
©
Getty Images/iStockphoto
Von der kontinuierlichen Glukosemessung zur sensorunterstützten Insulinpumpentherapie
Jatros
Autor:
Dr. Stefan Ebner
Klinik für Interne 2 – Nephrologie, Endokrinologie/Diabetologie, Rheumatologie und Gastroenterologie/Hepatologie Kepler Universitätsklinikum, Linz<br> E-Mail: stefan.ebner@akh.linz.at<br> <a href="http://www.kepleruniklinikum.at" target="_blank">www.kepleruniklinikum.at</a>
30
Min. Lesezeit
07.07.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Wie in vielen Bereichen der Medizin hat auch in der Diabetologie längst die Technik Einzug gehalten. Zum einen wird die Insulinabgabe durch die Insulinpumpentechnik erleichtert, zum anderen gibt es mittlerweile zahlreiche Innovationen im Bereich der Messtechnik bzw. der Glukoseaufzeichnung. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Mit der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung gelingt im Gegensatz zur ­üblichen punktuellen Blutzuckermessung eine lückenlose Aufzeichnung der Glukose­werte im Tagesverlauf.</li> <li>Bei der diagnostischen Anwendung wird retrospektiv eine (meist) verblindete Messung über mehrere Tage analysiert, die anschließend dazu verwendet werden kann, die Therapie zu optimieren.</li> <li>Die therapeutische Anwendung ist eine „Real time“-Darstellung der aktuellen Gluko­sewerte, die der Patient unmittelbar auf seinem System sieht und die ihn somit bei Therapieentscheidungen unterstützt.</li> <li>Eine besondere Bedeutung hat die kontinuierliche Glukosemessung bei der Aufdeckung und Vermeidung von Hypoglykämien.</li> </ul> </div> <h2>Meilenstein: Blutzuckerselbstmessungen</h2> <p>Ein Meilenstein in der Diabetologie war sicherlich die Einführung der Blutzuckerselbstmessungen, die die Entwicklung der verschiedenen Formen von Insulintherapien mit dem Ziel einer möglichst physiologischen Gestaltung der Insulinsubstitution erst möglich machte. Durch die Blutzuckermessungen können mehr oder weniger übersichtliche Protokolle als Grund­lage für eventuell notwendige Therapieadaptierungen erstellt werden. Doch auch wenn Patienten häufig ihren Blutzucker kontrollieren, gibt es doch stets mehr oder weniger große Lücken zwischen den einzelnen punktuellen Messungen. Besonders der Blutzuckerverlauf über Nacht, aber auch frühmorgendliche oder postprandiale Anstiege werden oft übersehen (Abb. 1).</p> <p>Durch eine kontinuierliche Glukoseaufzeichnung (CGM, „continuous glucose monitoring“) besteht jedoch die Möglichkeit, diese Lücken zu schließen. Dabei wird mit sogenannten Glukosesensoren in kürzesten Abständen der Glukosegehalt im subkutanen Fettgewebe (Interstitium) gemessen. Die gemessenen Werte sind mittlerweile recht genau und entsprechen auch im Wesentlichen den im Blut gemessenen Werten, hinken diesen allerdings etwas nach. So beobachtet man bei rasch steigendem Blutzucker etwas niedrigere Sensorwerte, umgekehrt bei fallendem Blutzucker höhere Angaben durch den Sensor. Diese Zeitverzögerung ist allerdings auf eine Dauer von max. 20 Minuten limitiert. <br />Die Sensoren arbeiten nach zwei unterschiedlichen Analyseverfahren („enzyme-tipped“ Katheter, Mikrodialysesystem), wobei sich ein Trend in Richtung enzymatischer Messverfahren abzeichnet. Grob vereinfacht und ohne auf genaue technische Details näher einzugehen, kann der Mechanismus der kontinuierlichen Messung derart dargestellt werden, dass eine biochemische Reaktion an der Messelektrode des Sensors in elektronische Signale übersetzt wird. Diese werden dann auf eine Ableseeinheit übertragen, von wo sie direkt abgelesen oder weiterverarbeitet werden können. Auf die gewohnten Messungen aus dem Blut vollständig verzichten kann man jedoch nicht, da diese Werte zum Kalibrieren des subkutanen Messsystems erforderlich sind. Lediglich ein neues Messverfahren benötigt diese Kalibrierungen nicht und der aktuelle Glukosewert kann jederzeit gescannt werden. Trotzdem sollte bei extremen oder völlig unerwarteten Werten zur Plausibilitätsprüfung an eine kapilläre Blutzuckermessung gedacht werden. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite7_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Zwei Anwendungsbereiche der kontinuierlichen Glukosemessung</h2> <p>Bei der diagnostischen Anwendung wird über einen Zeitraum von bis zu acht Tagen meist verblindet der Verlauf der interstitiellen Glukosewerte aufgezeichnet und kann dann retrospektiv analysiert werden. Besonders gut eignet sich dieses Verfahren zur Überprüfung einer laufenden Therapie. Dadurch können mit den gängigen Mitteln nicht wahrgenommene Zuckerentgleisungen sehr übersichtlich dargestellt werden, in erster Linie zu Zeiten, an denen im Alltag kaum Blutzuckermessungen durchgeführt werden (nachts, frühe Morgenstunden, postprandial). Besondere Bedeutung hat hier auch die Aufdeckung von nicht registrierten Hypoglykämien. So konnte in einer rezenten Analyse der Daten von Typ-2-Diabetikern dargestellt werden, dass bei der Hälfte unter Therapie Unterzuckerungen auftraten, die von 75 % der Patienten gar nicht als solche erkannt wurden.<sup>1</sup> Die diagnostische Anwendung eignet sich aber auch ausgezeichnet, um Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen aufzudecken, als Argumentationshilfe für Therapieänderungen, z.B. Beginn einer (sensorunterstützten) Pumpentherapie (evtl. weil nächtliche Hypoglykämien oder frühmorgendliche Hyperglykämien festgestellt wurden), als Hilfestellung bei Modifikationen einer laufenden Therapie, in der Schwangerschaft bzw. in der präkonzeptionellen Zeit oder auch als pädagogisches Hilfsmittel, z.B. bei Patienten, bei denen eine Adhärenzproblematik vorliegt (Abb. 2). Diese Art der Anwendung ist in der täglichen Praxis relativ einfach umzusetzen, v.a. ohne größeren Schulungsaufwand für die Patienten, und rasch verfügbar. Die Kosten bewegen sich durchaus in einem überschaubaren Rahmen.</p> <p>Die zweite Möglichkeit, die kontinuierliche Glukosemessung einzusetzen, ist eine therapeutische Anwendung, was so viel bedeutet, dass Messung und Therapie gekoppelt werden. Es entsteht somit ein Regelkreis, der derzeit allerdings noch des aktiven Eingreifens der Patienten bedarf. Dabei unterstützen die unmittelbar gemessenen Glukosewerte Diabetiker in der Umsetzung ihrer Insulintherapie. Üblicherweise handelt es sich um eine Insulinpumpentherapie (sensorunterstützte Insulinpumpentherapie, SuP), was jedoch nicht zwangsläufig notwendig sein müsste – auch eine funktionelle Insulintherapie mit einem Pen profitiert von einer Sensorunterstützung. Die Patienten können durch die SuP Warnungen erhalten, wenn bestimmte festgelegte Grenzen über- oder unterschritten werden. Besondere Bedeutung haben Warnungen vor drohenden Unterzuckerungen, insbesondere beim Vorliegen von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen.</p> <p>Zusätzliche Sicherheit bietet hier auch die Möglichkeit der Abschaltung der Insulinpumpe bei Auftreten einer Hypoglykämie. Dies stellt auch die erste selbstständige Reaktion einer Pumpe im täglichen Gebrauch dar (Abb. 3). <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite7_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Nutzen in klinischen Studien ­nachgewiesen</h2> <p>Mittlerweile konnte in zahlreichen, auch an relativ großen Patientenkollektiven durchgeführten klinischen Studien der Nutzen der therapeutischen kontinuierlichen Glukosemessung bzw. der sensorunterstützten Therapie nachgewiesen werden. Exemplarisch dafür wird in der STAR-3-Studie, die an Kindern und Erwachsenen durchgeführt wur­de, eine deutliche Senkung der HbA1c-Werte unter SuP erreicht, wobei allerdings auffällt, dass bei den Kindern und Jugendlichen die anfänglich starke HbA<sub>1c</sub>-Senkung nach einigen Monaten wieder nachlässt.<sup>2</sup> Einen wesentlichen Praxisbezug zeigt die SWITCH-Studie, die multizentrisch bei Typ-1-Diabetikern durchgeführt wurde. Darin wurde eine bestehende Insulinpumpentherapie abwechselnd sechs Monate sensorunterstützt durchgeführt, sechs Monate nicht. Wiederum wurde eine HbA<sub>1c</sub>-Wert-Senkung erreicht, allerdings nur in den Phasen, in denen der Sensor verwendet wurde. Dies erklärt sich sicherlich auch dadurch, dass die Patienten in der Phase der Sensorunterstützung ihre Insulinpumpentherapie in­tensiver betrieben (häufigere Bolusabgaben, vermehrtes Anpassen der Basalrate, …).<sup>3</sup> Als wichtige Konsequenz für die Praxis kann man davon ableiten, dass Patienten von einer SuP nur dann wirklich profitieren, wenn der Sensor auch dauerhaft verwendet wird. Dies ist ein wichtiger Punkt, der berücksichtigt werden muss, bevor mit einer SuP begonnen wird. Aufgrund des großen Aufwandes und der hohen Kosten muss die Entscheidung für diese Therapieform ohnehin sehr genau geprüft werden. <br />Als besonders wichtiges Ergebnis zieht sich wie ein roter Faden quer durch alle Studien die Reduktion der Hypoglykämien, dies besonders in den Studien, bei denen Systeme mit Hypoglykämieabschaltung verwendet wurden. Mithilfe der SuP sind Patienten seltener und v.a. kürzer unterzuckert. Daraus leiten sich auch die Anwendungsgebiete für die sensorunterstützte Insulintherapie ab: schwere und/oder nächtliche Hypoglykämien, Hypoglykämiewahrnehmungs­störungen, moderate Hyperglykämien in speziellen Situationen (vorrangig Schwangerschaft), wenn unter CSII/FIT auch nach bestmöglicher Therapieintensivierung eine HbA<sub>1c</sub>-Wert-Senkung auf den für den Patienten individuell festgelegten Wert nicht möglich ist, bei Patienten, die mehr als 10-mal täglich den Blutzucker messen müssen, um ihr Therapieziel zu erreichen, sowie bei Kleinkindern.<sup>4</sup></p> <h2>Vorteil auch für behandelnde Ärzte</h2> <p>Sämtliche technischen Innovationen in der Diabetologie helfen aber auch den betreuenden Ärzten, da mit einer strukturierten Datenanalyse die Möglichkeit besteht, sich rasch einen Überblick über die laufende Therapie zu verschaffen. Die vorhandenen elektronischen Systeme geben Informationen über sämtliche relevanten Aspekte des Blutzuckerverlaufs, der Insulinabgabe und der Kohlehydrataufnahme, analysieren im Tagesverlauf jene Phasen, in denen gehäuft Entgleisungen auftreten, und bieten sogar Lösungsvorschläge an. <br />Der letzte Schritt in der Intensivierung der Therapie ist das „predicted low glucose management“. Dabei kann die Insulinpumpe schon vorausschauend mit einer Abschaltung der Insulinzufuhr reagieren, wenn durch den Sensor das Drohen einer Hypoglykämie erkannt wird. Wird später wieder ein Anstieg der Werte registriert, startet auch die Insulinabgabe wieder. <br />Die sensorunterstützte Therapie ist wahrscheinlich das aufwendigste und auch teuerste Verfahren unter allen zur Verfügung stehenden Insulintherapien. Somit muss auch zu Beginn der SuP die Indikation genau evaluiert, die Erwartung der Patienten besprochen und ein exakter Behandlungsplan festgelegt werden. Gerade bei dieser Therapieform ist es durchaus gerechtfertigt, zu fordern, dass die Verordnung und die Betreuung der Patienten durch Spezialisten eines Diabeteszentrums vorgenommen werden. <br />Mit den zur Verfügung stehenden Syste­men ist die technologische Weiterentwicklung aber sicher noch nicht abgeschlossen. Die Entwicklung eines künstlichen Pankreas ist zwar noch weit entfernt, aber durchaus nicht mehr bloße Utopie. Die technischen Möglichkeiten sind bereits so weit ausgereift, dass als nächster Entwicklungsschritt zumindest experimentell ein echtes „Closed loop“-System eingesetzt werden kann, doch für die breite Anwendung an unseren Patienten sind diese Systeme sicher noch längere Zeit nicht verfügbar.<sup>5</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite7_3.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die zur Verfügung stehenden Systeme der kontinuierlichen Glukosemessung bieten sowohl in der diagnostischen als auch in der therapeutischen Anwendung für Diabetiker, aber auch für die betreuenden Ärzte eine große Hilfestellung, um eine antidiabetische Therapie optimal umzusetzen. Die technische Ent­wicklung ist weit fortgeschritten und bewährt sich im Alltag bestens. Auf vielen Anwendungsgebieten besteht eine gute Evidenz, was die Verbesserung der Diabetestherapie betrifft. Eine besondere Bedeutung haben die Aufdeckung und Vermeidung von Hypoglykämien, wobei hier der sensorunterstützten Insulinpumpentherapie die größte Bedeutung zukommt. Das altbekannte große Dilemma einer Insulintherapie – dass eine HbA<sub>1c</sub>-Wert-Senkung oft nur durch eine Steigerung der Hypoglyk­ämierate erreicht werden kann – kann somit erstmals gelöst werden.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Gehlaut RR et al: Hypoglycemia in Type 2 diabetes - more common than you think - a continuous glucose monitoring study. J Diabetes Sci Technol 2015; 9(5): 999-1005 <br /><strong>2</strong> Bergenstal RM et al: Effectiveness of sensor-augmented insulin-pump therapy in type 1 diabetes. N Engl J Med 2010; 363(4): 311-320 <br /><strong>3</strong> Battelino T et al: The use and efficacy of continuous glucose monitoring in type 1 diabetes treated with ­insulin pump therapy: a randomised controlled trial. ­Diabetologia 2012; 55(12): 3155-62 <br /><strong>4</strong> Schütz-Fuhrmann I et al: Kontinuierliche Glukosemessung (CGM - Continuous Glucose Monitoring) bei Diabetes mellitus. Wien Klin Wochenschrift 2016; 128 (Suppl 2): S184-S187 <br /><strong>5</strong> Moshe P et al: Nocturnal glucose control with an artificial pancreas at a diabetes camp. N Engl J Med 2013; 368: 824-833</p>
</div>
</p>