
Medikamentöse Therapie versus metabolische Chirurgie in der Behandlung des Typ-2-Diabetes
Bericht:
Dr. med. Sabina Ludin
Chefredaktorin
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Die medikamentöse Behandlung des Typ-2-Diabetes hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Das Ziel ist längst nicht mehr nur die Blutzuckerkontrolle, sondern auch die Verhinderung von makro- und mikrovaskulären Komplikationen sowie die Behandlung der Adipositas. Eine effektive Gewichtsreduktion gelingt zunehmend auch mit einer medikamentösen Therapie. Es ist also Zeit für eine Gegenüberstellung von medikamentöser Behandlung und bariatrischer Chirurgie. Im Rahmen des SGED-Kongresses 2022 stellten sich Prof. Dr. med. Gottfried Rudofsky, Praxis für Endokrinologie, Diabetes und Adipositas, Olten, und Prof. Dr. med. Beat Müller, Chefarzt Viszeralchirurgie, Clarunis – Universitäres Bauchzentrum Basel, dieser Debatte.
Pro medikamentöse Therapie
«Ärzt*innen, die Menschen nach einer bariatrischen Operation betreuen, wissen, dass viele davon mit mannigfaltigen Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Die metabolische Chirurgie ist kein Wundermittel, mit der Typ-2-Diabetes (T2D) und Adipositas geheilt werden können, es kann lediglich eine Remission erreicht werden», sagte Rudofsky. Wie eine britische Real-World-Studie zeigt, führt die bariatrische Chirurgie zwar zu einer signifikant verbesserten glykämischen Kontrolle, trotzdem benötigen drei Jahre nach dem Eingriff 65% der Patient*innen noch mindestens ein Antidiabetikum.1 Die Verbesserung der Diabeteskontrolle ist dabei in erster Linie auf die Gewichtsabnahme zurückzuführen. 2017 wurde in der DiRECT-Studie nachgewiesen, dass mit einer konventionellen Intervention zur Gewichtsabnahme bei 46% der Proband*innen innert 12 Monaten eine Remission des T2D erreicht werden kann.2 Dabei korreliert die Chance auf eine Remission mit der Höhe des Gewichtsverlustes. «Heute haben wir Medikamente, mit denen die Gewichtsabnahme wirksam unterstützt werden kann», sagte der Diabetologe. So zum Beispiel Semaglutid 2,4mg (Wegovy®), dessen Zulassung in der Schweiz in den nächsten Wochen erwartet wird. In der STEP-4-Studie war unter der Behandlung mit Semaglutid 2,4mg s.c. einmal pro Woche ein kontinuierlicher Gewichtsverlust zu beobachten.3 Nach 68 Wochen hatten die Proband*innen durchschnittlich 17,6% des ursprünglichen Körpergewichts verloren.3
Eine weitere vielversprechende Substanz, die in den USA bereits zugelassen ist und 2023 auch in der Schweiz auf den Markt kommen dürfte, ist Tirzepatid (Mounjaro®), ein dualer GIP-GLP-1-Rezeptoragonist. Tirzepatid verbessert die glykämische Kontrolle bei T2D signifikant und senkt das Gewicht dosisabhängig bei bis zu 57% der Patient*innen um >10% und bei bis zu 36% um ≥15%, wie in der SURPASS-2-Studie gezeigt wurde.4
Der nächste Schritt ist Triple-G. Am EASD-Kongress 2022 wurden vor Kurzem die ersten Phase-I-Daten zu Ly3437943, einem neuen dreifachen GIP-GLP-1-Glukagon-Rezeptoragonisten vorgestellt.5 Während der 12-wöchigen Behandlung mit der neuen Substanz wurden eine signifikante dosisabhängige Reduktion des HbA1c um bis zu 17,1mmol/mol und eine Abnahme des Körpergewichts um bis zu 8,9kg beobachtet.5 Das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil war vergleichbar mit demjenigen anderer Inkretine.5
Weitere Substanzen sind in der Pipeline, so z.B. Cagrilintid, ein lang wirksames Amylinanalogon, das als Monotherapie oder in Kombination mit Semaglutid zu einer signifikanten Gewichtsabnahme führt.6
«Bei der Wahl der Behandlung ist es auch wichtig, die Präferenzen der Patient*innen zu berücktsichtigen. Nach meiner Erfahrung zieht der Grossteil die medikamentöse Behandlung einer Operation vor. Für die allermeisten ist die Operation die letzte Option», so Rudofsky.
Die Daten zeigen, dass im Bereich der medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren sehr grosse Fortschritte gemacht wurden und weiterhin gemacht werden. «In Zukunft werden wir damit nahezu die gleichen Resultate erreichen wie mit der metabolischen Chirurgie. Die medikamentöse Therapie hat dabei den Vorteil, dass sie an die Bedürfnisse der Patient*innen angepasst werden kann. Zwar müssen die Medikamente langfristig verabreicht werden – nach dem Absetzen steigt das Gewicht gleich wie nach dem Beenden einer Diät wieder an –, aber auch die chirurgische Magenverkleinerung ist endgültig und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Zudem ist eine bariatrische Operation mit nicht zu unterschätzenden Risiken behaftet und erfordert eine langfristige Nachbetreuung», so das Fazit von Rudofsky.
Pro metabolische Chirurgie
«Mit einer bariatrischen Operation können wir Typ-2-Diabetes nicht heilen, das ist klar, aber zurzeit ist sie die effektivere Behandlung. Wir brauchen die metabolische Chirurgie», konterte Müller. Die bariatrische Chirurgie ist nicht nur die derzeit effektivste Methode zur Gewichtsreduktion, sie wirkt sich auch günstig auf harte Endpunkte aus. «Bereits vor 15 Jahren wurde gezeigt, dass die metabolische Chirurgie die Mortalität senkt», 7 so der Chirurg. Dies wurde kürzlich in einer Metaanalyse mit 174772 Proband*innen bestätigt.8 «Für die intensivierte medikamentöse Behandlung konnte dies bisher nicht gezeigt werden», stellte Müller fest.
Die günstigen Auswirkungen auf makro- und mikrovaskuläre Komplikationen und andere Komorbiditäten der Adipositas sind unabhängig vom BMI. «Wir sollten die metabolische Chirurgie also auch bei Patient*innen mit einem BMI unter 40kg/m2 einsetzen», sagte Müller. Die STAMPEDE-Studie zeigte, dass bariatrische Chirurgie plus intensive medikamentöse Behandlung bei Menschen mit T2D und einem BMI zwischen 27 und 43kg/m2 zu einer besseren Diabeteskontrolle führt als die medikamentöse Therapie allein.9 Zwei Metaanalysen bestätigen dieses Resultat.10,11 In einer weiteren Metaanalyse und einer Registerstudie wurde nachgewiesen, dass die metabolische Chirurgie in einem ähnlichen Kollektiv auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und die Mortalität signifikant senkt.12,13 In der Registerstudie betrug die «number needed to treat» (NNT), um mit der metabolischen Chirurgie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zu senken, 6–20.13 Die absolute Reduktion der Mortalität betrug 7,8%.13
Mit einer bariatrischen Operation kann aber auch das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen effektiver gesenkt werden als mit der medikamentösen Behandlung, wie eine weitere Metaanalyse zeigt.14 «Die Chance, eine Verbesserung einer bereits vorhandenen diabetischen Nephropathie zu erreichen, ist mit der metabolischen Chirurgie 20-mal höher als mit der medikamentösen Therapie. Das entspricht einer NNT von 2»,14 betonte Müller.
Die metabolische Chirurgie ist nicht nur die effektivste Methode zur Gewichtsreduktion, sie verbessert unabhängig davon auch die diabetischen Komorbiditäten und senkt die Mortalität – dabei scheint sie der aktuell verfügbaren medikamentösen Therapie überlegen zu sein. «Wenn ich meine Patient*innen berate, frage ich sie nicht, ob sie lieber eine Operation oder Medikamente möchten. Niemand mag Operationen. Ich informiere sie über die guten Resultate der Operation», sagte Müller.
Quelle:
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED), 17. und 18. November 2022, Bern
Literatur:
1 Singh P et al.: Glycemic outcomes in patients with type 2 diabetes after bariatric surgery compared with routine care: a population-based, real-world cohort study in the United Kingdom. Surg Obes Relat Dis 2022; 18: 1366-76 2 Lean ME et al.: Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet 2018; 391: 541-51 3 Rubino D et al.; STEP 4 Investigators: Effect of continued weekly subcutaneous semaglutide vs placebo on weight loss maintenance in adults with overweight or obesity: the STEP 4 randomized clinical trial. JAMA 2021; 325: 1414-25 4 Frias N et al.: Tirzepatide versus semaglutide once weekly in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2021; 385: 503-15 5 Milicevic Z et al.: Ly3437943 (LY), a novel triple GIP/GLP-1/glucagon receptor agonist, provides glucose lowering and weight loss in patients with type 2 diabetes after 12 weeks of treatment. Diabetologia 2022; 65(Suppl1): S58-59 6 Enebo LB et al.: Safety, tolerability, pharmacokinetics, and pharmacodynamics of concomitant administration of multiple doses of cagrilintide with semaglutide 2.4 mg for weight management: a randomised, controlled, phase 1b trial. Lancet 2021; 397: 1736-48 7 Sjöström L et al.: Effects of bariatric surgery on mortality in Swedish obese subjects. N Engl J Med 2007; 357: 741-52 8 Syn NL et al.: Association of metabolic-bariatric surgery with long-term survival in adults with and without diabetes: a one-stage meta-analysis of matched cohort and prospective controlled studies with 174772 participants. Lancet 2021; 397: 1830-1 9 Schauer PR et al.; STAMPEDE Investigators: Bariatric surgery versus intensive medical therapy for diabetes - 5-year outcomes. N Engl J Med 2017; 376: 641-51 10 Müller-Stich BP et al.: Surgical versus medical treatment of type 2 diabetes mellitus in nonseverely obese patients: a systematic review and meta-analysis. Ann Surg 2015; 261: 421-9 11 Rubino F et al.; Delegates of the 2nd Diabetes Surgery Summit: Metabolic surgery in the treatment algorithm for type 2 diabetes: a joint statement by international diabetes organizations. Diabetes Care 2016; 39: 861-77 12 Billeter AT et al.: Meta-analysis of metabolic surgery versus medical treatment for macrovascular complications and mortality in patients with type 2 diabetes. Surg Obes Relat Dis 2019; 15: 1197-210 13 Amanian A et al.: Association of metabolic surgery with major adverse cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes and obesity. JAMA 2019; 322: 1271-82 14 Billeter AT et al.: Meta-analysis of metabolic surgery versus medical treatment for microvascular complications in patients with type 2 diabetes mellitus. Br J Surg 2018; 105: 168-81
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