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Schmerztherapie in Schwangerschaft und Stillzeit
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Gabriele Grögl
Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin<br>Krankenanstalt Rudolfstiftung inklusive Standort Semmelweis-Frauenklinik<br>Wien<br>E-Mail: gabriele.groegl-aringer@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
01.11.2017
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<p class="article-intro">Schmerztherapeutisch stehen in der Schwangerschaft und der Stillzeit nicht medikamentöse und medikamentöse Behandlungsoptionen zur Verfügung. Erlauben es die zugrunde liegende Erkrankung und die Schmerzintensität, so ist den nicht medikamentösen Therapiemöglichkeiten der Vorzug zu geben. Kann jedoch mit den zur Verfügung stehenden nicht medikamentösen Behandlungsverfahren keine zufriedenstellende Schmerzreduktion erzielt werden, müssen Analgetika zum Einsatz kommen, da nicht effizient behandelte Schmerzen den Schwangerschaftsverlauf gefährden können.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine risikoarme medikamentöse Schmerztherapie sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit ist möglich.</li> <li>Voraussetzung: Kenntnis und Berücksichtigung des substanzspezifischen teratogenen und fetotoxischen Risikos einschließlich möglicher postpartaler Entwicklungs- und Verhaltensstörungen sowie potenzieller Nebenwirkungen beim Säugling.</li> </ul> </div> <p><br /> Jede Schwangerschaft weist unabhängig von toxischen Einflüssen ein Basalrisiko von etwa 3–5 % für das Auftreten grobstruktureller Fehlbildungen auf. Nur 2 % dieser grobstrukturellen Fehlbildungen sind jedoch auf chemische oder physikalische Ursachen, einschließlich Arzneimitteln und Drogen, zurückzuführen. Die Spontanabortrate aller diagnostizierten Schwangerschaften liegt bei ca. 15 % .</p> <h2>Schmerztherapie in der Schwangerschaft</h2> <p>Die Empfindlichkeit des Embryos gegenüber toxischen Einflüssen ist in Abhängigkeit von seinem Entwicklungsstadium unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Embryonalperiode ist die Vulnerabilität gegenüber teratogenen Faktoren am stärksten. Fehlbildungen treten in diesem Zeitraum am häufigsten auf. In der anschließenden Fetalperiode nimmt die Sensibilität wieder ab. Toxische Einwirkungen führen in diesem Zeitabschnitt zu kleineren morphologischen Anomalien und zu Organwachstums- und Organfunktionsstörungen.<br />Die peripartale Medikamentenexposition kann passagere kindliche Anpassungsstörungen zur Folge haben. Frühgeborene sind davon in stärkerem Ausmaß betroffen als reife Neugeborene.</p> <h2>Generelle Therapieempfehlungen</h2> <p>• Primär Bevorzugung nicht medikamentöser Behandlungsmethoden<br />• Die Auswahl des Analgetikums soll basierend auf folgender Risikoeinschätzung getroffen werden: Zu welchem Medikament der infrage kommenden analgetischen Substanzgruppe liegen nach der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage die meisten Erfahrungen und die geringsten Verdachtsmomente für eine Schädigung des Ungeborenen vor?<br />• Bevorzugung älterer, bereits erprobter Analgetika<br />• Monotherapie<br />• Dosierung und Behandlungsdauer so niedrig und so kurz wie möglich<br />• Kombination medikamentöser mit nicht medikamentösen Therapieoptionen</p> <h2>Nicht medikamentöse Schmerztherapie</h2> <p>Am häufigsten kommen folgende Therapieverfahren zum Einsatz:<br />• Physikalische Behandlungsmethoden<br />• Manuelle Medizin<br />• Osteopathie<br />• Akupunktur<br />• Entspannungsverfahren<br />• Psychologische Behandlungsmethoden<br />• Biofeedback<br />• Hypnose<br />• Musik- und Kunsttherapie</p> <h2>Medikamentöse Schmerztherapie</h2> <p>Die Therapieempfehlungen zu den einzelnen Wirkstoffen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_12_1.jpg" alt="" width="1419" height="2909" /></p> <p><strong>Nichtopioidanalgetika</strong> <br /><strong>Nicht steroidale Antirheumatika </strong><strong>(NSAR):</strong> Aufgrund der Prostaglandinsynthesehemmung kann die Anwendung im dritten Trimenon zum frühzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli (DAB) führen. Die Einnahme im letzten Schwangerschaftsdrittel kann ausgeprägte fetale und neonatale Nierenfunktionsstörungen zur Folge haben. Nach pränataler Exposition kann eine nekrotisierende Enterokolitis beim Neugeborenen auftreten. Die Verabreichung im ersten Trimenon wird immer wieder mit einem erhöhten Abortrisiko in Verbindung gebracht. Die derzeit vorliegende Studienlage erlaubt keine endgültige Bewertung dieses möglichen Zusammenhangs. Ein teratogenes Risiko scheint nach aktueller Datenlage nicht vorzuliegen.<br /><strong>Acetylsalicylsäure (ASS):</strong> Eine Low-Dose-Behandlung bis max. 300mg/d ist während der gesamten Schwangerschaft unbedenklich. Ab der 28. Schwangerschaftswoche kann es unter analgetischer ASS-Therapie (500mg Einzeldosis) zu einem frühzeitigen Verschluss des DAB kommen.<br />Bei Verabreichung analgetischer Dosierungen kurz präpartal liegt vor allem für Frühgeborene ein erhöhtes Risiko für das Auftreten intrakranieller Blutungen vor. Ein erhöhter peripartaler mütterlicher Blutverlust ist möglich. Die derzeitige Datenlage gibt keinen Hinweis auf nennenswerte teratogene Effekte.<br /><strong>Coxibe:</strong> Aufgrund der Prostaglandinsynthesehemmung sind in der Spätschwangerschaft fetotoxische Effekte wie unter NSAR-Einnahme zu erwarten.<br /><strong>Metamizol:</strong> Ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko wird nicht angenommen. Die Anwendung im dritten Trimenon kann einen frühzeitigen Verschluss des DAB hervorrufen. Bei Verabreichung in der Spätschwangerschaft ist eine Beeinträchtigung der fetalen Nierenfunktion möglich.<br /><strong>Paracetamol:</strong> Aus der aktuellen Datenlage ergibt sich kein Hinweis auf ein teratogenes Risiko. Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der pränatalen Paracetamolexposition und dem vermehrten Auftreten von asthmatischen Beschwerden, Rhinokonjunktivitis, ekzematösen Hautveränderungen sowie erhöhten IgE-Werten im Kindesalter konnten bisher nicht plausibel belegt werden. Auch für den postulierten Zusammenhang zwischen der pränatalen Einnahme von Paracetamol und dem Auftreten von autistischen Symptomen und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ist eine kausale Assoziation nicht erwiesen.</p> <p><strong>Opioide</strong><br /> Für kein Opioid liegen Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko vor. Naloxon kann in allen Phasen der Gravidität verabreicht werden. Beim Einsatz von Opioiden muss mit einer eingeschränkten Variabilität der kindlichen Herzfrequenz und mit verminderten Kindesbewegungen gerechnet werden. Die Anwendung von Tapentadol wird aufgrund fehlender Erfahrung nicht empfohlen. Bei peripartaler Verabreichung von Pethidin sind bei Neonaten verminderte Apgar-Werte und ein gehäuftes Auftreten von Atemdepression, respiratorischer Azidose und Krampfanfällen festzustellen. Buprenorphin zeigt im Vergleich zu anderen Opioiden in einigen Studien eine milder verlaufende Entzugssymptomatik beim Neugeborenen.</p> <p><strong>Antikonvulsiva</strong><br />Für Gabapentin und Pregabalin kann derzeit ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko aufgrund der wenigen Daten nicht ausgeschlossen werden. Ein teratogenes Risiko ist für Carbamazepin nachgewiesen und betrifft vor allem das Auftreten von Neuralrohrdefekten.</p> <p><strong>Antidepressiva</strong><br /><strong>Trizyklische Antidepressiva:</strong> Bisher liegen keine Hinweise auf ein teratogenes Risiko vor; Mittel der Wahl: Amitriptylin.<br /><strong>SSNRI:</strong> Die vorliegenden Daten zeigen weder für Duloxetin noch für Venlafaxin ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Keine Daten liegen für Milnacipran vor.<br /><strong>Trazodon:</strong> Für die Beurteilung des teratogenen Risikos ist die Datenlage nicht ausreichend.<br /><strong>SSRI:</strong> Für Paroxetin und Fluoxetin ist ein geringes Risiko für Herzfehlbildungen nicht auszuschließen. Mittel der Wahl: Citalopram und Sertralin. Die Assoziation zwischen der Einnahme von SSRI in der Spätschwangerschaft und dem Auftreten eines persistierenden pulmonalen Hypertonus beim Neugeborenen wird diskutiert.</p> <p><strong>Triptane und Migräneprophylaxe</strong><br />Es liegen keine Hinweise auf ein teratogenes Risiko der Triptane vor.</p> <p><strong>Cannabinoide</strong><br />Es existieren kaum Daten über das Fehlbildungsrisiko und potenzielle kindliche Entwicklungsstörungen nach intrauteriner Cannabinoidexposition.</p> <p><strong>Lokalanästhetika</strong><br />Ein teratogenes Risiko liegt nicht vor. Es gibt keinen Hinweis auf neurophysiologische Entwicklungsstörungen.</p> <p><strong>Glukokortikoide</strong><br />Ein geringes Risiko für das Auftreten von Gaumenspalten mit oder ohne Lippenbeteiligung ist nicht auszuschließen.</p> <h2>Schmerztherapie in der Stillzeit</h2> <p>Hohe Fettlöslichkeit, geringes Molekulargewicht, geringer Ionisationsgrad, basischer pH-Wert und niedrige Plasmaproteinbindung begünstigen den Übergang einer Substanz in die Muttermilch. Die meisten Medikamente erreichen in der Muttermilch eine Konzentration, die weit unter der therapeutischen Dosierung für Säuglinge liegt! Einzeldosen eines Analgetikums können als unbedenklich angesehen werden. Therapieempfehlungen siehe Tabelle 2.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1705_Weblinks_12_2.jpg" alt="" width="400" /></p> <div id="keypoints"> <h2>Fazit</h2> Mit Kenntnis und Berücksichtigung des substanzspezifischen teratogenen und fetotoxischen Risikos, einschließlich möglicher postpartaler Entwicklungs- und Verhaltensstörungen sowie potenzieller Nebenwirkungen beim Säugling, ist eine risikoarme medikamentöse Schmerztherapie sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit möglich.</div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>bei der Verfasserin<br />Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht in: Universum Innere Medizin 05/17. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des MedMedia-Verlages.</p>
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