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Update vom EASD-Kongress 2023

Sport als Medikament, was gibt es Neues?

Physische Aktivität und körperliches Training nehmen sowohl bei Typ-1-Diabetes (T1D) als auch bei Typ-2-Diabetes (T2D) eine immer wichtigere Rolle ein,1–3 um eine bestmögliche (adjuvante) Therapie gestalten zu können. Dazu ein Überblick über spannende neue Studien vom EASD 2023.

Keypoints

  • Sport und Bewegung verbessern die Therapie bei Menschen mit T2D und/oder Adipositas, auch wenn neue Therapien angewandt werden.

  • Menschen mit Diabetes mellitus scheinen Bewegung als Coping-Strategie zu nützen, um die psychische Gesundheit zu unterstützen; das sollte vom medizinischen Personal bei einer holistischen Diabetestherapie berücksichtigt werden.

  • Um das Risiko für T2D grundsätzlich zu reduzieren, erscheint ein gewisses Ausmass an Bewegung in der Arbeitswelt als ideale Option.

  • Schon bei Kindern und Jugendlichen mit T1D sollten Bewegung und Training in die Therapie integriert werden, um die Glykämie neben einer intensivierten Schulung zu verbessern.

Vor allem bei T2D und kurzer Diabetesdauer ist zu erwähnen, dass die Evidenz darauf hinweist, dass durch eine strukturierte Lebensstilanpassung (Reduktion der Kalorienzufuhr und Erhöhung der physischen Aktivität) Remissionsraten um die 61% erzielt werden können. Im Vergleich dazu wird dies bei einer primär medikamentösen Therapie mit einer Remissionsrate von 12% nicht in einem ähnlichen Ausmass erzielt.4 Bei Menschen mit T1D ist klar zu erkennen, dass Personen, die sich regelmässig bewegen bzw. sportlich aktiv sind, ein geringeres Risiko für arterielle Hypertonie, Übergewicht und Adipositas aufweisen und zusätzlich eine geringere Dosis von exogenem Insulin benötigen.5,6 Darüber hinaus konnten wir vor Kurzem zeigen, dass ein mehrwöchiger Ausdauertrainingsblock mit drei Trainingseinheiten pro Woche (60min, moderate Intensität) die funktionale Kapazität und relative Sauerstoffaufnahme bei Erwachsenen mit T1D erhöht.7 Diese Untersuchungen und viele weitere sind mittlerweile genügend Anlass, dies auch bei den wichtigsten Diabetes-Konferenzen zu reflektieren. Deshalb ist das Ziel dieses Artikels, die aktuellen Studien in Bezug auf Bewegung und Diabetes mellitus darzustellen, die beim EASD-Kongress 2023 präsentiert wurden. Die Selektion der Studien, die in diesem Artikel diskutiert werden, erfolgte nach subjektiver Einschätzung der Autor:innen.

Hochintensives Intervalltraining bei T1D unter CGM sicher

In einer Post-hoc-Analyse der HIT4HYPO-CGM-Studie durch Farrell et al. untersuchten die Autor:innen, ob Menschen mit T1D und einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung hochintensives Intervalltraining (HIIT) durchführen können oder ob dieses zu einem erhöhten Hypoglykämierisiko führt.8 18 Erwachsene mit T1D führten über einen Zeitraum von vier Wochen 3x/Woche ein Intervalltraining durch. Verglichen wurde diese Gruppe mit einer Gruppe, die kein spezifisches Training durchführte. Es konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass HIIT durchgeführt werden kann, ohne das Risiko von Hypoglykämien zu erhöhen. Zusammenfassend hielten die Autor:innen interpretativ fest, dass HIIT sicher ist und zugleich die Anzahl an Hypoglykämien reduzieren könnte.

Tab. 1: Tipps zum Thema Bewegung und Sport für Menschen mit Diabetes mellitus

Sport als Coping-Strategie für die mentale Gesundheit bei Diabetes

In einer Studie (n=3444), in welcher länderübergreifend verschiedene Coping-Strategien für mentale Gesundheit bei Menschen mit Diabetes mellitus analysiert wurden, wurde festgestellt, dass 647 Menschen unter einer Angststörung leiden und 584 eine Angststörung und/oder eine Depression haben.9 Bei Betrachtung der Coping-Strategien gaben 44% der Befragten an, dass sie die Unterstützung von nahestehenden Personen suchen, 41% als Coping-Strategie Sport treiben und 40% auf eine medikamentöse Therapie zurückgreifen. Somit ist eindeutig festzuhalten, dass Menschen mit Diabetes mellitus «Sport» als eine essenzielle Coping-Strategie ausweisen. Es gibt aber Unterschiede in Bezug auf die Art des Diabetes mellitus, das Herkunftsland, den mentalen Gesundheitsstatus und das Glykämie-Management. Für die klinische Praxis sollte bedacht werden, dass die Effizienz in Bezug auf Sport und Diabetes mellitus nicht nur eine physische Komponente aufweist, sondern Sport zugleich die psychische Gesundheit unterstützen kann.

Noch mehr Sport hilft nicht unbedingt noch mehr

In einer Studie von Durrer et al. wurde untersucht, ob körperliches Training 3x/Woche in Kombination mit kalorischer Restriktion eine unterschiedliche Effizienz im Vergleich zu einer Trainingsintervention mit Training 6x/Woche verbunden mit kalorischer Restriktion bei Menschen mit T2D aufweist.10 Die Daten zeigten, dass sich diese holistische Lifestyleintervention bezahlt macht in Bezug auf die fettfreie Masse und viszerales Fettgewebe. Dennoch wurde die fettfreie Masse nicht weiter reduziert, wenn statt 3 Trainingseinheiten 6 Trainingseinheiten pro Woche durchgeführt wurden (p=0,90). Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass sich eine holistische Lebensstilintervention bestehend aus Sport (3x/Woche) und kalorischer Restriktion bezahlt macht, jedoch sechs Trainingseinheiten pro Woche keinen weiteren positiven Effekt auf die Körperkonstitution erzielen.

Bewegung am Arbeitsplatz reduziert T2D-Inzidenzrisiko

Eine Kohortenstudie, in der 41169 Menschen in Bezug auf ihr physisches Aktivitätsniveau analysiert wurden, untersuchte, ob Menschen, die sich während der Arbeitszeit regelmässig bewegen, ein geringeres Risiko in Bezug auf die T2D-Inzidenz aufweisen.11 Die Ergebnisse zeigten eindrucksvoll, dass Personen, die während der Arbeitszeit hauptsächlich sitzen oder stehen, im Vergleich zu Personen, die während der Arbeit leicht physisch aktiv bzw. physisch aktiv sind, eine erhöhte Odds Ratio in Bezug auf die T2D-Inzidenz haben (OR 1,22; 95% CI: 1,05–1,42). Die Autor:innen halten in der Conclusio fest, dass diese Ergebnisse unterstreichen, die Wichtigkeit der physischen Aktivität am Arbeitsplatz bei zukünftigen gesundheitspolitischen Entscheidungen zu beachten.

Liraglutid + Sport reduziert LEAP2-Werte am stärksten

In einer randomisierten, doppelgeblindeten, placebokontrollierten Studie wurde bei Menschen mit Adipositas untersucht, ob die Kombination aus Liraglutid und Sport die Wirkung in Bezug auf den Plasmaspiegel von Liver-Expressed Antimicrobial Peptide 2 (LEAP2) verändert.12 LEAP2 ist grundsätzlich erhöht bei Menschen mit T2D und Adipositas; dennoch sind supraphysiologische LEAP2-Spiegel in der Lage, die Blutglukosekonzentration und die kalorische Zufuhr zu reduzieren. Es zeigte sich eine Reduktion der Plasma-LEAP2-Werte durch eine niedrigkalorische Diät um 12% (p=0,0459), in der Liraglutid-Gruppe um 26% (p=0,03) und in der Kombinationsgruppe mit Liraglutid + Sport um 30% (p=0,01). In der Kontrollgruppe, in der nur Sport betrieben wurde, wurden keine Unterschiede in Betrachtung der LEAP2-Werte detektiert (p>0,05). Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich die Wirkung von Liraglutid kombiniert mit Sport am effektivsten auf die LEAP2-Werte auswirkt.

Leichtathletik + Schulung positiv für die glykämische Einstellung

In der multizentrischen ChilDFiT1-Studie der Universität Bayreuth und der Medizinischen Universität Graz haben wir die Effektivität einer intensivierten Schulung mit und ohne eine Leichtathletikintervention bei Jugendlichen mit T1D mit Fokus auf CGM-basierter Glykämie analysiert.13 In der Studie konnten wir zeigen, dass sich durch Kombination von Training und Schulungen über einen Zeitraum von vier Wochen die Zeit im Zielbereich (70–180mg/dl) signifikant verbessert (von 68,9±13,1% auf 72,1±10,6%; p=0,049), was in der reinen Schulungsgruppe nicht festgestellt werden konnte (p=0,399). Des Weiteren hat sich der HbA1c-Wert nur in der Kombinationsgruppe um –0,19% Punkte verbessert (p=0,042), was in der Schulungsgruppe nicht beobachtet wurde (p=0,40). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich Leichtathletiktraining in Kombination mit Schulungen positiv auf die glykämische Einstellung auswirkt und Sport für Kinder und Jugendliche mit T1D uneingeschränkt empfohlen werden sollte.

Fazit

In Betrachtung dieser Studien wird klar, dass physische Aktivität und körperliches Training sowohl für Menschen mit T1D als auch mit T2D verschiedene positive Effekte hervorrufen. Menschen mit Diabetes sollten dahingehend geschult werden, dass sich durch Sport nicht nur die Glykämie verbessern, sondern zugleich die psychische Gesundheit unterstützt werden kann. Für ein regelmässiges Training sollte darauf geachtet werden, dass die laut WHO empfohlene moderate Belastung von 150min/Woche auf mehrere Tage aufgeteilt werden sollte (3–4x pro Woche), um einen kontinuierlichen Effekt auf den Stoffwechsel zu erzielen.

1 Moser O et al.: Diabetologia 2020; 63: 2501-20 2 Riddell MC et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5: 377-90 3 Kanaley JA et al.: Med Sci Sports Exerc 2022; 54: 353-68 4 Taheri S et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2020; 8: 477-89 5 Bohn B et al.; DPV Initiative: Diabetes Care 2015; 38: 1536-43 6 Riddell MC et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5: 377-90 7 Müller A et al.: Diabetes Obes Metab 2023; 25: 3826-30 8 Farrell CM et al.: HIT4HYPOS CGM analysis: high intensity interval training reduces nocturnal hypoglycaemia in people with type 1 diabetes and impaired awareness of hypoglycaemia. EASD Annual Meeting 2023, Hamburg, OP 62 9 Cox E et al.: Mental health coping strategies and glycaemic management among people with diabetes in Europe. EASD Annual Meeting 2023, Hamburg, OP 113 10 Durrer C et al.: The effect of adding different volumes of exercise training to diet-induced weight loss on body composition in persons with type 2 diabetes. EASD Annual Meeting 2023, Hamburg, OP 197 11 Brännholm Syrjälä M et al.: Occupational physical activity and sedentary behaviour, and 10-year incidence of type 2 diabetes: a population-based cohort study. EASD Annual Meeting 2023, Hamburg, SO 319 12 Byberg S et al.: Plasma levels of Liver-Expressed Antimicrobial Peptide 2 (LEAP2) decrease in response to weight loss and treatment with liraglutide and exercise. EASD Annual Meeting 2023, Hamburg, SO 477 13 Zimmer RT et al.: Impact of a 4-week intensive track and field training on glycaemia in children and adolescents with type 1 diabetes: the ChilDFiT1 study. EASD Annual Meeting 2023, Hamburg, SO 497

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