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Von der kontinuierlichen Glukosemessung zur sensorunterstützten Insulinpumpentherapie

<p class="article-intro">Wie in vielen Bereichen der Medizin hat auch in der Diabetologie längst die Technik Einzug gehalten. Zum einen wird die Insulinabgabe durch die Insulinpumpentechnik erleichtert, zum anderen gibt es mittlerweile zahlreiche Innovationen im Bereich der Messtechnik bzw. der Glukoseaufzeichnung. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Mit der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung gelingt im Gegensatz zur &shy;&uuml;blichen punktuellen Blutzuckermessung eine l&uuml;ckenlose Aufzeichnung der Glukose&shy;werte im Tagesverlauf.</li> <li>Bei der diagnostischen Anwendung wird retrospektiv eine (meist) verblindete Messung &uuml;ber mehrere Tage analysiert, die anschlie&szlig;end dazu verwendet werden kann, die Therapie zu optimieren.</li> <li>Die therapeutische Anwendung ist eine &bdquo;Real time&ldquo;-Darstellung der aktuellen Gluko&shy;sewerte, die der Patient unmittelbar auf seinem System sieht und die ihn somit bei Therapieentscheidungen unterst&uuml;tzt.</li> <li>Eine besondere Bedeutung hat die kontinuierliche Glukosemessung bei der Aufdeckung und Vermeidung von Hypoglyk&auml;mien.</li> </ul> </div> <h2>Meilenstein: Blutzuckerselbstmessungen</h2> <p>Ein Meilenstein in der Diabetologie war sicherlich die Einf&uuml;hrung der Blutzuckerselbstmessungen, die die Entwicklung der verschiedenen Formen von Insulintherapien mit dem Ziel einer m&ouml;glichst physiologischen Gestaltung der Insulinsubstitution erst m&ouml;glich machte. Durch die Blutzuckermessungen k&ouml;nnen mehr oder weniger &uuml;bersichtliche Protokolle als Grund&shy;lage f&uuml;r eventuell notwendige Therapieadaptierungen erstellt werden. Doch auch wenn Patienten h&auml;ufig ihren Blutzucker kontrollieren, gibt es doch stets mehr oder weniger gro&szlig;e L&uuml;cken zwischen den einzelnen punktuellen Messungen. Besonders der Blutzuckerverlauf &uuml;ber Nacht, aber auch fr&uuml;hmorgendliche oder postprandiale Anstiege werden oft &uuml;bersehen (Abb. 1).</p> <p>Durch eine kontinuierliche Glukoseaufzeichnung (CGM, &bdquo;continuous glucose monitoring&ldquo;) besteht jedoch die M&ouml;glichkeit, diese L&uuml;cken zu schlie&szlig;en. Dabei wird mit sogenannten Glukosesensoren in k&uuml;rzesten Abst&auml;nden der Glukosegehalt im subkutanen Fettgewebe (Interstitium) gemessen. Die gemessenen Werte sind mittlerweile recht genau und entsprechen auch im Wesentlichen den im Blut gemessenen Werten, hinken diesen allerdings etwas nach. So beobachtet man bei rasch steigendem Blutzucker etwas niedrigere Sensorwerte, umgekehrt bei fallendem Blutzucker h&ouml;here Angaben durch den Sensor. Diese Zeitverz&ouml;gerung ist allerdings auf eine Dauer von max. 20 Minuten limitiert. <br />Die Sensoren arbeiten nach zwei unterschiedlichen Analyseverfahren (&bdquo;enzyme-tipped&ldquo; Katheter, Mikrodialysesystem), wobei sich ein Trend in Richtung enzymatischer Messverfahren abzeichnet. Grob vereinfacht und ohne auf genaue technische Details n&auml;her einzugehen, kann der Mechanismus der kontinuierlichen Messung derart dargestellt werden, dass eine biochemische Reaktion an der Messelektrode des Sensors in elektronische Signale &uuml;bersetzt wird. Diese werden dann auf eine Ableseeinheit &uuml;bertragen, von wo sie direkt abgelesen oder weiterverarbeitet werden k&ouml;nnen. Auf die gewohnten Messungen aus dem Blut vollst&auml;ndig verzichten kann man jedoch nicht, da diese Werte zum Kalibrieren des subkutanen Messsystems erforderlich sind. Lediglich ein neues Messverfahren ben&ouml;tigt diese Kalibrierungen nicht und der aktuelle Glukosewert kann jederzeit gescannt werden. Trotzdem sollte bei extremen oder v&ouml;llig unerwarteten Werten zur Plausibilit&auml;tspr&uuml;fung an eine kapill&auml;re Blutzuckermessung gedacht werden. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite7_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Zwei Anwendungsbereiche der kontinuierlichen Glukosemessung</h2> <p>Bei der diagnostischen Anwendung wird &uuml;ber einen Zeitraum von bis zu acht Tagen meist verblindet der Verlauf der interstitiellen Glukosewerte aufgezeichnet und kann dann retrospektiv analysiert werden. Besonders gut eignet sich dieses Verfahren zur &Uuml;berpr&uuml;fung einer laufenden Therapie. Dadurch k&ouml;nnen mit den g&auml;ngigen Mitteln nicht wahrgenommene Zuckerentgleisungen sehr &uuml;bersichtlich dargestellt werden, in erster Linie zu Zeiten, an denen im Alltag kaum Blutzuckermessungen durchgef&uuml;hrt werden (nachts, fr&uuml;he Morgenstunden, postprandial). Besondere Bedeutung hat hier auch die Aufdeckung von nicht registrierten Hypoglyk&auml;mien. So konnte in einer rezenten Analyse der Daten von Typ-2-Diabetikern dargestellt werden, dass bei der H&auml;lfte unter Therapie Unterzuckerungen auftraten, die von 75 % der Patienten gar nicht als solche erkannt wurden.<sup>1</sup> Die diagnostische Anwendung eignet sich aber auch ausgezeichnet, um Hypoglyk&auml;miewahrnehmungsst&ouml;rungen aufzudecken, als Argumentationshilfe f&uuml;r Therapie&auml;nderungen, z.B. Beginn einer (sensorunterst&uuml;tzten) Pumpentherapie (evtl. weil n&auml;chtliche Hypoglyk&auml;mien oder fr&uuml;hmorgendliche Hyperglyk&auml;mien festgestellt wurden), als Hilfestellung bei Modifikationen einer laufenden Therapie, in der Schwangerschaft bzw. in der pr&auml;konzeptionellen Zeit oder auch als p&auml;dagogisches Hilfsmittel, z.B. bei Patienten, bei denen eine Adh&auml;renzproblematik vorliegt (Abb. 2). Diese Art der Anwendung ist in der t&auml;glichen Praxis relativ einfach umzusetzen, v.a. ohne gr&ouml;&szlig;eren Schulungsaufwand f&uuml;r die Patienten, und rasch verf&uuml;gbar. Die Kosten bewegen sich durchaus in einem &uuml;berschaubaren Rahmen.</p> <p>Die zweite M&ouml;glichkeit, die kontinuierliche Glukosemessung einzusetzen, ist eine therapeutische Anwendung, was so viel bedeutet, dass Messung und Therapie gekoppelt werden. Es entsteht somit ein Regelkreis, der derzeit allerdings noch des aktiven Eingreifens der Patienten bedarf. Dabei unterst&uuml;tzen die unmittelbar gemessenen Glukosewerte Diabetiker in der Umsetzung ihrer Insulintherapie. &Uuml;blicherweise handelt es sich um eine Insulinpumpentherapie (sensorunterst&uuml;tzte Insulinpumpentherapie, SuP), was jedoch nicht zwangsl&auml;ufig notwendig sein m&uuml;sste &ndash; auch eine funktionelle Insulintherapie mit einem Pen profitiert von einer Sensorunterst&uuml;tzung. Die Patienten k&ouml;nnen durch die SuP Warnungen erhalten, wenn bestimmte festgelegte Grenzen &uuml;ber- oder unterschritten werden. Besondere Bedeutung haben Warnungen vor drohenden Unterzuckerungen, insbesondere beim Vorliegen von Hypoglyk&auml;miewahrnehmungsst&ouml;rungen.</p> <p>Zus&auml;tzliche Sicherheit bietet hier auch die M&ouml;glichkeit der Abschaltung der Insulinpumpe bei Auftreten einer Hypoglyk&auml;mie. Dies stellt auch die erste selbstst&auml;ndige Reaktion einer Pumpe im t&auml;glichen Gebrauch dar (Abb. 3). <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite7_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Nutzen in klinischen Studien &shy;nachgewiesen</h2> <p>Mittlerweile konnte in zahlreichen, auch an relativ gro&szlig;en Patientenkollektiven durchgef&uuml;hrten klinischen Studien der Nutzen der therapeutischen kontinuierlichen Glukosemessung bzw. der sensorunterst&uuml;tzten Therapie nachgewiesen werden. Exemplarisch daf&uuml;r wird in der STAR-3-Studie, die an Kindern und Erwachsenen durchgef&uuml;hrt wur&shy;de, eine deutliche Senkung der HbA1c-Werte unter SuP erreicht, wobei allerdings auff&auml;llt, dass bei den Kindern und Jugendlichen die anf&auml;nglich starke HbA<sub>1c</sub>-Senkung nach einigen Monaten wieder nachl&auml;sst.<sup>2</sup> Einen wesentlichen Praxisbezug zeigt die SWITCH-Studie, die multizentrisch bei Typ-1-Diabetikern durchgef&uuml;hrt wurde. Darin wurde eine bestehende Insulinpumpentherapie abwechselnd sechs Monate sensorunterst&uuml;tzt durchgef&uuml;hrt, sechs Monate nicht. Wiederum wurde eine HbA<sub>1c</sub>-Wert-Senkung erreicht, allerdings nur in den Phasen, in denen der Sensor verwendet wurde. Dies erkl&auml;rt sich sicherlich auch dadurch, dass die Patienten in der Phase der Sensorunterst&uuml;tzung ihre Insulinpumpentherapie in&shy;tensiver betrieben (h&auml;ufigere Bolusabgaben, vermehrtes Anpassen der Basalrate, &hellip;).<sup>3</sup> Als wichtige Konsequenz f&uuml;r die Praxis kann man davon ableiten, dass Patienten von einer SuP nur dann wirklich profitieren, wenn der Sensor auch dauerhaft verwendet wird. Dies ist ein wichtiger Punkt, der ber&uuml;cksichtigt werden muss, bevor mit einer SuP begonnen wird. Aufgrund des gro&szlig;en Aufwandes und der hohen Kosten muss die Entscheidung f&uuml;r diese Therapieform ohnehin sehr genau gepr&uuml;ft werden. <br />Als besonders wichtiges Ergebnis zieht sich wie ein roter Faden quer durch alle Studien die Reduktion der Hypoglyk&auml;mien, dies besonders in den Studien, bei denen Systeme mit Hypoglyk&auml;mieabschaltung verwendet wurden. Mithilfe der SuP sind Patienten seltener und v.a. k&uuml;rzer unterzuckert. Daraus leiten sich auch die Anwendungsgebiete f&uuml;r die sensorunterst&uuml;tzte Insulintherapie ab: schwere und/oder n&auml;chtliche Hypoglyk&auml;mien, Hypoglyk&auml;miewahrnehmungs&shy;st&ouml;rungen, moderate Hyperglyk&auml;mien in speziellen Situationen (vorrangig Schwangerschaft), wenn unter CSII/FIT auch nach bestm&ouml;glicher Therapieintensivierung eine HbA<sub>1c</sub>-Wert-Senkung auf den f&uuml;r den Patienten individuell festgelegten Wert nicht m&ouml;glich ist, bei Patienten, die mehr als 10-mal t&auml;glich den Blutzucker messen m&uuml;ssen, um ihr Therapieziel zu erreichen, sowie bei Kleinkindern.<sup>4</sup></p> <h2>Vorteil auch f&uuml;r behandelnde &Auml;rzte</h2> <p>S&auml;mtliche technischen Innovationen in der Diabetologie helfen aber auch den betreuenden &Auml;rzten, da mit einer strukturierten Datenanalyse die M&ouml;glichkeit besteht, sich rasch einen &Uuml;berblick &uuml;ber die laufende Therapie zu verschaffen. Die vorhandenen elektronischen Systeme geben Informationen &uuml;ber s&auml;mtliche relevanten Aspekte des Blutzuckerverlaufs, der Insulinabgabe und der Kohlehydrataufnahme, analysieren im Tagesverlauf jene Phasen, in denen geh&auml;uft Entgleisungen auftreten, und bieten sogar L&ouml;sungsvorschl&auml;ge an. <br />Der letzte Schritt in der Intensivierung der Therapie ist das &bdquo;predicted low glucose management&ldquo;. Dabei kann die Insulinpumpe schon vorausschauend mit einer Abschaltung der Insulinzufuhr reagieren, wenn durch den Sensor das Drohen einer Hypoglyk&auml;mie erkannt wird. Wird sp&auml;ter wieder ein Anstieg der Werte registriert, startet auch die Insulinabgabe wieder. <br />Die sensorunterst&uuml;tzte Therapie ist wahrscheinlich das aufwendigste und auch teuerste Verfahren unter allen zur Verf&uuml;gung stehenden Insulintherapien. Somit muss auch zu Beginn der SuP die Indikation genau evaluiert, die Erwartung der Patienten besprochen und ein exakter Behandlungsplan festgelegt werden. Gerade bei dieser Therapieform ist es durchaus gerechtfertigt, zu fordern, dass die Verordnung und die Betreuung der Patienten durch Spezialisten eines Diabeteszentrums vorgenommen werden. <br />Mit den zur Verf&uuml;gung stehenden Syste&shy;men ist die technologische Weiterentwicklung aber sicher noch nicht abgeschlossen. Die Entwicklung eines k&uuml;nstlichen Pankreas ist zwar noch weit entfernt, aber durchaus nicht mehr blo&szlig;e Utopie. Die technischen M&ouml;glichkeiten sind bereits so weit ausgereift, dass als n&auml;chster Entwicklungsschritt zumindest experimentell ein echtes &bdquo;Closed loop&ldquo;-System eingesetzt werden kann, doch f&uuml;r die breite Anwendung an unseren Patienten sind diese Systeme sicher noch l&auml;ngere Zeit nicht verf&uuml;gbar.<sup>5</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite7_3.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die zur Verf&uuml;gung stehenden Systeme der kontinuierlichen Glukosemessung bieten sowohl in der diagnostischen als auch in der therapeutischen Anwendung f&uuml;r Diabetiker, aber auch f&uuml;r die betreuenden &Auml;rzte eine gro&szlig;e Hilfestellung, um eine antidiabetische Therapie optimal umzusetzen. Die technische Ent&shy;wicklung ist weit fortgeschritten und bew&auml;hrt sich im Alltag bestens. Auf vielen Anwendungsgebieten besteht eine gute Evidenz, was die Verbesserung der Diabetestherapie betrifft. Eine besondere Bedeutung haben die Aufdeckung und Vermeidung von Hypoglyk&auml;mien, wobei hier der sensorunterst&uuml;tzten Insulinpumpentherapie die gr&ouml;&szlig;te Bedeutung zukommt. Das altbekannte gro&szlig;e Dilemma einer Insulintherapie &ndash; dass eine HbA<sub>1c</sub>-Wert-Senkung oft nur durch eine Steigerung der Hypoglyk&shy;&auml;mierate erreicht werden kann &ndash; kann somit erstmals gel&ouml;st werden.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Gehlaut RR et al: Hypoglycemia in Type 2 diabetes - more common than you think - a continuous glucose monitoring study. J Diabetes Sci Technol 2015; 9(5): 999-1005 <br /><strong>2</strong> Bergenstal RM et al: Effectiveness of sensor-augmented insulin-pump therapy in type 1 diabetes. N Engl J Med 2010; 363(4): 311-320 <br /><strong>3</strong> Battelino T et al: The use and efficacy of continuous glucose monitoring in type 1 diabetes treated with &shy;insulin pump therapy: a randomised controlled trial. &shy;Diabetologia 2012; 55(12): 3155-62 <br /><strong>4</strong> Sch&uuml;tz-Fuhrmann I et al: Kontinuierliche Glukosemessung (CGM - Continuous Glucose Monitoring) bei Diabetes mellitus. Wien Klin Wochenschrift 2016; 128 (Suppl 2): S184-S187 <br /><strong>5</strong> Moshe P et al: Nocturnal glucose control with an artificial pancreas at a diabetes camp. N Engl J Med 2013; 368: 824-833</p> </div> </p>
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