
Covid-19 und Post-Covid bei metabolischen Erkrankungen
Autoren:
Dr. Charlotte Steenblock
Prof. Dr. med. Stefan R. Bornstein
Medizinische Klinik und Poliklinik III
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden
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Menschen mit metabolischen Krankheiten wie Fettleibigkeit, Bluthochdruck, nichtalkoholischer Fettlebererkrankung und Diabetes haben ein höheres Risiko für schwere Covid-19-Erkrankungen und eine höhere Sterblichkeitsrate als Menschen ohne diese Begleitumstände. Darüber hinaus scheinen Patienten mit diesen Begleiterkrankungen auch häufiger von Post-Covid, SARS-CoV-2-Durchbruchsinfektionen und Reinfektionen betroffen zu sein.
Keypoints
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Menschen mit Stoffwechselkrankheiten haben ein höheres Risiko für einen schwereren Verlauf einer Covid-19-Infektion und für Post-Covid.
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Die Mechanismen, die für den Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Stoffwechselkrankheiten in Bezug auf Covid-19 und Post-Covid verantwortlich sind, sind noch nicht vollständig geklärt.
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Stoffwechselkrankheiten sollten bereits im Kindesalter erkannt und wenn möglich verhindert werden.
Bei bis zu 50% der Menschen, die an Covid-19 starben, waren Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Fettleibigkeit nachweisbar.1 Diese Krankheiten sind somit einer der Hauptrisikofaktoren für einen schweren oder tödlichen Verlauf. Sie stellen weltweit ein grosses Problem dar. Im Jahr 2021 wurde die globale Diabetesprävalenz auf 537 Millionen Menschen geschätzt, und es wird erwartet, dass sie bis 2030 auf 643 Millionen und bis 2045 auf 783 Millionen ansteigt.2 Ein ähnlicher Trend ist bei der Fettleibigkeit zu beobachten. Die WHO schätzt, dass im Jahr 2016 etwa 40% der Weltbevölkerung übergewichtig oder fettleibig waren, und die Zahl steigt weiter an, wobei die Fettleibigkeit, wie bei Diabetes beobachtet, pandemische Ausmasse erreicht.3 Zusätzlich zu den akuten Erkrankungen scheinen Menschen mit Stoffwechselerkrankungen anfälliger für Post-Covid, Impfdurchbruchsinfektionen und Reinfektionen zu sein.
Stoffwechselerkrankungen – erhöhtes Risiko für schweren Infektionsverlauf
Patienten mit metabolischen Krankheiten weisen häufig eine chronische subklinische Entzündung niedrigen Grades auf. Dies führt zu einer Abnahme der entzündungshemmenden Zytokine und einer höheren Expression der entzündungsfördernden Zytokine TNF-α, IL-6 und IL-1β. Die Synergie zwischen Covid-19 und Stoffwechselerkrankungen kann diese Entzündungsreaktion weiter verstärken und zu einer kritischen Erkrankung beitragen.4
Pathophysiologisch können die entsprechenden Organe, wie z.B. die Bauchspeicheldrüse, entweder direkt oder indirekt durch die Virusinfektion geschädigt werden. Wir und andere haben gezeigt, dass SARS-CoV-2 in der Lage ist, die Insulin-produzierenden β-Zellen der Bauchspeicheldrüse direkt zu infizieren.5–8 Darüber hinaus haben wir eine Infiltration mit Immunzellen und Anzeichen einer bestimmten Form des Zelltodes, die sog. Nekroptose, in der Bauchspeicheldrüse von Covid-19-Patienten beobachtet.7,8 Dies könnte bedeuten, dass eine β-Zell-Infektion mit SARS-CoV-2 entweder zu einer direkten oder indirekten Beeinträchtigung der β-Zell-Funktionen führen kann. Diese Ergebnisse wurden in einer aktuellen Studie der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bestätigt, in der das Risiko für neu diagnostizierten Diabetes bei Jugendlichen im Vergleich zu Jugendlichen ohne eine Infektion mit SARS-CoV-2 oder mit anderen Infektionen der Atemwege auf mehr als das Doppelte geschätzt wurde.9 Eine ähnliche Studie mit 600055 Teilnehmern zeigte ein erhöhtes Risiko für einen neu auftretenden Typ-2-Diabetes nach Covid-19. Dieses Risiko war nach mittelschwerem/schwerem Covid-19 höher als nach leichten Symptomen.10
Bei Patienten mit Covid-19 wurden häufig neu auftretende Komplikationen bei vorbestehendem Diabetes beobachtet.11 Daten des Deutschen Diabetes-Prospektiv-Follow-up-Registers (DPV), eines bundesweiten Registers mit einer Abdeckung von mehr als 90% der pädiatrischen Patienten mit Typ-1-Diabetes, zeigen einen signifikanten Anstieg der diabetischen Ketoazidose und der schweren Ketoazidose bei Diabetesdiagnostik insbesondere bei Kindern unter 6 Jahren während der Covid-19-Pandemie.12 Bemerkenswert ist, dass indirekte Effekte wie Veränderungen im Verhalten der Eltern und der Zugang zur Gesundheitsversorgung ebenfalls einen Einfluss auf die Zunahme des neu aufgetretenen Typ-1-Diabetes bei Kindern gehabt haben könnten.13 Dennoch häufen sich Hinweise darauf, dass Covid-19 eine Ursache oder ein Auslöser von neu auftretendem Diabetes ist.14 Auch bei Erwachsenen wurde gezeigt, dass sich in einzelnen Fällen ein neu aufgetretener Diabetes entwickelte, und bei circa 10% der Patienten wurde eine Verschlechterung der Blutzuckerkontrolle dokumentiert.15 Ob dieser Zustand dauerhaft oder vorübergehend ist, untersuchen wir derzeit systematisch in einem internationalen Register, CoviDIAB.16
Post-Covid und Diabetes
Postakute Folgeerscheinungen von SARS-CoV-2, auch bekannt als Post-Covid-Syndrom oder Long Covid, sind nach den neuesten Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) definiert als Fortbestehen der oder Auftreten neuer Symptome nach akuter Covid-19-Infektion für mehr als 4 Wochen nach dem ersten PCR-Test. Post-Covid ist definiert als Persistenz der Symptome für mehr als 12 Wochen.17 Zu den Symptomen gehören anhaltende Müdigkeit, diffuse Myalgien, depressive Symptome, nicht erholsamer Schlaf, Störungen des Immunsystems, des hämatologischen, pulmonalen, kardiovaskulären, gastrointestinalen, hepatischen, renalen, skelettmuskulären und nervösen Systems sowie Depressionen und Angstzustände.18 Darüber hinaus zeigen immer mehr Studien Stoffwechselanomalien wie Dyslipidämie und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Hinweise auf einen abnormen Glukosestoffwechsel mit Insulinresistenz und Hyperglykämie sowie Diabetes nach einer Infektion mit SARS-CoV-2.19,20 Die genauen molekularen Mechanismen, die den Post-Covid-Symptomen zugrunde liegen, sind noch nicht klar, aber höchstwahrscheinlich sind sie sehr heterogen (Abb.1). Sie könnten direkte oder indirekte Folgen durch die Infektion mit SARS-CoV-2 verursachen.21 Weitere Erklärungen für Post-Covid-Symptome könnten in der Autoimmunität aufgrund der Ausrichtung von Selbstantigenen infolge einer Beeinträchtigung der regulatorischen T-Zell-Reaktion oder in molekularer Mimikry liegen. Ein weiterer vorgeschlagener Mechanismus für anhaltende Symptome ist die Reaktivierung latenter Viren im Körper.22 Auch rheologische Anomalien, wie Blutviskosität und Verformungen der roten Blutkörperchen, wurden durch eine Covid-19-Infektion verursacht.23,24 Die verschiedenen Prozesse schliessen sich nicht gegenseitig aus und können auch in Kombination auftreten.22
Es ist zu beachten, dass neben Infektion und Entzündung als Auslöser von Stoffwechselstörungen auch die Verabreichung von Steroiden, insbesondere Glukokortikoiden, eine Rolle bei der Entwicklung von Stoffwechselstörungen in der Post-Covid-Phase spielen kann. Fast alle Patienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf erhalten Glukokortikoide in Form von Dexamethason oder Hydrocortison, und mehrere Patienten mit Langzeitschäden des Lungenparenchyms erhalten weiterhin Glukokortikoide über einen längeren Zeitraum.25 Daher sind bei diesen Patienten eine steroidbedingte Verschlechterung des Stoffwechsels und ein steroidbedingter Diabetes nicht überraschend. Wenn die Verabreichung von Steroiden nach mehrwöchiger intensiver Anwendung abrupt abgesetzt wird, führt dies gelegentlich zu einer steroidinduzierten iatrogenen Nebenniereninsuffizienz. Bei einer schlecht kontrollierten und unsachgemäss ausschleichenden Glukokortikoidtherapie wird eine langfristige Unterdrückung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse angenommen. Dies kann zu Symptomen führen, die denen von Post-Covid ähneln, wie extremer Müdigkeit, Erschöpfung, Blutdruckdysregulation und Depression.26,27
Durchbruch- und Reinfektionen
Die Zahl der Durchbruch- und Reinfektionen mit SARS-CoV-2 ist trotz Vollimpfung sehr hoch. Die betroffenen Patienten zeigen meist leichte Symptome. Geimpfte Patienten, die schwere Covid-19-Symptome entwickeln, sind jedoch häufig älter und leiden häufig an Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz und chronischer Nierenerkrankung.28–30 Angesichts der Tatsache, dass Patienten mit Diabetes und Stoffwechselerkrankungen erneut die anfälligste Gruppe zu sein scheinen und am anfälligsten für schwere Symptome trotz Impfung sind, muss auf die Notwendigkeit einer angemessenen Kontrolle des Blutzuckers und des Blutdrucks bei unserer älteren Bevölkerung auch nach einem erfolgreichen Impfprogramm mit hoher Priorität hingewiesen werden.
Fazit für die Zukunft
Die Pandemie hat Menschen mit Stoffwechselerkrankungen, eine Gruppe mit einem hohen Risiko für eine schwere Covid-19-Infektion, vor einzigartige Herausforderungen gestellt. Die Bedeutung von Sport und gesunder Ernährung für Menschen mit Diabetes zur Optimierung ihres Diabetesmanagements wird daher immer stärker betont. Darüber hinaus ist es wichtig, Strategien für eine angemessene Behandlung zu entwickeln, sowohl medizinisch als auch psychologisch. Um den Teufelskreis aus der übertragbaren Covid-19-Infektion einerseits und den nicht übertragbaren Stoffwechselerkrankungen andererseits weiter zu verstehen, bedarf es dringend der Erforschung der genauen Ursachen und Mechanismen der Pathogenese und pathologischen Elemente, um rationale, präventive bzw. therapeutische Lösungen zu finden.
Literatur:
1 Thakur B et al.: Sci Rep 2021; 11: 8562 2 International Diabetes Federation: IDF Diabetes Atlas. https://diabetesatlas.org ; letzter Aufruf 21.10.2022 3 WHO: Obesity and overweight. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/obesity-and-overweight ; letzter Aufruf 21.10.2022 4 Bornstein SR et al.: Nat Metab 2021; 3: 289-92 5 Muller JA et al.: Nat Metab 2021; 3: 149-65 6 Qadir MMF et al.: JCI Insight 2021; 6: e151551 7 Steenblock C et al.: Nat Commun 2021; 12: 3534 8 Zinserling VA et al.: IDCases 2021; 26: e01328 9 Barrett CE et al.: MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2022; 14: 71; 59-65 10 Birabaharan M et al.: Diabetes Obes Metab 2022; 24: 1176-9 11 Steenblock C et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9: 786-98 12 Kamrath C et al.: JAMA 2020; 324: 801-4 13 Salmi H et al.: Arch Dis Child 2022; 107: 180-5 14 Khunti K et al.: Diabetes Care 2021; 44: 2645-55 15 Maestre-Muniz MM et al.: J Clin Med 2021; 10: 2945 16 Rubino F et al.: N Engl J Med 2020; 383: 789-90 17 Koczulla AR et al.: AWMF-S1-Leitlinie Long/Post-COVID. https://www.awmf.org ; letzter Aufruf 21.10.2022 18 Huang L et al.: Lancet Respir Med 2022; 10: 863-76 19 Pavli A et al.: Arch Med Res 2021; 52; 575-81 20 Tabacof L et al.: Am J Phys Med Rehabil 2022; 101: 48-52 21 Bornstein SR et al.: Horm Metab Res 2022; 54: 562-6 22 Choutka J et al.: Nat Med 2022; 28: 911-23 23 Joob B, Wiwanitkit V: Am J Blood Res 2021; 11: 93-5 24 Kubánková M et al.: Biophys J 2021; 120: 2838-47 25 Steenblock C et al.: Horm Metab Res 2022; 54: 496-502 26 Kanczkowski W et al.: Nat Rev Endocrinol 2022; 18: 451-2 27 Steenblock C et al.: Discov Ment Health 2022; 2: 5 28 Brosh-Nissimov T et al.: Clin Microbiol Infect 2021; 27: 1652-7 29 Juthani PV et al.: Lancet Infect Dis 2021; 21: 1485-6 30 Marfella R et al.: Nat Commun 2022; 13: 2318
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