
SGLT2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes
Bericht:
Dr. med. Sabina Ludin
Chefredaktorin
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die traditionelle Pro-Con-Debatte am diesjährigen SGED-Jahreskongress hatte den provokativen Titel «SGLT2-Inhibitoren: Die perfekte Therapie für Patient*innen mit Typ-1-Diabetes». Aber sind sie das wirklich? Lesen Sie, was Prof. Dr. med. Markus Laimer (pro) und Prof. Dr. med. Marc Donath (contra) davon halten.
Für die SGLT2-Inhibitoren (SGLT2-I) gibt es bisher keine Zulassung bei Typ-1-Diabetes (T1D). Trotzdem gebe es Argumente für den Einsatz von SGLT2-I bei Menschen mit T1D, so Prof. Dr. med. Markus Laimer, Chefarzt, Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin & Metabolismus (UDEM), Inselspital, Universitätsspital Bern. Die Mortalität von Menschen mit T1D konnte in den letzten Dekaden stetig reduziert werden, ist, wie z.B. eine grosse schwedische Beobachtungsstudie zeigt, aber immer noch höher als in der Allgemeinbevölkerung.1 Dies ist in erster Linie auf eine erhöhte Rate an kardiovaskulären und renalen Komplikationen zurückzuführen. Bei T1D-Patient*innen ohne solche Komplikationen ist die Mortalität nämlich nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung. Im Bereich des kardiovaskulären und renalen Risikos gibt es bei T1D also noch Handlungsbedarf. Hier könnte, so Laimer, der Einsatz von SGLT2-I sinnvoll sein.
Was spricht für SGLT2-Hemmerbei Typ-1-Diabetes?
SGLT2-I sind bei Typ-2-Diabetes nicht nur wirksame Antidiabetika, sondern haben darüber hinaus den Vorteil, dass sie bei Patient*innen mit Herzinsuffizienz das kardiovaskuläre Risiko und bei solchen mit einer Nephropathie das kardiovaskuläre und das renale Risiko effektiv reduzieren, wie jüngst in einer gepoolten Analyse der DAPA-HF- und der DELIVER-Daten2 sowie in der EMPA-KIDNEY-Studie3 erneut gezeigt wurde.
Die blutzuckersenkende Wirkung der SGLT2-I wurde auch bei T1D nachgewiesen. Verschiedene Studien zeigen, dass sie als Zusatz zu Insulin das HbA1c effektiv senken.4–7 SGLT2-I können auch bei Patient*innen mit einem Closed-loop-System resp. einer sensorunterstützen Insulinpumpe verwendet werden: Bei dieser Population wurde gezeigt, dass durch die Kombination mit Empagliflozin die «time in range» (TIR) um klinisch relevante 7,2 % resp. 11,4 % erhöht werden kann.8
Was sind die Risiken von SGLT2-I bei Typ-1-Diabetes? Hier ist in erster Linie das Risiko für eine diabetische Ketoazidose (DKA) zu nennen. In den Studien, welche die Wirksamkeit der SGLT2-I bei T1D untersuchten, war das DKA-Risiko in den SGLT2-I-Gruppen ungefähr 2% höher als in den Placebogruppen.4–7 Allerdings ist die Aussagekraft dieser Studien in Bezug auf das DKA-Risiko begrenzt, da sie zum Nachweis der Wirksamkeit designt wurden. Mehr Informationen zu den Faktoren, die das DKA-Risiko beeinflussen, gibt eine Metaanalyse von 18 placebokontrollierten, randomisierten Studien.9 Ziel der Metaanalyse war es, in einem multivariablen Metaregressionsmodell Effektgrössen und Moderatoren zu identifizieren, die die glykämischen und nicht glykämischen Effekte und die Sicherheit von SGLT2-I bei T1D beeinflussen. Dafür wurden die Daten von über 7000 Patient*innen mit einem Geschlechterverhältnis von 1:1 und einem mittleren Alter von 42 Jahren ausgewertet, die zusätzlich zu Insulin mit einem von fünf verschiedenen SGLT2-I behandelt wurden. Es zeigte sich, dass ein BMI über 27 kg/m2, eine Insulinresistenz («estimated glucose disposal rate» [eGDR] < 8,3mg/kg/min), die Reduktion der Insulindosis während der zusätzlichen Einnahme eines SGLT2-I und eine Dehydratation das DKA-Risiko signifikant erhöhten.9 Damit gibt diese Studie einige wichtige Anhaltspunkte für die Auswahl und die Beratung der Patient*innen. Trotzdem sind Studien nötig, die speziell das DKA-Risiko unter SGLT2-I bei T1D untersuchen.
«Für gewisse Patient*innen mit Typ-1-Diabetes sind die SGLT2-Inhibitoren, auch wenn es sich dabei um eine Off-label-Anwendung handelt, mit Hinblick auf das kardiovaskuläre und renale Risiko eine gute Option als Zusatz zur Insulinbehandlung. Wichtig ist, dass die Patient*innen, die SGLT2-Inhibitoren einnehmen, die Anzeichen einer diabetischen Ketoazidose kennen, die Ketone messen und wissen, was zu tun ist, wenn sie erhöht sind, also das STICH-Protokoll (Tab. 1) kennen», resümierte Laimer.
Was spricht gegen SGLT2-Hemmer bei Typ-1-Diabetes?
Prof. Dr. med. Marc Donath, Chefarzt Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Universitätsspital Basel, nahm den Titel der Debatte wörtlicher als sein Vorredner und erklärte, weshalb die SGLT2-I nicht für die Behandlung des T1D geeignet sind. Zuerst müssten zwei Fragen gestellt werden: Was ist Typ-1-Diabetes und was machen SGLT2-Inhibitoren? Zur ersten Frage stellte er eine aktuelle Studie vor, die das pathogenetische Paradigma des T1D als autoimmun ausgelöste Krankheit infrage stellt. Die Autoren konnten bei sehr jungen Kindern zeigen, dass es bereits vor dem Auftreten einer Autoimmunreaktion gegen die pankreatischen Betazellen zu einem Anstieg des Blutzuckers kommt.10 Der Grund dafür sind Betazellinsulte. Wenn etwa die Hälfte der Betazellen zerstört ist, kommt es zu einem Anstieg des Blutzuckers und erst dann wird eine Autoimmunreaktion mit Bildung von Autoantikörpern gegen die Betazellen ausgelöst.10,11 «Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass das primäre Problem bei Typ-1-Diabetes nicht die Autoimmunität ist», sagte Donath. Was zu den Betazellinsulten führt, ist noch unbekannt. Vermutlich sind verschiedene Faktoren, wie genetische Prädisposition, metabolischer Stress, Virusinfekte und Umweltfaktoren, involviert. Alles deutet jedoch darauf hin, dass die Autoimmunität ein Epiphänomen ist, das erst später auftritt.11 Die Frage, was Typ-1-Diabetes genau sei, bleibe auch mit diesen neuen Erkenntnissen unklar, so Donath, wesentlich sei jedoch, dass es bei T1D zu einem absoluten Insulinmangel komme.
Die zweite Frage ist einfacher zu beantworten. SGLT2-I erhöhen die Glukosurie und bewirken so eine Verminderung des Blutzuckerspiegels. «SGLT2-Inhibitoren sind eine elegante Lösung, um den Körper von einem Überschuss an Glukose zu befreien und ihn so vor den schädlichen Wirkungen der Glukose auf verschiedene Organe zu schützen», erklärte Donath. «Darum geht es bei Typ-1-Diabetes aber nicht.» Outcome-Studien belegen die protektive Wirkung von SGLT2-I bei Herzinsuffizienz und Nephropathie, es gibt jedoch keine Belege dafür, dass sie Menschen mit Diabetes auch vor makrovaskulären Komplikationen wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall schützen würden.
Insulin ist auch ein sehr potentes anaboles Hormon, ein Mangel davon führt zu Katabolismus und Ketoazidose. Patient*innen mit einem T1D benötigen das Insulin also nicht nur wegen seiner blutzuckerregulierenden Wirkung, sondern auch wegen seiner anabolen Funktion. «Bei einem Menschen mit Typ-1-Diabetes ist es deshalb nicht damit getan, das HbA1c zu normalisieren», betonte Donath. Das einzige Mass, um bei Patient*innen mit T1D den individuellen Insulinbedarf zu bestimmen, ist die Glykämie. Wenn man bei diesen Menschen die Therapie einzig mit Blick auf die Normalisierung des HbA1c wählt, kann, wenn dieses Ziel z.B. durch Zugabe eines SGLT2-I erreicht wird, der effektive Insulinbedarf der* Patient*in unterschätzt werden. «Aufgrund des unterschätzten Insulinbedarfs ist die anabole Substitution bei einer* solchen Patient*in ungenügend und sie/er gerät in eine katabole Stoffwechsellage mit all ihren negativen Konsequenzen wie Sarkopenie, Osteoporose etc.», warnte Donath. Diese Gefahr bestehe vor allem bei schlanken Patient*innen, weshalb er bei dieser Population nie SGLT2-I einsetzen würde. Anders sehe es bei T1D-Betroffenen mit einem erhöhten BMI und einer Herzinsuffizienz oder einer Nephropathie aus. Hier können SGLT2-I als Zusatz zu einer ausreichenden Insulindosis zur Behandlung der Komorbiditäten angezeigt sein.
Fazit
Letztlich sind sich beide Referenten einig, dass der Insulinmangel bei T1D nur mit Insulin behandelt werden kann. Die im Titel der Debatte aufgestellte These muss deshalb verneint werden: SGLT2-I sind nicht die perfekte Therapie für Patient*innen mit T1D. Bei ausgewählten T1D-Betroffenen können sie jedoch eine sinnvolle Ergänzung zu Insulin sein, um bei Herzinsuffizienz und Nephropathie das kardiovaskuläre und das kardiorenale Risiko zu senken. Dabei ist es wichtig, das Risiko für eine diabetische Ketoazidose im Auge zu behalten.
Quelle:
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED), 17. und 18. November 2022, Bern
Literatur:
1 Hallström S et al.: Risk factors, mortality trends and cardiovascular diseases in people with type 1 diabetes and controls: A Swedish observational cohort study. Lancet Reg Health Eur 2022; 21: 100469 2 Jhund PS et al.: Dapagliflozin across the range of ejection fraction in patients with heart failure: a patient-level, pooled meta-analysis of DAPA-HF and DELIVER. Nat Med 2022; 28: 1956-64 3 EMPA-KIDNEY Collaborative Group, Herrington WG et al.: Empagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med 2022 [epub ahead of print] 4 Taylor SI et al.: SGLT2 inhibitors as adjunctive therapy for type 1 diabetes: balancing benefits and risks. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 949-58 5 Dandona P et al.; DEPICT-1 Investigators: Efficacy and safety of dapagliflozin in patients with inadequately controlled type 1 diabetes (DEPICT-1): 24 week results from a multicentre, double-blind, phase 3, randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5: 864-76 6 Dandona P et al.; DEPICT-1 Investigators. Efficacy and safety of dapagliflozin in patients with inadequately controlled type 1 diabetes: the DEPICT-1 52-week study. Diabetes Care 2018; 41: 2552-9 7 Rosenstock J et al.: Empagliflozin as adjunctive to insulin therapy in type 1 diabetes: the EASE trials. Diabetes Care 2018; 41: 2560-9 8 Haidar A et al.: Empagliflozin add-on therapy to closed-loop insulin delivery in type 1 diabetes: a 2×2 factorial randomized crossover trial. Nat Med 2022; 28: 1269-76 9 Musso G et al.: Assessing the risk of ketoacidosis due to sodium-glucose cotransporter (SGLT)-2 inhibitors in patients with type 1 diabetes: A meta-analysis and meta-regression. PLoS Med 2020; 17: e1003461 10 Warncke K et al.; GPPAD and POInT Study Groups: Elevations in blood glucose before and after the appearance of islet autoantibodies in children. J Clin Invest 2022; 132: e162123 11 Donath MY. Type 1 diabetes: what is the role of autoimmunity in β cell death? J Clin Invest 2022; 132: e164460