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ÖDG-Leitlinie zur antihyperglykämischen Therapie
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi
Abteilungsleiter, Abteilung für Innere Medizin, Barmherzige Brüder, Linz<br> Facharzt für innere Medizin, Zusatzfacharzt für Endokrinologie und Stoffwechsel, Nephrologie und Dialyse, internistische Intensivmedizin und Geriatrie<br> E-Mail: martin.clodi@clodi.at
30
Min. Lesezeit
07.07.2016
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<p class="article-intro">Seit dem Jahr 2004 gibt es unter Anleitung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, ÖDG, Leitlinien zur umfassenden Betreuung von Patienten mit Diabetes mellitus. Diese Leitlinien wurden bereits in den Jahren 2009 und 2012 überarbeitet, dies geschah 2016 zum 3. Mal. Im vorliegenden Artikel gehe ich auf die wichtigsten Neuerungen ein und zeige die wesentlichsten Punkte, die gleich geblieben sind. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Basis jeder Diabetestherapie ist eine lebenslange Lebensstilintervention mit Gewichtsreduktion und Bewegungstherapie.</li> <li>Bei kurzer Diabetesdauer und langer Lebenserwartung ist ein HbA<sub>1c</sub> zwischen 6 und 6,5 % anzustreben.</li> <li>Für die meisten Patienten ist ein HbA<sub>1c</sub>-Ziel <7 % als ausreichend für den mikro- und makrovaskulären Schutz anzusehen. Metformin spielt nach wie vor eine zentrale Rolle in der Behandlung und ist aktuell noch immer das First-Line-Medikament.</li> <li>Für zwei Medikamente gibt es aktuell positive Outcome-Studien in placebokontrollierten prospektiven Studien. Weitere Daten werden für Liraglutid erwartet.</li> </ul> </div> <h2>Diagnoserichtlinien</h2> <p>In den Diagnoserichtlinien hat es 2016 keine Änderungen gegeben. Als Diagno­sekriterium gilt weiterhin ein HbA<sub>1c</sub>-Wert >6,5 % . Der HbA<sub>1c</sub>-Wert sollte bei jeder stationären Aufnahme in einem Krankenhaus erhoben werden, ähnlich wie TSH und andere Laborparameter. Bei einem HbA<sub>1c</sub>-Wert von 5,7 bis 6,4 % spricht man von einem HbA<sub>1c</sub>-Grenzwert. Bekanntermaßen besteht gerade zu Beginn der Erkrankung bei ca. 50 % der Patienten ein manifester Diabetes bei HbA<sub>1c</sub>-Werten, die unter <6,5 % liegen. Das heißt, sollte der HbA<sub>1c</sub>-Wert zwischen 5,7 und 6,4 % liegen, wäre ein oraler Glukosetoleranztest zur definitiven Diagnose eines Diabetes mellitus angezeigt. Hierbei ist der Grenzwert >200mg/dl. Bei 140 bis 200mg/dl spricht man von einer gestörten Glukosetoleranz. Als weiteres Diagnosekriterium gelten ein Nüchternblutglukosewert von >126mg/dl sowie ein unkoordinierter, das heißt zu einem beliebigen Zeitpunkt gemessener Wert von >200mg/dl. Die Bestimmung aller Werte ist mindestens an zwei verschiedenen Tagen gefordert. Anhand die­ser Ergebnisse wird die Diagnose gestellt.</p> <h2>HbA<sub>1c</sub>-Zielwerte</h2> <p>Als HbA<sub>1c</sub>-Zielwert in der Therapie ist in den neuen ÖDG-Leitlinien als primä­re Richtgröße ein HbA<sub>1c</sub> <7 % (6,5 % ) angegeben. Sekundäre Richtgrößen sind eine Nüchternglukose unter 130mg/dl, idealerweise <110mg/dl, sowie eine postprandiale Glukose <180mg/dl (2 Stunden nach einer Mahlzeit).</p> <p>Entsprechend der aktuell verfügbaren Datenlage sollten die HbA<sub>1c</sub>-Zielwerte möglichst individuell an den jeweiligen Patienten in einem Bereich zwischen 6,5 und 8 % angepasst werden. Bei kurzer Diabetesdauer, langer Lebenserwartung und keiner relevanten kardiovaskulären Morbidität ist ein HbA<sub>1c</sub>-Wert zwischen 6 und 6,5 % anzustreben. Natürlich spricht nichts gegen noch niedrigere Werte. Höhere HbA<sub>1c</sub>-Zielwerte, das heißt HbA<sub>1c</sub>-Zielwerte um 7 % bzw. eventuell sogar bis 8 % , sind der Situation und dem Patienten angepasst ausreichend. HbA<sub>1c</sub> <7 % gilt als ausreichend, wenn das Therapieziel nicht komplikationslos und nicht ohne große Gefahr des Eintretens von Hypoglykämien erreicht werden kann. Werte <7 % werden als ausreichend für die Reduktion von mikrovaskulären Spätkomplikationen betrachtet. Bei Patienten mit schweren und häufigen Hyperglykämien, einer eingeschränkten Lebenserwartung oder multiplen Spätkomplikationen sind höhere Werte akzeptabel.</p> <h2>Diabetestherapie</h2> <p><strong>Lebensstilintervention</strong><br /> Die Einleitung einer medikamentösen Therapie sollte ab einem HbA<sub>1c</sub>-Wert von 6,5 % stattfinden. Bei einem HbA<sub>1c</sub>-Wert von <6,5 % bei Diagnose ist dem Patienten zuerst die Notwendigkeit einer Lebensstilintervention näherzubringen, das heißt Schulung und Anleitung zur kalorienbewussten Ernährung zwecks Reduktion von Übergewicht, so dieses bestehen sollte. Ebenso wichtig, wenn nicht sogar essenziell, ist eine ausreichende Bewegungstherapie. Hierbei sind 150 Minuten pro Woche gefordert. Natürlich gelten diese Maßnahmen für alle Patienten.</p> <p><strong>Medikamentöse Therapie</strong><br /> Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen und sollte es zu keiner Senkung der HbA<sub>1c</sub>-Werte kommen, sind als Erstlinienmedikament Metformin und in weiterer Folge aktuell gleichwertig SGLT-2-Hemmer, Pioglitazon, DPP-4-­Hemmer, Sulfonylharnstoffe/Glinide, GLP-1-Rezeptorantagonisten, Acarbose oder Insulin zu geben. Nach weiterer Reevaluierung bzw. bei Notwendigkeit der Gabe einer Tripelkombination können aktuell die meisten Kombinationen auch verordnet werden. Nach der bestehenden Datenlage ist gemäß randomisiert kontrollierten prospektiven Stu­dien derzeit für Tripelkombinationen keine Evidenz einer Überlegenheit einer spezifischen Kombination gegeben.</p> <p><strong>Studienlage zur Blutzuckersenkung</strong><br /> Der Effekt einer blutzuckersenkenden Therapie ist in mittlerweile vielen Studien klar nachgewiesen, so z.B. in der Typ-1-Diabetes-Studie DCCT sowie der Typ-2-Diabetes-Studie UKPDS. In den letzten Jahren wurde dies durch Studien wie VADT, ACCORD und ADVANCE bestätigt. Eine besondere Stellung nimmt meiner Meinung nach die STENO-Studie ein. Hier wurde durch einen multifaktoriellen Ansatz (Glukose, Lipide, RR-The­rapie und Lebensstilintervention) eine Mortalitätsreduktion 5 Jahre nach Studienende von 100 % dargestellt. Diese Studie hat zur Erkenntnis geführt, dass Patienten, vor allem solche mit Typ-2-­Diabetes, nie ausschließlich in Bezug auf die Blutzuckersituation behandelt werden sollten, sondern der Fokus ebenso auf die antihypertensive Medikation wie auch auf die Stoffwechselsituation des Patienten gelegt werden sollte. Als Blutdruck­zielwert ist derzeit ein Wert von 140/90mmHg und als LDL-Zielwert ein Wert <70mg/dl bei einem zusätzlichen Risikofaktor angegeben.</p> <p><strong>Patienten mit eingeschränkter ­Nierenfunktion</strong><br /> Metformin kann nach den neuen Leitlinien Patienten mit eGFR-Werten bis 45ml/Minute gegeben werden. Es sollten jedoch andere Risikofaktoren für eine Laktatazidose ausgeschlossen sein. Die Dosierung sollte reduziert erfolgen, das heißt 500–1.000mg aufgeteilt auf 1–2 Dosen täglich. Gefordert ist eine Nierenfunktionskontrolle zumindest alle 3–6 Monate. Sollte die eGFR unter 45ml/Minute abfallen, muss Metformin abgesetzt werden. Ebenso sollte Metformin bei interkurrierenden schwe­ren Erkrankungen (schweren Infektionen) sowie auch bei Diarrhö und Exsi­k­kose unter Applikation von Kontrastmitteln nicht gegeben werden.</p> <p><strong>Charakteristika der Medikamente</strong><br /> In Tabelle 4 der neuen Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft sind die Vor- und Nachteile der einzelnen derzeit am Markt befindlichen Medikamente angeführt. Es gibt hier Hinweise auf die Stärke der HbA<sub>1c</sub>-Senkung und auf die möglichen Nebenwirkungen, wie z.B. Hypoglykämie. Ebenso werden die Vor- und Nachteile der spezifischen Medikamente dargestellt (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite10.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Neuerung – Medikamentenliste</h2> <p>Als Neuerung werden alle Medikamente, zu denen prospektiv randomisierte placebokontrollierte Studien durchgeführt worden sind, aufgelistet. Dies bedeutet in den meisten Fällen eine Evidenz zur kardiovaskulären Sicherheit bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten. Studien für die DPP-4-Hemmer Alogliptin, Saxagliptin und Sitagliptin haben in den Punkten MACE, kardiovaskuläre Mortalität und Gesamtmortalität ein neutrales Ergebnis gezeigt und können somit als kardiovaskulär sicher eingeschätzt werden. Das Gleiche gilt für den GLP-1-Rezeptorantagonisten Lixisenatid sowie für Insulin Glargin. Eine Sonderstellung nimmt Pioglitazon ein, das im sekundären Endpunkt in der PROactive-Studie ein positives Outcome in Bezug auf MACE gezeigt hat. Im letzten Jahr wurde die EMPA-REG-Studie zum SGLT-2-Hemmer Empagliflozin präsentiert, die sowohl für MACE und kardiovaskuläre Mortalität als auch Gesamtmortalität einen positiven Befund ergab. Anzumerken ist hierbei, dass die Untersuchung im Rahmen dieser Studie ebenso bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten erfolgte.</p> <p>Interessant sind die am 13. 6. 2016 präsentierten Daten der LEADER-Studie zum GLP-1-Rezeptorantagonisten Liraglutid. In dieser prospektiv randomisierten placebokontrollierten Studie konnte eine Reduktion von MACE-Ereignissen bei Diabetes-mellitus-Typ-2 Patienten und -Patientinnen berichtet werden. Die Daten wurden im Rahmen des Kongresses der American Diabetes Association präsentiert.</p> <div id="fazit"> <h2>Hinweis</h2> <p>Alle Daten zur neuen Leitlinie können von der Homepage der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, www.oedg.org, unter dem Menüpunkt Leitlinien abgerufen werden.</p> </div></p>