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23.11.2017
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<p class="article-intro">Der Rheumakongress in Interlaken bot ein umfangreiches Programm, das die ganze Breite rheumatologischer Erkrankungen aufgriff. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR), Prof. Dr. med. Diego Kyburz, Basel, und das Programmkomitee unter der Leitung von Kongresspräsident Prof. Dr. med. Oliver Distler, Zürich, boten als Gastredner Prof. Dr. med. Francis Berenbaum aus Paris auf. Der Osteoarthritis-Spezialist appellierte für mehr Prävention.</p>
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<p class="article-content"><p>Erkrankungen des Bewegungsapparates sind diejenigen, die – sowohl in der Schweiz als auch weltweit – am häufigsten zu Behinderungen und Erwerbsausfall führen, und sie schränken die Lebensqualität von Patienten erheblich ein. Prof. Dr. med. Francis Berenbaum von der Universität Pierre und Marie Curie in Paris ist als Rheumatologe am Hôpital Saint-Antoine tätig. Der Osteoarthritis-Experte zeigte in seiner State of the Art Lecture auf, was aufgrund der demografischen Entwicklung auf das Schweizer Gesundheitswesen zukommt.</p> <h2>Osteoarthritis: Prävention ist der Schlüssel</h2> <p>Zahlen aus dem Vereinten Königreich, die Prof. Berenbaum zeigte, weisen auf einen Anstieg des Bedarfes an Kniegelenksprothesen hin, damit verbunden sind aber auch mehr Revisionsoperationen.<sup>1</sup> Das Lebenszeitrisiko für eine Osteoarthritis (OA) bei Männern liegt bei der Hüfte bei 18,5 % , beim Knie bei 39,8 % und bei der Hand bei 24,6 % . Bei Frauen sind die Zahlen im Schnitt um 10 % höher. Die Inzidenz der Gonarthrose hat sich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts verdoppelt, die Steigerung sei nicht allein mit dem gesteigerten BMI erklärbar.<sup>2</sup> Es sei wohl das exzessive Sitzen, das unseren Lebensstil prägt, so Berenbaum. Der Handygebrauch steigt und es werden weniger Treppen benutzt. An weiteren Einflussfaktoren nannte Berenbaum das metabolische Syndrom, Verletzungen bei Fussball und Gymnastik sowie sonstige Traumata. Schonung ist dennoch nicht empfohlen, denn ein «Nicht-Gebrauch» sei für die Gelenke desaströs, betonte Berenbaum. Ein metabolisches Syndrom erhöht das OA-Risiko durch Veränderungen in zahlreichen metabolischen und entzündlichen Signalwegen.<sup>3</sup> Eine Abnahme des Körpergewichts um 5kg bei Frauen im Alter von 50 bis 60 mit einem BMI von mehr als 27 senkt das Risiko von 21 % auf 7 % .<sup>4</sup> Erste Empfehlung: die Energiebilanz beachten! Können Sporttraumata im Fussball durch Übungen vermieden werden? Eine Studie mit dem Ziel, Kraft, Geschicklichkeit und Geschwindigkeit zu verbessern, zeigte, dass dies möglich ist.<sup>5</sup><br /> Und die Therapie? «Die medikamentöse Therapie ist nach wie vor sehr altmodisch und die Erfolge sind wenig zufriedenstellend », bedauerte Berenbaum. Der Grossteil der Patienten werde von Hausärzten betreut, häufige Therapiewechsel aufgrund von Wirkungslosigkeit oder Nebenwirkungen seien charakteristisch. Das werde sich wohl auch in den nächsten Jahren nicht ändern, da die Pipeline nur wenig gefüllt sei im Vergleich zum Beispiel zur Onkologie. Interessante Biologicals sind die Anti-NGF Tanezumab und Fulranumab. Aktuell in klinischen Studien untersucht werden REGN375 Sprifermin und Anti-IL1 alpha/beta. Die intraartikuläre Therapie mit Kortison oder Triamcinolonacetonid bietet nur kurz Abhilfe und stellt eine Notfallreserve bei Schüben dar. An der Implantation von autologen mesenchymalen Stammzellen wird geforscht.<br /> Was also tun? Prävention bleibt der Schlüssel. Im UK sind vom nationalen Gesundheitsdienst bereits zahlreiche Gruppenangebote initiiert worden, die Menschen zu mehr Bewegung aktivieren.</p> <h2>Posterpräsentationen zu AS und systemischer Sklerose</h2> <p>25 Poster bildeten beim Rheumakongress ab, was in der Schweiz gerade forschungsrelevant ist. PD Dr. med. Adrian Ciurea stellte die Daten der Swiss Clinical Quality Management Cohort (SCQM), der weltweit grössten Kohorte zur TNF-Blocker- Therapie (Etanercept, Infliximab und Adalimumab) bei ankylosierender Spondylitis (AS), vor. Die 2-Jahres-Daten der radiologischen Bildgebung von 432 Patienten wurden hinsichtlich der spinalen Progression mit dem modifizierten Stoke AS Spinal Score (mSASSS) untersucht. Ergebnis: 48 % Verhinderung der Progression, was sich im Bild durch weniger Desmophyten zeigt. Es braucht aber mindestens 2 Jahre TNF-Blocker-Therapie, um diese Effekt zu sehen.<sup>6</sup><br /> Bei systemischer Sklerose ist der Turnover der extrazellulären Matrix verändert und der Auf- und Abbau von Kollagen sowie immunologische und vaskuläre Mechanismen sind gestört, was zu der typischen Fibrose führt. Dr. med. Rucsandra Dobrota präsentierte Daten, die dafürsprechen, dass als Marker für die Progression der Fibrose Kollagen III (interstitielle Matrix) und Kollagen IV (Basalzellmembran assoziiert, reflektiert Epithelzellschaden und Reparatur) herangezogen werden können.<sup>7</sup></p> <h2>Meet the experts SLE</h2> <p>Prof. Dr. med. Johannes von Kempis überblickt in St. Gallen rund 230 aktuelle Fälle von SLE. Poster P3 zeigte die ersten praktischen Erfahrungen mit Belimumab in dieser Indikation in der Schweiz. Die Erkrankung SLE sei relativ selten und sehr heterogen im Erscheinungsbild, zeigte von Kempis auf.<br /> Die zentrale These zur Pathogenese stammt von Prof. Dr. med. Oliver Distler aus Zürich: Apoptotische Zellen, insbesondere Kernmaterial, werde nur ungenügend abgeräumt; das führe zu einer exzessiven Autoantikörperbildung, Zytokinausschüttung und Immunkomplexformierung. Zytotoxische Zellschäden und chronische Entzündung sind die Folge. 85 % der SLEPatienten überleben heute 15 Jahre. Die Mortalität ist nach wie vor hoch und wird von kardiovaskulären Erkrankungen, terminaler Niereninsuffizienz, Infekten und Neoplasien bestimmt. 10 % der SLE-Patienten entwickeln eine pulmonale Hypertonie. Als sehr belastend wird die Fatigue erlebt.<br /> Auffallend sei eine Verdreifachung der Inzidenz in den letzten Jahrzehnten, eine häufigere Diagnosestellung erkläre das Phänomen nicht. Es gab bis vor Kurzem in der Schweiz kein zentrales Gesamtregister, aber extrapoliert dürften es rund 4000 Erkrankte sein. Bisher haben Immunologen, Nephrologen, Rheumatologen, Internisten und Dermatologen die Patienten versorgt. Mit der Swiss SLE Cohort Study (SSCS) will man ein Forschungsnetzwerk aufbauen und die Versorgung der Patienten optimieren.<sup>8</sup><br /> Die Diagnose sei schwierig, da es zahlreiche Überschneidungen gebe. Immunologische Kriterien sind der Nachweis von ANA mit einem Titer ≥ 1:80, Anti-DNAAK, Anti-Phospholipid-AK und SmAK.<sup>9</sup> Wichtig bei der Therapie allgemein sind Sonnenschutz, hochnormales Vitamin D, eine an ungesättigten Fettsäuren reiche Diät, Rauchverzicht, Impfungen und ein Screening auf Komorbiditäten.<br /> Antimalarika, insbesondere Hydroxychloroquin, sollten gemäss Prof. von Kempen bei jedem Patienten mit SLE in Erwägung gezogen werden. «Da die Wirkung oft erst nach Monaten beginnt, ist Therapieadhärenz wichtig», betonte er. Im Falle eines Organbefalls der Niere erfolgt die Induktionstherapie mit Mycofenolatmofetil (MMF) oder Cyclosporin. In Prof. von Kempens Therapiepyramide steht der Anti- CD20-Antiköper Belimumab bei schwierigen Fällen und Therapieversagen als Option weit oben.<sup>10</sup> Bei Lupusnephritis zeigte eine Kombinationstherapie mit MMF und Voclosporin, einem Calcineurininhibitor, in der AURORA-Studie nach 24 und 48 Wochen eine komplette Remission.<sup>11</sup></p> <h2>Interstitielle Lungenerkrankungen</h2> <p>Eine wichtige Todesursache bei vielen Rheumapatienten ist die Lungenbeteiligung. 90 % der Verstorbenen zeigen bei der Autopsie Zeichen einer interstitiellen Lungenerkrankung (ILD).<sup>12</sup> Bei bis zu 30 % geht die ILD zu Lebzeiten mit Lungenfunktionsstörungen einher. Eine Lungenbeteiligung kann bei allen Entitäten wie systemischer Sklerose, Sjögren-Syndrom, MCTD, SLE, rheumatoider Arthritis, Vaskulitiden, Sarkoidose, Poly- und Dermatomyositis sowie Antisynthetase-Syndrom auftreten.<br /> PD Dr. med. Britta Maurer von der Klinik für Rheumatologie am USZ stellte das neue Konzept zur Pathogenese vor: die lungendominierte CTD («connective tissue disease»).<sup>13</sup> Es wird davon ausgegangen, dass die Lungenerkrankung den Anfang macht. Wie kann eine Lungenbeteiligung diagnostiziert und ihr Verlauf kontrolliert werden? Mit Lungenfunktionsprüfung oder – sensitiver – mit hochauflösender Computertomografie (HRCT). Für Verlaufskontrollen kommt ebenfalls das HRCT immer häufiger zum Einsatz, da 96 % Dosisreduktion möglich sind und die Strahlenbelastung somit gering ist.<br /> Prof. Dr. med. Toby Maher vom Imperial College in London diskutierte die Therapieoptionen der CTD-ILD: «Die Entitäten schädigen das Lungenparenchym auf verschiedene Weise, der dominierende ILDSubtyp bestimmt die Therapie.»<sup>14</sup> Seine persönliche Vorgehensweise besteht in einer Initialtherapie mit hoch dosierten Kortikosteroiden. In der Second Line setzt er Rituximab oder Cyclophosphamid ein. In der Erhaltungstherapie kommen Mycophenolat oder Azathioprin zum Einsatz. Bei therapierefraktärem Verlauf seien Tacrolimus oder intravenöse Immunglobuline eine Option.<br /> Dazu kommen noch zahlreiche weitere Therapien aus der Immuntherapie, z.B. Tocilizumab (mit klarem Benefit) und – relativ neu – Antifibrotika wie Pirfenidon oder Nintedanib. «Patienten gewinnen durch neue Medikamente 2,5 Lebensjahre. Die Hoffnung liegt auf einer noch besseren Zusammenarbeit zwischen Pulmologen und Rheumatologen», schloss Maher.</p> <h2>Therapie-News RA</h2> <p>Seit dem 1. September dieses Jahres ist der JAK-Inhibitor Baricitinib auch in der Schweiz für die Kombinationstherapie mit Methotrexat bei einer mittelschweren bis schweren aktiven rheumatoiden Arthritis zugelassen.<sup>15</sup> Über seine guten Erfahrungen mit dem entzündungshemmenden und immunmodulierenden Wirkstoff berichtete PD Dr. med. Johannes Grisar vom Rheumazentrum Oberlaa in Wien anhand zweier Fallbeispiele. Beide Patientinnen, die er mit Baricitinib therapierte, erlangten nach kurzer Zeit eine beeindruckende Besserung ihrer langjährigen Arthritissymptomatik.<br /> Prof. Dr. med. Ulrich Walker aus Basel zeigte die Datenlage zu dem JAK-Inhibitor auf. Mit einem Ansprechen auf die Therapie sei bereits nach einer Woche zu rechnen. Die Effekte beruhen auf der selektiven und reversiblen Hemmung der Januskinasen (JAK) 1 und 2. Die Tabletten werden einmal täglich eingenommen. Zu den häufigsten möglichen unerwünschten Wirkungen gehören eine Erhöhung des LDL-Cholesterins, Infektionen der oberen Atemwege und Übelkeit.<sup>16</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1704_Weblinks_lo_ortho_1704__s64_bild.jpg" alt="" width="1454" height="1027" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für
Rheumatologie (SGR), 7.–8. September 2017, Interlaken
</p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Bayliss LE et al.: The effect of patient age at intervention on risk of implant revision after total replacement of the hip or knee: a population-based cohort study. Lancet 2017; 389(10077): 1424-30 <strong>2</strong> Wallace IJ et al.: Knee osteoarthritis has doubled in prevalence since the mid-20<sup>th</sup> century. Proc Natl Acad Sci 2017; 114(35): 9332-6 <strong>3</strong> Berenbaum F et al.: Review: Metabolic regulation of inflammation in osteoarthritis. Arthritis Rheumatol 2017; 69(1): 9-21 <strong>4</strong> De Vos BC et al.: Long-term effects of a lifestyle intervention and oral glucosamine sulphate in primary care on incident knee OA in overweight women. Rheumatology 2017; 56(8): 1326-34 <strong>5</strong> Silvers-Granelli HJ et al.: Does the FIFA 11+ injury prevention program reduce the incidence of ACL injury in male soccer players? Clin Orthop Relat Res 2017 [Epub ahead of print] <strong>6</strong> Molnar C et al.: TNF blockers inhibit spinal radiographic progression in ankylosing spondylitis by reducing disease activity: results from the Swiss Clinical Quality Management cohort. Ann Rheum Dis 2017 [Epub ahead of print] <strong>7</strong> Dobrota R et al.: Prediction of improvement in skin fibrosis in diffuse cutaneous systemic sclerosis: a EUSTAR analysis. Ann Rheum Dis 2016; 75(10): 1743-8 <strong>8</strong> Trendelenburg M et al.: Systemischer Lupus erythematodes – die «Swiss SLE Cohort Study (SSCS)». Schweiz Med Forum 2013; 13(22): 439-40 <strong>9</strong> www.rheumatutor.com <strong>10</strong> von Kempis J et al.: Outcomes in systemic lupus erythematous (SLE) patients treated with belimumab in clinical practice settings: results from the OBSErve study in Switzerland. SGR 2017, P3 <strong>11</strong> Dobronravov V et al.: 48 week complete remission of active lupus nephritis with voclosporin. EULAR 2017, Abstract #LB0002 <strong>12</strong> Tyndall AJ et al.: Causes and risk factors for death in systemic sclerosis: a study from the EULAR Scleroderma Trials and Research (EUSTAR) database. Ann Rheum Dis 2010; 69(10): 1809-15 <strong>13</strong> Wells AU et al.: Interstitial lung disease in connective tissue disease-mechanisms and management. Nat Rev Rheumatol 2014; 10(12): 728-39 <strong>14</strong> Maher TM: Idiopathic pulmonary fibrosis: pathobiology of novel approaches to treatment. Clin Chest Med 2012; 33(1): 69-83 <strong>15</strong> Olumiant<sup>®</sup> Arzneimittel-Fachinformation (CH) <strong>16</strong> Taylor PC et al.: Baricitinib versus placebo or adalimumab in rheumatoid arthritis. N Engl J Med 2017; 376(7): 652-62</p>
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