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Was hat eine Säbelzahnkatze mit Diabetes zu tun?

(K)ein Stress mit Diabetes

<p class="article-intro">Die Diagnose „Zucker“ kommt für die Betroffenen oft völlig überraschend. Wenn sie dann noch mit den empfohlenen Lebensstiländerungen hinsichtlich Ernährung und Bewegung konfrontiert werden, sind Schock, Panik, Überforderung und folglich Stress regelmäßig beobachtbare Phänomene. Nicht zuletzt scheint ein gewisser Dauerstress, neben einigen anderen psychischen Auffälligkeiten, die Entstehung von Typ-2-Diabetes zu begünstigen. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Stressreaktion ist evolution&auml;r gesehen ein wichtiger &Uuml;berlebensvorteil.</li> <li>Chronischer Stress ist aufgrund von Ver&auml;nderungen im Insulin-Glukose-Haushalt besonders f&uuml;r Diabetiker problematisch.</li> <li>Die Folgen von chronischem Stress sind weitreichend und k&ouml;nnen u.a. zu Diabetes mellitus und Depressionen f&uuml;hren.</li> <li>In der Behandlung von chronischem Stress stellen Achtsamkeit, Situationskontrolle und Entscheidungsspielraum wesentliche Eckpunkte dar.</li> </ul> </div> <p>Grunds&auml;tzlich muss gesagt werden, dass Stress an und f&uuml;r sich gar keine so schlechte Sache ist. Wenn unsere Vorfahren einer S&auml;belzahnkatze begegneten, mussten sie binnen Bruchteilen von Sekunden entscheiden &ndash; Kampf oder Flucht. Dank der Stressreaktion und zahlreichen automatisch ablaufenden Ver&auml;nderungen in Blutkreislauf, Hormonhaushalt und Wahrnehmung konn&shy;ten unsere Vorfahren so ein Maximum der Leistungsf&auml;higkeit herausholen und entweder schneller und geschickter fl&uuml;chten oder dieses Tier &uuml;berw&auml;ltigen, besiegen und, nehmen wir einmal an, im Anschluss verspeisen. Im Entspannungsmodus w&auml;re dies alles eher unwahrscheinlich gewesen. <br />Hier l&auml;sst sich schon eine wesentliche Komponente des &bdquo;gesunden&ldquo; Stresses erahnen. Er sollte kurzfristig und nach einer &uuml;berschaubaren Zeit wieder vorbei sein, damit sich der K&ouml;rper in der darauffolgenden Entspannungsphase wieder erholen und zu Kr&auml;ften kommen kann. Die erw&auml;hnten Ver&auml;nderungen im K&ouml;rper sind nicht darauf ausgelegt, &uuml;ber l&auml;ngere Zeit zu bestehen. Chronischer Stress erh&ouml;ht, wie mittlerweile in zahlreichen Studien nachgewiesen, die Pr&auml;valenz von zahlreichen somatischen und psychischen Erkrankungen, aufgrund der Ver&auml;nderungen in Leber und Bauchspeicheldr&uuml;se, sprich im Insulin-Glukose-Haushalt, scheinbar auch die Wahrscheinlichkeit von Diabetes mellitus Typ 2. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite20.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Stress-Blutzucker-Kreislauf</h2> <p>In Abbildung 1 ist ein exemplarischer Stress-Blutzucker-Kreislauf von Herrn P. dargestellt, um zu veranschaulichen, wie m&ouml;gliche Zusammenh&auml;nge aussehen k&ouml;nnten. Nach einem stressreichen Arbeitstag tendiert Herr P. abends zu einer eher ung&uuml;nstigen fett- und/oder zuckerreichen Ern&auml;hrung, folglich schie&szlig;t aufgrund einer eingeschr&auml;nkten Pankreasfunktion der Blutzucker in die H&ouml;he. Bei der regelm&auml;&szlig;igen abendlichen BZ-Kontrolle bemerkt Herr P. einen erh&ouml;hten BZ-Wert, was ihn wiederum in Stress versetzt. Wie oben beschrieben setzt der K&ouml;rper bei der Stressreaktion noch mehr Glukose frei, was den BZ-Wert weiter erh&ouml;ht oder oben h&auml;lt. Dies f&uuml;hrt wom&ouml;glich zu negativen Gef&uuml;hlen wie Selbstvorw&uuml;rfen, Verzweiflung, Wut, Angst, die auch Stress bedeuten und sich dementsprechend auf den BZ-Spiegel auswirken k&ouml;nnen. &Auml;hnliche Kreisl&auml;ufe sind oft gesehene Ph&auml;nomene in der klinischen Praxis und stellen einen wesentlichen Einfluss auch hinsichtlich der Diabetesbehandlung dar. Der Einstiegspunkt in einen Kreislauf ist dabei nebens&auml;chlich, einmal darin angekommen, dreht man sich mitunter sehr lange im Kreislauf mit.</p> <h2>Stressfaktoren</h2> <p>Der &bdquo;Vater der Stressforschung&ldquo; Hans Selye (1907&ndash;1982) hat schon vor einigen Jahrzehnten zwischen dem positiven &bdquo;Eu&shy;stress&ldquo; und dem negativen &bdquo;Disstress&ldquo; unterschieden. Beim Eu&shy;stress wird der Organismus zwar beansprucht und gefordert, aber auch gleichzeitig dazu aufgefordert, Aufmerksamkeit und Leistungsf&auml;higkeit zu erh&ouml;hen, um eine Aufgabe, Krankheit oder Krise zu &uuml;berstehen und im Idealfall auch zu &uuml;berwinden. Der Disstress wird als negativ empfunden, da er in der Regel h&auml;ufig oder dauerhaft auftritt und durch individuelle Kompetenzen oder Ver&auml;nderungen nicht kompensiert werden kann. <br />Die Frage nach dem Stressausl&ouml;ser wird oft mit einem &bdquo;Den macht man sich selbst&ldquo; beantwortet. Tats&auml;chlich sind aber zahlreiche Ausl&ouml;ser nicht in der eigenen Verantwortung: Termin- und Zeitdruck in der Arbeit, Arbeitsplatzverlust sowie in weiterer Folge finanzielle Probleme und Existenz&auml;ngste; Lebensereignisse wie Unf&auml;lle, Todesf&auml;lle, Umweltkatastrophen oder Kriege; Umwelteinfl&uuml;sse wie Hitze, K&auml;lte oder L&auml;rm. Neben den &bdquo;externen&ldquo; kann es aber auch &bdquo;interne&ldquo;, vom Menschen ausgehende, Faktoren geben, die Stress ausl&ouml;sen, verst&auml;rken oder aber auch abschw&auml;chen k&ouml;nnen: Gedanken, Attributionen, Erwartungen, Bef&uuml;rchtungen, Erkrankungen, &Auml;ngste. Grunds&auml;tzlich gilt: Auch wenn es heutzutage die lebensbedrohliche S&auml;belzahnkatze nicht mehr gibt, l&auml;uft die Stressreaktion dennoch mit der gleichen Symptomatik ab. Auch ist es nebens&auml;chlich, ob der Ausl&ouml;ser real oder eingebildet ist.</p> <h2>Akute versus Dauerstressreaktion</h2> <p>Die akute Stressreaktion erkennt man unter anderem an gesteigertem Puls, Schwitzen, Nervosit&auml;t, k&ouml;rperlicher Unruhe, Engegef&uuml;hlen in Kehle und Brust, Verspannungen, erweiterten Pupillen, K&auml;ltegef&uuml;hl in den Extremit&auml;ten. Nicht direkt sichtbar, aber f&uuml;r Diabetiker wesentlich ist, dass die Bauchspeicheldr&uuml;se die Insulinaussch&uuml;ttung verringert und gleichzeitig die Leber vermehrt Zucker in den Blutkreislauf leitet. Denken wir wieder an die Situation mit der S&auml;belzahnkatze. Egal ob unsere Vorfahren fl&uuml;chteten oder k&auml;mpften, sie brauchten den Zucker f&uuml;r die Muskeln, die in der jeweiligen Situation einer massiven Anstrengung ausgesetzt waren. <br />Dauerstress ist mitunter auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen. Wesentliche Punkte zur Erkennung stellen die Selbstwahrnehmung und die Selbstachtsamkeit dar. Kommt es zu Ver&auml;nderungen im Lebensstil, in den Gewohnheiten, zu k&ouml;rperlichen Auff&auml;lligkeiten und besonders zu &Auml;nderungen der psychischen Belastbarkeit? Wie diese Ver&auml;nderungen genauer aussehen k&ouml;nnen, ist in Tabelle 1 dargestellt. <br />Dem fachkundigen Leser ist wom&ouml;glich aufgefallen, dass sich die Checkliste mit den klinischen Symptomen einer Depression nahezu deckt. Als Folge von chronischem Stress kann es durchaus zu einem Ph&auml;nomen kommen, das mit dem inflation&auml;r benutzten Begriff des Burnouts benannt wurde. Wobei wir, wenn wir uns die Symptomatik ansehen, von einer Depression sprechen. Im speziellen Fall von einer Ersch&ouml;pfungsdepression, die nicht auf die leichte Schulter, sondern sehr ernst genommen werden sollte. <br />In zahlreichen Studien wurde eine Korrelation zwischen Diabetes und Depres&shy;sion gefunden, wobei die Richtung des Zusammenhangs noch nicht endg&uuml;ltig gekl&auml;rt scheint. Naheliegend ist eine gegenseitige Wechselwirkung, wobei jede Erkrankung einerseits die Pr&auml;valenz der anderen erh&ouml;ht und andererseits auch deren Verlauf ung&uuml;nstig beeinflusst. Des Weiteren zeigt sich auch eine m&ouml;gliche Verbindung zwischen Diabetesfolgeerkrankungen (z.B. Neuropathie) und Depression. Alles in allem ist der aktuelle Wissensstand, dass besonders beim Vorliegen eines Diabetes mellitus eine depressive Symptomatik abgekl&auml;rt und im Auge behalten werden sollte. Dies kann schon mit wenigen gezielten Fragen (siehe obige Checkliste) im Rahmen von Routinekontrollen abgefragt werden. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Diabetes_1603_Weblinks_Seite22.jpg" alt="" width="434" height="806" /></p> <h2>Was k&ouml;nnen wir gegen den Stress tun?</h2> <p>Zun&auml;chst bedarf es einer Bestandsaufnahme des Ist-Zustands, ohne sofort eine Ver&auml;nderung einzuplanen und anzustreben. Vor einer Ver&auml;nderung der Lebensumst&auml;nde und der Stressausl&ouml;ser sollten auch m&ouml;gliche Konsequenzen bedacht werden, die sich neben einer erhofften Stressminderung ergeben k&ouml;nnten. Wie wirkt es sich auf das famili&auml;re Klima aus, wenn jeder seinen Teil zum Haushalt beitragen soll und nicht mehr automatisch das Essen am Tisch steht, die Wohnung zusammenger&auml;umt, sauber und gesaugt ist und die gewaschene W&auml;sche im Kasten liegt? Wie reagieren Kolleginnen und Kollegen auf eine konsequente Einhaltung eines Achtstundenarbeitstages? Wie reagiert die Partnerin bzw. der Partner, wenn man nach der Arbeit mit Kollegen noch unterwegs ist, um sich zu entspannen? Jede Ver&auml;nderung in einem bestehenden System muss im Gesamtkontext betrachtet werden. <br />Ein weiterer wichtiger Punkt in der Bear&shy;beitung von Stress ist das Erlernen &shy;einer bewussten und achtsamen Lebensweise, wobei man sich in verschiedensten Situationen folgende Fragen stellt:</p> <ul> <li>Was passiert in mir?</li> <li>Was passiert um mich herum?</li> <li>Was tue ich und warum tue ich es?</li> <li>Was ist gut f&uuml;r mich, was weniger gut?</li> </ul> <p>Diese Fragen inkludieren innerpsychische Prozesse und Ph&auml;nomene, die uns aufzeigen k&ouml;nnen, welchen Umwelteinfl&uuml;ssen wir ausgesetzt sind und welche gut bzw. schlecht f&uuml;r uns sind bzw. wie wir darauf reagieren und uns verhalten. Dies einge&uuml;bt und praktiziert soll dem Patienten einerseits die Situationskontrolle vor Augen f&uuml;hren (Was ist passiert? Wie ist die Situation entstanden? Wie habe ich darauf reagiert?) und andererseits kann darauf aufbauend der Entscheidungsspielraum erweitert werden, indem man herausfindet, welche alternativen Handlungsm&ouml;glichkeiten und L&ouml;sungen es f&uuml;r Situationen und Probleme gibt.</p> <p>Neben den innerpsychischen Ans&auml;tzen k&ouml;nnen auch soziale und institutionelle Unterst&uuml;tzungsm&ouml;glichkeiten aktiviert werden. Das unmittelbare famili&auml;re und soziale Umfeld sollte in die Ver&auml;nderungen miteinbezogen werden, und das nicht nur, wenn dort Stressausl&ouml;ser vorkommen, sondern auch als wichtige Ressource in der Bek&auml;mpfung von Stress. Sehr viele Menschen haben Belastungen in der Arbeit und/oder Familie. Hier kann man sich im Freundes- und Bekanntenkreis austauschen und sich gute Tipps holen, wobei schon alleine der Austausch als Entlastung fungieren kann. Des Weiteren k&ouml;nnen Erfolge und Misserfolge geteilt und besprochen werden. Ein wesentlicher Punkt in der Behandlung von Diabetes, Stress und Depressionen ist, dass sich die Patientin bzw. der Patient Wissen holt und aneignet, um &uuml;berhaupt eine Ahnung davon zu haben, womit man es zu tun hat und wie man diesen Krankheiten begegnet. Hier gibt es zahlreiche Kompetenzzentren und Spezialisten, die in Anspruch genommen werden sollten. <br />In der psychologischen Behandlung stellt die Aktivierung von Ressourcen einen wichtigen Bestandteil dar. Diese Ressourcen k&ouml;nnen von innen kommen und stellen einerseits physische Eigenschaften und Kompetenzen wie Fitness, Kraft, Gesundheit und andererseits psychische Eigenschaften wie Achtsamkeit (s.o.), Selbstwirksamkeit, Selbstakzeptanz, Genussf&auml;higkeit, Interessen und Sinngebung dar. &Auml;u&szlig;ere, externe Ressourcen k&ouml;nnte man zum Beispiel unterteilen in materielle (Fahrrad, Geld, BZ-Messger&auml;t &hellip;), soziale (Freunde, Bekannte, Familie &hellip;), institutionelle (Vereine, Bildung, Arbeitsplatz &hellip;) und kulturelle Ressourcen (Museen, Musik, Theater &hellip;). Hier gilt es, diese M&ouml;glichkeiten zu erkennen, schrittweise aufzubauen und in den Lebensrhythmus und Alltag zu integrieren, damit sie &uuml;ber l&auml;ngere Zeit zur Verf&uuml;gung stehen.</p> <h2>Tipps, die Patienten mitgegeben &shy;werden k&ouml;nnen</h2> <ul> <li>An der neuen Situation, der Diagnose, den notwendigen Ma&szlig;nahmen nicht verzweifeln</li> <li>(Symbolisch) durchatmen und Ruhe bewahren</li> <li>Situation analysieren</li> <li>Hilfe suchen und in Anspruch nehmen &ndash; Ressourcen aktivieren</li> <li>Notwendige Ver&auml;nderungen umsetzen</li> <li>Lernen und sich weiterentwickeln</li> </ul></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Bartoli F et al: Association between depression and neuropathy in people with type 2 diabetes: a meta-analysis. Int J Geriatr Psychiatry 2016 Jan 4. [Epub ahead of print] <br />&bull; Buchberger B et al: Symptoms of depression and anxiety in youth with type 1 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Psychoneuroendocrinology 2016; 70: 70-84 <br />&bull; Comer RJ: Klinische Psychologie. Heidelberg: Spektrum, 2008 <br />&bull; Kelly SJ, Ismail M: Stress and type 2 diabetes: a review of how stress contributes to the development of type 2 diabetes. Annu Rev Public Health 2015; 36: 441-62 <br />&bull; Roy T, Lloyd CE: Epidemiology of depression and diabetes: a systematic review. J Affect Disord 2012; 142: 8-21 <br />&bull; Spruijt-Metz D et al: Behavioral contributions to the &shy;pathogenesis of type 2 diabetes. Curr Diab Rep 2014; 14(4): 475</p> </div> </p>
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