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ÖDG-Leitlinien Antikoagulation: Acetylsalicylsäure
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Johanna Brix
Fachärztin für innere Medizin<br> 1. Medizinische Abteilung, Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien<br> E-Mail: johanna.brix@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Das Thema Antikoagulation – ASS wird in den Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft aufgegriffen, da bei Menschen mit Diabetes verglichen mit der Normalbevölkerung ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen besteht.<sup>1</sup> So ist das Risiko für das Auftreten einer koronaren Herzerkrankung bei Menschen mit Diabetes etwa doppelt so hoch, das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall liegt beim 2,27-Fachen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Laut ÖDG-Leitlinien besteht in der Sekundärprävention eine eine klare Indikation zur Thrombozytenaggregationshemmung bei Patienten mit Diabetes.</li> <li>ASS (75 – 162mg/d) kann bei Patienten mit Typ-1- oder mit Typ-2-Diabetes erwogen werden, wenn diese ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und kein erhöhtes Blutungsrisiko haben.</li> <li>In Bezug auf die Primärprävention ist die Datenlage nicht so klar, dies betrifft jedoch den größten Teil der Diabetiker.</li> </ul> </div> <h2>Daten zum Risiko</h2> <p>Auch wenn man die erwähnten Risiken für multiple andere Risikofaktoren wie Rauchen oder LDL-Cholesterin korrigiert, bleiben diese konsistent bestehen.<sup>1</sup><br /> Amerikanische Versicherungsdaten der letzten Jahre zeigten eine Reduktion der Raten an Myokardinfarkten, Schlaganfällen und Amputationen bei Menschen mit Diabetes verglichen mit Menschen ohne Diabetes. Diese Entwicklung wird abgesehen von den verbesserten Möglichkeiten in der antidiabetischen Therapie mit den besseren Behandlungsmöglichkeiten der Komorbiditäten wie Blutdrucktherapie, Senkung des LDL-Cholesterins, bessere Stenttechnologie etc. begründet.<br /> Dem gegenüber stehen schwedische Registerdaten, die nach wie vor eine höhere Prävalenz von Hospitalisierung aufgrund von kardiovaskulären Ereignissen, kardiovaskulärem Tod, Tod aufgrund koronarer Herzerkrankung und eine höhere Gesamtmortalität bei Menschen mit Typ-2-Diabetes im Vergleich zu Nichtdiabetikern zeigen.<sup>3</sup></p> <h2>Sekundärprävention</h2> <p>Sehr eindeutig sind die Leitlinien bezüglich Sekundärprävention: Eine klare Indikation zur Thrombozytenaggregationshemmung besteht bei Patienten mit Diabetes in der Sekundärprävention. Diese Patienten sollten Acetylsalicylsäure (ASS) 62–162 mg/d oder, bei dokumentierter Acetylsalicylsäureallergie, Clopidogrel 75 mg erhalten. Eine duale Thrombozytenaggregationshemmung (mit Acetylsalicylsäure und einem P2Y12-Inhibitor) wird im Allgemeinen für einen Zeitraum von einem Jahr nach einem akuten Koronarsyndrom empfohlen.<sup>4</sup> Dies stimmt mit den ESCGuidelines der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft überein.<sup>5</sup></p> <h2>Primärprävention</h2> <p>In Bezug auf die Primärprävention ist die Datenlage leider nicht so klar. Dies betrifft allerdings den Großteil der Menschen mit Diabetes, denn Schätzungen zufolge gibt es in Österreich ca. 600 000 Menschen mit Diabetes, von denen jedoch nur 20 % manifeste kardiovaskuläre Erkrankungen haben.</p> <h2>Metaanalysen</h2> <p>Ältere Metaanalysen zeigen einen Benefit für ASS in der Primärprävention unabhängig vom Diabetesstatus.<sup>6</sup> Interessanterweise dürfte es hier allerdings auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen geben. ASS dürfte bei Männern einen stärkeren Effekt hinsichtlich der Prävention des Myokardinfarktes und bei Frauen eine bessere Wirkung in Bezug auf die Prävention eines Schlaganfalls haben.<sup>7 </sup></p> <h2>Rezente Studien</h2> <p>Eine rezente Studie hat die Wirkung von Aspirin bei 19 000 älteren Menschen (Alter > 70 Jahre oder Alter > 65 Jahre und afroamerikanische oder hispanische ethnische Zugehörigkeit) untersucht.<sup>8</sup> 11 % aus diesem Kollektiv waren Menschen mit Typ-2-Diabetes. Alle Patienten hatten zu Studienbeginn keine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung und wurden entweder zu 100 mg Aspirin oder Placebo randomisiert. Nach einem Median von 4,7 Jahren ergab sich eine Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen von 10,7 Ereignissen pro 1000 Personenjahre in der Aspirin-Gruppe und 11,3 Ereignissen pro 1000 Personenjahre in der Placebogruppe (HR: 0,95; 95 % CI: 0,83–1,08). Die Rate großer Blutungen war in der Aspirin-Guppe allerdings mit 8,6 Ereignissen pro 1000 Personenjahre bzw. in der Placebogruppe 6,2 Ereignissen pro 1000 Personenjahre höher (HR: 1,38; 95 % CI: 1,18–1,62; p < 0,001). Der Einsatz von niedrig dosiertem Aspirin in der Primärprävention bei älteren Erwachsenen führte daher zu einem signifikant höheren Risiko für schwere Blutungen, bewirkte jedoch kein deutlich geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />Eine andere Studie untersuchte Aspirin in der Primärprävention bei Patienten mit Typ-2-Diabetes.<sup>9</sup> In die Studie eingeschlossen wurden insgesamt 15 480 Patienten mit Diabetes ohne Hinweis auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Teilnehmer wurden entweder in eine Gruppe mit 100 mg Aspirin oder eine Gruppe mit Placebo randomisiert. Primäres Outcome war der kombinierte Endpunkt für das Auftreten eines kardiovaskulären Events: nicht tödlicher Myokardinfarkt, Schlaganfall (ohne bestätigte intrakranielle Blutungen) oder transiente ischämische Attacke oder Tod durch jegliche vaskuläre Ursache mit Ausnahme von bestätigten intrakranialen Blutungen. Die durchschnittliche Studiendauer betrug 7,4 Jahre. Schwere vaskuläre Ereignisse traten in der Aspirin-Gruppe mit einem deutlich geringeren Prozentsatz als in der Placebo-Gruppe auf: bei 658 Teilnehmern in der Aspirin-Gruppe, was 8,5 % entspricht, und 743 Teilnehmern in der Placebo-Gruppe, was 9,6 % entspricht. Dies bedeutete eine Risikoreduktion von 12 % (HR: 0,88; 95 % CI: 0,79–0,97; p = 0,01). Die Ergebnisse waren insbesondere getrieben durch die Risikoreduktion in der Aspirin-Gruppe bei transitorischen ischämischen Attacken. Große Blutungen traten bei 314 Teilnehmern (4,1 %) in der Aspirin-Gruppe im Vergleich zu 245 (3,2 % ) in der Placebo-Gruppe auf (HR: 1,29; 95 % CI: 1,09–1,52; p = 0,003), wobei es sich überwiegend um gastrointestinale Blutungen oder andere extrakranielle Blutungen handelte. Die Häufigkeit tödlicher Blutungen war in der Aspirin-Gruppe und in der Placebo-Gruppe ähnlich: 19 (0,2 %) versus 16,0 Patienten (0,2 %); die Häufigkeit von hämorrhagischen Schlaganfällen ebenso: 25 (0,3 %) bzw. 26 (0,3 %). Die Verwendung von Aspirin führte zur Verhinderung von kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit Diabetes, aber auch zu einem starken Anstieg der Zahl von Blutungen.</p> <h2>Leitlinienempfehlungen</h2> <p>Zur Primärprävention sagen die österreichischen Leitlinien:</p> <ul> <li>Acetylsalicylsäure (75–162 mg/d) kann bei Patienten mit Typ-1- oder mit Typ- 2-Diabetes erwogen werden,<sup>4</sup> wenn diese ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und kein erhöhtes Blutungsrisiko haben. Ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben Männer und Frauen ≥ 50 Jahre, die zumindest einen weiteren ausgeprägten Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen haben.</li> <li>Bei Patienten < 50 Jahre ohne zusätzliche Risikofaktoren ist eine Acetylsalicylsäure- Therapie in der Primärprävention entprechend der Nutzen-Risiko- Abwägung nicht zu empfehlen.</li> <li>Bei Patienten < 21 Jahren ist Acetylsalicylsäure generell wegen des Risikos für ein Reye-Syndroms kontraindiziert.</li> </ul> <p>Die europäischen Leitlinien für Kardiologie empfehlen generell keine Therapie mit ASS in der Primärprävention bei Patienten mit Diabetes.<sup>5</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> The Emerging Risk Factors Collaboration. Lancet 2010; 375: 2215-22 <strong>2</strong> Gregg EW et al.: Lancet 2016; 391: 2430- 40<strong> 3</strong> Rashwani A et al.: N Engl J Med 2017; 376(15): 1407- 18 <strong>4</strong> Wascher TC et al.: Wien Klin Wochenschr (2019) 131 [Suppl 1]: S139-S140 <strong>5</strong> www.escardio.org <strong>6</strong> Antithrombotic Trialists’ Collaboration. Lancet 2009; 373: 1849-60 <strong>7</strong> Berger JS et al.: JAMA 2006; 295: 306-13<strong> 8</strong> McNeil JJ et al.: N Engl J Med 2018; 379(16): 1509-18<strong> 9</strong> The ASCEND Collaborative Group N Engl J Med 2018: 379(16): 1529-39</p>
</div>
</p>