
Leitliniengerecht behandeln: Ist es nur die Wahl der richtigen Diabetesmedikation?
Autor:
OA Priv.-Doz. Dr. Michael Resl
Abteilung für Innere Medizin
Barmherzige Brüder Linz
E-Mail: michaelresl@outlook.com
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Die medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 hat sich in den vergangenen 20 Jahren rasant weiterentwickelt. Betrachtet man dies im Lichte der bereits lange bekannten Gluko- und Lipotoxizität, so ist aus heutiger Sicht eine medikamentöse Induktion einer Diabetesremission durch eine frühe Kombinationstherapie ein realistisches Therapieziel.
Keypoints
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Die richtige Auswahl der Medikation bildet nur eine der vielen Säulen der Diabetestherapie.
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Bis zu 10% der Patient:innen lösen ihre Verordnungen nicht ein.
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„Therapeutic inertia“ muss in den Behandlungsteams erkannt und durch geeignete Maßnamen vermieden werden.
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Die einfache Verfügbarkeit vonMedikamenten, die verordnet werden können, ist wichtig für den Therapieerfolg.
Neben den revolutionären Daten der SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin und Dapagliflozin liegen beeindruckende Ergebnisse auch für die modernen GLP-1-Analoga und Doppelagonisten (GIP/GLP-1) vor. Das mittlerweile verfügbare GIP/GLP-1-Analogon Tirzepatid konnte trotz einer Diabetesdauer von etwa 8 Jahren in der SURPASS-3-Studie bei bis zu 48% der Studienteilnehmer eine Diabetesremission, die definiert war als ein HbA1c-Wert <5,7%, bewirken. Unter einer frühen Kombinationstherapie aus Metformin, SGLT2-Inhibitor, GLP-1-Analogon oder GIP/GLP1-Analogon ist eine Diabetesremission ein anzustrebendes und auch realistisches Therapieziel.
Screening und richtige Diagnosestellung
Neben dem frühen Einsatz dieser hocheffektiven Substanzen stellt das Diabetesscreening bzw. die möglichst frühzeitige Diagnosestellung die zweite wesentliche Säule der modernen Therapiekonzepte dar. Ein kombiniertes Vorgehen aus Screening, früher Diagnosestellung und intensiver blutzuckersenkender Therapie spielt eine bedeutende Rolle im Erhalt der Lebensqualität und Verlängerung der Lebenserwartung der Patient:innen. Analysen großer Datensätze legen nahe, dass die korrekte Diagnosestellung prinzipiell die Basis für die Festlegung der weiteren Therapieschritte ist und damit den Weg für die individuelle Auswahl der Medikamente ebnet. Bis zu 10% der Patient:innen mit der vermeintlichen Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 weisen Antikörper (GAD, IA2, Insulinautoantikörper) auf und sind daher eigentlich an Diabetes mellitus Typ1 erkrankt. Auch monogenetische Diabetesformen müssen korrekt diagnostiziert werden, da dies häufig eine Therapie mit einem Sulfonylharnstoff erforderlich macht.
Was bedeutet leitliniengerechte Therapie?
Berücksichtigt man die genannten Meilensteine der letzten Jahre, so scheint die Durchführung einer leitliniengerechten Therapie tatsächlich beinahe ausschließlich durch die Auswahl der richtigen Medikamente festgelegt zu werden. Betrachtet man allerdings die Fragestellung im Detail, so zeigt sich, dass trotz der Entwicklungen die Therapieziele nur bei einem geringen Teil der Patient:innen tatsächlich erreicht werden können.
Im Jahr 2008 zeigte eine Analyse eines Registers mit 1427 Patient:innen aus dem Allgemeinen Krankenhaus in Wien und der Klinik Hietzing in Wien, dass nur 35% der Teilnehmer:innen einen HbA1c-Wert<7% und nur 10% ein LDL–Cholesterin <70mg/dl erreichen konnten. Trotz der mittlerweile verfügbaren deutlich effektiveren Therapien dokumentierte die AUSTRO-PROFIT-Studie, dass nur 13% der im niedergelassenen Bereich behandelten Patient:innen alle Zielwerte (HbA1c, Blutdruck und Lipid) erfüllen.
Die Tatsache, dass die Zielwerte von nur wenigen Patient:innen erreicht werden, erklärt teilweise auch die erschreckenden Resultate aus der NHANES-Kohorte. Demnach bedeutet die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ 2 im Alter von 30 Jahren noch immer einen Verlust von 13 Jahren an Lebenserwartung.
Diese Ergebnisse beweisen auf eindrückliche Art und Weise, dass leitliniengerechte Therapie keinesfalls auf die alleinige Auswahl der richtigen Medikamente reduziert werden kann. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass selbst die temporär eingeschränkte Verfügbarkeit hocheffektiver Therapeutika ein limitierender Faktor in der Therapieführung sein kann. Obwohl die GLP-1-Analoga, dank eines kürzlich modifizierten Regeltextes, einer deutlich breiteren Gruppe an Patient:innen zur Verfügung stehen, werden sie noch immer zu selten angewandt. In der AUSTRO-PROFIT-Studie waren im niedergelassenen Bereich nur 15% der Patient:innen mit einem GLP-1-Analogon behandelt worden.
Wichtiger Faktor: Therapieadhärenz
Sind die Verordnung und Verfügbarkeit der Medikamente gewährleistet, so ist als nächster Schritt ein ausführliches Gespräch über die zu erwartende Wirkung und mögliche Nebenwirkungen für die Therapieadhärenz der Patient:innen unumgänglich. Demnach konnten in einer Analyse der Daten von 200000 mit oralen blutzuckersenkenden Substanzen behandelten Patient:innen Faktoren wie junges Alter, hoher Ausbildungsgrad und gutes Gehalt als positive Prädiktoren für eine gute Therapieadhärenz identifiziert werden. Demgegenüber steht die Zahl der verordneten Medikamente, die negative Effekte auf eine beständige Therapieadhärenz hat. Besonders bemerkenswert ist weiters, dass etwa 10% der Patient:innen die Rezepte nicht einlösen und somit die verordnete Medikation nicht anwenden. In der SUSTAIN-6-Studie (Semaglutid) führten gastrointestinale Nebenwirkungen bei 14% der Studienteilnehmer:innen zu einem Therapieabbruch – bei Tirzepatid waren es etwa 10% der Teilnehmer:innen. Daten aus einer dänischen Registerstudie demonstrieren, dass innerhalb von 3 Jahren 56% der Patient:innen, die einen SGLT2-Inhibitor einnehmen, die Therapie zumindest temporär unterbrechen. Bei Patient:innen, denen GLP-1-Analoga verschrieben wurden, kam es innerhalb von 3 Jahren bei 45% zu einer Therapiepause. Trotz der hohen Effektivität der Therapien wurde in dieser Analyse die Medikation bei nur einem Viertel der Therapieabbrecher wiederaufgenommen.
Das Gespräch mit den Patient:innen, das die positiven Effekte wie auch die zu erwartenden Nebenwirkungen beinhalten muss, ist für die Therapieadhärenz entscheidend. Noch immer werden bis zu 10% der verordneten Medikamente nicht eingenommen und beinahe 60% der Therapien meist länger pausiert oder abgesetzt.
Hoher HbA1c-Durchschnitt vor Therapieoptimierung
Weitere Faktoren wie Passivität der Behandlungsteams bzw. zu wenig Kommunikation zwischen den einzelnen Berufsgruppen führen häufig im Sinne von „therapeutic inertia“ zu einer verspäteten Therapieoptimierung. In Europa wird bei einem HbA1c von 8,1% eine Intensivierung der Therapie im Durchschnitt erst nach 6 Jahren durchgeführt. In die Kategorie der „therapeutic inertia“ fällt auch das fehlende Ausschöpfen lebensstilmodifizierender Maßnahmen. Dies konnte in vielen Arbeiten dokumentiert werden.
Beispielsweise erreichten im „Diabetes Prevention Programme“ nur knapp 50% der Patient:innen den geforderten Gewichtsverlust von 7%. Dennoch konnte diese Studie die Effektivität der Lebensstiltherapie zur Vermeidung des Auftretens von Diabetes mellitus Typ 2 bei Prädiabetes eindrücklich beweisen.
Nationale wie internationale Leitlinien sind ständig im Wandel und stellen das Grundgerüst für eine standardisierte Behandlung dar. Die Leitlinien sind daher entscheidend zur Festlegung der Behandlungsqualität. Dennoch ist die alleinige Auswahl der richtigen Medikamente nur eine einzelne Säule der sehr vielschichtigen Diabetestherapie.
Literatur:
beim Verfasser
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