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Arbeit – Straßenverkehr – Sport – Alltag

Mit Diabetes leben müssen

<p class="article-intro">Diabetes lässt keinen Lebensbereich unberührt; aufgrund des chronischen Verlaufs der Erkrankung müssen sich Betroffene zeitlebens damit auseinandersetzen. Als Betroffene sind nicht ausschließlich die erkrankten Personen selbst anzusehen, sondern ihr gesamtes Lebensumfeld. Grund genug für die Diabetes Initiative Österreich (DIÖ), sich mit den spezifischen Herausforderungen zu befassen und diesen zu begegnen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Im Rahmen der dritten Diskussionsrunde &bdquo;Diabetes im Zentrum&ldquo; in diesem Jahr lud die Diabetes Initiative &Ouml;sterreich (DI&Ouml;) Vertreter aus mehreren Bereichen ein, die aus unterschiedlichen Perspektiven mit den Herausforderungen im Leben von Menschen mit Diabetes konfrontiert sind. Ziel war es, Aspekte zu definieren, die das Leben mit Diabetes von &bdquo;m&uuml;ssen&ldquo; zu &bdquo;gut k&ouml;nnen&ldquo; verbessern.</p> <h2>Stigma Diabetes</h2> <p>Alle Diskussionsteilnehmer berichteten von Situationen, die nach wie vor eine Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes erkennen lassen. Diese reicht von der h&auml;ufig anzutreffenden Ansicht, dass Diabetes selbst verschuldet und daher gro&szlig;teils vermeidbar sei, bis hin zu Nachteilen am Arbeitsmarkt. Als Hauptursache dieser Stigmatisierung wurde ein eklatantes Informationsdefizit gesehen.</p> <h2>Eklatantes Informationsdefizit</h2> <p>Bei n&auml;herer Analyse zeigte sich, dass der Informationsmangel auf allen Ebenen besteht. So ist es f&uuml;r betroffene Patienten auf medizinischer Ebene schwierig, an &ndash; zum Teil lebensnotwendiges &ndash; Wissen, von den t&auml;glichen Anforderungen im Umgang mit der Erkrankung &uuml;ber neue Entwicklungen auf dem Gebiet der medikament&ouml;sen Therapie oder unterst&uuml;tzender technischer Devices bis hin zur Umsetzung aktueller Guidelines in der Behandlung, zu gelangen. Dies beruht wiederum auf M&auml;ngeln in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von &Auml;rzten, die das Thema Diabetes zu wenig ber&uuml;cksichtigen. Nicht zuletzt wurde auf der Ebene der Allgemeinbev&ouml;lkerung Unwissen &uuml;ber die Erkrankung und ihre Konsequenzen geortet, was nicht nur zu Unsicherheit im Umgang mit den Betroffenen und deren Stigmatisierung beitr&auml;gt, sondern auch pr&auml;ventive Ma&szlig;nahmen im Hinblick auf die Vermeidung von Typ-2-Diabetes behindert.</p> <h2>Arbeitsplatz &ndash; wie vorgehen?</h2> <p>Arbeitnehmer sind gesetzlich nicht verpflichtet, ihren (k&uuml;nftigen) Dienstgeber &uuml;ber einen bestehenden Diabetes zu informieren; auf eine entsprechende Frage muss jedoch (anders als bei einer Schwangerschaft) wahrheitsgem&auml;&szlig; geantwortet werden. Den Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer zufolge sind viele Diabetiker darauf bedacht, die Erkrankung gegen&uuml;ber ihrem Arbeitsumfeld geheimzuhalten, um bef&uuml;rchtete Stigmatisierung und Benachteiligungen zu vermeiden &ndash; ohne sich der gro&szlig;en Nachteile dieses Vorgehens bewusst zu sein: So k&ouml;nnen bestimmte Anspr&uuml;che &ndash; etwa bei K&uuml;ndigung durch den Arbeitgeber &ndash; nicht geltend gemacht werden, uninformierte Kollegen und Vorgesetzte sind nicht auf n&ouml;tige Hilfeleistungen im Falle von Hypoglyk&auml;mien vorbereitet, und nicht zuletzt kann es zur Vernachl&auml;ssigung von medizinischen Handlungen (Blutzucker messen, Insulin spritzen) und infolgedessen zu einer schlechten Stoffwechseleinstellung kommen.<br /> Berichten zufolge f&uuml;hlen sich andererseits viele Menschen mit Diabetes, die im privaten Bereich und im Arbeitsumfeld offen mit ihrer Erkrankung umgehen, kaum mit Stigmatisierung oder Benachteiligung konfrontiert.</p> <h2>Diabetes und F&uuml;hrerschein</h2> <p>Prinzipiell besteht bei Menschen mit Diabetes unter bestimmten Therapien &ndash; Insulin und Sulfonylharnstoffe &ndash; das Risiko, eine Hypoglyk&auml;mie zu erleiden. Um daraus resultierende Gefahrensituationen im Stra&szlig;enverkehr m&ouml;glichst hintanzuhalten, werden seit einer Gesetzesnovelle im Jahr 2011 F&uuml;hrerscheine an Diabetiker nur noch befristet ausgestellt (bereits bestehende Lenkerberechtigungen waren davon nicht betroffen, es besteht keine Selbstmeldepflicht f&uuml;r zwischenzeitlich aufgetretene Erkrankungen). Entsprechend dieser Gesetzesnovelle darf &bdquo;eine Lenkberechtigung nur nach einer bef&uuml;rwortenden fach&auml;rztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden [&hellip;]&ldquo;; zus&auml;tzlich wurden einige Bedingungen im Zusammenhang mit Hypoglyk&auml;mien bzw. Hypoglyk&auml;mie-Wahrnehmungsst&ouml;rungen definiert. Die Befristung ist abh&auml;ngig von der gelenkten Fahrzeugklasse, die Festlegung der neuen Frist erfolgt anhand einer Empfehlung durch den Amtsarzt.<br /> Basierend auf einer Empfehlung der Europ&auml;ischen Union entstand im Jahr 2014 im Auftrag des Bundesministeriums f&uuml;r Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) unter der Leitung des Kuratoriums f&uuml;r Verkehrssicherheit im Rahmen einer Arbeitsgruppe eine Leitlinie f&uuml;r Amts- und Fach&auml;rzte zur Umsetzung dieser Empfehlungen im Alltag.<sup>1</sup> Trotzdem berichten Betroffene insbesondere in Selbsthilfegruppen h&auml;ufig &uuml;ber medizinisch nicht nachvollziehbare (willk&uuml;rliche?) Verk&uuml;rzungen der Befristung und deutliche regionale Unterschiede.</p> <h2>L&ouml;sungsvorschlag: Schulung f&uuml;r &Auml;rzte</h2> <p>Entsprechend wurde in der Diskussion gefordert, durch diabetesbezogene Schulungen der beurteilenden (Amts-)&Auml;rzte ein &ouml;sterreichweit bei allen Beh&ouml;rden einheitliches Vorgehen anhand gut definierter diabetesrelevanter Kriterien zu erreichen. Die Fachgesellschaft &ndash; die &Ouml;sterreichische Diabetes Gesellschaft &ndash; w&auml;re dabei sicherlich gefordert, eine medizinisch sinnvolle Umsetzung der existierenden Leitlinie vorzuschlagen.<br /> Wenig bekannt ist in diesem Zusammenhang offenbar, dass ein nicht nachvollziehbarer Bescheid bei der ausstellenden Beh&ouml;rde beeinsprucht werden kann.</p> <h2>Zur L&ouml;sung mit Information, Information, Information</h2> <p>Obwohl bereits auf umfangreiches Informationsmaterial zum Thema Diabetes inklusive unterschiedlicher Kampagnen verwiesen werden konnte, kamen die Diskussionsteilnehmer zu dem gemeinsamen Schluss, dass die Informationen nicht &bdquo;ankommen&ldquo;. Das wichtigste Bestreben m&uuml;sse demnach sein, jede Zielgruppe &ndash; etwa die Betroffenen, ihr Umfeld, F&uuml;hrungskr&auml;fte, Lehr- und Aufsichtspersonen, die &Ouml;ffentlichkeit etc. &ndash; mit spezifisch abgestimmten Inhalten und &uuml;ber jeweils geeignete Medien anzusprechen. Gro&szlig;e Bedeutung wurde hier den Selbsthilfegruppen beigemessen, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten, komplexe Inhalte f&uuml;r alle Interessierten, angepasst an die individuellen Bed&uuml;rfnisse und im direkten Gespr&auml;ch, zu vermitteln. Die Wahl des geeigneten Mediums (E-Mail, SMS, Anruf, Postsendung etc.) sei bereits bei so simplen Aspekten wie der Einladung zu einem Informationsabend zu ber&uuml;cksichtigen, um die relevante Zielgruppe auch tats&auml;chlich zu erreichen.</p> <h2>Verl&auml;ssliche Informationsquellen</h2> <p>Als weiteres wichtiges Anliegen ergab die Diskussion, dass &ndash; gerade in Zeiten von &bdquo;Dr. Google&ldquo; &ndash; die Qualit&auml;t der Information sichergestellt und deren Quelle nachvollziehbar sein soll. Als Beispiel wurde die Homepage der &Ouml;sterreichischen Diabetes Gesellschaft (&Ouml;DG) als Fachgesellschaft genannt, die sowohl Fach- als auch Laieninformationen anbietet und noch weiter ausgebaut werden k&ouml;nnte. Im Hinblick auf die Printmedien wurde angeregt, die Aktivit&auml;ten nicht &uuml;berwiegend im Raum Wien zu b&uuml;ndeln, sondern zus&auml;tzlich st&auml;rker auf regionale Zeitungen in den Bundesl&auml;ndern auszudehnen.</p> <h2>Kompetenz durch Rehabilitation</h2> <p>Als eine m&ouml;gliche Form der Patienteninformation wurde die Einschulung zum Umgang mit allen unterschiedlichen Aspekten der Erkrankung in einem Zentrum f&uuml;r Stoffwechselrehabilitation genannt. Im besten Fall erfolge diese unmittelbar nach der Diagnose im Rahmen eines station&auml;ren Aufenthaltes, bei dem nicht nur umfassende und verl&auml;ssliche Informationen zur Erkrankung und Therapie auf dem neuesten Stand des Wissens vermittelt werden, sondern auch unterschiedlichste Herausforderungen des Alltags unter fachkundiger Betreuung ausprobiert und ge&uuml;bt werden k&ouml;nnen (z.B. Integration der Blutzuckermessung in den Schul- bzw. Arbeitsablauf, Gestaltung der Mahlzeiten, Auswirkungen von Mahlzeiten, Sport etc. auf den Blutzucker). Um dies fl&auml;chendeckend anbieten zu k&ouml;nnen, m&uuml;sste allerdings in spezialisierte Rehabilitationszentren f&uuml;r Stoffwechselerkrankungen investiert und das Angebot spezifisch auf Kinder und Jugendliche ausgeweitet werden.</p> <h2>Gegen das Stigma &ndash; mit Information</h2> <p>Auch beim Thema Entstigmatisierung von Menschen mit Diabetes setzten die Diskussionsteilnehmer auf Information. So sei es daf&uuml;r etwa essenziell, dass die Unterschiede zwischen Typ-1- und Typ- 2-Diabetes allgemein bekannt sind, weil diese jeweils mit unterschiedlichen Therapien und Anforderungen verbunden sind. So sei etwa bei den &ndash; oft jungen &ndash; Patienten mit Typ-1-Diabetes die Akzeptanz der Erkrankung sehr gering; hier gelte es, das Selbstwertgef&uuml;hl der Betroffenen zu st&auml;rken und ihnen den Umgang mit allt&auml;glichen Situationen zu erleichtern. Einen wichtigen Beitrag dazu k&ouml;nnen &ndash; neben einem informierten Umfeld und der oben genannten Rehabilitation &ndash; &bdquo;Diabetes- Camps&ldquo; f&uuml;r Kinder und Jugendliche leisten.<br /> Deutlich anders ist die durchschnittliche Situation bei Menschen mit Typ-2-Diabetes gelagert, der sich in den meisten F&auml;llen im Erwachsenenalter manifestiert und dessen Therapie eine dauerhafte Ver&auml;nderung des Lebensstils beinhaltet &ndash; die wiederum durch ein gut informiertes Umfeld mitgetragen und unterst&uuml;tzt werden sollte.<br /> Allerdings sei bei den Informationen darauf zu achten, dass die Entstigmatisierung einer Gruppe nicht auf Kosten einer anderen Gruppe erfolgt. Generell wurde angeregt, das Thema Stigmatisierung per se in den Medien aufzugreifen und bewusst zu machen.</p> <p><span style="text-decoration: underline;">Moderation:</span> Univ.-Prof. Dr. <strong>Thomas C. Wascher</strong>, Diabetes Initiative &Ouml;sterreich</p> <p><span style="text-decoration: underline;">Teilnehmer (in alphabetischer Reihenfolge):</span><br /> <strong>Karin Duderstadt</strong>, Diabetes Initiative &Ouml;sterreich<br /> Prim. Dr. <strong>Claudia Francesconi</strong>, SKA-RZ Alland f&uuml;r Stoffwechselerkrankungen<br /> Ing. <strong>Wolfgang Frick</strong>, Aktive Diabetiker Austria<br /> Dipl.-P&auml;d. <strong>Helmut Thiebet</strong>, &Ouml;sterreichische Diabetiker Vereinigung<br /> <strong>Fritz Tomaschek</strong>, fritzwerk<br /> Mag. <strong>Ursula Zelenka</strong>, &Ouml;AMTC-Rechtsdienste, Konsumentenschutz und Mitgliederinteressen</p> <p><span style="text-decoration: underline;"><strong>Anmerkung:</strong></span><br /> <sup>1</sup> Arbeitsgruppe &bdquo;Amts&auml;rzte in F&uuml;hrerscheinangelegenheiten&ldquo;. Leitlinien f&uuml;r die gesundheitliche Eignung von Kraftfahrzeuglenkern. Ein Handbuch f&uuml;r Amts- und Fach&auml;rzte und die Verwaltung, erstellt im Auftrag des BMVIT unter der Leitung des KFV. 2013. http://www.bmvit.gv.at/ verkehr/strasse/recht/fsg/erlaesse/downloads/leitlinien_ gesundheit.pdf</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Diabetes im Zentrum, 15. Oktober 2018, Wien </p>
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