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Was können wir wirklich von Ocrelizumab erwarten?
Jatros
30
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09.03.2017
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<p class="article-intro">Mit Ocrelizumab steht bald eine Therapieoption zur Verfügung, die das Fortschreiten der primär progredienten Multiplen Sklerose (MS) nachweislich verlangsamt. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) ordnen die Bedeutung der Ergebnisse aus der ORATORIO-Studie ein.</p>
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<p class="article-content"><p>Der humane monoklonale Antikörper gegen B-Lymphozyten ist das erste Medikament, das überhaupt eine Wirkung bei primär progredientem Verlauf der MS zeigt“, erklärt Prof. Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Klinik der Universität Bochum, Past-President der DGN. Für Ocrelizumab hatten sich schon im Herbst 2016 positive Ergebnisse abgezeichnet. Jetzt wurden die Phase-III-Studien im „New England Journal of Medicine“ publiziert. OPERA I und II untersuchten die Wirksamkeit von Ocrelizumab beim schubförmig remittierenden Verlauf, ORATORIO testete den Antikörper bei der primär progredienten Verlaufsform der MS gegen Placebo.</p> <h2>ORATORIO-Studie: Ocrelizumab bremst PPMS</h2> <p>Bei etwa zehn Prozent der MS-Patienten verschlechtern sich die neurologischen Ausfälle und die körperliche Behinderung ab Diagnose kontinuierlich. Bisher stand für die primär progrediente MS (PPMS) kein spezifisches Medikament zur Verfügung. „Wir konnten nachweisen, dass Ocrelizumab auch bei dieser Verlaufsform wirksam ist“, sagt Prof. Hans-Peter Hartung, Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Düsseldorf und Koautor der ORATORIO-Studie. Dem internationalen Team gelang es, 732 Patienten mit primär progredienter Multipler Sklerose (PPMS) in die ORATORIO-Studie einzuschließen. Sie erhielten, randomisiert im Verhältnis 2:1, entweder Ocrelizumab (600mg) oder Placebo als Infusion. Die Behandlung erfolgte alle 24 Wochen über einen Zeitraum von mindestens 120 Wochen. Primärer Endpunkt war eine bestätigte Krankheitsprogression in den ersten zwölf Wochen der Therapie, gemessen auf der Standardskala EDSS (Expanded Disability Status Scale), die MS-bedingte Behinderungen systematisch erfasst. In der Ocrelizumab- Gruppe verzeichneten die Forscher bei 32,9 % der Patienten eine Krankheitsprogression, in der Placebogruppe bei 39,3 % . Die Hazard-Ratio, also das prozentuale Risiko für fortschreitende Behinderung, lag bei 0,76 und sprach damit für Krankheitsstabilisierung (95 % -Konfidenzintervall: 0,59–0,98). Unter Ocrelizumab verschlechterten sich auch weniger Patienten nach 120 Wochen im 25-Meter-Gehtest: 55,1 versus 38,9 % . Gering waren hingegen die Unterschiede in der Lebensqualität.</p> <h2>Eine Untergruppe der Patienten profitiert</h2> <p>An der ORATORIO-Studie haben jüngere Patienten zwischen 18 und 55 Jahren teilgenommen, deren PPMS-Diagnose weniger als zehn Jahre zurücklag und die im Liquor Entzündungszeichen zeigten. Sie wiesen zu Beginn der Studie EDSS-Scores zwischen 3,0 und 6,5 auf. Patienten, die zuvor mit B-Zell-Therapien und anderen immunsuppressiven Medikamenten behandelt worden waren, wurden aus der Studie ausgeschlossen. „Damit blieb eine quasi positiv selektierte Subgruppe von Patienten übrig“, betont Gold. Ocrelizumab sei zwar eine Innovation, aber es sei noch zu früh, um von einem Durchbruch in der Therapie der progredienten Multiplen Sklerose zu sprechen, so der Neurologe. „Der therapeutische Effekt von Ocrelizumab bei PPMS ist geringer als bei schubförmig remittierenden Verlaufsformen. Aber immerhin: Wir können in Zukunft Patienten mit primär progredienter MS erstmals überhaupt ein wirksames Medikament anbieten.“</p> <h2>Angriff an den B-Zellen</h2> <p>Ocrelizumab ist ein gegen B-Lymphozyten gerichteter monoklonaler Antikörper (Anti-CD20) und eine Variante des Krebs- und Rheumamedikaments Rituximab. Die meisten MS-Medikamente richten sich gegen T-Zellen. Die Rolle der BZellen wurde lange unterschätzt, dies änderte sich, als monoklonale CD20-Antikörper, die selektiv B-Zellen zerstören, in klinischen Studien eine Wirkung auf die Entzündungsaktivität bei der MS zeigten. „Die Wirksamkeit von Ocrelizumab belegt, dass B-Zellen auch an der Pathogenese der primär progressiven Multiplen Sklerose beteiligt sind und dass die B-Zell-vermittelte Entzündung eine direkte oder indirekte Rolle bei der Neurodegeneration spielt“, erklärt Hartung.</p> <h2>Wenige Fälle von Tumoren beschrieben</h2> <p>Insgesamt wurde in allen drei Studien Ocrelizumab gut vertragen, es traten keine schwerwiegenden Infektionen auf. Allerdings wurden einige wenige Fälle von Tumoren beschrieben, diese traten häufiger in den Ocrelizumab-Armen auf. Die Zulassung der Substanz durch die europäische Zulassungsbehörde wird in diesem Jahr erwartet. (red)</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Medienmitteilung der DGN vom 17. Jänner 2017
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