
Therapie der diabetischen Polyneuropathie
Autorin:
Prim. Dr. Claudia Francesconi
SKA – Rehabilitationszentrum Alland
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
„Die Behandlung einer progredienten, nicht kausal therapierbaren Erkrankung nennt man Palliativtherapie. In gewisser Weise trifft das auch auf die Polyneuropathie diabetischen Ursprungs(dPNP) zu.“
Keypoints
-
Das DFS resultiert oft aus nicht erkannten dPNP, wobei der Zeitpunkt des Auftretens bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes variieren kann.
-
Die dPNP kann derzeit medikamentös nicht kausal beeinflusst werden.
-
Die häufigste Form der dPNP ist die periphere sensomotorische distale Neuropathie.
-
Das DFS ist die häufigste Ursache für atraumatische Amputationen – eine frühzeitige Diagnose kann die Progression verzögern.
-
Die transkutane elektrische Nervenstimulation und Hochtontherapie zeigen positive Effekte bezüglich Progression des DFS – neben dem hohen Stellenwert von Schulungen.
Dieser zugegebenermaßen provokante Satz bildete die Einleitung zu meinem Vortrag bei der ÖDG-Jahrestagung zu obigem Thema, er soll aber nicht Resignation hervorrufen, sondern die Aufforderung zu frühzeitiger Diagnose und raschem Einsetzen einer sinnvollen Behandlungsstrategie sein. Denn auch wenn es derzeit nicht möglich ist, diese Komorbidität des Diabetes zu heilen, so kann der Verlauf sehr wohl positiv beeinflusst und das Entstehen des diabetischen Fußsyndroms, welches oft das Resultat einer nicht erkannten und entsprechend behandelten dPNP ist, verhindert werden.
Bei der dPNP handelt es sich um eine häufige Komplikation des Diabetes. Rund 30% aller Diabetiker sind betroffen – je länger die Erkrankungsdauer, desto höher der Prozentsatz, wobei der Zeitpunkt des Auftretens zwischen den Diabetestypen variiert. Bei Typ-2-Diabetes ist nicht selten eine dPNP („small fiber axonal degeneration“) bereits im Vorlauf der Erkrankung vorhanden und führt sogar oft erst, wenn sie symptomatisch ist, zur Diagnose der dPNP. Ihre Entstehung ist eng an die metabolischen Veränderungen im Sinne einer Insulinresistenz und entsprechender Stoffwechselveränderungen gebunden.
Bei Typ-1-Diabetes tritt eine dPNP (axonale Degeneration) selten vor einer Laufzeit von 7–15 Jahren auf. Sie wird hauptsächlich durch die Glykämie getriggert.
Die hinter einer dPNP stehende Pathophysiologie ist vielfältig und es gibt eine Reihe von Erklärungsmodellen, die alle eines gemein haben: Derzeit ist die dPNP medikamentös nicht kausal beeinflussbar (Abb.1).
Weitere Polyneuropathieformen
Zusätzlich gibt es natürlich auch Mischformen mit Neuropathien anderer Genese (Alkohol, „LymeDisease“, Schilddrüsenerkrankungen, Amyloidosen, Infektionserkrankungen etc.). Die wichtigsten Formen der dPNP sind:
-
symmetrische, distal betonte sensomotorische Polyneuropathien
-
proximal asymmetrische Polyneuropathien/Mononeuropathien (mit eher guter Rückbildungstendenz)
-
Mononeuritis (von Hirnnerven bzw. thorakale Syndrome)
-
autonome Neuropathien
Diabetisches Fußsyndrom
Die häufigste und damit auch therapeutisch relevanteste Form ist die periphere sensomotorische distale Neuropathie. Sie ist in zumindest 50% der Fälle asymptomatisch und damit der Wegbereiter des diabetischen Fußsyndroms (DFS), wohl auch weil häufig von einer pAVK (peripheren arteriellen Verschlusskrankheit) begleitet. Das DFS wiederum ist die häufigste Ursache für atraumatische Amputationen.
Im Kern handelt es sich bei der dPNP um eine degenerative Erkrankung der Mitochondrien und im weiteren Verlauf um eine axonale Degeneration oft bei gleichzeitig bestehender Sklerose der Vasa nervorum.
Bei den Symptomen handelt es sich zumeist um Par- oder Dysästhesien bis hin zu Schmerzen, die symmetrisch, socken- oder strumpfhosenförmig und, als wichtigstes Kennzeichen, vor allem in Ruhe auftreten. Zu Defiziten, die den vorhandenen und den malignen Verlauf in Richtung Fußsyndrom vorantreiben, gehören vordergründig der Verlust von Schmerzen, Temperaturdiskriminanz und der Verlust der Vibrationsempfindung. Eine frühzeitige Beteiligung der motorischen Fasern führt zusätzlich zu pathologischen Abrollmustern und der Bildung von Druckstellen. Ein wesentlicher Schritt bei der Diagnostik ist der Ausschluss anderer Formen der PN, da diese oftmals kausal therapiert und geheilt werden können. Ausschlusskriterien hierfür sind:
-
hauptsächlich motorische Ausprägung
-
rasche Progredienz
-
Auftreten trotz guter Stoffwechseleinstellung
-
ausschließlich obere Extremität betroffen
-
keine sonstigen diabetischen Spätschäden
-
positive Familienanamnese für PN
Generell ist eine frühzeitige Diagnostik essenziell für eine verzögerte Progression bzw. einen milden Verlauf (Abb.2).
Therapeutische Maßnahmen mit positivem Effekt auf die PN
Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei Typ-2-Diabetes ist nicht nur die von Beginn an möglichst optimale Blutzuckereinstellung, sondern auch die optimale Therapie des Blutdrucks und sämtlicher Parameter, die die Insulinresistenz negativ beeinflussen. Hierzu zählen Nikotinabusus, großer Bauchumfang, Bewegungsmangel, Lipidparameter u.v.m. Bei Typ-1-Diabetes ist es von Beginn an die Glukosevariabilität, die so gut wie möglich eingeschränkt werden muss, dafür bieten sich unabhängig von dem sonstigen Behandlungsregime CGM-Systeme an.
Die medikamentöse Therapie ist, vielleicht mit Ausnahme der Alpha-Liponsäure, symptomatisch orientiert und beeinflusst weder Verlauf noch Schweregrad der dPNP (Tab.1). Daher sollte sie nur bzw. erst zum Einsatz kommen, wenn ein entsprechendes Beschwerdebild vorliegt, da die meisten zur Verfügung stehenden Medikamente Vigilanz beeinträchtigende Nebenwirkungen aufweisen. Der frühzeitige Einsatz von TENS (transkutaner elektrischer Nervenstimulation) bzw. Hochtontherapie hingegen ist zu empfehlen, weil sie frei von unerwünschten Nebenwirkungen und zudem mit positivem Effekt zumindest auf die Progression assoziiert sind.
Einen hohen Stellenwert vor allem in Bezug auf die Entwicklung des DFS haben Schulungen und damit einhergehende Verhaltensänderungen der Betroffenen. Die Inhalte dieser Schulungen betreffen vor allem die Pflege der Füße, Fußbäder, Nagel- und Hornhautbehandlung, Fußinspektion und Schuhwerk. Sobald eine dPNP bekannt ist, sollten diese Maßnahmen sowie auch entsprechende „No-Gos“, wie Barfußgehen, mit dem Patienten besprochen und regelmäßig zum Thema gemacht werden. Frühzeitige Zuweisung zum orthopädischen Schuhmacher, das Erstellen von Ganganalysen, Pedobarografie – dynamisch oder statisch – und entsprechende Einlagen- und/oder Schuhversorgung entscheiden über den Verlauf bzw. das Ausmaß der Auswirkungen einer dPNP.
Autonome Neuropathie
Die zweite, relativ häufig auftretende Form der dPNP ist die autonome Neuropathie (AN). Sie stellt eine Kombination aus multiplen Organmanifestationen bei Beteiligung des autonomen Nervensystems im Rahmen einer dPNP dar. Die Symptomatik reicht von kardialen Rhythmusstörungen über Magenentleerungsstörung, Darm- und/oder Blasenmotilitätsstörungen bis hin zur erektilen Dysfunktion. In vielen Fällen stellt sie eine Ausschlussdiagnose dar und immer ist die Therapie ausschließlich symptomatisch. Eine wichtige Variante der AN ist die sudomotorische Fehlfunktion im Bereich der unteren Extremitäten, welche durch negative Beeinflussung der natürlichen Hautbarriere einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung des DFS leistet und außerdem eine häufig zusätzlich bestehende pAVK tarnt.
Regelmäßige Fußuntersuchung
Es ist daher wichtig, egal um welche Form des Diabetes es sich handelt, ein Neuropathiescreening durchzuführen, bei entsprechend pathologischen klinischen Ergebnissen (Monofilament, C128-Stimmgabel, Thermotine, Reflexe) die Nervenleitgeschwindigkeit zu prüfen und den Patienten aufzuklären. Obligat im Rahmen einer guten Diabetesbetreuung sollten Stoffwechseloptimierung, Lebensstilmodifikation, Rauchstopp, Schulungen des Patienten im Umgang mit seinen Füßen und bei symptomatischer Erkrankung und auch ein frühzeitiger Beginn einer entsprechenden Therapie sein, um den oft großen Leidensdruck und daraus resultierende psychische Folgen zu mildern. Die Kontrolle der Füße muss in regelmäßigen Abständen je nach bestehender dPNP, Symptomatik, Beschwerden bzw. Verletzungen erfolgen:
-
1x jährlich, wenn keine dPNP vorliegt
-
alle 6 Monate bei symptomloser dPNP oder Fußproblematik
-
alle 3 Monate bei bereits entsprechendem Beschwerdebild
-
immer sofort, wenn eine Verschlechterung, Verletzung etc. auftritt
Jede noch so kleine Wunde sollte bei vorhandener dPNP sofort einer professionellen Begutachtung und Behandlung zugeführt werden.
Zusammenfassung
Praxistipp
Ein Neuropathiescreening ist bei jeder Form des Diabetes mellitus wichtig und Fußuntersuchungen sollten regelmäßig erfolgen.Die dPNP ist eine häufige und nach wie vor unterschätzte Komplikation des Diabetes. Sie hat viele Facetten und variiert in Zeitpunkt und Schweregrad ihres Auftretens. Sie hat großen Einfluss auf Lebensqualität und Mortalität und wird dennoch häufig bagatellisiert und auch ignoriert. Die aktuell zur Verfügung stehende medikamentöse Therapie ist nahezu ausnahmslos symptomatisch. Da 50% der Betroffenen keine Beschwerden haben, ist es wichtig, aktiv nach dieser Erkrankung zu suchen, da die Morbidität und Mortalität nahezu ausschließlich mit den neurologischen Defiziten und nicht mit der Symptomatik korrelieren. Frühzeitige Diagnose und Bewusstseinsförderung beim Patienten kann die Entstehung des DFS verhindern und damit Amputationen, Behinderung u.v.m. vermeiden.
Literatur:
bei der Verfasserin