
©
Getty Images/iStockphoto
Autoimmunmediierte Epilepsiesyndrome
Jatros
Autor:
Dr. Judith Wagner
Abteilung für Neurologie 1<br>Kepler Universitätsklinikum <br>Linz<br>E-Mail: Judith.Wagner@kepleruniklinikum.at
30
Min. Lesezeit
06.09.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Autoimmunenzephalitiden (AIE) sind Ursache einer Reihe neurologischer Symptome. Hierzu gehören in vielen Fällen epileptische Anfälle. Dem Zusammenhang von AIE und epileptischen Anfällen widmet sich folgender Artikel.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei neu auftretenden epileptischen Anfällen ohne anderweitige erklärende Pathologie sollte eine AIE in Betracht gezogen werden.</li> <li>FBDS sind quasi pathognomonisch für die LGI1-Enzephalitis.</li> <li>Bei ausreichendem Verdachtsmoment für eine AIE sollte eine frühzeitige immunsuppressive Therapie begonnen werden.</li> <li>Die Antikonvulsiva-Therapie unterscheidet sich aktuell nicht von der bei Epilepsie anderer Ätiologie.</li> <li>Epilepsiechirurgische Eingriffe im Kontext einer AIE-bedingten therapieresistenten Epilepsie sind Einzelfallentscheidungen und erfordern ggf. den Ausschluss weiterer epileptogener Herde mittels intrakranieller EEG-Ableitung.</li> </ul> </div> <h2>In medias res …</h2> <p>Eine 67-jährige Frau wurde zur weiteren Abklärung rezidivierender Ereignisse, während derer sie plötzlich und ohne Bewusstseinsverlust stürzte oder ihr etwas aus der Hand fiel, auf unsere Epilepsiemonitoring-Einheit aufgenommen. Zudem berichtete sie, in den Monaten zuvor zunehmende Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme bemerkt zu haben. Im Video-EEG stellten sich die Ereignisse als sehr kurze (etwa 1 Sekunde) linksbetonte tonische Mundverziehung und ebenfalls linksbetonte Tonuszunahme der Arme dar, a.e. brachiofazialen dystonen Anfällen entsprechend. Bei einigen Anfällen konnte auch eine Beteiligung des linken Beins dokumentiert werden, was die Sturzattacken erklären dürfte. In der EEG-Ableitung fanden sich keine epilepsietypischen Potenziale. In der erweiterten Diagnostik zeigten sich diskrete entzündliche Liquorveränderungen (11 Zellen/µl, lymphomonozytäres Zellbild, oligoklonale Banden negativ). Antikörper gegen LGI1 waren im Serum sowie im Liquor (initialer Titer 1:64) positiv. Das zerebrale MRT zeigte eine Signalanhebung der rechten Amygdala und des rechten Hippocampus in der FLAIR-Wichtung (Abb. 1). In der Zusammenschau konnte die Diagnose einer LGI1-Antikörper-assoziierten limbischen Enzephalitis gestellt werden. Die Patientin zeigte ein gutes Ansprechen auf eine 5-tägige Steroidpulstherapie (1g Methylprednisolon i.v. an jeweils 5 Tagen) mit anschließendem langsamem Ausschleichen der Steroide, kombiniert mit einer Gabe von intravenösen Immunglobulinen (5x 0,4g/kg/d). Nach etwa einem Jahr kam es unter einer residualen Dosis von 2mg Methylprednisolon zu einem Rückfall, nach erneutem Steroidstoß und anschließender steroidsparender Therapie mit Azathioprin blieb die Patientin jedoch anhaltend anfallsfrei.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1804_Weblinks_s20.jpg" alt="" width="350" height="477" /></p> <h2>Die LGI1-Enzephalitis</h2> <p>Der oben berichtete Fall umreißt die LGI1-Enzephalitis als modellhafte, häufig mit einer Epilepsie assoziierte AIE. Diese geht mit Antikörpern einher, die gegen das „leucine-rich glioma-inactivated protein 1“ gerichtet sind, ein in den synaptischen Spalt sezerniertes Protein, welches mit dem spannungsabhängigen Kaliumkanal (VGKC) assoziiert ist. Die LGI1-Enzephalitis betrifft bevorzugt Männer und tritt vorwiegend in fortgeschrittenem Lebensalter auf. Pathognomonisch für diese AIE sind die faziobrachialen dystonen Anfälle (FBDS), wobei auch die Beine involviert sein können, was sich klinisch z.B. als „drop attack“ äußert. Wie auch bei unserer Patientin ist das interiktale und selbst das iktale EEG oft unauffällig oder allenfalls unspezifisch verändert. Aufgrund der Kürze der Anfälle werden die Ereignisse vom Patienten selbst und z.T. auch vom Beobachter nicht als epileptische Ereignisse wahrgenommen und es bedarf des Video-EEGs für die korrekte Einordnung. Neben den FBDS können auch epileptische Anfälle anderer Semiologie auftreten. Eine frühzeitige immunsuppressive Therapie ist indiziert, zumal es Hinweise gibt, dass diese der Entwicklung (oft persistierender) kognitiver Defizite vorbeugen kann.<sup>1</sup></p> <p> </p> <h2>Enzephalitis und Epilepsie</h2> <p>AIE bedingen eine erhebliche Morbidität. So kann es zu bleibenden fokalneurologischen Symptomen, insbesondere aber auch zu kognitiven und neuropsychiatrischen Defiziten kommen.<sup>2, 3</sup> Zudem gehen Enzephalitiden nicht nur mit Akutanfällen einher, sondern auch mit dem Risiko einer persistierenden Epilepsie.<sup>4–7</sup> Diese beiden Entitäten sind vermutlich durch unterschiedliche Pathomechanismen bedingt. Während Erstere am ehesten durch akute metabolische Veränderungen bedingt sein dürften, liegen Letzterer wahrscheinlich strukturelle Umbauten neuronaler Netzwerke zugrunde, die durch inflammatorische Prozesse initiiert und unterhalten werden und eine anhaltende Neigung zur Generierung epileptischer Anfälle bedingen.<sup>8</sup></p> <p>Unter den AIE werden solche mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene von jenen mit gegen extrazellulär lokalisierten Epitopen gerichteten Antikörpern unterschieden. Letztere betreffen in der Regel ionotrope Neurotransmitterrezeptoren oder deren Adhäsionsmoleküle.<sup>9</sup> Nicht alle AIE gehen gleichermaßen häufig mit epileptischen Anfällen einher. Besonders oft scheint dies für die Anti-LGI1- und die Anti-GABABR-Enzephalitis der Fall zu sein. Hier werden Anfälle in etwa 90 % aller Fälle beobachtet. Aber auch die Anti-NMDAR-, Anti-Hu- und Anti-GABAAR-Enzephalitiden sind in mehr als 50 % der Fälle mit epileptischen Anfällen assoziiert.<sup>10</sup></p> <p>Andersherum betrachtet können auch in einem beträchtlichen Anteil von Patienten mit Erstmanifestation einer Epilepsie bzw. mit einer etablierten Epilepsie unbekannter Ätiologie Antikörper, welche potenziell mit einer AIE assoziiert sind, gefunden werden. Von 112 in einer entsprechenden Studie eingeschlossenen Patienten war dies bei 39 (34,8 % ) der Fall. Nach Ausschluss solcher Antikörper, welche häufig ein unspezifisches Epiphänomen darstellen (TPO- und niedrigtitrige GAD65-Antikörper), verblieben immer noch 23 (20,5 % ) antikörperpositive Patienten.<sup>11</sup> Ähnliche Ergebnisse ergab eine weitere Studie an Patienten mit einer gesicherten Temporallappenepilepsie und Hippocampussklerose. 22 % der Patienten waren seropositiv, besonders häufig waren Antikörper gegen CASPR2.<sup>12</sup> Diese Daten zeigen, dass eine autoimmunologische Genese auf jeden Fall bedacht werden muss, wenn sich ein Patient mit einer anderweitig unerklärten Epilepsie präsentiert. Allerdings sollte die Diagnose einer AIE nicht unkritisch aufgrund eines positiven Antikörpertiters erfolgen. Gerade niedrige Titer von lediglich im Serum (und nicht im Liquor) gefundenen Antikörpern können durchaus unspezifisch sein, sodass weitere Informationen – andere klinische Symptome, Ergebnisse der MR-Tomografie und der Liquoranalyse – mit in Betracht gezogen werden müssen.<sup>13</sup></p> <h2>Therapie bei AIE und epileptischen Anfällen</h2> <p>Die therapeutischen Empfehlungen zur AIE beruhen bisher im Wesentlichen auf Einzelfallberichten, Studien an kleineren Kohorten und Expertenmeinung. In erster Linie wird in der Regel zur Gabe von Glukokortikoiden, intravenösen Immunglobulinen oder zur Durchführung einer Plasmapherese geraten. Bei mangelndem Ansprechen kann die Therapie mittels Rituximab und/oder Cyclophosphamid eskaliert werden. Aber auch neuere Substanzen – z.B. Bortezomib oder Tocilizumab – kommen in Einzelfällen zum Einsatz.<sup>9, 10</sup> Die Behandlung der durch eine AIE bedingten epileptischen Anfälle unterscheidet sich zunächst nicht wesentlich von der einer Epilepsie aufgrund anderer Ätiologie. Zwar gibt es Hinweise dafür, dass einzelne Antikonvulsiva im Kontext der AIE wirksamer sein könnten als andere: So konnte z.B. in einer retrospektiven Studie an 50 Patienten mit AIE und epileptischen Anfällen eine höhere Rate an Anfallsfreiheit unter einer Therapie mit Natriumkanal-blockierenden Substanzen im Vergleich zu dem im untersuchten Kollektiv am häufigsten verwendeten Antikonvulsivum Levetiracetam gezeigt werden.<sup>14</sup></p> <p>Kontrovers diskutiert wird die Durchführung epilepsiechirurgischer Maßnahmen bei Patienten mit einer therapierefraktären, durch eine AIE bedingten Epilepsie. Eine der diesbezüglich größten Fallsammlungen, welche retrospektiv den postoperativen Verlauf von 13 Patienten mit therapieresistenter Temporallappen­epilepsie und antineuronalen Antikörpern untersuchte, ergab, dass nur 16 % der Patienten nach dem epilepsiechirurgischen Eingriff anfallsfrei waren.<sup>15</sup> Dies ist ein deutlich schlechteres Resultat als bei ansonsten vergleichbaren seronegativen Patienten. Mögliche Ursachen hierfür liegen im Studiendesign (kleine Gruppe, multiple Zentren), aber auch im Patientenkollektiv. Eventuell liegt auch bei solchen AIE-Patienten mit einer unilateralen Hippocampussklerose noch eine residuale aktive Inflammation über den resezierten Bereich hinaus bzw. an gänzlich anderer Stelle (z.B. dem kontralateralen mesialen Temporallappen) vor. Ein solcher Eingriff muss daher immer eine Einzelfallentscheidung sein und ein bilateraler epileptogener Fokus gegebenenfalls im Vorfeld mittels intrakraniellem EEG ausgeschlossen werden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Aurangzeb S et al.: LGI1-antibody encephalitis is characterised by frequent, multifocal clinical and subclinical seizures. Seizure 2017; 50: 14-7 <strong>2</strong> Zhao L et al.: Clinical characteristics and outcome of clinically diagnosed viral encephalitis in southwest China. Neurol Sci 2015; 36(12): 2191-7 <strong>3</strong> Pewter SM et al.: Neuropsychological and psychi­atric profiles in acute encephalitis in adults. Neuropsychol Rehabil 2007; 17(4-5): 478-505 <strong>4</strong> Bauer J, Bien CG: Encephalitis and epilepsy. Semin Immunopathol 2009; 31(4): 537-44 <strong>5</strong> Michael BD, Solomon T: Seizures and encephalitis: clinical features, management, and potential pathophysiologic mechanisms. Epilepsia 2012; 53(Suppl 4): 63-71 <strong>6</strong> Sellner J, Trinka E: Clinical characteristics, risk factors and pre-surgical evaluation of post-infectious epilepsy. Eur J Neurol 2013; 20(3): 429-39 <strong>7</strong> Misra UK et al.: Viral encephalitis and epilepsy. Epilepsia 2008; 49: 13-8 <strong>8</strong> Aronica E et al.: Neuroinflammatory targets and treatments for epilepsy validated in experimental models. Epilepsia 2017; 58(Suppl 3): 27-38 <strong>9</strong> Dalmau J, Graus F: Antibody-mediated encephalitis. N Engl J Med 2018; 378(9): 840-51 <strong>10</strong> Bauer J et al.: Innate and adaptive immunity in human epilepsies. Epilepsia 2017; 58(Suppl 3): 57-68 <strong>11</strong> Dubey D et al.: Neurological autoantibody prevalence in epilepsy of unknown etiology. JAMA Neurol 2017; 74(4): 397-402 <strong>12</strong> Vanli-Yavuz EN et al.: Neuronal autoantibod­ies in mesial temporal lobe epilepsy with hippocampal sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2016; 87(7): 684-92 <strong>13</strong> Bien CG et al.: Anti-contactin-associated protein-2 encephalitis: relevance of antibody titres, presentation and outcome. Eur J Neurol 2017; 24(1): 175-86 <strong>14</strong> Feyissa AM et al.: Antiepileptic drug therapy in patients with autoimmune epilepsy. Neurol - Neuroimmunol Neuroinflammation [Internet] 2017; 4(4). Available from: http://nn.neurology.org/content/4/4/e353.abstract <strong>15</strong> Carreño M et al.: Epilepsy surgery in drug resistant temporal lobe epilepsy associated with neuronal antibodies. Epilepsy Res 2017; 129: 101-5</p>
</div>
</p>