellt sich daher bei diesen Patienten nochmals versch&auml;rft dar.</p> <h2>Besonderheiten beim Menschen mit Diabetes</h2> <p>Durch ein individualisiertes Konzept m&uuml;ssen diagnostische und therapeutische Effekte optimiert und Nebenwirkungen dieser Ma&szlig;nahmen minimiert werden. Durch die physischen und mentalen Defizite &auml;lterer und geriatrischer Patienten mit Diabetes ergeben sich in der Fu&szlig;versorgung einige Besonderheiten. So schr&auml;nken teils ausgepr&auml;gte Minderungen der Selbsthilfekapazit&auml;ten mit sogenannten geriatrischen Syndromen die M&ouml;glichkeiten klassischer Prophylaxe- und Therapiemethoden ein. Wobei sich die grunds&auml;tzlichen Therapieprinzipien der &bdquo;good wound care&ldquo; nicht von j&uuml;ngeren Patienten unterscheiden. Allerdings kann sich gerade die f&uuml;r die Heilung des diabetischen Fu&szlig;es essenzielle konsequente Entlastung &ndash; im Kontext von lokal entlastenden, allgemein mobilisierenden und die Gangsicherheit f&ouml;rdernden, aber auch Sturzgefahren mindernden Ma&szlig;nahmen &ndash; bei den &auml;lteren Patienten als schwierig gestalten. Bei &auml;lteren Patienten, die einen chirurgischen Eingriff ben&ouml;tigen, generell &ndash; und Menschen mit Diabetes im Besonderen &ndash; m&uuml;ssen die perioperativen Komplikationen beachtet werden. Hier sind insbesondere das Delir, das Sturz- und Frakturrisiko sowie die mit einem operativen Eingriff vergesellschaftete Verminderung des funktionellen Status zu nennen. Auch das in dieser Patientengruppe signifikant erh&ouml;hte Mortalit&auml;tsrisiko ist in die diagnostischen und therapeutischen Erw&auml;gungen mit einzubeziehen.<br /> <br /> Grunds&auml;tzlich ist es essenziell, auch die begleitenden Komorbidit&auml;ten in das therapeutische Konzept mit einzubeziehen. Bei &auml;lteren Menschen besteht eine Risikokonstellation, die ein besonderes Wundmanagement erforderlich macht, um eine erfolgreiche Wundheilung zu erzielen. Ziel m&uuml;ssen eine zeitnahe Wundheilung und damit auch eine verbesserte Lebensqualit&auml;t sowie insbesondere der Erhalt der funktionellen F&auml;higkeiten des t&auml;glichen Bedarfs sein.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Literatur beim Verfasser</p> </div> </p>
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