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Keine Angst vor Kindern mit Diabetes in Schule und Kindergarten
Jatros
Autor:
Redaktion
Quelle:<br> Aussendung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), 5. September 2016, Wien
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-intro">Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) macht auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern mit Diabetes aufmerksam und zeigt, was sich für diese in der Schule und im Kindergarten ändern sollte: diabetesspezifische Aufklärung und mehr Rechtssicherheit für Pädagogen sowie zusätzliches medizinisches Personal in Schulen und Kindergärten.</p>
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<p class="article-content"><p>Jedes Jahr erkranken in Österreich rund 300 Kinder unter 15 Jahren an Diabetes mellitus Typ 1. Immer mehr Kinder sind bei der Diagnose sogar jünger als fünf Jahre! Insgesamt sind geschätzte 4.000 österreichische Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von dieser Autoimmunerkrankung betroffen. Die Zahl der Neuerkrankungen hat sich in den letzten knapp 20 Jahren verdoppelt.</p> <h2>Kinder mit Diabetes brauchen manchmal etwas mehr Hilfe</h2> <p>Jedes Kind mit Diabetes – vor allem jüngere Kinder – benötigen nicht nur die Unterstützung ihrer Eltern, sondern manchmal auch die Hilfe ihrer Pädagoginnen und Pädagogen. Dies sind nicht unbedingt komplexe medizinische Hilfestellungen, die nur von Fachpersonal zu bewältigen sind, sondern viel öfter kleine Erinnerungen, Rücksicht auf notwendige Messungen, die Supervision bei einfachen Rechenvorgängen der Insulinpumpe oder Basiswissen in Erster Hilfe und vor allem Verständnis für spezifische krankheitsbedingte Notwendigkeiten.</p> <h2>Lehrer wissen zu wenig über Diabetes</h2> <p>Die Studie „Das diabetische Schulkind“ der Pädagogischen Hochschule Steiermark zeigt, dass nur 48 % der Lehrerinnen und Lehrer informiert sind, dass sie ein diabetisches Kind unterrichten. 41 % würden im Notfall falsch reagieren bzw. normale Erste-Hilfe-Kenntnisse nicht richtig anwenden. „Oft ist nicht einmal der Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes bekannt“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Elke Fröhlich-Reiterer vom Department für Allgemeine Pädiatrie der Medizinischen Universität Graz und Vorstandsmitglied der ÖDG. „Turnlehrer sind manchmal sehr engagiert und wollen Kinder mit Diabetes beim Sport unbedingt mitmachen lassen. Sie wissen aber zu wenig über die notwendige Balance zwischen Bewegung, Insulin und Kohlenhydraten.“ <br />Im Alltag zeigen sich viele unterschiedliche Facetten des Problems: „Manche Lehrer lehnen es schlichtweg ab, mit der Insulinpumpe bei einem Volksschulkind etwas zu tun zu haben oder es auf einen Schikurs mitzunehmen. Wieder andere bestehen auf der elterlichen Begleitung bei Wandertagen, was berufsbedingt für viele Eltern nicht möglich ist“, betont Fröhlich-Reiterer. „Es scheint sehr willkürlich zu sein und von der Einstellung, der Angst und dem Wissensstand der jeweiligen Lehrperson abzuhängen, ob ein Kind mit Typ-1-Diabetes wirklich an allen Schulveranstaltungen teilnehmen darf. Obwohl es für jeden nachvollziehbar ist, was das Ausgeschlossensein aus der Klassengemeinschaft für ein Kind bedeutet, zudem ist es auch rechtlich bedenklich, ein Kind wegen seiner Erkrankung vom Unterricht auszuschließen.“</p> <div id="rot"> <p>„Oft ist Pädagogen der Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes nicht bekannt. Daher wissen sie auch zu wenig über die notwendige Balance zwischen Bewegung, Insulin und Kohlenhydraten etwa im Turnunterricht oder auf Ausflügen.“ E. Fröhlich-Reiterer, Graz</p> </div> <h2>Die ÖDG fordert diabetesspezifische Weiterbildungen für Pädagogen</h2> <p>Viele Lehrerinnen und Lehrer haben einfach Angst. Gute und richtige Informationen können hier Sicherheit und Ruhe schaffen, die letztlich alle in der Schule brauchen. Der falsche Umgang mit Kindern mit Diabetes kann aber auch zu potenziellen Gesundheitsgefährdungen führen. Fröhlich-Reiterer erklärt, dass die Haltung „Gesundheit und Krankheit haben nichts mit dem Unterricht zu tun“ ein verhängnisvoller Irrtum ist: „Für Lehrer sind der richtige Umgang mit Sport, das entsprechende Erkennen von und Reagieren bei Über-/Unterzuckerung, das Wissen um mögliche Probleme und Kenntnisse der Ersten Hilfe leider nicht selbstverständlich. Pädagogen sollen im Umgang mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen sensibilisiert und bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützt werden.“ Schon kleine pädagogische Entscheidungen, wie z.B. die Pausengestaltung oder Stundenplanänderungen mit geändertem Bewegungsverhalten, haben großen Einfluss auf das Management einer Diabeteserkrankung.</p> <h2>Zuständigkeitsunstimmigkeiten unter den Ministerien</h2> <p>Viele Hilfeleistungen werden von Lehrkräften auch in einem rechtlichen Graubereich erbracht. „Die Zuständigkeit für chronisch kranke Kinder wird seit vielen Jahren zwischen dem Bundesministerium für Bildung und dem für Gesundheit hin- und hergeschoben. So wird das Problem der Zuständigkeit und Verantwortung ungelöst auf die unteren Hierarchieebenen abgewälzt und letztlich auf Einzelpersonen abgeschoben. Es fehlen klare Regelungen, gesetzliche Grundlagen, informiertes Personal und eine gemeinsame sichere Lösung, wie sie der gemeinsamen Verantwortung der entsprechenden Ministerien für chronisch kranke Kinder entspricht die der gemeinsamen Verantwortung der betroffenen Ministerien für chronisch kranke Kinder entspricht“, erläutert Dr. Lilly Damm vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien. <br />Des Weiteren fehlen Gesundheitsberufe in den Schulen (z.B. Schulkrankenschwestern, Schulassistenzen), wie sie international empfohlen werden und in den meisten Ländern bereits erfolgreich im Einsatz sind. „Falls Unterstützungsleistungen durch Gesundheits- oder Assistenzberufe für die Ausbildung von Kindern mit Diabetes zusätzlich oder vorübergehend erforderlich sind, müssen sie den Kindergärten und Schulen zur Verfügung gestellt werden – und zwar ohne Extra­kosten für die Eltern der Betroffenen!“, fordert Damm. <br />Der Kurzfilm „Beinah zu spät“ (<a href="http://www.typ1diabetes.at/" target="_blank">http://www.typ1diabetes.at/</a>), der auf Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen aufmerksam macht, sollte per Erlass allen Schulen und allen pädagogischen Hochschulen zur Kenntnis gebracht werden.</p> <p>In der Steiermark macht sich der Verein Diabär (<a href="http://www.diabaer.at" target="_blank">http://www.diabaer.at</a>) für Kinder mit Diabetes stark: Der Verein wurde von betroffenen Eltern gegründet und setzt sich gezielt für die Verbesserung der Betreuung der betroffenen Kinder und Jugendlichen ein. Auf Initiative von Diabär nahm das Land Steiermark in seinen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention explizit das Thema „Gleichstellung von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen in Schulen“ auf. „Dies ist ein weiterer Meilenstein in der Umsetzung dieses Anliegens für ganz Österreich“, freut sich Fröhlich-Reiterer. Auch die österreichweite Bürgerinitiative „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ (BI Nr.60: <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/BI/BI_00060/" target="_blank">https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/BI/BI_00060/</a>) macht seit Jahren auf die bestehenden Probleme aufmerksam. Derzeit liegt sie im Unterausschuss für Unterricht: Man darf gespannt sein auf ihre Behandlung im weiteren parlamentarischen Prozess. <em>(red)</em></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle:<br>
Aussendung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), 5. September 2016, Wien
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