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SGED-Jahrestagung 2016
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Sabina Ludin
Chefredaktorin
30
Min. Lesezeit
02.03.2017
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<p class="article-intro">Wie gewohnt trafen sich die Schweizer Endokrinologen und Diabetologen im vergangenen November in Bern zu ihrer Jahrestagung. Zu den Höhepunkten zählten ein Minisymposium zum Thema «Steroide» sowie das Plenarreferat von Prof. Schuetz zum wichtigen, aber oft vernachlässigten Thema «Ernährung bei akuter Erkrankung».</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Nebenniereninsuffizienz</h2> <p>Trotz Substitutionstherapie ist die Lebensqualität von Patienten mit Nebenniereninsuffizienz häufig eingeschränkt und nicht wenige klagen über Fatigue. «Die Arbeitsunfähigkeitsrate ist bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz viermal höher als in der Gesamtbevölkerung und sie haben doppelt so viele Fehltage»,<sup>1, 2</sup> sagte Prof. Dr. med. Stefanie Hahner, Universitätsspital Würzburg. Nachdem in den 1950er-Jahren die Substitutionstherapie mit Hydrocortison einführt worden war, blieb die Behandlung sehr lange praktisch unverändert. Erst in den letzten Jahren beschäftigt man sich vermehrt mit Fragen nach der richtigen Glukokortikoiddosis, der Bedeutung des zirkadianen Rhythmus und anderer Faktoren wie Mineralokortikoidmangel etc. Mit der konventionellen oralen Substitution wird das physiologische Cortisolprofil nur beschränkt abgebildet, so fehlt beispielsweise der Anstieg in den sehr frühen Morgenstunden, dafür kommt es jeweils nach der Einnahme am Morgen und am Mittag zu starken Peaks. Studien zeigten, dass mit kontinuierlicher subkutaner Hydrocortisonzufuhr das zirkadiane Cortisolprofil wiederhergestellt und die ACTH-Spiegel normalisiert werden und die Glukosespiegel in der Nacht stabiler sind als unter oraler Substitution. Ausserdem beobachteten die Autoren positive Auswirkungen auf die Lebensqualität.<sup>3, 4</sup><br /> Die retrospektive Analyse einer USamerikanischen Datenbank ergab, dass Patienten mit einer Nebenniereninsuffizienz (n=10 381) ein signifikant höheres Risiko für Diabetes, Hyperlipidämie, Hypertonie, Depression und Angststörungen haben.<sup>5</sup> «Ich weiss nicht, wie Ihre Erfahrung ist, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass unsere Patienten häufiger kardiovaskuläre Risikofaktoren haben», so Hahner. In einer eigenen Analyse fanden Hahner und Mitarbeiter bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz keine erhöhte Prävalenz von Typ-2-Diabetes, Adipositas, Hypertonie und Hyperlipidämie im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung, jedoch eine erhöhte Prävalenz von Osteoporose und Osteopenie, vor allem bei Patienten mit hohen Hydrocortisondosen und mehr als drei Dosen pro Tag.<sup>6</sup> «Hier scheint es also auch einen Zusammenhang mit der Substitutionstherapie zu geben», folgerte Hahner.<br /><br /> <strong>Adrenale Krise</strong><br /> Obwohl die Behandlung ziemlich einfach ist, ist die Addison-Krise eine der häufigsten Todesursachen bei Nebenniereninsuffizienz.<sup>7</sup> Einer von 6–12 Patienten erleidet innerhalb eines Jahres eine Addison-Krise und einer von 200 wird daran sterben. Die häufigsten Faktoren, die zu einer adrenalen Krise führen, sind Erbrechen und Diarrhö, Infektionen und emotionaler Stress.<sup>8</sup> «Die meisten Patienten haben ein Notfallset und wissen, wie sie bei Fieber etc. vorgehen müssen. Erschreckend ist aber, dass die vorgezeigte Notfallkarte bei 20 % der Patienten mit Addison-Krise von den Notfallärzten nicht beachtet wurde»,<sup>9</sup> so Hahner. Es zeigte sich auch, dass die Notfallärzte zwar schnell bei den Patienten eintreffen, dass aber fast bei der Hälfte der Patienten die Zeit bis zur Glukokortikoidinjektion deutlich zu lang ist. «Wir haben deshalb begonnen, unsere Patienten anzuleiten, sich in Notfallsituationen selbst die i.m. Hydrocortisoninjektion zu machen, während sie auf den Arzt warten», berichtete Hahner. Auf der Website Adrenals.eu finden Patienten viele nützliche Informationen und Tipps zum Umgang mit der Nebenniereninsuffizienz und mit Notfallsituationen.</p> <h2>Steroide – ausschleichen oder direkt stoppen?</h2> <p>In der Praxis stellt sich relativ häufig die Frage, welches die beste Strategie ist, um nach einer langfristigen Therapie die Steroide abzusetzen. Schrittweise Reduktion der Dosis? In 5mg- oder in 2,5mg- Schritten pro Tag? Direkt stoppen? Synacthen- Test: falls pathologisch – ausschleichen, falls normal – stoppen? Prof. Dr. med. Jonas Rutishauser, Basel, stellt gleich zu Beginn seines Vortrags fest, dass er die Antwort auf diese Frage auch nicht kenne. Es gibt auch kaum neuere Studien zu dieser Fragestellung.<br /> Nach der Gabe von Steroiden fällt ACTH innert Minuten ab. Einige Tage bis Wochen später nimmt die Nebennierenaktivität ab. Desgleichen beim Absetzen der Steroide. ACTH beginnt anzusteigen, die adrenale Reaktion setzt aber erst nach einer gewissen Latenz wieder ein. «Das Problem ist aber, dass wir nicht wissen, wie lange es braucht, bis sich ACTH und Nebenniere von der Suppression erholen»,<sup>10</sup> so Rutishauser. Ebenso unklar ist, ob die Steroidtherapie bei einem individuellen Patienten die Nebenniere supprimiert und, wenn ja, nach welcher Zeit und bei welcher kumulativen Dosis.<br /> Mögliche Folgen eines abrupten Absetzens der Steroide können ein Wiederaufflammen der behandelten Krankheit, eine ungenügende Stressreaktion der Nebenniere oder ein «Steroid-Entzugssyndrom» sein. «Intuitiv würden wir annehmen, dass es zwischen Dauer und Dosis der Steroidtherapie und der adrenalen Suppression einen Zusammenhang gibt», so Rutishauser. Es gibt Studien, die eine solche Assoziation gefunden haben,<sup>11, 12</sup> aber auch solche, die gezeigt haben, dass auch bei niedrigen Steroiddosen und kurzer Therapiedauer eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz auftreten kann und diese umgekehrt auch bei langer Dauer und hoher Dosis ausbleiben kann.<sup>13, 14</sup> Ob und wie lange die adrenale Suppression nach dem Absetzen der Steroide anhält, scheint auch nicht davon abzuhängen, wie die Steroide ausgeschlichen werden.<sup>13</sup> «Wahrscheinlich wird die Gefahr einer sekundären Nebenniereninsuffizienz überschätzt, nichtsdestotrotz müssen wir unsere Patienten darüber informieren, wie sie sich in Stresssituationen vor einer Addison-Krise schützen können», schloss Rutishauser.<br /> Mehr Klarheit soll die vom Nationalfonds unterstützte TOASST-Studie («Taper Or Abrupt Steroid Stop») bringen, die unter der Leitung von Prof. Rutishauser in Vorbereitung ist. Die Studie soll die Hypothese prüfen, dass auch nach längerer Behandlungsdauer mit Steroiden auf ein langsames Ausschleichen verzichtet werden darf, ohne dass dadurch ein schlechterer Verlauf resultiert.<br /><br /> <strong>Ernährung bei akuter Erkrankung</strong><br /> Viele alte, chronisch kranke Patienten sind schlecht ernährt, was zu Katabolismus und Verlust von Muskelmasse mit all ihren Folgen führt. Eine Erhebung an der Medizinischen Universitätsklinik im Kantonsspital Aarau ergab, dass 30 % der dort hospitalisierten Patienten ein erhöhtes Risiko für Mangelernährung und damit das Risiko für einen schlechteren Verlauf hatten.16 Mangelernährung erhöht bei schwer kranken Patienten nämlich unabhängig von der Art der Erkrankung das Risiko für einen ungünstigen Verlauf und die Mortalität nimmt zu, je höher der NRS («nutritional risk score») ist.<sup>16–18</sup> Bei akuten und chronischen Krankheiten führen viele verschiedene Mechanismen zu Veränderungen des Metabolismus, die u.a. auch zum Appetitverlust führen.<sup>19</sup> «Es stellt sich nun die Frage, ob der Appetitverlust eine sinnvolle Adaption an die veränderte Situation ist oder ob es sich dabei um eine Maladaption handelt, die wir therapeutisch angehen», fasste Prof. Dr. med. Philipp Schuetz, Aarau, die zentrale Fragestellung zusammen.<br /> Für schwer kranke Patienten auf der Intensivpflegestation wurde u.a. in einer grossen multizentrischen Studie gezeigt, dass sie sich rascher erholen und weniger Komplikationen haben, wenn sie in den ersten acht Tagen nicht parenteral ernährt werden.20 Eine Gefahr der Ernährungstherapie stellt auch das Refeeding-Syndrom mit Elektrolytstörungen, Salz- und Wasserretention und Thiaminmangel dar.<sup>21</sup> Es gibt aber auch Studien, z.B. eine aus Lausanne, die zeigen, dass moderate und individualisierte ernährungstherapeutische Massnahmen positive Effekte haben.<sup>22</sup> Bei Intensivpatienten ist bezüglich Ernährungstherapie also Vorsicht geboten.<br /> Aber wie sieht es mit dem polymorbiden, alten Patienten aus, der wegen einer akuten Erkrankung hospitalisiert wird und schlecht ernährt ist oder ein erhöhtes Risiko für Mangelernährung hat? Sollte er eine Ernährungstherapie erhalten? «Hierzu gibt bisher keine guten Studien, weshalb wir uns entschlossen haben, diese Frage mit einer grossen kontrollierten Studie zu untersuchen», so Schuetz. An dem vom Nationalfonds unterstützen EFFORT- Projekt (Effect of Early Nutritional Therapy on Frailty, Functional Outcomes and Recovery of Undernourished Medical Inpatients Trial) sind zahlreiche Schweizer Spitäler beteiligt.<sup>19</sup> In einem ersten Schritt wurde zusammen mit der Cochrane Group eine Metaanalyse von 22 Studien gemacht, welche zeigte, dass durch ernährungstherapeutische Massnahmen die Kalorien- und Proteinzufuhr deutlich erhöht und der Gewichtsverlust und das Risiko für erneute Hospitalisation deutlich vermindert werden können und dass bei Patienten mit manifester Mangelernährung die Dauer der Hospitalisation verkürzt werden kann.<sup>23</sup> Es fanden sich jedoch keine Auswirkungen auf die Mortalität, das Infektionsrisiko oder funktionelle Parameter.<br /> Für die EFFORT-Studie werden alle medizinischen Patienten in den beteiligten Kliniken nach klar definierten Kriterien gescreent und in die Studie aufgenommen, wenn der NRS =3 und die geschätzte Hospitalisationsdauer =5 Tage beträgt. Anschliessend werden die Patienten in zwei Gruppen randomisiert: In der Interventionsgruppe erhalten sie frühzeitig eine individuelle Ernährungstherapie, in der Kontrollgruppe erhalten sie Standardkost und essen je nach Appetit. Nach 30 und 180 Tagen werden verblindet verschiedene Outcomeparameter erhoben. Anhand der erhobenen Daten soll anschliessend u.a. auch geklärt werden, welche Patienten am meisten/am wenigsten von ernährungstherapeutischen Massnahmen profitieren, welche pathophysiologischen Faktoren von Bedeutung sind und was die Kosten-Nutzen-Analyse ergibt. Erste Ergebnisse werden für Ende 2017 erwartet.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie
und Diabetologie, 17. und 18. November 2016,
Bern
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Hahner S et al: Impaired subjective health status in 256 patients with adrenal insufficiency on standard therapy based on cross-sectional analysis. J Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 3912-22 <strong>2</strong> Hahner S et al: unpublished data <strong>3</strong> Oksnes et al: Continuous subcutaneous hydrocortisone infusion versus oral hydrocortisone replacement for treatment of Addison’s disease: a randomized clinical trial. J Clin Endocrinol Metab 2014; 99: 1665-74 <strong>4</strong> Björnsdottir et al: Circadian hormone profiles and insulin sensitivity in patients with Addison’s disease: a comparison of continuous subcutaneous hydrocortisone infusion with conventional glucocorticoid replacement therapy. Clin Endocrinol 2015; 83: 28-35 <strong>5</strong> Stewart PM et al: Exploring inpatient hospitalizations and morbidity in patients with adrenal insufficiency. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 4843-50 <strong>6</strong> Burger-Stritt S et al: unpublished data <strong>7</strong> Erichsen MM et al: Normal overall mortality rate in Addison’s disease, but young patients are at risk of premature death. Eur J Endocrinol 2009; 160: 233-7 <strong>8</strong> Hahner S et al: High incidence of adrenal crisis in educated patients with chronic adrenal insufficiency: a prospective study. J Clin Endocrinol Metab 2015; 100: 407-16 <strong>9</strong> Hahner S et al: Timelines in the management of adrenal crisis - targets, limits and reality. Clin Endocrinol 2015; 82: 497-502 <strong>10</strong> Graber AL et al: Natural history of pituitary-adrenal recovery following long-term suppression with corticosteroids. J Clin Endocrinol Metab 1965; 25: 11-6 <strong>11</strong> Sacre et al: Pituitary- adrenal function after prolonged glucocorticoid therapy for systemic inflammatory disorders: an observational study. J Clin Endocrinol Metab 2013; 98: 3199-3205 <strong>12</strong> Broersen et al: Adrenal insufficiency in corticosteroids use: systematic review and meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 2015; 100: 2171-80 <strong>13</strong> Joseph RM et al: Systemic glucocorticoid therapy and adrenal insufficiency in adults: a systematic review. Sem Arthrit Rheumat 2016; 46: 133-41 <strong>14</strong> Schlaghecke R et al: The effect of long-term glucocorticoid therapy on pituitary-adrenal responses to exogenous corticotropin-releasing hormone. N Engl J Med 1992; 326: 226-30 <strong>15</strong> Rhyner D et al: Carbohydrate estimation by a mobile phone-based system versus self-estimations of individuals with type 1 diabetes mellitus: a comparative study. J Med Internet Res 2016; 18: e101 <strong>16</strong> Schuetz P et al: Loss of appetite in acutely ill medical inpatients: physiological response or therapeutic target? Swiss Med Wkly 2014; 144: w13957 <strong>17</strong> Felder S et al: Association of nutritional risk and adverse medical outcomes across different medical inpatient populations. Nutrition 2015; 31: 1385-93 <strong>18</strong> Schuetz P et al: Optimizing triage and hospitalization in adult general medical emergency patients: the triage project. BMC Emerg Med 2013; 13: 12 <strong>19</strong> Schuetz P: “Eat your lunch!” - controversies in the nutrition of the acutely, non-critically ill medical inpatient. Swiss Med Wkly 2015; 145: w14132 <strong>20</strong> Casaer MP et al: Early versus late parenteral nutrition in critically ill adults. N Engl J Med 2011; 365: 506 <strong>21</strong> Friedli N et al: Revisiting the refeeding syndrome: results of a systematic review. Nutrition 2016 [epub ehead of print] <strong>22</strong> Heidegger CP et al: Optimisation of energy provision with supplemental parenteral nutrition in critically ill patients: a randomised controlled clinical trial. Lancet 2013; 381: 385-93 <strong>23</strong> Bally MR et al: Nutritional support and outcomes in malnourished medical inpatients: a systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 2016; 176: 43-53</p>
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