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Starthilfe ins Erwachsenenleben mit Typ-1-Diabetes
Jatros
30
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14.09.2017
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<p class="article-intro">In der Reihe „persönlich gefragt“ kommen in JATROS Diabetologie & Endokrinologie Menschen zu Wort, die mit persönlichem Engagement besondere Projekte für Patienten mit Diabetes vorantreiben. Dieses Mal sprachen wir mit Prim. Dr. Claudia Francesconi über die Initiative „Fit for Life“ am Rehabilitationszentrum Alland, mit der jungen Menschen mit Typ-1-Diabetes der Start ins Erwachsenenleben erleichtert werden soll.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Sehr geehrte Frau Primaria Francesconi, in Alland gibt es seit dem Vorjahr die Initiative „Fit for Life“. Worum geht es bei diesem Projekt?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> „Fit for Life“ ist ein Programm, in dem Jugendliche und junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes auf die besonderen Herausforderungen vorbereitet werden sollen, die sich durch die Erkrankung mit der Pubertät und dem Übergang ins Erwachsenenalter ergeben. Dabei geht es darum, im Laufe eines dreiwöchigen Aufenthaltes lebensrelevante, über die klassische Diabetesschulung hinausgehende Kompetenzen zu erwerben und gleichzeitig zu erfahren, dass man mit seinen Herausforderungen, Ängsten und Problemen nicht alleine ist. Daher ist neben der Wissensvermittlung die Entwicklung eines Gruppengefühls ein primäres Anliegen dieses Projektes.</p> <p><strong>Wie ist es zu der Idee zu „Fit for Life“ gekommen?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Das ist gar nicht so leicht zu erklären. Treibend war eigentlich das Wissen, dass es für Jugendliche und Kinder mit Typ-1-Diabetes keine wirkliche Möglichkeit der Rehabilitation in Österreich gibt – nach wie vor nicht, obwohl eigentlich politisch zugesagt. Daraus ergibt sich der Umstand, dass zwar viele dieser Jugendlichen und ihre Familien schlecht und recht mit ihrer Erkrankung zurande kommen – manche besser als andere –, aber dass es keine Möglichkeit gibt, viele für dieses Alter wichtige Themen in aller Zeit und Ruhe anzusprechen. Daher wollten wir eine Situation anbieten, in der genau dies möglich ist – und zwar mit Gleichaltrigen vor dem Wissenshintergrund einer Betreuungsorganisation.</p> <p><strong>Was sind die großen Herausforderungen für Jugendliche mit Typ-1-Diabetes, die in dem Programm aufgegriffen werden?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Ich glaube, dass die Anforderungen für Jugendliche mit Typ- 1-Diabetes – mehr noch als bei Kindern, die noch durch die Familie besonders geschützt sind – wirklich unterschätzt werden. Mit der Pubertät und dem jungen Erwachsenenalter stehen für den jungen Menschen wesentliche Orientierungsund Entscheidungsprozesse an: die Integration von sportlichen Aktivitäten in den Alltag, der Umgang mit Sexualität, Schwangerschaft und Familiengründung oder die Berufswahl. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dem Führerschein werden in diesem Alter relevant. Von besonderer Bedeutung sind sicher auch soziale Aspekte wie der Umgang mit Alkohol oder situationsbedingte besondere Essenssituationen. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist aber auch, dass viele der Jugendlichen beim Übergang von der Kinderklinik zur Erwachsenenbetreuung quasi „verloren gehen“.</p> <p><strong>Wie läuft so ein Turnus konkret ab?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Die Jugendlichen kommen für drei Wochen zu uns. Wir haben zunächst unsere üblichen Basis- Bolus/Pumpen-Schulungen, die wir anbieten und die sich nach den Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft richten. Die angesprochenen speziellen Themen wie Sexualität, Schwangerschaft, Führerschein, Berufswahl oder der Umgang mit Alkohol werden von externen Referenten bestritten. Diese Seminare finden meistens abends zwischen 19 und 20 Uhr statt. Dabei wird darauf geachtet, dass die einzelnen Themen sehr „nahe am Leben“ dargestellt werden und konkrete Strategien für den Umgang mit den jeweiligen Situationen vermittelt und erarbeitet werden. Beispielsweise veranstalten wir heuer auch ein Buffet nach dem Motto „All you can eat“, wie es auf jedem Kreuzfahrtschiff oder in jedem Ferienclub vorzufinden ist. Das Sport- und Spielprogramm wird von einem unserer Sportwissenschaftler gestaltet, der eigens für die Jugendlichen abgestellt ist. Darüber hinaus gibt es noch ganz besondere Highlights: Voriges Jahr war der Kabarettist Bernhard Ludwig zu Gast. Heuer wird der Rapper „Madcap“ zu uns kommen und mit den Jugendlichen einen Rap-Song kreieren, in den lustige und traurige Gedanken zum Thema Typ- 1-Diabetes vonseiten der Teilnehmer eingearbeitet werden. „Madcap“ gibt dann auch noch ein Konzert bei uns.</p> <p><strong>Wer kann an dem Turnus teilnehmen?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Die Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes im Alter von 16 bis 25 Jahren. Es gibt zwei Turnusse pro Jahr mit 20 bis 25 Teilnehmern. Wir stehen über einen E-Mail-Verteiler mit den Kinderkliniken der Ostregion in Verbindung, von wo auch der Großteil der Zuweisungen erfolgt. So versuchen wir, Wien, Niederösterreich, Burgenland, Teile Oberösterreichs und phasenweise auch die Steiermark abzudecken. Wir laden im Rahmen des Turnus auch Diabetesberater und Diabetologen aus der Erwachsenenbetreuung zu einem „Meet and greet“ ein, bei dem die Jugendlichen in zwangloser Atmosphäre mit ihnen Kontakt aufnehmen und Ängste bezüglich des Transfers von ihren Kinderärzten zu einer neuen Betreuungsstelle abbauen können. Dafür ist eine gewisse geografische Nähe natürlich Voraussetzung.</p> <p><strong>Es nehmen aber auch wesentlich ältere Menschen an dem Programm teil.</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Ja. Das Programm wurde nach dem „Buddy and Peer“-Prinzip konzipiert. Daher sind je nach Lust und Eignung auch Typ-1-Diabetiker bis zu einem Alter von ca. 40 Jahren eingeladen, teilzunehmen und als „Buddy“ zu fungieren. Typ-1-Diabetiker, die schon im Berufsleben stehen und mit der Erkrankung bereits eine erfolgreiche Karriere in Beruf und Privatleben hingelegt haben, können sehr gute Vorbilder sein: Man kann’s schaffen – trotz Typ-1-Diabetes. Es gibt Dinge, die man im Lehrbuch findet, aber es gibt eben auch Fertigkeiten, die man einfach nur aus Erfahrung gewinnt und weitergeben kann. Letztere sind aber oft besonders wertvoll. Wir haben auch einen Sportphysiotherapeuten, der Typ-1-Diabetiker ist und einige der externen Referenten gehen ebenfalls mit der Erkrankung durchs Leben. Das ist, glaube ich, für die Jugendlichen besonders wertvoll.</p> <p><strong>Sie haben mehrfach die Bedeutung der Gruppe erwähnt. Wie funktioniert so eine Gruppe?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Die Jugendlichen werden über zwei Tage aufgenommen. Sie sehen sich das erste Mal beim Essen oder in der Ambulanz. Unser Sportwissenschaftler macht dann am Sportplatz oder im Turnsaal je nach Wetterlage eine Vorstellungsrunde mit ihnen, wo sich jeder selber vorstellen kann. Damit die Gruppenbildung gefördert wird, führen wir die Gruppe auch nicht im Normalbetrieb unserer Therapieangebote, sondern haben eigens einen Sportwissenschaftler, der mit ihnen das Freizeitprogramm gestaltet. Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass dadurch die Teilnehmer sehr rasch zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammengeschweißt wurden: Nach eineinhalb Tagen sind die Jugendlichen nur mehr als Gruppe aufgetreten.</p> <p><strong>Haben Sie das Gefühl, dass sich die Jugendlichen in so einer Gruppe auch nach dem Turnus über ihre Erfahrungen mit ihrem Diabetes austauschen?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Ja, ich denke schon. Ich weiß aus dem Vorjahr, weil wir einen E-Mail-Verteiler angelegt haben und noch immer in Kontakt mit den Jugendlichen stehen, dass die Jugendlichen in einer WhatsApp-Gruppe weiterhin miteinander in Verbindung stehen. Aber es geht gar nicht so sehr darum, dass sie sich über ihre Diabeteseinstellung oder über ihre Probleme wirklich austauschen. Es geht vielmehr darum, einfach das Gefühl zu haben, ich bin nicht allein mit dieser Situation. Und wenn ich wirklich ein für mich unlösbares Problem habe, dann gibt es jemanden, den ich fragen kann oder bei dem ich mich auch einmal ausweinen kann, weil der- oder diejenige vor ähnlichen Herausforderungen steht und daher absolut viel Verständnis hat.</p> <p><strong>Zum Abschluss die Frage zum Titel der Interviewserie: Was an diesem Projekt bewegt Sie persönlich besonders?</strong><br /> <strong>C. Francesconi:</strong> Ich möchte einfach, dass chronisch kranke Jugendliche, die in Österreich keine wirklich gute Starthilfe bekommen, was Ausbildung, aber auch soziale Eingliederung und Familiengründung anlangt, mit den einfachen Mitteln, die wir hier zur Verfügung haben, einen guten Einstieg bekommen. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, nicht nur Wissen und Erfahrung zu sammeln, sondern auch die Sicherheit gewinnen, dass sie mit ihrer Erkrankung gut durchs Leben kommen werden, dass es für alles in Wirklichkeit eine Lösung gibt und dass sie nicht alleine sind. Es gibt immerhin rund 40 000 bis 45 000 Typ-1-DiabetikerInnen in Österreich. Aber die meisten wissen das nicht und so geht ein Großteil der Betroffenen als Einzelkämpfer durchs Leben. Und das ist etwas, das – so glaube ich – die Teilnehmer hier besonders toll finden: Teil einer Gruppe zu sein, wo alle gleich sind und wo Typ-1-Diabetiker zu sein ganz normal ist.</p> <p><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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