Abnorme uterine Blutung in der Adoleszenz
Autorinnen:
Alessandra Bosch, MD, MSc1
Kerstin Ruoss, MD2
1Department of Haematology
2Department of Gynaecology
University Children’s Hospital Zurich
E-Mail: Alessandra.bosch@kispi.uzh.ch
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Verstärkte Menstruationsblutungen gehören zu den häufigsten gynäkologischen Beschwerden bei jugendlichen Mädchen. Bei einem relevanten Anteil liegen bisher unerkannte Blutgerinnungs- oder Thrombozytenfunktionsstörungen zugrunde. In der interdisziplinären Hämatologie-Gynäkologie-Sprechstunde am Universitäts-Kinderspital Zürich betreuen wir Mädchen und junge Frauen mit Fokus auf eine präzise Diagnostik, vorausschauende Begleitung und individuelle Therapie.
Keypoints
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Schwere Menstruationsblutungen bei Jugendlichen sind häufig das erste Symptom einer Blutungsneigung.
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Eine interdisziplinäre Evaluation durch Hämatologie und Gynäkologie ermöglicht eine zielgerichtete Diagnostik und Therapie.
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Eine antizipatorische Beratung bei bekannten Blutungsstörungen befähigt Betroffene, akute Blutungen zum Zeitpunkt der Menarche zu erkennen und adäquat zu reagieren.
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Individuelle, kombinierte Therapieansätze (Tranexamsäure, hormonelle Zykluskontrolle, Eisen) verbessern die Lebensqualität deutlich.
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Strukturiertes Outcome-Monitoring ist entscheidend für zukünftige Versorgungsstandards.
Abnorme uterine Blutungen (AUB) sind ein häufiges Symptom in der Adoleszenz und können erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben. Etwa 30–40% aller Frauen und Mädchen erleben im Laufe ihres Lebens eine Phase mit verstärkten Menstruationsblutungen («heavy menstrual bleeding»; HMB), und bei 30–40% dieser Betroffenen findet sich eine zugrundeliegende Blutungsneigung.1–5 Bei diesen Jugendlichen und Frauen mit HMB wird meist symptomatisch behandelt (Eisen, Antifibrinolytika, Hormontherapie), und somit bleibt die zugrundeliegende Blutungsneigung häufig unerkannt. Diese diagnostische Lücke führt nicht selten zu wiederholten starken Blutungen (HMB, peripartale Blutungen, periinterventionelle Blutungen), unnötigem Eisenmangel und/oder Anämie und psychosozialer Belastung mit verpassten Schul- und Arbeitstagen. Bei Mädchen und Frauen mit bereits bekannter Blutungsstörung tritt HMB bei bis zu 90% der Betroffenen auf. Eine Aufklärung bzgl. HMB und dessen Behandlung ist im Hinblick auf die Menarche bei diesen Patientinnen unabdingbar.6 Der aus HMB resultierende Eisenmangel mit/ohne Anämie bringt zudem weitere körperliche und psychosoziale Beschwerden mit sich. Es wurde vorgeschlagen, Eisenmangel mit/ohne Anämie mit einem Ferritin ≤30mcg/l zu definieren, unabhängig von den laborinternen Normwerten.5,7–11
Ziel der hämatologisch-gynäkologischen Sprechstunde
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Umfassende Diagnostik, um präzise Diagnosen stellen zu können
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Blutungssymptome behandeln
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Gezielte gynäkologische Beratung
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Eisenmangel adäquat behandeln
Die interdisziplinäre Sprechstunde
Um diese Ziele strukturiert in Angriff zu nehmen, haben wir die interdisziplinäre Hämatologie-Gynäkologie-Sprechstunde am Universitäts-Kinderspital Zürich gegründet. Abb. 1 zeigt das Ablaufschema von der Überweisung bis zur Verlaufskontrolle an unserer Klinik.
Die Sprechstunde findet derzeit einmal im Monat statt und erfreut sich grosser Beliebtheit, sodass es bereits eine Warteliste junger Patientinnen gibt. Unser Ziel ist es, Mädchen und junge Frauen mit (Verdacht auf) Blutungsneigung und HMB gemeinsam zu betreuen. Zwei zentrale Ansätze haben sich dabei herauskristallisiert:
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Abklärung bei Mädchen mit verstärkten Menstruationsblutungen: Hier braucht es sowohl eine hämatologische Evaluation (zur Diagnose einer möglichen Blutungsneigung) als auch eine gynäkologische Beratung inklusive hormoneller Therapieoptionen.
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Antizipatorische Begleitung von Mädchen mit bekannten Blutgerinnungs- oder Thrombozytenfunktionsstörungen insbesondere beim Eintritt in die Menarche. Frühzeitige Aufklärung und konkrete Handlungsanweisungen («Was tun, wenn starke Blutungen auftreten?») sind essenziell, um akuten Blutungsereignissen vorzubeugen bzw. diese zu erkennen.
Diagnostisches Vorgehen und Tools
Die Evaluation erfolgt systematisch gemäss FIGO-Klassifikation für AUB mit einer strukturierten Anamnese bezüglich Frequenz, Dauer und Regelmässigkeit der Menstruationsblutungen.12 Eine detaillierte Blutungsanamnese und Familienanamnese wird ebenfalls erhoben (Tab. 1). Weitere Instrumente in unserer Sprechstunde sind:
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7:2:1-Regel: ein Screeningtool, das auf eine verstärkte Menstruationsblutung hinweisen könnte – Menstruationsdauer ≥sieben Tage, Hygieneproduktwechsel (Binden, Tampons) öfter als alle zwei Stunden, Abgang von Koageln grösser als eine 1-Euro-Münze, zudem nächtliches Durchbluten in Pyjama oder Bettwäsche und Eisenmangel mit/ohne Anämie ( https://www.ehc.eu/ehc-womens-committee-marks-2024-international-womens-day/ )
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PBAC (Pictorial Blood Loss Assessment Chart): Semiquantitatives Tool zur Erfassung des Menstruationsblutverlusts; ein Score >100 korreliert mit einem Blutverlust von >80ml/Zyklus. Dies ist die Definition von HMB.13–15
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ISTH-BAT (International Society on Thrombosis and Haemostasis Bleeding Assessment Tool): validiertes Instrument zur Erfassung von Blutungssymptomen über mehrere Domänen (z.B. Epistaxis, Hämatome, orale/GI/GU Blutungen, perioperative und dentale Blutungen); pathologisch ab einem Score ≥5 bei Adoleszentinnen, ≥6 bei Frauen, ≥3 bei Kindern16,17
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Klinische Untersuchung: Hinweise auf andere Ursachen von Blutungsneigungen
- Beighton Score zur Evaluation von Hypermobilität z.B. im Rahmen von Bindegewebestörungen, Ehlers-Danlos-Syndrom etc.
- Curaçao Score, Vorhandensein von Teleangiektasien an den Lippen/Fingerspitzen, z.B. im Rahmen der hereditären hämorrhagischen Teleangiektasie (HHT)
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Labor und Spezialdiagnostik – die Diagnostik erfolgt in einem Stufensystem:
- 1. Stufe: Blutbild, Retikulozyten, Ferritin, globale Gerinnung (aPTT, INR), Fibrinogen, FVIII, FIX, FXI, FXIII, Von-Willebrand-Faktor (vWF-Antigen und Aktivität), Blutgruppe
- 2. Stufe (wenn erste Stufe unauffällig): Wiederholung vWF-Antigen und Aktivität, Thrombozytenfunktionsanalysen, erweiterte Gerinnungsdiagnostik b.B., ggf. genetische Analysen
Bei allen Mädchen mit HMB sind die häufigsten zugrundeliegenden Blutungsneigungs-Diagnosen:2,3,18,19
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Von-Willebrand-Faktor-Mangel (9–27%)
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Qualitative Thrombozytenfunktionsstörungen (2–6%)
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Koagulationsfaktor-Mangel (ca. 2%)
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«Bleeding disorder of unknown cause» (BDUC; unbekannt %)
Therapeutische Ansätze
Die Therapie erfolgt je nach Befund kombiniert hämatologisch und gynäkologisch:
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Antifibrinolytika (Tranexamsäure) bei akuten Blutungen oder als Rezidivprophylaxe während jeder Menstruation
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Desmopressin (DDAVP) oder Substitution von Gerinnungsfaktoren bei spezifischen Faktormängeln, Thrombozytenfunktionsstörungen, BDUC (gemäss ausgestelltem Notfallausweis durch Hämatologin)
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Hormonelle Therapie: zyklische oder kontinuierliche orale Kontrazeptiva, transdermale Präparate, Depotgestagene, Hormonspiralen
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Eisenersatz oral oder intravenös bei Eisenmangel (auch ohne manifeste Anämie), Ernährungsberatung7,9
Entscheidend ist die individuelle Beratung. Es werden die zugrundeliegenden (Blutungs-)Erkrankungen sowie auch die Präferenzen und Wünsche der Adoleszentin besprochen. Themen der Sprechstunde sind Edukation, Behandlung der Blutung aus hämatologischer Sicht, gynäkologische Zykluskontrolle sowie die langfristige Betreuung bis zur Transition in die Erwachsenenmedizin.
Erfahrungen und Ausblick
Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist effizient, patientinnenzentriert und entlastend, sowohl für Familien als auch für zuweisende Ärzt:innen. Viele Mädchen profitieren von der engen Koordination: Blutungsereignisse werden seltener, die Lebensqualität verbessert sich und unnötige Hospitalisationen/Transfusionen können vermieden werden. Zukünftig planen wir, die klinischen Daten systematisch zu erfassen und die Outcomes der Sprechstunde wissenschaftlich auszuwerten, um so zur Standardisierung der Versorgung von Mädchen und jungen Frauen mit Blutungsneigung beizutragen.
Literatur:
1 Kadir RA et al.: Frequency of inherited bleeding disorders in women with menorrhagia. Lancet 1998; 351(9101): 485-9 2 James PD: Women and bleeding disorders: diagnostic challenges. Hematology Am Soc Hematol Educ Program 2020; 2020(1): 547-52 3 Weyand AC et al.: Health issues in women and girls affected by haemophilia with a focus on nomenclature, heavy menstrual bleeding, and musculoskeletal issues. Haemophilia 2022; 28(4): 18-25 4van Galen K et al.: European principles of care for women and girls with inherited bleeding disorders. Haemophilia 2021; 27(5): 837-47 5 Zia A et al.: Iron deficiency and fatigue among adolescents with bleeding disorders. Am J Hematol 2022; 97(1): 60-7 6 Bosch A et al.: Women and hereditary bleeding disorders. Hamostaseologie 2025; 45(1): 70-9 7 Truong J et al.: The origin of ferritin reference intervals: a systematic review. Lancet Haematol 2024; 11(7): e530-9 8 Naveed K et al.: Defining ferritin clinical decision limits to improve diagnosis and treatment of iron deficiency: a modified Delphi study. Int J Lab Hematol 2023; 45(3): 377-86 9 Weyand AC et al.: Prevalence of iron deficiency and iron-deficiency anemia in US females aged 12-21 years, 2003-2020. JAMA 2023; 329(24): 2191-3 10 Mattiello V et al.: Diagnosis and management of iron deficiency in children with or without anemia: consensus recommendations of the SPOG Pediatric Hematology Working Group. Eur J Pediatr 2020; 179(4): 527-45 11 Dreier T et al.: Prevalence of iron deficiency in patients with mild to moderate bleeding disorders and bleeding disorder of unknown cause. Res Pract Thromb Haemost 2025; 9(6): 102999 12 Jain V et al.: Contemporary evaluation of women and girls with abnormal uterine bleeding: FIGO Systems 1 and 2. Int J Gynaecol Obstet 2023; 162(S2): 29-42 13 Higham JM et al.: Assessment of menstrual blood loss using a pictorial chart. Br J Obstet Gynaecol 1990; 97(8): 734-9 14 Magnay JL et al.: A systematic review of methods to measure menstrual blood loss. BMC Womens Health 2018; 18(1): 142 15 Sanchez J et al.: Quantifying the PBAC in a pediatric and adolescent gynecology population. Pediatr Hematol Oncol 2012; 29(5): 479-84 16 Baker RI et al.: Standardization of definition and management for bleeding disorder of unknown cause: communication from the SSC of the ISTH. J Thromb Haemost 2024; 22(7): 2059-70 17 Doherty D et al.: Variability in International Society on Thrombosis and Haemostasis-Scientific and Standardization Committee endorsed Bleeding Assessment Tool (ISTH-BAT) score with normal aging in healthy females: contributory factors and clinical significance. J Thromb Haemost 2023; 21(4): 880-6 18 Sidonio RF et al.: Potential undiagnosed VWD or other mucocutaneous bleeding disorder cases estimated from private medical insurance claims. J Blood Med 2020; 11: 1-11 19 Zia A et al.: Bleeding disorders in adolescents with heavy menstrual bleeding in a multicenter prospective US cohort. Haematologica 2020; 105(7): 1969-76
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