
Translationale Forschung und personalisierte Therapie immer wichtiger
Schwerpunkte der wissenschaftlichen Tätigkeit der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien sind pathophysiologische Studien, die metabolische Untersuchungen wie Glukosetoleranz- und Clamp-Tests mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanz-Spektroskopie (MRS) verbinden. Die Erkenntnisse daraus werden zunehmend in klinische Studien zu neuen Medikamenten und Patienten mit seltenen Krankheiten eingebracht.
Ihre Arbeitsgruppe forscht an endokrinen Krankheiten. Welches sind die Schwerpunkte im Bereich Diabetes?
Y. Winhofer-Stöckl: Wir erforschen in erster Linie die ektope Lipidakkumulation, also die Ansammlung von Lipiden abseits des Fettgewebes. Dazu gehören zum Beispiel die Fettleber und die kardiale Steatose („Herzverfettung“). Diese Ansammlung ektoper Lipide stellen wir mithilfe der nicht invasiven Magnetresonanzspektroskopie (MRS) dar. Hier machen wir auch Querschnittsstudien mit Diabetespatienten und gesunden Kontrollkollektiven sowie pathophysiologische Studien, bei denen wir z.B. Auswirkungen der Hyper- und der Hypoglykämie auf die ektope Fettspeicherung untersuchen.
Es wird immer deutlicher, dass es bei vielen Krankheiten Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Pathophysiologie und daher auch der Therapie gibt. Wie weit ist die Diabetesforschung an der MedUni Wien auf diesem Gebiet?
Y. Winhofer-Stöckl: Es ist tatsächlich so, dass immer mehr auf geschlechtsspezifische Unterschiede geachtet wird. So werden in alle Studien immer mehr Frauen eingeschlossen. Bei pathophysiologischen Studien endokriner Krankheiten stellt dies eine gewisse Herausforderung dar, da die Untersuchungen abhängig vom weiblichen Zyklus durchgeführt werden müssen, nämlich zwischen dem 3. und 10. Zyklustag, da Frauen nach dem Eisprung insulinresistenter werden und die Ergebnisse nicht mehr vergleichbar sind.
Solche Geschlechtsunterschiede spielen auch für die sogenannte personalisierte Medizin eine Rolle. Wie wichtig ist eine personalisierte Medizin beim Diabetes?
Y. Winhofer-Stöckl: Die personalisierte Medizin wird in der Diabetestherapie immer wichtiger. Wir haben inzwischen neben den klassischen oralen Antidiabetika Metformin und Sulfonylharnstoffe eine Vielzahl an Medikamenten, die auf unterschiedliche Weise wirken, zum Beispiel indem sie die Insulinfreisetzung in der Bauchspeicheldrüse fördern, wie Glinide, Gliptine oder Inkretinanaloga. Insulinsensitizer wie das Pioglitazon steigern die Insulinempfindlichkeit der Gewebe. Einige dieser Medikamente haben sehr positive kardiovaskuläre Effekte (SGLT-2-Hemmer, Liraglutid), die berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus gibt es die verschiedenen Möglichkeiten der Insulintherapie, beispielsweise die intensivierte Therapie oder die Insulinpumpe sowie Kombinationen aus Insulin und oralen Antidiabetika. Es ist daher wichtig, für jeden Patienten individuell die passende Therapie zu finden.
Gestationsdiabetes ist ebenfalls eins Ihrer Forschungsgebiete. Welche neuen Erkenntnisse gibt es hier?
Y. Winhofer-Stöckl: Was seit einiger Zeit auffällt, ist, dass Diabetes in der Schwangerschaft immer früher auftritt. Eine Ursache dafür ist, dass die Frauen im gebärfähigen Alter immer öfter an Übergewicht leiden. Wir untersuchen einerseits, welche Auswirkungen das Übergewicht und der frühe Ausbruch von Diabetes in der Schwangerschaft auf Mutter und Kind haben. Andererseits möchten wir das Bewusstsein dafür schaffen, dass übergewichtige Schwangere als Risikogruppe für Diabetes erkannt werden müssen. Hier sind vor allem die niedergelassenen Frauenärzte, aber auch die Hausärzte wichtig, denn sie sind die ersten Ansprechpartner der Frauen. Es wäre sehr hilfreich, wenn sie immer eine Risikoanalyse machen und dann mithilfe eines einfachen Tests auf einen möglichen Diabetes untersuchen würden, um frühzeitig therapieren zu können.
Die Zeiten, wo jeder für sich geforscht hat, sind lange vorbei. Wie sind Sie international vernetzt? Woran haben Sie zuletzt geforscht?
Y. Winhofer-Stöckl: Wir nehmen an internationalen Studien teil. Zumeist sind es von der Industrie unterstützte multizentrische Studien. Zuletzt haben wir an einer Studie zur ektopen Lipidakkumulation teilgenommen. Da sie aber noch nicht publiziert ist, kann ich dazu keine Details nennen.
Haben Sie aktuell Studien aufgelegt? Wenn ja, zu welchen Themen?
Y. Winhofer-Stöckl: Im Augenblick laufen bei uns drei Studien. Eine große befasst sich mit der ektopen Lipidakkumulation bei Patienten mit Akromegalie. Die Akromegalie dient als Modell für endokrine Erkrankungen und die Patienten haben zudem ein erhöhtes Risiko, an Diabetes zu erkranken.
Außerdem untersuchen wir die Gewichtsentwicklung bei Typ-1-Diabetikern. Dazu kann ich derzeit nur sagen, dass die alte Lehrmeinung, wonach Typ-1-Diabetiker schlank und insulinsensitiv sind, heute nicht mehr stimmt. Sie sind aufgrund des modernen Lebensstils mit wenig Bewegung und oft ungesunder Ernährung ebenso von Übergewicht betroffen wie andere Menschen. So kann es sein, dass zu einem Typ-1- ein Typ-2-Diabetes hinzukommt. Man spricht dabei auch von „double diabetes“. Hier müssen wir nach neuen Krankheitsdefinitionen suchen, denn die Hyperglykämie einerseits und die Insulinresistenz auf der anderen Seite sind bei diesen Patienten nicht mehr zur Definition ihrer Krankheit geeignet.
Eine weitere Studie untersucht das Auftreten von Diabetes bei Patienten mit zystischer Fibrose. Dazu untersuchen wir die Patienten jährlich mittels Glukosetoleranztests. Das ist sehr spannend, denn Diabetes stellt die häufigste nicht pulmonale Komplikation dieser Krankheit dar. Bekannt ist, dass Diabetes die Lungenfunktion deutlich verschlechtert, weshalb es wichtig ist, ihn frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Ein anderer Aspekt dieser Studie ist, dass wir Daten von erwachsenen Patienten mit zystischer Fibrose sammeln möchten. Lange Zeit waren diese Patienten aufgrund der kurzen Lebenserwartung nur pädiatrisch betreut und deshalb gibt es vorwiegend Daten aus dem pädiatrischen Kollektiv. Aufgrund der deutlich (!) gestiegenen Lebenserwartung – man geht derzeit von einem Lebensalter über 65 Jahre aus – brauchen wir dringend Daten aus dem Erwachsenenkollektiv, bei dem wir annehmen, dass internistische Erkrankungen dazukommen.
Benötigen Sie für diese Studien noch Zuweisungen?
Y. Winhofer-Stöckl: Wir sind grundsätzlich auf die Zuweisung geeigneter Studienteilnehmer durch die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen angewiesen und freuen uns über jeden Patienten, der an unseren Studien teilnimmt.
In die Studie mit Akromegaliepatienten nehmen wir Patienten mit neu diagnostizierter Akromegalie oder jene vor Therapieumstellung auf.
An der zweiten Studie können Patienten mit zystischer Fibrose ohne bekannten Diabetes mellitus teilnehmen, die den jährlich empfohlenen oralen Glukosetoleranztest (OGTT) im Rahmen unserer Studie machen möchten.
Und für die dritte Studie suchen wir Patienten mit Typ-1-Diabetes, die an einer prospektiven Langzeitstudie teilnehmen möchten.
Wo liegen die Herausforderungen im Bereich Diabetesforschung speziell an der MedUni Wien?
Y. Winhofer-Stöckl: Die Herausforderung ist, dass wir eine Spezialambulanz sind. Wir sehen die Patienten in der Regel erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Hier würde ich mir eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten wünschen.
Was wünschen Sie sich außerdem für die Zukunft?
Y. Winhofer-Stöckl: Ich würde mir eine engere nationale Zusammenarbeit der einzelnen Zentren wünschen. Derzeit werden Daten und Informationen von verschiedenen Institutionen und Forschungszentren in Österreich gesammelt. Es mangelt aber an der Vernetzung und gemeinsamen Analyse dieser Daten. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft hat daher einen Ausschuss gegründet, der die nationale Zusammenarbeit fördern soll. So könnten wir schneller größere Studien auflegen und Ergebnisse erzielen, die auf die Situation der Patienten in unserem Land abgestimmt sind. Dies käme den Betroffenen zugute, deren Behandlung weiter verbessert werden könnte.
Darüber hinaus ist es wichtig, junge Wissenschaftler für die Diabetesforschung zu gewinnen. Als geeignete Maßnahme dazu könnte ich mir vorstellen, dass wir die universitäre Medizin wieder interessanter machen. Den jungen Kolleginnen und Kollegen ist es sehr wichtig, dass sie sich in ihrem Arbeitsumfeld wohlfühlen und eine langfristige Perspektive haben.
Ganz persönlich würde ich mir etwas Entlastung bei den bürokratischen Prozessen wünschen, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, aber das geht jedem so, der in der Forschung arbeitet.
Auf einen Blick
Studienteilnehmer gesucht:
- Patienten mit neu diagnostizierter Akromegalie oder Patienten vor Therapieumstellung
- Patienten mit zystischer Fibrose ohne bekannten Diabetes mellitus, die den jährlichen OGTT im Rahmen einer Studie machen möchten
- Patienten mit Typ-1-Diabetes, die an einer prospektiven Langzeitstudie teilnehmen möchten
- Gesunde Kontrollpersonen zwischen 18 und 60 Jahren
Kontakt für Zuweiser
Informationen über die aktuellen Studien geben:
Prof. Yvonne Winhofer-Stöckl
E-Mail: yvonne.winhofer@meduniwien.ac.at
oder die Studienambulanz
Tel.: 01/40400/20690
Frau Prof. Winhofer, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Corina Ringsell
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