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Kann man Typ-1-Diabetes heilen?

<p class="article-intro">Derzeit lassen sich durch eine gute therapeutische Stoffwechselkontrolle der Patienten mit Typ-1-Diabetes die Prognose und die Spätfolgen verbessern, eine Heilung ist aber noch nicht möglich. Was kann man tun, um den Patienten trotzdem zu helfen, und kann man in absehbarer Zeit Typ-1-Diabetes heilen?</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Mit der Insulintherapie k&ouml;nnen wir Typ- 1-Diabetikern eine gute Behandlung anbieten. Von den Anf&auml;ngen der tierischen Insuline &uuml;ber NPH-Insulin bis zur Entwicklung moderner lang wirksamer Insulinanaloga konnten wir im Laufe der Zeit auch eine deutliche Verbesserung der Therapeutika erzielen&ldquo;, erl&auml;utert Univ.-Prof. Dr. Thomas R. Pieber, Klinische Abteilung f&uuml;r Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universit&auml;t Graz, den derzeitigen Stand der Therapie bei Typ-1-Diabetes und relativiert zugleich den Erfolg: &bdquo;Problematisch bei der intensiven Insulintherapie ist das Risiko f&uuml;r das Auftreten schwerer Hypoglyk&auml;mien.&ldquo; Praktisch l&auml;sst sich durch die Insulintherapie alleine keine Normalisierung des Stoffwechsels erreichen. F&uuml;r die Patienten bedeutet dies einen Drahtseilakt im Spannungsfeld zwischen Nahrungsaufnahme und Insulintherapie. Additiv zur Insulintherapie k&ouml;nnen SGLT2-Hemmer oder GLP-1-Agonisten eingesetzt werden, die derzeit in Studien untersucht werden. Aber auch diese k&ouml;nnen kein Heilmittel f&uuml;r Typ-1-Diabetes sein. Pieber legt die Latte hoch: &bdquo;Die komplette Betazellregeneration ist daher der Heilige Gral der Diabetesforschung. Eine technische Herangehensweise sind Systeme, die einen artifiziellen Pankreas darstellen &ndash; eine komplette Heilung auf diese Weise ist aus aktueller Sicht noch in weiter Ferne.&ldquo;</p> <h2>Zwei M&ouml;glichkeiten der Heilung</h2> <p>Es gibt zwei M&ouml;glichkeiten der Heilung bei Typ-1-Diabetes: pr&auml;ventiv, bevor dieser sich manifestiert oder nach der Manifestation (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1701_Weblinks_s20_abb1.jpg" alt="" width="1081" height="740" /><br /><br /><strong> Bevor die Hyperglyk&auml;mie auftritt</strong><br /> Zur Sekund&auml;rpr&auml;vention gibt es 503 Publikationen zu Therapien am NOD(&bdquo;nonobese diabetic&ldquo;)-Mausmodell, die auch erfolgreich den Ausbruch von Typ-1-Diabetes verhindern, die aber leider nicht auf den Menschen &uuml;bertragbar sind. Dar&uuml;ber hinaus w&auml;re es ein gro&szlig;er Aufwand, eventuell betroffene Menschen &uuml;berhaupt zu identifizieren. Post-hoc-Analysen haben gezeigt, dass orale und nasale Insuline eventuell therapeutisch erfolgversprechend sein k&ouml;nnten.<br /><br /><strong> Betazellfunktion nach der Manifestation erneuern oder erhalten</strong><br /> Bei der Zerst&ouml;rung der Betazelle spielen das HLA-System und die T-Zellen, die TZellen &ndash; also das Immunsystem &ndash; eine gro&szlig;e Rolle. Das Ziel ist also entweder der Ersatz der Betazelle oder aber durch eine Modulation der Immunantwort eine normale Inselzellfunktion wiederherzustellen. Ans&auml;tze zum Erneuern der Betazellfunktion in Form des Betazellersatzes sind experimentell. So ist etwa die Inselzelltransplantation in den letzten Jahren verfeinert worden, problematisch aber ist, dass mehrere Spender f&uuml;r einen Patienten notwendig sind. Dar&uuml;ber hinaus ist die Erfolgsrate nicht &uuml;berzeugend. Es gibt auch Experimente mit h&auml;matopoetischen und mesenchymalen Stammzellen, die Betazellen produzieren sollen, die in der Folge transplantiert werden k&ouml;nnen. Tierexperimentell wird an somatischen Stammzellen (Leber, Milz) geforscht. Embryonale Stammzellen zu verwenden ist ethisch umstritten. &bdquo;Kann ich meinem Patienten also etwas in dieser Richtung versprechen? Einfach gesagt: Wir wissen es noch nicht&ldquo;, ern&uuml;chtert Pieber die Zuh&ouml;rer, &bdquo;aber selbst wenn wir neue Betazellen in den K&ouml;rper einbringen, werden diese wieder vom K&ouml;rper angegriffen, da Typ-1-Diabetes eine Autoimmunerkrankung ist. Also m&uuml;sste diese Immunantwort ebenfalls reduziert werden, um Typ- 1-Diabetes zu heilen.&ldquo; Zwar gibt es dazu Ans&auml;tze, ob diese aber erfolgreich sein werden, ist derzeit mehr als fraglich.<br /> Kann also als Alternative das Immunsystem so moduliert werden, dass es die Betazellen, die bei der Manifestation noch vorhanden sind, nicht angreift und diese so erhalten bleiben, oder k&ouml;nnen Betazellen zur Regeneration angeregt werden? Pieber wirft die Frage auf, warum es zu dieser Autoimmunit&auml;t kommt. Sind Effektorzellen und regulatorische T-Zellen in Balance, dann bek&auml;mpft das Immunsystem exogene Einfl&uuml;sse, es kommt aber keine Autoimmunit&auml;t zustande, die zu einer Zerst&ouml;rung k&ouml;rpereigenen Gewebes f&uuml;hrt. Bei einem Ungleichgewicht &uuml;berwiegt der Einfluss der Effektorzellen, was zu Autoimmunit&auml;t f&uuml;hren kann. Ursache f&uuml;r das Ungleichgewicht k&ouml;nnen zu wenige regulatorische TZellen sein, eine herabgesetzte Funktion der T-Zellen oder eine &Uuml;berstimulation der Effektorzellen.<sup>1</sup> Wahrscheinlich bestehen bei unterschiedlichen Patienten unterschiedliche Kombinationen dieser Faktoren. Alle Versuche laufen daher darauf hinaus, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. &bdquo;Stammzell&auml;hnliche Ans&auml;tze sind spannend, d&uuml;rften in der Praxis aber schwierig umzusetzen sein. Ein anderes Konzept sind spezifische Antigene, die auf die Immunmodulation abzielen. Leider zeigten alle bisher durchgef&uuml;hrten Trials zu Antigen-basierenden Interventionen &ndash; oralem Insulin, GAD, DiaPep-277 &ndash; keine Effekte&ldquo;, sagt Pieber.</p> <h2>Was k&ouml;nnen wir praktisch tun?</h2> <p>&bdquo;Wir m&uuml;ssen also mit nicht spezifischen immunologischen Ans&auml;tzen arbeiten&ldquo;, erkl&auml;rt Pieber. Interessant ist Vitamin D. Eine Studie zur Vitamin-D-Prophylaxe an 50 000 Neugeborenen 1965 in Finnland zeigte, dass Kinder mit manifestem Vitamin- D-Mangel ein 3x h&ouml;heres Typ-1-Diabetes- Risiko haben und Kinder, die regelm&auml;&szlig;ig eine Vitamin-D-Supplementation erhielten, ein Risiko von 12 % gegen&uuml;ber jenen Kindern haben, die kein Vitamin D erhielten. &bdquo;Dies ist der derzeit beste Beleg daf&uuml;r, dass wir in der Lage sind, das Immunsystem zu modulieren und eventuell so das Auftreten von Typ-1-Diabetes zu verhindern oder diesen nach dem Auftreten beeinflussen zu k&ouml;nnen&ldquo;, zeigt sich Pieber erfreut. Vitamin D ist ein Zytokin, das die Wirkung der Effektorzellen hemmt, die TZellen stimuliert und einen Effekt auf die Antigenpr&auml;sentation aus&uuml;bt. Dies l&auml;sst darauf schlie&szlig;en, dass man Vitamin D bei neu manifestiertem Typ-1-Diabetes anwenden k&ouml;nnte. &bdquo;Die Gabe von Vitamin D nach der Manifestation wurde von uns in einer randomisiert kontrollierten Studie untersucht. In dieser zeigte sich ein Trend zu einem sch&uuml;tzenden Effekt auf die Betazelle, wobei die Studie nicht darauf ausgelegt war, einen signifikanten Unterschied zu zeigen&ldquo;, untermauert Pieber die These.<sup>2</sup><br /> Ein anderer Ansatz sind GLP-1-Rezeptor- Agonisten. Die Idee dahinter basiert auf einer m&ouml;glichen betazellprotektiven Wirkung von GLP-1-Agonisten. Alle Immunzellen exprimieren den GLP-1-Rezeptor, sodass man davon ausgeht, dass GLP-1 eine Funktion auch im Immunsystem besitzt. GLP-1 wirkt protektiv, indem es &uuml;ber Rezeptoren der Betazelle und &uuml;ber Rezeptoren der immunkompetenten Zellen aktiviert wird. Es &uuml;bt einen Einfluss auf die Zytokinsekretion, die Makrophagenfunktion und die Betazellaktivit&auml;t hinsichtlich der Insulinsekretion aus. Dar&uuml;ber hinaus gibt es Hinweise, dass GLP-1 &uuml;ber die Hemmung der Insulinsekretion, zur Zeit der Manifestation des Typ-1-Diabetes, einen Schutz gegen&uuml;ber zytotoxischen Zytokinen aus&uuml;bt.<sup>3</sup> Dazu l&auml;uft auch eine gro&szlig;e klinische Studie.</p> <h2>Was geht nicht?</h2> <p>Auch der Einsatz monoklonaler Antik&ouml;rper wurde bei Typ-1-Diabetes getestet. Dabei kommt es zu einer Erholung der Betazellfunktion, zu einer Zunahme der Insulinsekretion bzw. zu einem Erhalt der Insulinsekretion. Der Prozess kann so jedoch nur verz&ouml;gert, aber nicht gestoppt werden.<br /> Die derzeit beste Intervention, die (nicht) zur Verf&uuml;gung steht, ist das Fusionsprotein Alefacept, welches die CD2-LFA3-Kostimulation inhibiert und die &bdquo;natural killer cell&ldquo;(NK)-mediierte T-Zell-Apoptose induziert &ndash; also einfach gesagt: die TZellen schw&auml;cher macht. In einer Studie<sup>4</sup> &uuml;ber zwei Jahre wurden Kinder nach der Neumanifestation des Typ-1-Diabetes zweimal mit Alefacept behandelt. Dabei zeigte sich kein Einfluss auf das HbA<sub>1c</sub>, jedoch ein positiver Effekt auf die notwendige Insulindosis. Dar&uuml;ber hinaus kam es zu einer Halbierung des Risikos f&uuml;r das Auftreten schwerer Hypoglyk&auml;mien. Das Besondere an Alefacept ist, dass das Immunsystem auf mehreren Ebenen ins Gleichgewicht gebracht wird. &bdquo;Leider wurde die Entwicklung des urspr&uuml;nglich f&uuml;r Psoriasis entwickelten Medikaments im Jahr 2011 gestoppt, da es bei Psoriasis deutlich effektivere Medikamente gibt und der Markt f&uuml;r Typ-1-Diabetes zu gering war&ldquo;, bedauert Pieber.</p> <h2>Was kommt?</h2> <p>Zu guter Letzt soll die Rolle von Interleukin 21 besprochen werden. IL-21 ist ein ubiquit&auml;res Zytokin, das proinflammatorisch auf die CD4- und auf die CD8-T-Zellen wirkt, also auf jene Zellen, die zytotoxisch sind oder Zytokine sezernieren. IL-21 beeinflusst aber auch die NK und die B-Zellen. Tierexperimentell wurde gezeigt, dass durch eine Anti-IL-21-Behandlung Ver&auml;nderungen im Immunsystem ausgel&ouml;st werden, die die Autoimmunit&auml;t d&auml;mpfen oder die Immuntoleranz wiederherstellen k&ouml;nnen. Dabei nehmen regulatorische T-Zellen zu oder deren Funktion wird verbessert; demgegen&uuml;ber nehmen Effektorzellen, proinflammatorische Zytokine, Autoantik&ouml;rper usw. ab. Im NOD-Mausmodell mit IL- 21-Knock-out-M&auml;usen konnte durch eine Anti-IL-21-Behandlung der Ausbruch von Typ-1-Diabetes verhindert werden. Interessant ist auch die Kombination von Anti- IL-21 bei NOD-M&auml;usen mit Liraglutid bei bereits manifestem Typ-1-Diabetes. Dadurch konnte der Blutzucker normalisiert werden. &bdquo;Derzeit l&auml;uft eine Interventionsstudie<sup>5</sup> (Phase IIa) unter &ouml;sterreichischer Leitung mit dieser Substanz an f&uuml;nf Studienzentren (Rudolfstiftung, KH Hietzing, LKH Salzburg, Uniklinikum Innsbruck, Uniklinikum Graz). Falls Sie Erwachsene mit D1T mit Neumanifestation haben &ndash; bitte an eines der Zentren zuweisen&ldquo;, fordert Pieber auf.</p> <div id="fazit"> <h2>Praxistipp</h2> &bdquo;Versprechen Sie Ihren Patienten nicht zu viel. Bei der Heilung des Typ-1- Diabetes ist vieles noch Zukunftsmusik. Vitamin D und GLP-1-Agonisten sind die derzeit handfestesten Optionen.&ldquo;</div></p> <p class="article-quelle">Quelle: 44. ÖDG-Jahrestagung, 17.–19. November 2016, Salzburg </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bruckner JH: Nat Rev Immunol 2010; 10: 849-59 <strong>2</strong> Treiber G et al: Clin Immunol 2015; 161(2): 217-24 <strong>3</strong> Rondas D et al: J Proteome Res 2013; 12: 4193-206 <strong>4</strong> Rigby MR et al: J Clin Invest 2015; 125: 3285-96 <strong>5</strong> NN9828-4150</p> </div> </p>
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