
Können kontinuierliche Glukosemesssysteme das HbA1c ersetzen?
Autor:
Dr. med. Paul Fellinger
Univ.-Klinik für Innere Medizin III
Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel Medizinische Universität Wien
E-Mail: paul.fellinger@meduniwien.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Seit einigen Jahren spielen kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM) eine immer bedeutendere Rolle. CGM-basierte Parameter lassen uns teils sehr genaue Rückschlüsse auf die Blutzuckerkontrolle ziehen. Neue Studien liefern jedoch Hinweise auf mögliche Probleme bei der Verwendung von GMI («glucose management indicator») als «Ersatz» für HbA1c.
Keypoints
-
GMI schätzt die glykämische Kontrolle tendenziell als «besser» ein, als das HbA1c ist. Dies gilt insbesondere bei schlechter glykämischer Kontrolle.
-
Die Anwendbarkeit von GMI bei Typ-2-Diabetes und bei unterschiedlichen Sensortypen ist unklar.
-
Die Kombination aus Parametern wie z.B. der «Time in Range», aber auch anderen Parametern, die CGM-Systeme bieten, und dem HbA1c ist optimal, um die glykämische Kontrolle einzuschätzen.
Durch das regelmässige Messen von Blutzuckerwerten aus dem Unterhautfettgewebe mithilfe von CGM-Geräten können heutzutage wesentlich genauere Blutzuckerprofile erstellt werden als früher und das blutige Messen mit Nadelstich konnte deutlich reduziert werden. Durch die damit unter anderem deutlich verbesserte Lebensqualität im Umgang mit Diabetes wurden CGM-Systeme in letzter Zeit zur neuen Standardmethode des Blutzuckermessens.1 Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei unterschiedlichen Messsystemen: dem «intermittent scanning CGM (isCGM)», welches alle paar Minuten den Blutzuckerspiegel bestimmt, und dem «real-time CGM (rtCGM)», welches alle paar Sekunden und in Echtzeit die Blutzuckerwerte an das Endgerät liefert.
Messparameter zur Einschätzung der glykämischen Kontrolle
Sowohl für Patienten mit Diabetes als auch für behandelnde Ärzte erleichtert ein genaues Blutzuckerprofil die Einschätzung der glykämischen Kontrolle wesentlich. Insbesondere neue Parameter, welche nun aus den genauen Blutzuckerprofilen ableitbar wurden, helfen bei dieser Einschätzung sehr. Um die CGM-basierten Parameter zu errechnen, werden meist die Blutzuckerwerte der letzten 14 Tage verwendet. Wichtige Parameter sind dabei etwa die Zeit im Zielbereich («time in range»; TiR), die Zeit über dem Zielbereich («time above range»; TaR), die Zeit unter dem Zielbereich («time below range»; TbR) und die Glukosevariabilität («glycemic variability», GV). Ausserdem wurde eine Formel entwickelt, um aus den durchschnittlichen kontinuierlichen Glukosemessungen ein Äquivalent für den HbA1c-Wert, den derzeitigen Goldstandard zur Bestimmung der glykämischen Kontrolle, zu errechnen. Dies ist der sogenannte «glucose management indicator» (GMI).2 Insbesondere bei der telemedizinischen Betreuung muss mangels HbA1c-Bestimmung auf die CGM-basierten Parameter zurückgegriffen werden, sofern diese verfügbar sind. Diese Methode zur Betreuung der Patienten erlangte in den letzten eineinhalb Jahren aufgrund der Covid-19-Pandemie einen immer höheren Stellenwert im klinischen Alltag. Dabei spielt auch der Parameter GMI eine zunehmend bedeutende Rolle für Patienten wie auch für behandelnde Ärzte, um die empfohlenen Zielwerte zu erreichen und die Therapie dahingehend anzupassen. Ob aber der GMI verlässlich als Ersatz für den HbA1c-Wert verwendet werden kann, wurde bisher nur in wenigen Studien mit einem breiten Patientenkollektiv analysiert.3
Im Mittel gute Korrelation von HbA1c und GMI
Im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der Europäischen Diabetesgesellschaft (EASD) konnten wir nun ein Abstract über eine Arbeit unserer Arbeitsgruppe aus dem Universitätsklinikum AKH Wien vorstellen, in der wir versuchten, die Verlässlichkeit von GMI zu ergründen.
Dabei untersuchten wir, inwiefern die gemessenen HbA1c-Werte der von uns in der Diabetesambulanz betreuten Patienten mit den errechneten GMI-Werten kongruieren. Wir verglichen nicht nur die CGM-Parameter, welche sich anhand der letzten 14 Tage vor der HbA1c-Messung berechneten, sondern berechneten auch den GMI vor der HbA1c-Messung aus den Daten über 30 Tage. In Summe konnten wir dabei Daten von 170 Patientinnen und Patienten auswerten. Die meisten davon hatten Typ-1-Diabetes (66,5%) und verwendeten den Sensor FreeStyle Libre (98%). Der mittlere HbA1c -Wert war dabei 7,53% (5,1–12,1%). Im Vergleich dazu war der mittlere GMI-Wert, der anhand von Daten aus den letzten 14 Tagen berechnet wurde, 7,19% und quasi identisch mit dem GMI-Wert, welcher aus den letzten 30 Tagen berechnet wurde (7,21%). Wie zu erwarten war, korrelierten dabei GMI und HbA1c-Wert signifikant miteinander (R2=0,82, p<0,01). Eine Verlängerung des Zeitraums von 14 auf 30 Tage ergab, dass die Werte noch etwas besser korrelierten, wobei der Unterschied jedoch nicht sehr gross war (R2=0,85; p<0,01).
Bei hohem und niedrigem HbA1c relevante Abweichungen zwischen HbA1c und GMI
Bei der Analyse, inwiefern GMI und HbA1c-Wert bei den einzelnen Patienten voneinander abweichen, konnten wir allerdings doch teils grosse Unterschiede erkennen. Im Mittel gab es dabei eine Abweichung zwischen dem HbA1c-Wert und dem GMI von 0,63% mit einer minimalen Abweichung von 0% und einer maximalen von 2,4%. Um die Unterschiede zwischen den einzelnen Messungen deutlicher sichtbar zu machen, stellten wir, wie in Abbildung 1 gezeigt, GMI und HbA1c-Werte mittels Streudiagramm dar und berechneten eine lokal gewichtete Regressionsfunktion (Loess). Da eine Abweichung von ungefähr 0,4% oft eine therapeutische Konsequenz nach sich zieht, legten wir diese Abweichung als signifikante Abweichung fest. In dieser grafischen Gegenüberstellung sieht man, dass diese GMI-Regressionsfunktion nur in einem schmalen Bereich dem HbA1c-Wert entspricht.
Abb. 1: 14-Tage-Streudiagramm von GMI und HbA1c-Werten und lokal gewichtete Regressionsfunktion (Loess)
Abb. 2: 30-Tage-Streudiagramm von GMI und HbA1c-Werten und lokal gewichtete Regressionsfunktion (Loess)
Der Bereich, in dem der GMI weniger als 0,4% von der HbA1c-Messung abweicht, entspricht anhand unserer Daten einer relativ guten Blutzuckereinstellung. Dabei scheint es so zu sein, dass die Berechnung des GMI aus den mittleren Glukosewerten die glykämische Kontrolle als tendenziell besser einschätzt, als die Bestimmung mittels HbA1c. Übersteigt der GMI einen Wert von ca. 7,5%, erkennt man, dass die Abweichung zwischen GMI und HbA1c mehr als 0,4% beträgt, auch unter Berücksichtigung des 95%-Konfidenzintervalls. Dieser im Vergleich mit dem HbA1c falsch niedrige Wert bleibt bei zunehmend schlechter glykämischer Kontrolle bestehen. Bei Patienten mit sehr niedrigem HbA1c scheint es wiederum so zu sein, dass die Verwendung des GMI die glykämische Kontrolle als schlechter einschätzt, als sie tatsächlich ist. Da jedoch nur wenige Patienten in diesem Kollektiv in diesen Bereich mit sehr niedrigem HbA1c fielen, ist es schwierig, darüber eine fundierte Aussage zu treffen. Wie der Vergleich der Abbildungen 1 und 2 zeigt, sind diese Abweichungen ähnlich, unabhängig davon, ob man für die Berechnung des GMI Daten von 14 oder 30 Tagen verwendet.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie kam zu einem ähnlichen Ergebnis und beschrieb dabei ebenfalls teils deutliche Abweichungen.3 Auch in dieser Studie nahmen die Abweichungen zwischen GMI und HbA1c zu, je schlechter die glykämische Kontrolle war.
Welche Faktoren diese oft klinisch relevanten Abweichungen beeinflussen, ist noch nicht vollends geklärt.
Verbesserungsmöglichkeiten und Typ-2-Diabetes
Grundsätzlich wurden die meisten CGM-basierten Parameter anhand von rtCGM bei Patienten mit Typ-1-Diabetes entwickelt. Daten, inwiefern diese Parameter bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ähnlich sind, fehlen derzeit noch. In unserem Kollektiv verwendeten die meisten Patienten isCGM-Systeme, wobei sich jedoch die Messungenauigkeit zwischen den unterschiedlichen Systemen nicht grundlegend unterscheidet.4 Faktoren, die Einfluss auf die Lebensdauer der Erythrozyten beziehungsweise die Hämatopoese haben, wie Anämie, chronische Nierenfunktionsstörung oder Hämoglobinopathien, beeinträchtigen häufig die Beurteilbarkeit des HbA1c. Diese Faktoren tragen insofern auch häufig zu grösseren Unterschieden zwischen GMI und HbA1c bei.3 Um diese Einflüsse zu korrigieren, gibt es Ansätze, mittels HbA1c-Messungen und CGM-Daten individuelle kinetische Modelle für den Umsatz von Erythrozyten zu bestimmen, um in weiterer Folge mittels eines kinetischen Modells das HbA1c zu berechnen.5 Inwiefern unterschiedliche Arten von Diabetes einen Einfluss haben könnten und ob die entwickelte Formel für GMI auch bei unterschiedlichen Sensortypen gleich gut anwendbar ist, ist derzeit noch nicht vollends in grösseren Kollektiven geklärt worden.
Zusammenfassend kann man nach derzeitigem Wissen sagen, dass die routinemässige Verwendung des GMI als Ersatz für das HbA1c aufgrund der oft klinisch signifikanten Abweichungen insbesondere bei Patienten mit schlechter glykämischer Kontrolle nur in eingeschränktem Rahmen stattfinden sollte. Eine kombinierte Verwendung der CGM-basierten Parameter, insbesondere TiR, TbR, TaR, und GV gemeinsam mit HbA1c, erlauben einen wesentlich genaueren Blick auf individuelle Unterschiede und damit eine noch präzisere Möglichkeit, Blutzuckertherapien individuell anzupassen.
Literatur:
1 Charleer S et al.: Quality of life and glucose control after 1 year of nationwide reimbursement of intermittently scanned continuous glucose monitoring in adults living with type 1 diabetes (FUTURE): A prospective observational real-world cohort study. Diabetes Care 2020; 43: 389-97 2 Bergenstal RM et al.: Glucose management indicator (GMI): A new term for estimating A1C from continuous glucose monitoring. Diabetes Care 2018; 41: 2275-80 3 Perlman JE et al.: HbA1c and glucose management indicator discordance: a real-world analysis. Diabetes Tech Ther 2021; 23: 253-8 4 Pleus S et al.: Time in specific glucose ranges, glucose management indicator, and glycemic variability: impact of continuous glucose monitoring (CGM) system model and sensor on CGM metrics. J Diabetes Sci Technol 2021; 15: 1104-10 5 Xu Y et al.: Personal glycation factors and calculated hemoglobin a1c for diabetes management: real-world data from the diabetes prospective follow-up (DPV) registry. Diabetes Tech Ther 2021; 23: 452-9
Das könnte Sie auch interessieren:
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...