
Strukturierte Diabetesbetreuung – was sagt die Evidenz?
Autor:innen:
Univ.-Prof. Dr. Susanne Kaser1
Univ.-Prof. Dr. Harald Sourij2
1 Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Innsbruck
2 Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz
E-Mail: susanne.kaser@i-med.ac.at
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Der folgende Artikel gibt einen Überblick über Herausforderungen und die Qualität der Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes (T2D) in Österreich und beleuchtet die Effizienz von Disease-Management-Programmen und anderen Versorgungssystemen.
Keypoints
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Das Erstmanifestationsalter bei T2D liegt zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr.
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Versorgungsstufenübergreifende und vernetzte leitliniengerechte Behandlung ist ein zentraler Bestandteil des DMP für T2D.
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Evaluierung zeigt verminderte Mortalität und Kosten bei Einschluss von Patient:innen in das DMP „Therapie Aktiv“.
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Es liegen deutliche positive Evidenzen der Effekte von DMP vor.
In Österreich leben laut einem Bericht der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) aus dem Jahr 2023 zwischen 728000 und 880000 Menschen mit der Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 (T2D),Tendenz weiter stark steigend.1 Das Rahmenkonzept der integrierten Versorgung bei T2D sieht eine versorgungsstufenübergreifende und vernetzte leitliniengerechte Behandlung von Betroffenen vor. Das Disease-Management-Programm (DMP) „Therapie Aktiv“ soll dabei niedergelassene Kolleg:innen bei der aufwendigen und fordernden Betreuung von Menschen mit T2D unterstützen.
Herausforderung in der Betreuung von Menschen mit Typ-2-Diabetes?
Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Österreich kein nationales Diabetesregister, sodass auf Prävalenz, Charakteristika, Therapieformen und Komorbiditäten nur geschätzt oder aus vorhandenen Daten (z.B. LEICON) indirekt rückgeschlossen werden kann. Dies war der Grund, eine nationale Erhebung in Form der AUSTRO-PROFIT-Studie durchzuführen, in der klinische Charakteristika von Menschen mit T2Dund die entsprechenden Therapieformen im niedergelassenen (großteils allgemeinmedizinischen) Bereich analysiert werden sollten.2 Kurz zusammengefasst zeigten sich ein durchschnittliches Erstmanifestationsalter zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr, ein leicht erhöhtes Risiko bei Männern im Vergleich zu Frauen, eine hohe Rate an Komorbiditäten und eine entsprechende Polypharmazie.
Alarmierend, aber durchaus im internationalen Vergleich liegend, zeigte sich, dass nur 13,2% aller untersuchten Patient:innen alle Therapieziele (HbA1c, Blutdruck, LDL-C-Zielwert) erreichten. Dies unterstreicht die große Herausforderung einer optimalen und effizienten Versorgung Betroffener.
Disease-Management-Programm – aktueller Stand
Das DMP „Therapie Aktiv“ steht als unterstützende Maßnahme zur Betreuung von Menschen mit Diabetes im extramuralen Bereich seit vielen Jahren zur Verfügung. LautDatenstand vom 1.3.2025 betreuen rund 2200 Ärzt:innen etwa 130000 Menschen in diesem Programm. Dies entspricht etwa 15–18% aller geschätzten Erkrankten in Österreich.
Im Vergleich dazu werden in Deutschland 4,5 Millionen von 8,7 Millionen in einem DMP betreut (Quelle: Bundesamt für Soziale Sicherung Deutschland; Stand: 1.4.2025). Laut der aktuellen Aussendung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) vom 25.3.2025 zeigen Studien Rückgänge bei der Zahl von Amputationen um 58%, der von Erblindungen um 64% und bei der Dialysepflicht um 36% seit Einführung des DMP.
Therapie Aktiv – was sagt die Evidenz?
Der Effekt von „Therapie Aktiv“ wurde 2022 von Riedl et al. mittels „Propensity score matching“-Analyse überprüft.3Dafür wurden pro im DMP eingeschlossenem Patienten/eingeschlossener Patientin drei nicht im DMP therapierte Patient:innen vergleichend analysiert. Die Gruppen wurden hinsichtlich der klinischen Charakteristika, der regionalen Zugehörigkeit, der antidiabetischen Therapie und der Hospitalisierungen als Ausdruck der Morbidität aufwendig gematcht. Es zeigten sich folgende eindrucksvolle Resultate:
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Die Mortalität von Patient:innen, die im DMP betreut werden, ist um 30% geringer als die von jenen, die nicht eingeschlossen wurden (Tab.1).3
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Die Gesamtbehandlungskosten waren in der DMP-Gruppe um 1069 Euro geringer, ein Großteil erklärbar durch eine Reduktion an Spitalskosten.
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Die Untersuchungshäufigkeit war bei DMP-Patient:innen signifikant höher (Abb.1).3
Tab. 1: Frühphase des Programms: patientenrelevante Endpunkte und wirtschaftliche Auswirkungen nach 8 Jahren Nachbeobachtung (nach Riedl R et al. 2022)3
Abb. 1: Versorgungsqualitätsparameter für die DMP-Gruppe und die Kontrollgruppe von 2012 bis 2017 (nach Riedl R et al. 2022)3
Andere internationale Versorgungsmodelle
International erfolgt die Diabetesbetreuung häufig in spezialisierten Zentren oder Ambulatorien, vergleichbar mit dem Diabeteszentrum Wienerberg, Wien, das als dislozierte Ambulanz und unter Leitung der Klinik Landstraße, Wien, geführt wird. Wissenschaftlich untersucht wurden unter anderem Diabeteszentren in Ontario und Hongkong.4 In Ontarioerfolgt die Überweisung aus dem niedergelassenen Bereich, eine Selbstzuweisung durch Patient:innen ist nicht möglich. Etwa jeder/jede 5.Patient:in wird innerhalb von 6 Monaten nach Erstdiagnose ins Zentrum zugewiesen. In einem multidisziplinären Team werden verschiedene Schulungsformen angeboten.
Die Autoren kamen bei der Evaluation der Zentren in Ontario und Hongkong zum Schluss, dass unter anderem folgende Punkte für eine optimale Betreuung notwendig sind:
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eine multidisziplinäre Betreuung beginnend sofort bei Diagnosestellung in Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen
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Aufnahme in ein Register und Miteinbeziehung von Spezialist:innen
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strukturierte und evidenzbasierte Betreuung
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Sicherstellung einer Spezialisierung bzw. einer erkrankungsspezifischen Fortbildung und Ausbildung
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass überzeugende Evidenz für eine strukturierte Betreuung von Patient:innen mit T2D besteht.
Patient:innen, die im Rahmen von „Therapie Aktiv“betreut werden, weisen eine niedrigere Mortalität und geringere Kosten auf, insofern ist ein Ausbau bzw. eine höhere Beteiligungsrate amDisease-Management-Programm nicht nur dringlich notwendig, sondern auch unverzichtbar. Die Herausforderungen in der Behandlung von Menschen mit Diabetes liegen nicht nur in der Komplexität der Erkrankung und der zahlreichen Komorbiditäten, sondern auch in der Notwendigkeit von Patient:innenschulungen, die optimalerweise in Zusammenarbeit mit multidisziplinären Teams in Diabeteszentren oder anderen lokal vorgegebenen Strukturen durchgeführt werden können.
Literatur:
1 Fröschl B et al.: Interdisziplinäre und multiprofessionelle Versorgung bei Diabetes mellitus Typ 2. https://emedien.arbeiterkammer.at/viewer/fulltext/AC17086200/41 ; zuletzt aufgerufen am 15.5.2025 2 Sourij H et al.: Metabolic risk factor targets in relation to clinical characteristics and comorbidities among individuals with type 2 diabetes treated in primary care – the countrywide cross-sectional AUSTRO-PROFIT study. Diabetes Obes Metab 2025; 27(1): 111-22 3 Riedl R et al.: Disease management program in patients with type 2 diabetes mellitus, long-term results of the early and established program cohort: a population-based retrospective cohort study. PLoS One 2022; 17(12): e0279090 4 Ke C et al.: Team-based diabetes care in Ontario and Hong Kong: a comparative review. Curr Diab Rep 2023; 23(7): 135-46
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