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Kann man Typ-1-Diabetes heilen?
Jatros
30
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Derzeit lassen sich durch eine gute therapeutische Stoffwechselkontrolle der Patienten mit Typ-1-Diabetes die Prognose und die Spätfolgen verbessern, eine Heilung ist aber noch nicht möglich. Was kann man tun, um den Patienten trotzdem zu helfen, und kann man in absehbarer Zeit Typ-1-Diabetes heilen?</p>
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<p class="article-content"><p>Mit der Insulintherapie können wir Typ- 1-Diabetikern eine gute Behandlung anbieten. Von den Anfängen der tierischen Insuline über NPH-Insulin bis zur Entwicklung moderner lang wirksamer Insulinanaloga konnten wir im Laufe der Zeit auch eine deutliche Verbesserung der Therapeutika erzielen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Thomas R. Pieber, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz, den derzeitigen Stand der Therapie bei Typ-1-Diabetes und relativiert zugleich den Erfolg: „Problematisch bei der intensiven Insulintherapie ist das Risiko für das Auftreten schwerer Hypoglykämien.“ Praktisch lässt sich durch die Insulintherapie alleine keine Normalisierung des Stoffwechsels erreichen. Für die Patienten bedeutet dies einen Drahtseilakt im Spannungsfeld zwischen Nahrungsaufnahme und Insulintherapie. Additiv zur Insulintherapie können SGLT2-Hemmer oder GLP-1-Agonisten eingesetzt werden, die derzeit in Studien untersucht werden. Aber auch diese können kein Heilmittel für Typ-1-Diabetes sein. Pieber legt die Latte hoch: „Die komplette Betazellregeneration ist daher der Heilige Gral der Diabetesforschung. Eine technische Herangehensweise sind Systeme, die einen artifiziellen Pankreas darstellen – eine komplette Heilung auf diese Weise ist aus aktueller Sicht noch in weiter Ferne.“</p> <h2>Zwei Möglichkeiten der Heilung</h2> <p>Es gibt zwei Möglichkeiten der Heilung bei Typ-1-Diabetes: präventiv, bevor dieser sich manifestiert oder nach der Manifestation (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1701_Weblinks_s20_abb1.jpg" alt="" width="1081" height="740" /><br /><br /><strong> Bevor die Hyperglykämie auftritt</strong><br /> Zur Sekundärprävention gibt es 503 Publikationen zu Therapien am NOD(„nonobese diabetic“)-Mausmodell, die auch erfolgreich den Ausbruch von Typ-1-Diabetes verhindern, die aber leider nicht auf den Menschen übertragbar sind. Darüber hinaus wäre es ein großer Aufwand, eventuell betroffene Menschen überhaupt zu identifizieren. Post-hoc-Analysen haben gezeigt, dass orale und nasale Insuline eventuell therapeutisch erfolgversprechend sein könnten.<br /><br /><strong> Betazellfunktion nach der Manifestation erneuern oder erhalten</strong><br /> Bei der Zerstörung der Betazelle spielen das HLA-System und die T-Zellen, die TZellen – also das Immunsystem – eine große Rolle. Das Ziel ist also entweder der Ersatz der Betazelle oder aber durch eine Modulation der Immunantwort eine normale Inselzellfunktion wiederherzustellen. Ansätze zum Erneuern der Betazellfunktion in Form des Betazellersatzes sind experimentell. So ist etwa die Inselzelltransplantation in den letzten Jahren verfeinert worden, problematisch aber ist, dass mehrere Spender für einen Patienten notwendig sind. Darüber hinaus ist die Erfolgsrate nicht überzeugend. Es gibt auch Experimente mit hämatopoetischen und mesenchymalen Stammzellen, die Betazellen produzieren sollen, die in der Folge transplantiert werden können. Tierexperimentell wird an somatischen Stammzellen (Leber, Milz) geforscht. Embryonale Stammzellen zu verwenden ist ethisch umstritten. „Kann ich meinem Patienten also etwas in dieser Richtung versprechen? Einfach gesagt: Wir wissen es noch nicht“, ernüchtert Pieber die Zuhörer, „aber selbst wenn wir neue Betazellen in den Körper einbringen, werden diese wieder vom Körper angegriffen, da Typ-1-Diabetes eine Autoimmunerkrankung ist. Also müsste diese Immunantwort ebenfalls reduziert werden, um Typ- 1-Diabetes zu heilen.“ Zwar gibt es dazu Ansätze, ob diese aber erfolgreich sein werden, ist derzeit mehr als fraglich.<br /> Kann also als Alternative das Immunsystem so moduliert werden, dass es die Betazellen, die bei der Manifestation noch vorhanden sind, nicht angreift und diese so erhalten bleiben, oder können Betazellen zur Regeneration angeregt werden? Pieber wirft die Frage auf, warum es zu dieser Autoimmunität kommt. Sind Effektorzellen und regulatorische T-Zellen in Balance, dann bekämpft das Immunsystem exogene Einflüsse, es kommt aber keine Autoimmunität zustande, die zu einer Zerstörung körpereigenen Gewebes führt. Bei einem Ungleichgewicht überwiegt der Einfluss der Effektorzellen, was zu Autoimmunität führen kann. Ursache für das Ungleichgewicht können zu wenige regulatorische TZellen sein, eine herabgesetzte Funktion der T-Zellen oder eine Überstimulation der Effektorzellen.<sup>1</sup> Wahrscheinlich bestehen bei unterschiedlichen Patienten unterschiedliche Kombinationen dieser Faktoren. Alle Versuche laufen daher darauf hinaus, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. „Stammzellähnliche Ansätze sind spannend, dürften in der Praxis aber schwierig umzusetzen sein. Ein anderes Konzept sind spezifische Antigene, die auf die Immunmodulation abzielen. Leider zeigten alle bisher durchgeführten Trials zu Antigen-basierenden Interventionen – oralem Insulin, GAD, DiaPep-277 – keine Effekte“, sagt Pieber.</p> <h2>Was können wir praktisch tun?</h2> <p>„Wir müssen also mit nicht spezifischen immunologischen Ansätzen arbeiten“, erklärt Pieber. Interessant ist Vitamin D. Eine Studie zur Vitamin-D-Prophylaxe an 50 000 Neugeborenen 1965 in Finnland zeigte, dass Kinder mit manifestem Vitamin- D-Mangel ein 3x höheres Typ-1-Diabetes- Risiko haben und Kinder, die regelmäßig eine Vitamin-D-Supplementation erhielten, ein Risiko von 12 % gegenüber jenen Kindern haben, die kein Vitamin D erhielten. „Dies ist der derzeit beste Beleg dafür, dass wir in der Lage sind, das Immunsystem zu modulieren und eventuell so das Auftreten von Typ-1-Diabetes zu verhindern oder diesen nach dem Auftreten beeinflussen zu können“, zeigt sich Pieber erfreut. Vitamin D ist ein Zytokin, das die Wirkung der Effektorzellen hemmt, die TZellen stimuliert und einen Effekt auf die Antigenpräsentation ausübt. Dies lässt darauf schließen, dass man Vitamin D bei neu manifestiertem Typ-1-Diabetes anwenden könnte. „Die Gabe von Vitamin D nach der Manifestation wurde von uns in einer randomisiert kontrollierten Studie untersucht. In dieser zeigte sich ein Trend zu einem schützenden Effekt auf die Betazelle, wobei die Studie nicht darauf ausgelegt war, einen signifikanten Unterschied zu zeigen“, untermauert Pieber die These.<sup>2</sup><br /> Ein anderer Ansatz sind GLP-1-Rezeptor- Agonisten. Die Idee dahinter basiert auf einer möglichen betazellprotektiven Wirkung von GLP-1-Agonisten. Alle Immunzellen exprimieren den GLP-1-Rezeptor, sodass man davon ausgeht, dass GLP-1 eine Funktion auch im Immunsystem besitzt. GLP-1 wirkt protektiv, indem es über Rezeptoren der Betazelle und über Rezeptoren der immunkompetenten Zellen aktiviert wird. Es übt einen Einfluss auf die Zytokinsekretion, die Makrophagenfunktion und die Betazellaktivität hinsichtlich der Insulinsekretion aus. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass GLP-1 über die Hemmung der Insulinsekretion, zur Zeit der Manifestation des Typ-1-Diabetes, einen Schutz gegenüber zytotoxischen Zytokinen ausübt.<sup>3</sup> Dazu läuft auch eine große klinische Studie.</p> <h2>Was geht nicht?</h2> <p>Auch der Einsatz monoklonaler Antikörper wurde bei Typ-1-Diabetes getestet. Dabei kommt es zu einer Erholung der Betazellfunktion, zu einer Zunahme der Insulinsekretion bzw. zu einem Erhalt der Insulinsekretion. Der Prozess kann so jedoch nur verzögert, aber nicht gestoppt werden.<br /> Die derzeit beste Intervention, die (nicht) zur Verfügung steht, ist das Fusionsprotein Alefacept, welches die CD2-LFA3-Kostimulation inhibiert und die „natural killer cell“(NK)-mediierte T-Zell-Apoptose induziert – also einfach gesagt: die TZellen schwächer macht. In einer Studie<sup>4</sup> über zwei Jahre wurden Kinder nach der Neumanifestation des Typ-1-Diabetes zweimal mit Alefacept behandelt. Dabei zeigte sich kein Einfluss auf das HbA<sub>1c</sub>, jedoch ein positiver Effekt auf die notwendige Insulindosis. Darüber hinaus kam es zu einer Halbierung des Risikos für das Auftreten schwerer Hypoglykämien. Das Besondere an Alefacept ist, dass das Immunsystem auf mehreren Ebenen ins Gleichgewicht gebracht wird. „Leider wurde die Entwicklung des ursprünglich für Psoriasis entwickelten Medikaments im Jahr 2011 gestoppt, da es bei Psoriasis deutlich effektivere Medikamente gibt und der Markt für Typ-1-Diabetes zu gering war“, bedauert Pieber.</p> <h2>Was kommt?</h2> <p>Zu guter Letzt soll die Rolle von Interleukin 21 besprochen werden. IL-21 ist ein ubiquitäres Zytokin, das proinflammatorisch auf die CD4- und auf die CD8-T-Zellen wirkt, also auf jene Zellen, die zytotoxisch sind oder Zytokine sezernieren. IL-21 beeinflusst aber auch die NK und die B-Zellen. Tierexperimentell wurde gezeigt, dass durch eine Anti-IL-21-Behandlung Veränderungen im Immunsystem ausgelöst werden, die die Autoimmunität dämpfen oder die Immuntoleranz wiederherstellen können. Dabei nehmen regulatorische T-Zellen zu oder deren Funktion wird verbessert; demgegenüber nehmen Effektorzellen, proinflammatorische Zytokine, Autoantikörper usw. ab. Im NOD-Mausmodell mit IL- 21-Knock-out-Mäusen konnte durch eine Anti-IL-21-Behandlung der Ausbruch von Typ-1-Diabetes verhindert werden. Interessant ist auch die Kombination von Anti- IL-21 bei NOD-Mäusen mit Liraglutid bei bereits manifestem Typ-1-Diabetes. Dadurch konnte der Blutzucker normalisiert werden. „Derzeit läuft eine Interventionsstudie<sup>5</sup> (Phase IIa) unter österreichischer Leitung mit dieser Substanz an fünf Studienzentren (Rudolfstiftung, KH Hietzing, LKH Salzburg, Uniklinikum Innsbruck, Uniklinikum Graz). Falls Sie Erwachsene mit D1T mit Neumanifestation haben – bitte an eines der Zentren zuweisen“, fordert Pieber auf.</p> <div id="fazit"> <h2>Praxistipp</h2> „Versprechen Sie Ihren Patienten nicht zu viel. Bei der Heilung des Typ-1- Diabetes ist vieles noch Zukunftsmusik. Vitamin D und GLP-1-Agonisten sind die derzeit handfestesten Optionen.“</div></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 44. ÖDG-Jahrestagung, 17.–19. November 2016, Salzburg
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Bruckner JH: Nat Rev Immunol 2010; 10: 849-59 <strong>2</strong> Treiber G et al: Clin Immunol 2015; 161(2): 217-24 <strong>3</strong> Rondas D et al: J Proteome Res 2013; 12: 4193-206 <strong>4</strong> Rigby MR et al: J Clin Invest 2015; 125: 3285-96 <strong>5</strong> NN9828-4150</p>
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