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Typ-2-Diabetes bei alten Menschen mit Insulinpflicht

Mikroschulung und Insulinadaptierung mittels „treat to target“

<p class="article-intro">Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, an der bis zu 600 000 Menschen in Österreich leiden. Laut österreichischem Gesundheitsbericht erkranken pro Jahr rund 33 000 Menschen an Diabetes mellitus Typ 2.<sup>1</sup> Der Diabetesverlauf hängt wesentlich vom Umgang der Betroffenen mit der Erkrankung ab. Schulungen der Betroffenen spielen dabei eine entscheidende Rolle und haben Auswirkungen auf Glukosekontrolle und Behandlungszufriedenheit. Eine Studie zeigt nun die Effektivität sogenannter Mikroschulungen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine &bdquo;Titrationskarte&ldquo; hilft bei der Insulindosisadaptierung nach dem &bdquo;Treat to target&ldquo;- Prinzip.</li> <li>Mikroschulungen sind kleine Lerneinheiten mit einer Dauer von zehn bis 30 Minuten, die beliebig oft wiederholt werden k&ouml;nnen.</li> <li>Im Studienzeitraum traten trotz Blutzuckersenkung und HbA1c- Verbesserung keine relevanten Hypoglyk&auml;mien auf.</li> <li>Es konnte gezeigt werden, dass auch &auml;ltere und hochbetagte Diabetiker entweder durch Selbstmanagement oder gemeinsam mit dem diplomierten Pflegedienst bzw. den Angeh&ouml;rigen die Stoffwechselkontrolle optimieren und ihre Behandlungszufriedenheit deutlich verbessern k&ouml;nnen.</li> </ul> </div> <h2>Schulungsma&szlig;nahmen in der Diabetesbehandlung</h2> <p>Jede Diabetesbehandlung sollte Schulungsma&szlig;nahmen beinhalten, die es dem Patienten erm&ouml;glichen, sich aktiv mit dem Diabetes auseinanderzusetzen.<sup>2</sup> In der klinischen Realit&auml;t haben Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus jedoch sehr h&auml;ufig ein gro&szlig;es Defizit in Bezug auf das daf&uuml;r notwendige Wissen. Um eine optimale Stoffwechseleinstellung bei den Betroffenen zu erreichen, ist es notwendig, mit den Patienten gemeinsam individuelle Blutzuckerzielbereiche zu vereinbaren sowie ihnen die M&ouml;glichkeit zu geben, an einer strukturierten Schulung teilzunehmen.<sup>3</sup></p> <h2>Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus im extramuralen Bereich</h2> <p>Damit &auml;ltere und pflegebed&uuml;rftige Menschen trotz ver&auml;nderter Lebenssituation durch Krankheit, Behinderung oder altersbedingte Bed&uuml;rfnisse in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben k&ouml;nnen, besteht die M&ouml;glichkeit der Unterst&uuml;tzung durch die mobile Pflege und Betreuung. Die Patienten sowie ihre Angeh&ouml;rigen werden durch professionelle Mitarbeiter mit fachgerechter Pflege und Betreuung in den eigenen vier W&auml;nden beraten und unterst&uuml;tzt.<sup>4</sup> Die diplomierten Pflegepersonen sind oft die ersten Ansprechpersonen, die durch Interaktion mit den Patienten mit ihrem speziellen Wissen aufgerufen sind, diese zum Thema Diabetes mellitus zu schulen und zu motivieren, um die Therapieziele zu erreichen.<sup>5</sup> Eine strukturierte Schulung im klassischen Sinn ist in diesem Setting, da es sich teilweise um hochbetagte Personen handelt, nicht m&ouml;glich. Diese Patienten bzw. ihre Angeh&ouml;rigen m&uuml;ssen trotzdem &uuml;ber Therapie, Selbstmanagement und ebenso &uuml;ber Folgesch&auml;den und Komplikationen wie Hypoglyk&auml;mien sowie &uuml;ber Ma&szlig;nahmen zur Risikoreduktion informiert werden.</p> <h2>Titrationskarte</h2> <p>F&uuml;r eine ad&auml;quate Insulintherapie mit m&ouml;glichst selbstst&auml;ndiger Insulindosisanpassung haben Diabetesexperten gemeinsam mit Novo Nordisk die &bdquo;Titrationskarte&ldquo; entwickelt, welche Insulindosisadaptierung nach dem &bdquo;Treat to target&ldquo;-Prinzip erm&ouml;glicht (Abb. 1 und 2).<sup>6</sup> Dieses Hilfsmittel, verbunden mit einer Schulungseinheit zur Insulintherapie inkl. Insulintitration in Form von Mikroschulung zeigt, dass auch im extramuralen Raum Patientenschulung und eine damit verbundene Verbesserung der Stoffwechsel- und Behandlungsqualit&auml;t m&ouml;glich sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1901_Weblinks_a4-abb1.jpg" alt="" width="679" height="405" /></p> <h2>Mikroschulung</h2> <p>Unter Mikroschulung versteht man kleine Lerneinheiten mit einer Dauer von zehn bis 30 Minuten, die beliebig oft wiederholt werden k&ouml;nnen. Geschult werden ein bis zwei Personen, meist der Patient und seine Angeh&ouml;rigen. Diese Mikroschulungen haben das Ziel, je nach Themengebiet kleine Wissensportionen, Fertigkeiten und/oder Verhaltensweisen zu vermitteln. Es handelt sich hier um eine Schulung in kleinen Schritten in einem kurzen Zeitraum, aber es k&ouml;nnen auch je nach Bedarf der Betroffenen beratende und informierende Anteile enthalten sein. Der Vorteil von Mikroschulungen besteht darin, dass individuell auf die Person in einer konkreten Situation eingegangen werden kann. Ebenso werden das Wissen und die F&auml;higkeiten der Patienten erg&auml;nzt und gef&ouml;rdert, um so die Selbstbestimmung zu f&ouml;rdern.<sup>7</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1901_Weblinks_a4-abb2.jpg" alt="" width="677" height="422" /></p> <h2>&bdquo;Titrationsstudie&ldquo;</h2> <p>Die Studie wurde im Rahmen eines Projektes des V&Ouml;D (Verband &Ouml;sterreichischer Diabetesberaterinnen und Diabetesberater) gemeinsam mit dem &Ouml;sterreichischen Roten Kreuz, Landesverband Steiermark (Hauskrankenpflege) Stra&szlig;, sowie drei Haus&auml;rzten aus der Region und in Zusammenarbeit mit dem LKH Uniklinikum Graz, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Innere Medizin, Abteilung Endokrinologie und Stoffwechsel, von September 2015 bis April 2016 durchgef&uuml;hrt. In dieser Untersuchung wurden (hoch)betagte Personen mit Diabetes mellitus Typ 2 bzw. deren Angeh&ouml;rige in Mikroschulungseinheiten zu relevanten Themen bzw. im Umgang mit der Anwendung der &bdquo;Titrationskarte&ldquo; geschult, welche die selbstst&auml;ndige Anpassung der Insulindosis nach dem &bdquo;Treat to target&ldquo;-Prinzip erm&ouml;glicht. <br />Mittels der Titrationskarte wird in der t&auml;glichen Praxis auf Basis von regelm&auml;&szlig;igen Kontrollen der Blutzuckerwerte eine Adaption der Insulindosis durch den Patienten durchgef&uuml;hrt. Im Bedarfsfall hat die Person mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus die M&ouml;glichkeit, Unterst&uuml;tzung durch die diplomierte Pflegekraft und/ oder Angeh&ouml;rige bei der Festlegung der Insulindosis zu erhalten. Sowohl die Insulinstartdosis als auch der individuelle Zielbereich werden vom behandelten Arzt (Hausarzt, Internist) festgelegt. Die Einschulung der Mediziner sowie der diplomierten Pflegekr&auml;fte im Umgang mit den Titrationskarten erfolgte vor der ersten Studienvisite, um eine sichere Einf&uuml;hrung und Handhabung zu gew&auml;hrleisten. <br />Neben der Wirkung auf die Stoffwechselkontrolle (HbA<sub>1c</sub>) wurde in der Studie auch die Therapiezufriedenheit mit dem &bdquo;Diabetes Treatment Satisfaction Questionnaire&ldquo; (DTSQ) untersucht. Der DTSQ beinhaltet acht Items, wobei sich zwei Items mit der subjektiven Wahrnehmung von &Uuml;ber- bzw. Unterzuckerung befassen, die restlichen sechs Items erheben die Zufriedenheit mit der aktuellen Diabetestherapie. Der Beobachtungszeitraum betrug drei Monate bzw. die Zeit bis zum Erreichen des individuellen glyk&auml;mischen Zielbereichs. <br />Es nahmen 16 Personen an der Studie teil, davon 10 Frauen. Das mittlere Alter betrug 74,2 Jahre (61&ndash;85). Der BMI im Median betrug 34,4 (26,7&ndash;42), die Teilnehmer waren im Mittel seit 16 (4&ndash;26) Jahren an Diabetes erkrankt und 14 Personen hatten bereits eine Insulintherapie, eine Person wurde neu auf Insulin eingestellt. Ein Patient zog nach Studienbeginn seine Einverst&auml;ndniserkl&auml;rung zur&uuml;ck.<sup>8</sup></p> <h2>Studienergebnisse</h2> <p>Die Insulindosis betrug zu Beginn der Studie 33,1IE (20&ndash;68) und lag zum Studienende bei 38,7IE (14&ndash;80). Die Probanden kontrollierten ihren Blutzucker zu Beginn durchschnittlich 9,1-mal (0- bis 21-mal) pro Woche, am Ende 14,9-mal (14-bis 21-mal) pro Woche. Der durchschnittliche Blutzucker morgens n&uuml;chtern lag bei 157mg/dl (120&ndash;182mg/dl), der Wert abends vor der Abendmahlzeit bei 206mg/dl (153&ndash;273mg/dl). Bei Studienende sanken die Glukosewerte im Durchschnitt morgens auf 141mg/dl (109&ndash; 163mg/dl) und abends auf 168mg/dl (140&ndash;216mg/dl). Der HbA<sub>1c</sub>-Wert sank im Median von 9,2 % (6,5&ndash;11,9 % ) auf 7,9 % (6,5&ndash;10,1 % ) zu Studienende. Nach durchschnittlich 8,5 (4&ndash;12) Wochen erreichten die Probanden ihren individuellen Zielbereich (Tab. 1).<sup>8</sup></p> <h2>Hypoglyk&auml;mien</h2> <p>Im Studienzeitraum gab es trotz Blutzuckersenkung und HbA<sub>1c</sub>-Verbesserung keine relevanten Hypoglyk&auml;mien. Die Ergebnisse des DTSQ-Fragebogen zeigen in den zwei Items zur subjektiven Wahrnehmung von &Uuml;ber- bzw. Unterzuckerung (Frage 2 und 3) wie auch in den restlichen sechs Items, die die Zufriedenheit mit der aktuellen Diabetestherapie erhoben, eine deutliche Verbesserung im Beobachtungszeitraum (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1901_Weblinks_a4-tab1-2.jpg" alt="" width="662" height="412" /></p> <h2>Nachbeobachtung</h2> <p>Obwohl nach Beendigung der Untersuchung im April 2016 die Teilnehmer keine weitere Unterst&uuml;tzung in Form von Wiederholungsschulungen bzw. Anleitung durch diplomierte Pflegepersonen erhalten haben, sind in der Nachbeobachtung mittels HbA<sub>1c</sub> weiterhin messbare Erfolge f&uuml;r diese teilweise hochbetagte Personengruppe zu finden. Das HbA<sub>1c</sub> lag bei einer Kontrolle (n=12) auch noch ein Jahr nach Beendigung der Untersuchung im Median bei 7,8 % (6,4&ndash;9,0 % ). Drei der Probanden sind verstorben, keiner dieser Todesf&auml;lle hatte einen direkten Zusammenhang mit der Insulintherapie.</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Es konnte gezeigt werden, dass auch &auml;ltere und hochbetagte Diabetiker entweder durch Selbstmanagement oder gemeinsam mit dem diplomierten Pflegedienst und/oder den Angeh&ouml;rigen die Stoffwechselkontrolle optimieren und ihre Behandlungszufriedenheit deutlich verbessern k&ouml;nnen. Die Schulungseinheit &bdquo;Mikroschulung&ldquo; ist ein hilfreiches Tool in der Betreuung durch die mobile Pflege. Die Verbesserungen der Stoffwechselkontrolle und der Zufriedenheit mit der Behandlung sind messbare Erfolge f&uuml;r diese teilweise hochbetagte Personengruppe. Mit der Novellierung des Gesundheitsund Krankenpflegegesetzes, &sect;15 &bdquo;Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie, Durchf&uuml;hrung medizinischtherapeutischer Interventionen&ldquo; unter Abs. 20 &bdquo;Anpassung von Insulintherapie, insbesondere nach Standard Operating Procederes (SOP)&ldquo;, ist eine ad&auml;quate Versorgung dieser Personengruppe m&ouml;glich (GuKG 2016).<sup>9</sup></p> <div id="fazit"> <h2>PRAXISTIPP</h2> <p>Eine ausreichende Anzahl diplomierter Pflegepersonen mit entsprechender fundierter Ausbildung in der Schulung und Betreuung von Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus sollte in der Zukunft zur Verf&uuml;gung stehen, um diese Personengruppe optimal unterst&uuml;tzen zu k&ouml;nnen.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bundesministerium f&uuml;r Gesundheit und Frauen (BMGF): &Ouml;sterreichischer Gesundheitsbericht (2016): https://- www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/6/7/3/CH1066/ CMS1515593643220/ gesundheitsbericht2016.pdf <strong>2</strong> Weitgasser R et al.: Leitlinien f&uuml;r die Praxis. Diabetesschulung bei Erwachsenen mit Diabetes. Wien Klin Wochenschr 2016; 128 (Suppl 2): 146-50 <strong>3</strong> Clodi M et al.: Hyperglycemic treatment guidelines for diabetes mellitus type 2. Wien Klin Wochenschr 2012; 124(Suppl 2): 10-6 <strong>4</strong> Eder A.: &bdquo;Wenn&rsquo;s alleine zuhause nicht mehr geht.&ldquo; Mobile Pflege und Betreuung in &Ouml;sterreich. Pflege professionell 2018; 2: 21. https://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/4/ 5/9/ CH1417/CMS1423479059781/4_vaeb_-_evaluationsbericht_-_ gesundheitsdialog_ diabetes_mellitus.pdf <strong>5</strong> Levich B.: Diabetes management: optimizing roles for nurses in insulin initiation. J Multidiscip Healthc 2011; 4: 15-24 <strong>6</strong> Tatschl C.: Gef&uuml;hrte (Selbst-)Titration der Insulindosis bei Typ-2-Diabetes: &bdquo;Treat to target&ldquo; zwischen zwei Arztbesuchen. Journal f&uuml;r klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 2013; 6: 45-6 <strong>7</strong> Tolsdorf M.: Patientenwissen &bdquo;to go&ldquo;: Mikroschulungen. CNE Fortbildung 2010; 2: 10-2 <strong>8</strong> Tatschl C.: (Selbst-)Titration der Insulindosis im extramuralen Bereich. Jatros Diabetologie und Endokrinologie 2017; 3: 32-4 <strong>9</strong> Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GUKG), Novelle 2016: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/ BgblAuth/BGBLA_2016_I_75/BGBLA_2016_I_75. pdfsig</p> </div> </p>
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