
Wie beugt man der Entstehung eines Typ-2-Diabetes vor?
Autor:
PD Dr. med. François R. Jornayvaz
Service d’endocrinologie, diabétologie, nutrition et éducation thérapeutique du patient
Hôpitaux Universitaires de Genève
E-Mail: francois.jornayvaz@hcuge.ch
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In der Schweiz leiden schätzungsweise 500000 Menschen an Diabetes, 90% davon, also 450000 Menschen, sind an Typ-2-Diabetes erkrankt. Es liegen keine genauen Zahlen in Bezug auf Prädiabetes vor, es steht jedoch fest, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, ohne eine Intervention im Lauf der Zeit zunimmt. Ausserdem ist Prädiabetes mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden. Es ist daher wichtig, Fälle von Prädiabetes zu erkennen und einzugreifen, um die Entstehung eines Typ-2-Diabetes zu verhindern. Die wirksamste Prävention besteht in Massnahmen zur Änderung des Lebensstils: Gewichtsverlust fördern, Ernährung umstellen und Bewegungsmangel vermeiden.
Keypoints
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Die wirksamsten Massnahmen, um beim Vorliegen eines Prädiabetes der Entwicklung eines DM2 vorzubeugen, basieren auf einer Anpassung des Lebensstils.
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Am wirksamsten sind der Verlust von 7% des Ausgangsgewichts und die Steigerung der mässigen bis intensiven körperlichen Aktivität (wie z.B. schnelles Gehen) auf 150 Minuten pro Woche.
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Für Menschen mit Prädiabetes eignen sich verschiedene Ernährungsformen zur Vorbeugung eines DM2.
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Für pharmakologische Interventionen zur Vorbeugung eines DM2 bei Prädiabetes besteht nur geringer Spielraum.
Was ist Prädiabetes?
Der Begriff Prädiabetes wird für Menschen verwendet, deren Blutzuckerspiegel die diagnostischen Kriterien eines Diabetes nicht erfüllen, aber bereits zu hoch sind, um als normal zu gelten. Der Prädiabetes umfasst erhöhte Nüchternblutzuckerwerte und eine Glukoseintoleranz, er kann aber auch anhand des HbA1c-Werts definiert werden (Tab. 1).
Der Prädiabetes sollte nicht als eigenständige klinische Entität, sondern vielmehr als erhöhtes Risiko dafür betrachtet werden, zu einem späteren Zeitpunkt einen Typ-2-Diabetes (DM2) zu entwickeln. Der Prädiabetes ist zudem mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden. Er geht häufig mit Adipositas (insbesondere abdominaler oder viszeraler Adipositas), einer Dyslipidämie mit erhöhten Triglyzeridwerten und/oder einem niedrigen HDL-Cholesterinspiegel sowie mit einer Hypertonie einher. Die aktuellen Leitlinien empfehlen, in den in Tabelle 2 zusammengefassten Situationen einen Prädiabetes resp. einen DM2 zu suchen.
Wie beugt man der Entstehung eines DM2 vor?
In einigen grossen randomisierten, kontrollierten Studien, darunter das Diabetes Prevention Program (DPP),1 die Finnish Diabetes Prevention Study (DPS)2 und die Da Qing Diabetes Prevention Study (Da Qing Study)3, wurde nachgewiesen, dass eine Anpassung des Lebensstil mit einer Reduktion der täglichen Kalorienzufuhr sehr wirksam ist, um das Auftreten eines DM2 zu verhindern und die kardiometabolischen Marker, wie Blutdruck, Blutfette und die Inflammation, zu verbessern. Zudem sollen Menschen mit Prädiabetes dazu angehalten werden, Inaktivität zu vermeiden und sich stattdessen mehr zu bewegen.
Die stärkste Evidenz für die Prävention von Diabetes stammt aus der amerikanischen DPP-Studie,1 die nachgewiesen hat, dass eine intensive Intervention im Sinne einer Änderung des Lebensstils die Inzidenz von DM2 innerhalb von 3 Jahren um 58% reduzieren konnte. Darüber hinaus haben die Langzeitbeobachtungen in den drei genannten Studien zum Einfluss der Lebensstiländerung gezeigt, dass das verminderte Risiko zur Entwicklung eines DM2 erhalten blieb. Die Reduktion des Risikos, nach 30 Jahren einen DM2 zu entwickeln, lag in der Da Qing Study bei 39%;4 in der finnischen DPS-Studie betrug die Risikoreduktion nach 7 Jahren 43%2 und in der US Diabetes Prevention Programme Outcome Study (DPPOS) nach 10 bzw. 15 Jahren 34% bzw. 27%.5, 6
In der DPP-Studie zielte die intensive Intervention zur Lebensstiländerung auf eine Reduktion des Ausgangsgewicht um 7% und 150 Minuten körperlicher Aktivität mit mässiger Intensität, wie z.B. schnelles Gehen, pro Woche. Interessanterweise kann die Inzidenz des DM2 übrigens auch ohne Gewichtsverlust, allein durch die Steigerung der körperlichen Aktivität um 44% gesenkt werden.7 Die Vorgabe zur Reduktion des Ausgangsgewichts um 7% wurde festgelegt, weil es sich dabei um ein machbares Ziel handelt, das idealerweise innerhalb der ersten 6 Monate der Intervention erreicht werden kann. Mit einem höheren Gewichtsverlust von 7–10% des Ausgangsgewicht kann der Entwicklung eines DM2 noch besser vorgebeugt werden.7 Um das Gewicht langfristig halten zu können und eine erneute Zunahme nach Abschluss der Intervention zu vermeiden, wird eine Gewichtsabnahme von 0,5–1kg pro Woche empfohlen. Dafür muss die tägliche Kalorienzufuhr in Abhängigkeit vom Ausgangsgewicht um etwa 500–1000kcal reduziert werden. In der DPP-Studie wurde in den meisten Fällen empfohlen, die Kalorienaufnahme insbesondere durch eine Reduktion der täglichen Fettzufuhr zu senken. Die Evidenz weist allerdings darauf hin, dass es im Hinblick auf die Makronährstoffe (Kohlenhydrate, Eiweisse und Fette) keine ideale Verteilung gibt, sondern dass die insgesamt reduzierte Kalorienaufnahme wahrscheinlich wichtiger ist. Die Empfehlungen sollten daher an den jeweiligen Patienten, seine übliche Ernährung und an seine Motivation angepasst werden. Die Unterstützung durch einen Ernährungsprofis (Ernährungsberaterin, -wissenschaftler) ist bei dieser Art der Intervention daher wichtig. Bestimmte Ernährungsformen, wie z.B. die Mittelmeerdiät und die vegetarische Ernährung auf der Basis von pflanzlichen Nahrungsmitteln oder die DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension), haben sich als vorteilhaft erwiesen, um bei Prädiabetes der Entwicklung eines DM2 vorzubeugen. Zudem scheint auch die Qualität der Nahrungsmittel von Bedeutung zu sein. Man sollte bevorzugt Vollkornprodukte, Gemüse, Ölsaaten, Obst und Gemüse zu sich nehmen und möglichst auf raffinierte oder verarbeitete Lebensmitteln (z.B. Fertiggerichte) verzichten.
Senkung des DM2-Risikos, sogar ohne Gewichtsverlust oder vermehrte Bewegung
Eine interessante Studie mit mehr als 3500 Patienten im Alter zwischen 55 und 80 Jahren mit hohem kardiovaskulärem Risiko und teilweise mit Prädiabetes, aber ohne Diabetes, hat sogar nachgewiesen, dass man der Entwicklung eines DM2 ohne erheblichen Gewichtsverlust vorbeugen kann.8 Über eine mediane Studiendauer von 4,1 Jahren wurde untersucht, ob das Auftreten eines DM2 mithilfe einer mit Olivenöl Extra Vergine angereicherten Mittelmeerdiät gesenkt werden kann. Diese Ernährung wurde mit einer ölsaatreichen Mittelmeerdiät sowie mit einer Kontrollgruppe mit einer Ernährung mit geringem Fettanteil verglichen. Die drei Ernährungsformen waren isokalorisch und beinhalteten keine Kalorienbeschränkung im Vergleich zur üblichen Ernährungsweise der Probanden. Die körperliche Aktivität wurde in dieser Studie nicht gesteigert und es wurde auch kein Gewichtsverlust angestrebt. Es wurde also allein der Effekt der unterschiedlichen Ernährungen untersucht. Bei den Probanden, die sich mit einer Mittelmeerdiät ernährt haben, die reich an Olivenöl Extra Vergine war, konnte nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 4,1 Jahren eine signifikante Reduktion des relativen Risikos zur Entwicklung eines DM2 um 40 % verzeichnet werden, und zwar ohne Kalorienbeschränkung, ohne Steigerung der körperlichen Aktivität und ohne Gewichtsverlust. Zusammenfassend kann also eine reine Ernährungsumstellung, selbst ohne Gewichtsverlust, wirksam sein, um das Auftreten von DM2 zu verhindern.
Welche Art von Aktivität ist vorteilhaft, um die Inzidenz von DM2 zu reduzieren?
Wie bereits erwähnt, bestand die Intervention der DPP-Studie im Hinblick auf das Bewegungsverhalten darin, die körperliche Aktivität auf 150 Minuten pro Woche auszudehnen, und zwar auf Sport mit mässiger Intensität, wie beispielsweise schnelles Gehen.1 Um die Resultate der DPP-Studie zu erreichen, sollte die wöchentliche körperliche Aktivität idealerweise auf mindestens drei Termine pro Woche mit einer Mindestdauer von 10 Minutenverteilt werden. Diese körperliche Aktivität, die in der Praxis gut umzusetzen ist, entspricht einem wöchentlichen Kalorienverbrauch von ungefähr 700kcal. In der DPP-Studie beinhaltete das Programm 16 Termine in den ersten 24 Studienwochen, darunter insbesondere Gruppenkurse und Motivationssitzungen. Die Aktivität bestand hauptsächlich aus Ausdauertraining, aber auch Krafttraining. Natürlich ist die Motivation des Patienten von wesentlicher Bedeutung, denn nach einer sitzenden Lebensweise mit körperlichem Training anzufangen und dabei zu bleiben ist anfangs eine Herausforderung, bei der häufig die Unterstützung durch Sportlehrer, Physiotherapeuten oder Fitness-Coaches nötig ist.
Gibt es pharmakologische Massnahmen zur DM2-Prävention?
Da es oft schwierig ist, mit einer Veränderung der Ernährungsgewohnheiten und körperlicher Aktivität einen langfristigen Effekt zu erzielen, stellt sich die Frage nach der Zweckmässigkeit einer zusätzlichen pharmakologischen Intervention. Zur Prävention eines DM2 wurden zahlreiche Antidiabetika, wie Metformin, Alpha-Glukosidasehemmer, Liraglutid, Glitazone oder sogar Insulin, untersucht. Im Allgemeinen zeigen die meisten Interventionen einen Nutzen im Hinblick auf die DM2-Prävention, wobei Metformin in dieser Hinsicht die solideste Evidenz1 und eine langfristige Sicherheit9 aufweist. Da es sich um ein Medikament mit Nebenwirkungen handelt, das Kosten verursacht, muss man allerdings die Vor- und Nachteile von Metformin als Ergänzung zu den Lebensstiländerungen gut abwägen. In der DPP-Studie erwies sich Metformin im Allgemeinen als weniger wirksam als die Massnahmen zur Anpassung der Lebensweise.6 Während der anfänglichen Nachbeobachtungsphase war Metformin bei den Probanden mit einem BMI ≥35kg/m2 sowie bei jungen Teilnehmern (25–44 Jahre) ebenso wirksam wie die Lifestyle-Änderungen.1 Bei Frauen mit Gestationsdiabetes in der Vorgeschichte haben Metformin und die Anpassung des Lebensstils einen ähnlichen Effekt auf die spätere Entwicklung eines DM2, mit einer Reduktion des relativen Risikos um 50%10 und einer Wirksamkeit, die bis zu einer Nachbeobachtungsdauer von 10 Jahren anhielt.11 Basierend auf den Schlussfolgerungen der DPP-Studie könnte Metformin als pharmakologische Option für Personen mit einem hohen DM2-Risiko, d.h. für Frauen mit Gestationsdiabetes in der Anamnese oder Übergewichtige mit einem BMI ≥35kg/m2, empfohlen werden. Es handelt sich hierbei allerdings um eine «Off-Label-Indikation», die sorgfältig abgewogen werden sollte, vor allem angesichts der Risiken in Verbindung mit der chronischen Einnahme von Metformin, wie insbesondere eines Vitamin-B12-Mangels.12
Prädiabetes und kardiovaskuläres Risiko
Der Prädiabetes geht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einher, umso mehr, als die meisten Personen mit Prädiabetes weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, wie eine Hypertonie und eine Dyslipidämie.13 Es muss natürlich auch auf alle veränderbaren Risikofaktoren eingewirkt werden, wie z.B. Tabakkonsum.
Fazit
Personen mit Prädiabetes haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und natürlich das Risiko, zu einem späteren Zeitpunkt einen DM2 zu entwickeln, mit allen bekannten möglichen Komplikationen. Es ist daher wichtig, das Vorhandensein eines Prädiabetes entsprechend den aktuellen Empfehlungen zu erkennen. Patienten mit Prädiabetes sollten anschliessend jährlich untersucht werden, um zu gewährleisten, dass kein DM2 vorliegt. Die in diesem Zusammenhang vorteilhafteste Intervention besteht in einer Anpassung des Lebensstils, wobei für die Reduktion des Ausgangsgewichts um 7% und die Steigerung der körperlichen Aktivität auf etwa 150 Minuten pro Woche die beste Evidenz vorliegt. Man gelangt daher immer wieder zur gleichen Schlussfolgerung: Man muss weniger essen, besser essen und sich insbesondere mehr bewegen.
Literatur:
1 Knowler WC et al.; DM & Diabetes Prevention Program Research G: Reduction in the incidence of type 2 diabetes with lifestyle intervention or metformin. N Engl J Med 2002; 346: 393-403 2 Lindstrom J et al.: Sustained reduction in the incidence of type 2 diabetes by lifestyle intervention: follow-up of the Finnish Diabetes Prevention Study. Lancet 2006; 368: 1673-9 3 Li G et al.: Cardiovascular mortality, all-cause mortality, and diabetes incidence after lifestyle intervention for people with impaired glucose tolerance in the Da Qing Diabetes Prevention Study: a 23-year follow-up study. Lancet Diabetes Endocrinol 2014; 2: 474-80 4 Gong Q et al.: Morbidity and mortality after lifestyle intervention for people with impaired glucose tolerance: 30-year results of the Da Qing Diabetes Prevention Outcome Study. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 452-61 5 Diabetes Prevention Program Research Group; Knowler WC et al.: 10-year follow-up of diabetes incidence and weight loss in the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. Lancet 2009; 374: 1677-86 6 Diabetes Prevention Program Research Group: Long-term effects of lifestyle intervention or metformin on diabetes development and microvascular complications over 15-year follow-up: the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. Lancet Diabetes Endocrinol 2015; 3: 866-75 7 Hamman RF et al.: Effect of weight loss with lifestyle intervention on risk of diabetes. Diabetes Care 2006; 29: 2102-7 8 Salas-Salvado J et al.: Prevention of diabetes with Mediterranean diets: a subgroup analysis of a randomized trial. Ann Intern Med 2014; 160: 1-10 9 Diabetes Prevention Program Research Group: Long-term safety, tolerability, and weight loss associated with metformin in the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. Diabetes Care 2012; 35: 731-7 10 Ratner RE et al.: Prevention of diabetes in women with a history of gestational diabetes: effects of metformin and lifestyle interventions. J Clin Endocrinol Metab 2008; 93: 4774-9 11 Aroda VR et al.: The effect of lifestyle intervention and metformin on preventing or delaying diabetes among women with and without gestational diabetes: the Diabetes Prevention Program outcomes study 10-year follow-up. J Clin Endocrinol Metab 2015; 100: 1646-53 12 Aroda VR et al.: Long-term metformin use and vitamin B12 deficiency in the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 1754-61 13 Huang Y et al.: Association between prediabetes and risk of cardiovascular disease and all cause mortality: systematic review and meta-analysis. BMJ 2016; 355: i5953