Neue Arbeitswelten und Elternschaft
Autor:innen:
Dr.med. Claudia Becker
Dr.med. Rama Kiblawi
Junges Forum gynécologie suisse
Dr.med. Nikolas Tauber
Dr.med. Niklas Amman
Junges Forum DGGG
Dr.med. Philipp Fößleitner
Dr.med. Amanda Klee
Junge Gyn (OEGGG)
Korrespondierende Autorin:
Dr.med. Claudia Becker
Frauenklinik, Kantonsspital Winterthur
Junges Forum gynécologie suisse
E-Mail: claudia.becker@jfor.ch
Die Arbeitnehmerstruktur des ärztlichen Personals im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe unterliegt einem starken Wandel. Es bedarf eines zunehmenden Umdenkens, um den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinsichtlich persönlicher Entfaltung und rund um Schwangerschaft und Elternschaft gerecht zu werden.
Persönliche Präferenzen haben einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerzufriedenheit und somit auch auf die Qualität der Versorgung unserer Patientinnen.
Frauen auf dem Vormarsch
Medizinalberufe sind zunehmend weiblich besetzt. Der Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe nimmt hierbei eine Vorreiterrolle ein: Der mit knapp 70% bereits überdurchschnittlich hohe Frauenanteil wird in den nächsten Jahren noch deutlich steigen:
Unter den gynäkologischen Assistenzärztinnen und -ärzten bewegt sich der Frauenanteil seit einem Jahrzehnt bereits um 90%.1 Hinzu kommt ein aktuell rasch stattfindender Generationenwechsel, denn eine Vielzahl älterer Kolleginnen und Kollegen wird aktuell und in den kommenden Jahren altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden und es verbleibt ein sehr geringer Männeranteil.2
Die Bedürfnisse der Arbeitskraftressource «Frau» hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsplatzgestaltung sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewinnt daher unter der Ärzteschaft zunehmend an Bedeutung.
Der Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe hat mit 57% zudem einen überdurchschnittlich hohen Anteil an ausländischen Arbeitskräften unter den Assistenzärztinnen und Assistenzärzten,3 wobei davon etwa 50% aus Deutschland kommen, weitere grosse Zuwandererstaaten sind Italien und Frankreich. Im Ausland herrscht bereits ein starker Fachkräftemangel, es ist also damit zu rechnen, dass es dort verstärkt Massnahmen geben wird, die dort ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte zu halten oder gar zurückzuholen.4
Der oben erwähnte Generationenwechsel, verbunden mit der hohen Nachfrage nach Arbeitskraft sowie innovativen Technologien, geben unserem Nachwuchs, Angehörigen der «Gen Z» (ca. Jahrgänge 1996 bis 2012)5, eine Position, veraltete Arbeitsplatzstrukturen zu hinterfragen, von der letztendlich jedoch alle Generationen profitieren.
Für die langfristige Sicherung von qualifizierten Fachkräften in Gynäkologie und Geburtshilfe ist es daher wichtig, Kenntnis von den Prioritäten und Bedürfnissen unseres medizinischen Nachwuchses zu haben.
Wunsch nach Teilzeitarbeit
In einer kürzlich publizierten Umfrage bei Medizinstudierenden wurde die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit als wichtiger Faktor für die Wahl der zukünftigen Fachrichtung der angehenden KolleginnenundKollegen identifiziert.6 Der Wunsch nach Teilzeitarbeit ist unter der Ärzteschaft indes ein bekanntes Phänomen. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ist bereits in den letzten 10 Jahren deutlich gesunken.4 Prognosen zufolge wird sich dieser Trend in Gynäkologie und Geburtshilfe weiter fortsetzen.2
Der Wunsch nach persönlicher Entfaltung, ergänzend zum Beruf, steht der Einschätzung einer älteren Generation von Ärzten gegenüber, die der Ansicht ist, dass nur durch ein hohes Arbeitspensum eine adäquate Weiterbildung möglich ist.7 Bis heute wird daher häufig immer noch versucht, mit den vorhandenen Ressourcen ein möglichst klassisches Arbeitsmodell aufrechtzuhalten. Das führt zu hoher Unzufriedenheit unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und häufigen Jobwechseln, was zusätzliche Kosten und instabile Teamstrukturen verursacht.8
Es besteht ein Interessenkonflikt, den es sinnvoll und vor allem zugunsten unserer Patientinnen zu lösen gilt.
Studienprojekt der jungen Gesellschaften der DACH-Region
Eine wegweisende Initiative haben nun die Jungen Foren der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, OEGGG und SGGG) in Kooperation mit der Universität zu Lübeck ins Leben gerufen.
Das Studienprojekt mit dem Titel «FAvorisierte aRBeitszeitmodelle in der GyNäkologie (FARBEN)» widmet sich dem Aspekt der Arbeitszeitmodelle und der Vereinbarung von Karriere und Privatleben und liefert Erkenntnisse über die Präferenzen der Gynäkologinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, also den sogenannten DACH-Ländern.9
Der Fragenkatalog unserer Umfragestudie beschränkt sich dabei nicht auf das bevorzugte Arbeitszeitmodell, sondern es wird auch nach den Familienkonstellationen, dem Karriereknick, der Teambelastung durch Teilzeitkräfte in verschiedenen Arbeitszeitmodellen, dem Wunsch nach Sabbaticals und Karrierezielen gefragt. Es soll damit zunächst ein Status quo erhoben werden, um anschliessend sinnvolle Anpassungsmassnahmen von Arbeitsplatz und Arbeitszeit zu erarbeiten und vorzuschlagen, die letztendlich die Versorgung unserer Patientinnen dauerhaft sicherstellen sollen.
Die Ergebnisse der FARBEN-Umfrage können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Qualität der Gesundheitsversorgung zu steigern, die Arbeitszufriedenheit zu fördern und die Gynäkologie als medizinische Fachrichtung für kommende Generationen attraktiv zu halten.
Die Resultate werden im Rahmen einer gemeinsamen Session der DACH-Staaten beim DGGG-Kongress 2024 in Berlin durch Dr. med. Nikolas Tauber (Junges Forum DGGG) vorgestellt und im Anschluss publiziert.
Umsetzung des Mutterschutzgesetzes
Gefragt ist also eine Arbeitsumbegung, die persönlichen Anforderungen und Bedürfnissen gerecht wird. Als Teilaspekt davon muss angesichts der hohen Anzahl an weiblichen Arbeitskräften die Familienfreundlichkeit gesehen werden, mit der sich Arbeitgeber heute profilieren und ihren Arbeitsplatz attraktiv halten können.
Ein wichtiges Thema ist hierbei die Umsetzung des Mutterschutzes in unserem Berufsalltag.
Die schweizerische Gesetzgebung zum Mutterschutz bietet die Möglichkeit einer individuellen Karriereplanung und die Fortführung der Weiterbildung im operativen Fachbereich während und nach der Schwangerschaft, was eine unschätzbar wichtige und erfreuliche Regelung ist. Die Umsetzung in den klinischen Arbeitsalltag ist jedoch von grossen Ungleichheiten und Unsicherheiten geprägt.
Problematisch ist, dass es häufig zu Verletzungen des geltenden Mutterschutzgesetzes kommt, sei es in Bezug auf Arbeitszeiten der Schwangeren und Stillenden als auch bezüglich einer meist fehlenden Aufklärung über Gefahrenquellen im Operations- und Gebärsaal, was zu grossen Unsicherheiten und sehr unterschiedlichen Handhabungen sowohl unter den schwangeren Kolleginnen als auch unter den Vorgesetzten führt. Eine individuelle Aufklärung über Risikopotenziale und Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz muss erfolgen.
Wir sehen es daher als angebracht, eine Leitlinie für gynäkologisch- und geburtshilflich-operativ tätige Betriebe zu formulieren, welche einerseits die Rechte der Schwangeren und Stillenden unterstützt und aufklärt, andererseits aber nicht die Möglichkeit zur Fortsetzung der operativen Ausbildung einschränken darf.
Ratgeber für Schwangerschaft und Stillzeit
Das Junge Forum hat nun als ersten Schritt und Diskussionsgrundlage einen Ratgeber zu Schwangerschaft und Stillzeit in Gynäkologie und Geburtshilfe verfasst.10
Dieser enthält die Auslegung des schweizerischen Mutterschutzgesetzes mit praktischer Bedeutung für die Arbeitszeiten in Schwangerschaft und Stillzeit, Tipps zur Karriereplanung für zukünftige Mütter und Hinweise zum Wiedereinstieg nach beruflicher Auszeit und zur Kinderbetreuung. Des Weiteren haben wir sinnvolle mögliche Anpassungsmassnahmen formuliert, die schon heute umsetzbar sind:
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verpflichtendes präoperatives Screening der Patientinnen für HCV und HIV
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im Anschluss an den gesetzlichen Mutterschutz mindestens 80%ige Lohnfortzahlung bis 6 Monate postpartal
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Für Eltern sollte, zumindest für die Dauer der Stillzeit, überprüft werden, ob Aufgaben administrativer Natur mittels Fernzugriff im Home Office erledigt werden können.
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grösstmögliche Individualisierung der Dienstplanung, um eine höhere Bereitschaft zur Übernahme unbeliebter Nacht- und Wochenenddienste zu erreichen
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Ausbau arbeitsplatznaher flexibler Betreuungsplätze mit der Möglichkeit von notfallmässiger Betreuung bei Ersatzdiensten
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Verbesserung des Stellenschlüssels durch Aushebung von Forschungsstellen. Hierdurch wird einem Personalüberschuss bei vollständiger Personalanwesenheit vorgebeugt.
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Um handwerkliche Nachteile auszugleichen, die durch Babypausen entstehen, sollte das Angebot an endoskopischen Simulationen ausgebaut werden, bspw. durch Bereitstellung von Simulatoren durch den Arbeitgeber für das Simulationstraining zu Hause.
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Weiterbildungskonzepte während Babypause und zum Berufswiedereinstieg
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Kongresse und Fortbildungen der SGGG sollten generell ein Still- und Betreuungsangebot umfassen.
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Nicht zuletzt möchten wir auch weiterhin auf die hohe Bedeutung eines individuellen Mentorings hinweisen, um Personal zu binden und Karrierewege zu fördern.
Literatur:
1 Bundesamt für Gesundheit (BAG): Statistiken der Medizinalberufe 2013–2023. Verfügbar unter https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/statistiken-berufe-im-gesundheitswesen/statistiken-medizinalberufe1.htm ; zuletzt aufgerufen am 1.8.2024 2 Burla L, Widmer M: Zukünftiger Bestand und Bedarf an Fachärztinnen und -ärzten in der Schweiz. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium. 05 2023 3 FMH: FMH. Anzahl Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nach Fachgebiet. 2023. Verfügbar unter https://www.siwf.ch/files/pdf29/2023_fg.pdf ; zuletzt aufgerufen am 1.8.2024 4 Hostettler S, Kraft E: FMH-Ärztestatistik 2023 – 40% ausländische Ärztinnen und Ärzte. Schweizerische Ärztezeitung 2024; 105(12): 32-6 5 Dimock M: Defining generations: where millennials end and generation Z begins. Pew Research Center 2019. Verfügbar unter https://pewrsr.ch/2szqtJz ; zuletzt aufgerufen am 1.8.2024 6Scheiwiller V, Esslinger C: Survey on expectations of medical students towards their future profession. Swiss Medical Students Association 20237 Lüscher TF: «Götter in Weiss» – aber was ist eigentlich mit dem Nachwuchs los? Neue Zürcher Zeitung vom 22.8.2023; verfügbar unter https://www.nzz.ch/meinung/goetter-in-weiss-aber-was-ist-eigentlich-mit-dem-nachwuchs-los-ld.1748191 ; zuletzt aufgerufen am 1.8.2024 8 Hölterhoff M, Kuenkel K: Familienfreundliche Massnahmen in Spitälern. Prognos 2013; verfügbar unter https://vsao.ch/wp-content/uploads/2019/11/Familienfreundliche-Massnahmen-in-Spit%C3%A4lern_DE.pdf ; zuletzt aufgerufen am 1.8.2024 9 Klee A et al.: Teilnahme-Aufruf – favorisierte Arbeitszeitmodelle in der Gynäkologie – FARBEN-Studie der Jungen Foren DGGG, OEGGG und SGGG. Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(12): 1424-5 10 Becker C: Mutterschaft und operieren in der Schwangerschaft. Gynécologie suisse 2024; verfügbar unter https://www.sggg.ch/ueber-uns/verband/arbeitsgemeinschaften/junges-forum/mutterschaft-und-operieren-in-der-schwangerschaft ; zuletzt aufgerufen am 1.8.2024
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