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Adipositas und systemische Inflammation: Therapien in Arbeit

<p class="article-intro">Adipositas nimmt weltweit in epidemischem Ausmaß zu. Die Folgen – ein steiler Anstieg der Prävalenz und Inzidenz von Typ-2-Diabetes, der hepatischen Komplikationen, der kardiovaskulären Ereignisse etc. – sind absehbar. Der Bedarf an neuen therapeutischen Ansätzen sowohl in der Gewichtsreduktion als auch in der Sekundärprävention der Adipositasfolgen ist entsprechend hoch.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die h&auml;ufige Vergesellschaftung von Adipositas, Typ-2-Diabetes, Hypertonie und hohem kardiovaskul&auml;rem Risiko ist lange bekannt. Zunehmend setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass systemische Inflammation ein wichtiges Bindeglied zwischen den Komponenten des metabolischen Syndroms ist. Bereits vor fast 20 Jahren konnte eine Korrelation von metabolischen Erkrankungen mit dem Plasmaspiegel von CRP (c-reaktives Protein) nachgewiesen werden, wobei mit steigendem CRP auch das kardiovaskul&auml;re Risiko stieg.<sup>1</sup> &bdquo;Mittlerweile wurden auch komplexe Interaktionen zwischen den inflammatorischen Pathways und dem Insulinsignalweg beschrieben&ldquo;, sagt Prof. Dr. Martin Haluzik vom Institut f&uuml;r klinische und experimentelle Medizin (IKEM) in Prag. Insbesondere das viszerale Fett produziert eine Vielzahl von proinflammatorischen Faktoren wie zum Beispiel TNF-&alpha;, Interleukin-6 oder die Zelladh&auml;sionsmolek&uuml;le VCAM und ICAM. Im Vergleich dazu ist das in gr&ouml;&szlig;eren Mengen vorhandene subkutane Fett metabolisch weniger aktiv. Haluzik weist jedoch auch auf die Bedeutung weiterer, nicht mit freiem Auge sichtbarer lokaler Fettdepots hin. Dazu geh&ouml;ren beispielsweise das epikardiale oder das perivaskul&auml;re Fett, die ebenfalls zum kardiovaskul&auml;ren Risiko beitragen d&uuml;rften. Problematisch wird es auch, wenn die Fettdepots mit dem anfallenden Fett nicht mehr fertigwerden und es zu ektopen Fettansammlungen in Muskeln, Leber und Pankreas kommt. Diese sind, so Haluzik, assoziiert mit Insulinresistenz (Muskel), reduzierter Insulinproduktion und Tod von Betazellen (Pankreas) sowie vermehrter Glukoseproduktion (Leber).</p> <h2>Entz&uuml;ndung durch &uuml;berlastete Adipozyten</h2> <p>Inflammation im Fettgewebe d&uuml;rfte entstehen, wenn die Adipozyten nicht mehr in der Lage sind, das zur Verf&uuml;gung gestellte Fett zu speichern. So zeigen Untersuchungen im Tiermodell, dass die Einwanderung von Makrophagen ins Fettgewebe mit der Gr&ouml;&szlig;e der Adipozyten korreliert.<sup>2</sup> Als pathophysiologischer Hintergrund wird verst&auml;rkte Apoptose von Adipozyten vermutet, die dann von Immunzellen entsorgt werden. Die resultierende niedriggradige Inflammation ist der Schl&uuml;sselmechanismus, der Adipositas, Insulinresistenz und Atherosklerose verbindet.<sup>3</sup> Die Infiltration durch Makrophagen spielt dabei, so Haluzik, eine Schl&uuml;sselrolle. Die freigesetzten proinflammatorischen Faktoren sowie reduzierte Adiponectinspiegel beeinflussen schlie&szlig;lich auch Muskeln, Leber, Gef&auml;&szlig;w&auml;nde und vermutlich auch das Gehirn. Die Zusammenh&auml;nge werden allerdings erst teilweise verstanden. Die im Fettgewebe aktiven Makrophagen entstehen durch Differenzierung aus zirkulierenden Monozyten. Allerdings ist noch unklar, wie das Fettgewebe mit den Monozyten interagiert. Haluzik betont, dass neben Makrophagen beim Menschen noch verschiedenste andere immunkompetente Zellen im Fettgewebe auftauchen.<br /> Dar&uuml;ber hinaus spielt auch das Darmmikrobiom eine Rolle in der Entstehung systemischer Inflammation, zumal es bei Adip&ouml;sen zu Ver&auml;nderungen der Zusammensetzung des Mikrobioms und damit auch zu ver&auml;nderter Fermentation kommt. Insbesondere kommt es, so Haluzik, zu einer Schw&auml;chung der Darmbarriere mit verst&auml;rktem &Uuml;bertritt bakterieller Lipopolysaccharide in die Zirkulation, die in weiterer Folge die Expression von Genen induzieren, welche unter anderem f&uuml;r proinflammatorische Zytokine kodieren. Als Marker f&uuml;r bakterielle Lipopolysaccharide kann das &bdquo;lipopolysaccharide binding protein&ldquo; (LBP) herangezogen werden. Bei Adip&ouml;sen sind die LBP-Spiegel erh&ouml;ht. Auf diesem Weg wird gegenw&auml;rtig die Wirkung bariatrischer Chirurgie auf die Darmbarriere untersucht. Daten dazu sollen demn&auml;chst publiziert werden und sind, so Haluzik, vielversprechend.</p> <h2>Bariatrische Chirurgie reduziert die systemische Inflammation</h2> <p>Generell stellt sich die Frage, ob und wie Inflammation im Zusammenhang mit Adipositas therapeutisch beeinflusst werden kann. Die besten Daten gibt es bislang f&uuml;r die bariatrische Chirurgie. Haluzik: &bdquo;Bariatrische Chirurgie ist die einzige Methode, mit der bei schwerer Adipositas langfristige Gewichtsreduktion erreicht wird. Wir haben also die Frage gestellt, ob die auf chirurgischem Weg erreichte Gewichtsreduktion den proinflammatorischen Zustand des Fettgewebes ver&auml;ndert.&ldquo; Dazu wurde eine Studie mit 18 adip&ouml;sen, nicht diabetischen Patienten durchgef&uuml;hrt, die sich einer laparoskopischen Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagenbildung) unterzogen. Tats&auml;chlich nahm nach dem Eingriff unter anderem die Expression von mRNA proinflammatorischer Zytokine ab. Ebenso sank das CRP &uuml;ber 24 Monate nach der Operation und der Adiponectinspiegel stieg. Im Gegensatz dazu wurde kein Effekt auf die peripheren Monozyten beobachtet.<sup>4</sup> Damit stellte sich die Frage, ob sich ein vergleichbar g&uuml;nstiger Effekt auf die niedriggradige Inflammation im Fettgewebe auch mit weniger invasiven Ma&szlig;nahmen erreichen l&auml;sst. Untersucht wurde der Einfluss von zwei Wochen unter stark kalorienreduzierter Di&auml;t auf Inflammation im Fettgewebe und zirkulierende Monozyten in einer Population stark &uuml;bergewichtiger Typ-2-Diabetiker. Die Studie zeigte ein ganz &auml;hnliches Bild. Es kam zu Verbesserungen der meisten Entz&uuml;ndungsparameter sowie zu einer deutlich verbesserten glyk&auml;mischen Kontrolle. In diesem Fall konnte auch ein Effekt auf die Monozyten gezeigt werden. Ebenfalls untersucht wurde das EndoBarrier- System, eine schlauchf&ouml;rmige Magen- Darm-H&uuml;lse aus Polymerkunststoff, die eine Barriere zwischen Nahrung und Duodenalschleimhaut herstellt. Auch mit dieser Methode wurde eine Reduktion des CRP beobachtet, die auch nach Entfernung des Systems anhielt. Unter den heute verf&uuml;gbaren medikament&ouml;sen Therapien gibt es, so Haluzik, nur eine einzige, die nachweislich die metabolischen Eigenschaften des Fettgewebes beeinflusst: Pioglitazon. Haluzik: &bdquo;Pioglitazon bewirkt eine verst&auml;rkte Produktion von Adiponektin, es f&uuml;hrt zu einer Redistribution von ektopem Fett zur&uuml;ck in die physiologischen Fettdepots und es hemmt die Entz&uuml;ndung im Fettgewebe. Leider hat es Nebenwirkungen wie zum Beispiel Gewichtszunahme.&ldquo;</p> <h2>&Uuml;bergewicht ist kein Problem fehlenden Willens</h2> <p>So bleibt als wirksamste und beste Methode zur Reduktion der systemischen Inflammation die Gewichtsreduktion. Angesichts der klaren Datenlage, die einen erheblichen Verlust an Lebensjahren durch Adipositas (insbesondere ab einem BMI von 40) zeigt,<sup>6</sup> w&auml;ren wirksame Ma&szlig;nahmen zur Gewichtsreduktion dringend gefragt. Prof. Dr. Christos Socrates Mantzoros von der Harvard Medical School unterstreicht dabei auch, dass Adipositas nicht f&uuml;r alle Adip&ouml;sen gleicherma&szlig;en problematisch ist: &bdquo;Wenn Sie Gl&uuml;ck haben, dann haben Sie gen&uuml;gend Speicherkapazit&auml;t f&uuml;r Fett. Dann gibt es kein ektopes Fett und damit auch kein metabolisches Syndrom. Wenn die Fettmasse die Speicherkapazit&auml;t des Fettgewebes &uuml;bersteigt, dann kommt es zu Komplikationen.&ldquo; Gl&uuml;cklicherweise habe man in den vergangenen Jahren sehr viel &uuml;ber das Fettgewebe gelernt, was auch zu einem besseren Verst&auml;ndnis von Gewichtsreduktion und ihren Hindernissen gef&uuml;hrt habe. Mantzoros: &bdquo;Das ist kein Problem des Willens, das ist ein biologisches Problem mit genetischem Hintergrund. Dabei spielt der Hypothalamus eine Rolle, der auf Hormone aus der Peripherie wie Grelin und Leptin reagiert. Aktuelle Studien haben jedoch gezeigt, dass auch andere Zentren im Gehirn das Essverhalten kontrollieren, und es sind Faktoren beteiligt, von denen wir vor einigen Jahren so gut wie nichts wussten. Zum Beispiel braunes Fett.&ldquo;<br /> Man geht heute von einer &bdquo;Set-Point- Theorie&ldquo; aus, die besagt, dass der Organismus bestrebt ist, sein K&ouml;rpergewicht zu halten. Bei Gewichtszunahme verschiebt sich der Set Point nach oben und sowohl die Energiezufuhr als auch der Energiebedarf werden so reguliert, dass das h&ouml;here Gewicht nicht mehr reduziert wird.<sup>7</sup> Die Anpassungen des Set Points korrelieren mit neuroendokrinen Ver&auml;nderungen. So wird zum Beispiel vermutet, dass die systemische Inflammation im Fettgewebe zu Ver&auml;nderungen im Gehirn f&uuml;hrt. Mantzoros: &bdquo;Dieses System versagt, wenn man es in Extreme treibt. Das betrifft nicht nur die Adipositas, sondern auch die Anorexia nervosa junger Frauen.&ldquo;</p> <h2>Leptin: ein entscheidender Schritt f&uuml;r die Forschung</h2> <p>Ein entscheidender Punkt in der Erforschung dieser Zusammenh&auml;nge war die Entdeckung von Leptin. Das Hormon wird im Fettgewebe produziert und meldet ein Energie&uuml;berangebot an das Gehirn. Leider erwiesen sich Versuche, Leptin zur Gewichtsreduktion einzusetzen, als Fehlschl&auml;ge. F&uuml;r Menschen mit kongenitalem Leptinmangel ist die M&ouml;glichkeit der Substitution jedoch ein Segen und f&uuml;hrt bei diesen unbehandelt schwer adip&ouml;sen Patienten zu einer Normalisierung des K&ouml;rpergewichts. Mantzoros: &bdquo;Sehr wenige Menschen leiden unter Leptinmangel. Bei den meisten &Uuml;bergewichtigen liegt eine Leptinresistenz vor. Diese Menschen k&ouml;nnten von Leptin-Sensitizern profitieren, oder man versucht, den Leptineffekt &uuml;ber andere Pathways zu erreichen.&ldquo; Mittlerweile konnten zahlreiche mit Adipositas assoziierte Punktmutationen identifiziert werden, die den Leptin-Pathway vom Leptinrezeptor abw&auml;rts betreffen.<sup>7</sup><br /> Ebenfalls von erheblichem Interesse im Zusammenhang mit Gewichtskontrolle ist das Hormon Irisin, das prim&auml;r im Muskel und in geringerem Ma&szlig;e im Fettgewebe sezerniert wird. Im Tiermodell verbessert Irisin die Glukosehom&ouml;ostase, das Lipidprofil sowie metabolische Parameter und induziert das &bdquo;Browning&ldquo; von Fettgewebe. Irisin wird bei Adipositas verst&auml;rkt und bei Typ-2-Diabetes eingeschr&auml;nkt exprimiert. Unter anderem reduziert Irisin die Fetteinlagerung in der Leber. Mantzoros: &bdquo;Irisin beeinflusst auch den Knochenmetabolismus und k&ouml;nnte daher von Interesse f&uuml;r die Therapie der Osteoporose sein.&ldquo;<br /> Weiter fortgeschritten sind Versuche, die Gewichtsreduktion durch Beeinflussung des Gehirns zu unterst&uuml;tzen. Zu diesem Zweck wurde der Serotoninagonist Lorcaserin entwickelt, von dem man annahm, dass er im Hypothalamus wirke. Lorcaserin hat sich &uuml;ber zwei Jahre im Vergleich zu Placebo als wirksam erwiesen<sup>8</sup> und ist in den USA als Appetitz&uuml;gler zugelassen. In Europa wurde die Zulassung noch nicht beantragt. Allerdings habe sich, so Mantzoros, herausgestellt, dass der von Lorcaserin aktivierte 5-HT2c-Rezeptor im Hypothalamus nur schwach exprimiert wird und die Wirkung des Medikaments auf Effekte in anderen Regionen des Gehirns zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sein d&uuml;rfte. Tats&auml;chlich zeigt eine fMRT-Studie, dass Patienten, bei denen optische Nahrungsreize die Amygdala und die Insel aktivieren, gut auf Lorcaserin ansprechen.<sup>9</sup> Lorcaserin sei also ein Medikament f&uuml;r &bdquo;emotionale Esser&ldquo;.</p> <h2>GL P-1-Analoga wirken auch auf das Gehirn</h2> <p>Ebenfalls im klinischen Einsatz und dabei noch deutlich weiter verbreitet sind Ans&auml;tze, die das Problem Adipositas im Darm korrigieren bzw. in die Kommunikation von Darm und Gehirn eingreifen sollen. Interessant ist in diesem Zusammenhang GLP-1 (&bdquo;glucagon-like peptide 1&ldquo;), das unmittelbar nach Mahlzeiten ausgesch&uuml;ttet wird und im Pankreas die Insulinsekretion stimuliert sowie die Glukagonsekretion hemmt. Mantzoros unterstreicht, dass GLP-1 noch eine Vielzahl weiterer Funktionen hat. In h&ouml;heren Dosierungen d&uuml;rfte es auch auf das Gehirn wirken. Um den GLP-1-Spiegel zu erh&ouml;hen, kann entweder der Abbau von GLP-1 mittels eines DPP-4-Inhibitors gehemmt oder ein Analogon des Hormons zugef&uuml;hrt werden. Mantzoros: &bdquo;So k&ouml;nnen h&ouml;here Konzentrationen erreicht werden, mit denen sich auch das K&ouml;rpergewicht beeinflussen l&auml;sst.&ldquo; So konnte beispielsweise demonstriert werden, dass im parietalen Cortex, im Hypothalamus und in der Medulla GLP-1-Rezeptoren vorhanden sind und dass Liraglutid die Reaktion auf Nahrungsreize beeinflusst.<sup>10</sup> Auch &bdquo;Belohnungszentren&ldquo; in Insula und Putamen werden durch Liraglutid manipuliert.<sup>11</sup> Ein Problem beim Einsatz der GLP-1-Analoga liegt gegenw&auml;rtig, so Mantzoros, in der Applikationsform, da viele Patienten nicht gerne injizieren. Subkutane Devices, die GLP-1-Analoga abgeben, k&ouml;nnten das Problem l&ouml;sen. Auch an inhalativen Formulierungen wird gearbeitet.<br /> Erfahrungen mit der bariatrischen Chirurgie k&ouml;nnten auch die Richtung f&uuml;r die Entwicklung einer neuen Generation von Medikamenten zur Gewichtsreduktion weisen. So kommt es nach bariatrischen Eingriffen zu langfristigen Erh&ouml;hungen der Spiegel von Oxyntomodulin und Glicentin, die vermutlich entscheidend zum Erfolg der Operation beitragen.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: European Congress on Obesity (ECO) 2018, 23.–26. Mai 2018, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Rifai N, Ridker PM: Clin Chem 2003; 49(4): 666-9 <strong>2</strong> Weisberg SP et al.: J Clin Invest 2003; 112(12): 1796-808 <strong>3</strong> Lazar MA: Nat Med 2006; 12(1): 43-4 <strong>4</strong> Trachta P et al.: Mol Cell Endocrinol 2014; 383(1-2): 96-102 <strong>5</strong> Mraz M et al.: J Clin Endocrinol Metab 2011; 96(4): E606-13 <strong>6</strong> Fontaine KR et al.: JAMA 2003; 289(2): 187-93 7 Yazdi FT et al.: PeerJ 2015; 3: e856 <strong>8</strong> Fiedler MC et al.: J Clin Endocrinol Metab 2011; 96(10): 3067-77 <strong>9</strong> Farr OM et al.: Diabetes 2016; 65(10): 2943-53 <strong>10</strong> Farr OM et al.: Diabetologia 2 016; 59(5): 954-65 <strong>11</strong> van Bloemendaal L et al.: Diabetes 2014; 63(12): 4186-96</p> </div> </p>
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