Neue S2k-Leitlinie 2024: hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft
Autor:innen:
PD Dr. Carsten Hagenbeck
Lise Brauer
Universitätsklinikum Düsseldorf
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Korrespondenz:
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Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES) betreffen in Deutschland ca. 6–8% der Schwangerschaften und gehören zu den häufigsten maternalen Komplikationen. Zudem sind sie verantwortlich für bis zu 25% der perinatalen Mortalität und sind ein Risikofaktor zukünftiger kardiovaskulärer Ereignisse.1 Die 2024 aktualisierte S2k-Leitlinie fokussiert sich auf eine interdisziplinäre Versorgung und adressiert die intensivierte Prävention, individualisierte Diagnostik und strukturierte Nachsorge. Im Folgenden werden die aktualisierten Handlungsempfehlungen dargestellt: neue Blutdruckgrenzwerte, die geänderte Indikationsstellung zur Geburtseinleitung und das spezifische Nachsorgekonzept.
Diagnosestellung und Definition
Eine Gestationshypertonie liegt vor, wenn im Verlauf der Schwangerschaft erstmalig Blutdruckwerte ≥140/90mmHg bei einer zuvor normotensiven Schwangeren auftreten. Die Definition der Präeklampsie besteht aus dem Vorliegen einer chronischen (präkonzeptionellen oder im ersten Trimester diagnostizierten) oder Gestationshypertonie in Kombination mit mindestens einer in der Schwangerschaft neu aufgetretenen Organmanifestation. Hierzu zählen die Plazenta (fetale Wachstumsrestriktion), Niere (Proteinurie), zentrales Nervensystem (Kopfschmerzen, Sehstörungen, Krampfanfälle), Leber (Oberbauchschmerzen) und das hämatologische System (Hämolyse, Thrombozytopenie).1–4
Individualisierte Diagnostik zur Präzisierung der Früherkennung
Ein Fokus der neuen Leitlinie liegt auf der verbesserten Risikostratifizierung im ersten Trimenon. Entsprechend wurde die Soll-Empfehlung formuliert, alle Schwangeren im ersten Trimenon über die Möglichkeit eines Präeklampsiescreenings zu informieren. Das Screening folgt dem Algorithmus der Fetal Medicine Foundation (FMF). Das Ziel ist die frühzeitige Identifikation von Risikoschwangeren, um präventive Maßnahmen, wie die Gabe von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (100–150mg/d), einzuleiten.7 Bewertet wird die Kombination aus klinischer Anamnese, Messung des mittleren arteriellen Drucks (MAP), Doppler-Sonografie der Aa. uterinae sowie der Analyse biochemischer Marker (PlGF, sFlt-1/PlGF-Quotient).1,2,4–6 Die Leitlinienautoren betonen die Notwendigkeit standardisierter Blutdruckmessungen mittels korrekter Messtechnik, da Messfehler eine häufige Ursache für Fehleinschätzungen darstellen. Neben der Messung in der Praxis werden auch Heimblutdruckkontrollen sowie bei Bedarf 24-h-Langzeitmessungen empfohlen.1,8 Hervorzuheben ist ergänzend die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu Präeklampsie-ähnlichen Erkrankungen, wie z.B. der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) oder dem atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom (aHUS).9
Therapie – engere Grenzwerte und frühe Kombinationstherapien
Die Indikation zur medikamentösen Therapie soll bereits bei persistierenden Blutdruckwerten >140/90mmHg gestellt werden, als Ziel werden Werte ≤138/85mmHg angestrebt. Bei Werten, die systolisch ≥160 und/oder diastolisch ≥110mmHg übersteigen, ist die Therapieinitiierung unter stationären Bedingungen angezeigt. Zur Vermeidung rascher Blutdruckabfälle und einer akuten plazentaren Minderperfusion gilt die Regel: „start low, go slow“.1,2,4–10
Antihypertensiva der ersten Wahl sind α-Methyldopa, Nifedipin und Betablocker. Mittels Nifedipin-Therapie können Zielwerte am schnellsten erreicht werden. Dies bedeutet eine Überlegenheit zu α-Methyldopa hinsichtlich Effektivität und rechtfertigt somit den Off-Label-Einsatz des Kalziumantagonisten. Zudem wird diskutiert, dass unter Therapie mit α-Methyldopa psychische Erkrankungen entstehen bzw. bereits bestehende Erkrankungen negativ beeinflusst werden.1,2,11Wird unter einer Monotherapie, bei Dosierung bis zur Hälfte der Maximaldosis, keine zeitnahe Blutdruckkontrolle erreicht, so ist statt einer weiteren Dosiseskalation der Monotherapie die Kombinationstherapie zu bevorzugen.1,2 Bei schwerer Hypertonie ist die intravenöse Gabe von Urapidil, Nifedipin oder Dihydralazin empfohlen. Magnesiumsulfat bleibt weiterhin das Medikament der Wahl zur Eklampsieprophylaxe und -therapie und soll mindestens für 24–48 Stunden postpartal fortgeführt werden.1,2,12
Entbindungsindikationen neu bewertet
Anders als in der vorherigen Leitlinie ist nun die als Kann-Empfehlung formulierte Möglichkeit implementiert, eine Schwangerschaft bei Frauen mit medikamentös gut eingestellter Gestationshypertonie auch nach 37+0 SSW bis zum errechneten Termin zu prolongieren. Von einer Terminüberschreitung sollte abgeraten werden. Dies gilt auch für Schwangere mit chronischem Hypertonus. Hier kann eine Prolongation nach 38+0 SSW angeboten werden.1,2 Bei einer Präeklampsie ist die Prolongation über 37+0 SSW hinaus nicht sinnvoll. Bei Frühgeburten, insbesondere vor 34+0 SSW, sollte unter engmaschiger klinischer Kontrolle und Risiko-Nutzen-Abwägung bezüglich des fetalen und maternalen Outcomes der Entbindungszeitpunkt individuell gewählt werden.1,2,4
Das „vierte Trimester“, postpartale Langzeitnachsorge und Prävention
Frauen mit einer hypertensiven Erkrankung in der Schwangerschaft gehören zu der Hochrisikogruppe für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen. Der in den 1970er-Jahren in England geprägte Begriff des „vierten Trimesters“ unterstreicht die besondere frauenärztliche Zuständigkeit in den ersten Monaten nach der Geburt. Im Falle persistierender Befundkonstellationen wie anhaltenden Bluthochdrucks und/oder bestimmter erhöhter Laborparameter, sollte die weitere Betreuung an Fach- oder Hausärzt:innen übergehen. Die Aufklärung der Wöchnerinnen hierzu ist essenziell und umfasst Rezidivrisiko, kardiovaskuläre Langzeitfolgen und ein Nachsorgekonzept: Blutdruckselbstmessung sowie Nieren-, Cholesterin- und Leberwertekontrollen sowie eine Beratung zu Gewichtsmanagement und Lebensstil. Ärztliche Kontrolluntersuchungen sollten nach sechs Wochen, nach sechs und zwölf Monaten sowie anschließend einmal jährlich erfolgen. Tabelle 1 gibt einen Überblick.
Tab. 1: Vorschlag zur Nachsorge nach HES (modifiziert nach DGGG/OEGGG/SGGG: S2k-Leitlinie Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft)1
Im Vordergrund steht, ein Bewusstsein der Patientinnen für die individuelle Risikokonstellation zu schaffen und die persönliche Adaptation der weiteren multiprofessionellen ärztlichen Betreuung zu unterstützen. Ein Nachsorgepass dient der orientierenden Unterstützung. Dieser wurde durch die FIGO vorgeschlagen und von Betroffenenorganisationen gefordert. Abrufbar ist eine deutsche Version unter folgender URL: https://register.awmf.org/assets/guidelines/015_D_Ges_fuer_Gynaekologie_und_Geburtshilfe/015-018pbl_S2k_Hypertensive-Erkrankungen-Schwangerschaft-HES-Diagnostik-Therapie_2025-03.pdf
Fazit
Die aktualisierte S2k-Leitlinie 2024 zu hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft fordert ein strukturiertes, interdisziplinäres Vorgehen von der Früherkennung bis zur Langzeitnachsorge. Eine standardisierte Blutdruckmessung und das Präeklampsiescreening im ersten Trimenon sind zentrale Instrumente zur frühzeitigen Risikostratifizierung. Neu ist die therapeutische Blutdruckeinstellung bereits ab Werten von 140/90mmHg, mit strengeren Zielwerten und früher Kombinationstherapie bei unzureichendem monotherapeutischem Effekt. Entbindungsentscheidungen erfolgen risikoadaptiert und wurden ebenfalls aktualisiert: Eine Prolongation bis zum Geburtstermin ist bei stabil eingestellter Gestationshypertonie möglich, nicht jedoch bei Präeklampsie. Postpartal ist eine strukturierte Nachsorge unerlässlich, um kardiovaskuläre Langzeitfolgen zu minimieren.
Literatur:
1 DGGG/OEGGG/SGGG: S2k-Leitlinie Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft: Diagnostik und Therapie. AWMF-Registernr. 015-018, Version 2024–2029 2 Magee LA et al.: The 2021 International Society for the Study of Hypertension in Pregnancy classification, diagnosis & management recommendations for international practice. Pregnancy Hypertens 2022; 27: 148-69 3 Regitz-Zagrosek V et al.: 2018 ESC Guidelines for the management of cardiovascular diseases during pregnancy: The Task Force for the Management of Cardiovascular Diseases during Pregnancy of the European Society of Cardiology (ESC). European Heart Journal 2018; 39(34): 3165-3241 4 ACOG: Gestational hypertension and preeclampsia: ACOG practice bulletin summary, number 222. Obstet Gynecol 2020; 135(6): 1492-95 5 Wright D et al.: A competing risks model in early screening for preeclampsia. Fetal Diagn Ther 2012; 32: 171-8 6 O’Gorman N et al.: Competing risks model in screening for preeclampsia by maternal factors and biomarkers at 11-13 weeks gestation. Am J Obstet Gynecol 2016; 214(1): 103.e101-12 7 Rolnik DL et al.: Aspirin versus placebo in pregnancies at high risk for preterm preeclampsia. N Engl J Med 2017; 377(7): 613-22 8 Unger T et al.: 2020 International Society of Hypertension Global Hypertension Practice Guidelines. Hypertension 2020; 7586): 1334-57 9 Pourrat O et al.: Differentiation between severe HELLP syndrome and thrombotic microangiopathy, thrombotic thrombocytopenic purpura and other imitators. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2015; 189: 68-72 10 Tita AT et al.: Treatment for mild chronic hypertension during pregnancy. N Engl J Med 2022; 386(19): 1781-92 11 Wiciński M et al.: Methyldopa as an inductor of postpartum depression and maternal blues: A review. Biomed Pharmacother 2020; 127: 110196 12 Altman D et al.: Do women with pre-eclampsia, and their babies, benefit from magnesium sulphate? The Magpie Trial: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2002; 359(9321): 1877-90
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