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Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie 2017

<p class="article-intro">Mitte November 2017 haben sich die Schweizer Endokrinologen, Diabetologen und Osteologen wie gewohnt zum Jahreskongress in Bern getroff en. Aus den zahlreichen interessanten Themen haben wir zwei für Sie zusammengefasst: die Kontroverse «Metabolische Chirurgie oder medikamentöse Behandlung bei Diabetes?», die gar nicht so kontrovers diskutiert wurde, sowie die Empfehlungen zur Therapiedauer bei Osteoporose und zum Management nach Absetzen der Therapie.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Metabolische Chirurgie UND medikament&ouml;se Behandlung bei Diabetes</h2> <p>Prof. Dr. med. Ralph Peterli, Stv. Chefarzt Viszeralchirurgie am St. Claraspital Basel, betonte zu Beginn seines Beitrags zur Pro-Kontra-Debatte &laquo;Bariatrische Chirurgie vs. neue medikament&ouml;se Behandlung bei Diabetes&raquo;, dass es nicht um &laquo;entweder oder&raquo; gehe, sondern dass Chirurg und Diabetologe zusammen f&uuml;r jeden Patienten die optimale L&ouml;sung finden m&uuml;ssten.<br /> Bei der metabolischen Chirurgie geht es nicht nur um die Gewichtsabnahme. Unabh&auml;ngig davon haben die bariatrischen Operationen auch einen Einfluss auf viele andere Organe und Systeme, wie z.B. die Darmmotilit&auml;t, das Mikrobiom, das Herz-Kreislauf-System, das Inflammasom, die Nierenfunktion usw. Die bei Typ-2-Diabetes (T2DM) wichtigen Auswirkungen und Mechanismen sind in Abbildung 1 zusammengefasst. In zahlreichen randomisierten klinischen Studien wurde gezeigt, dass bei stark bis sehr stark &uuml;bergewichtigen T2-Diabetikern (BMI &ge;35kg/m<sup>2</sup>) mit der metabolischen Chirurgie eine sehr gute glyk&auml;mische Kontrolle und eine Reduktion der kardiovaskul&auml;ren (CV) Risikofaktoren erreicht werden k&ouml;nnen.<sup>2</sup> Dabei war die Chirurgie der konservativen Therapie (medikament&ouml;s plus Lebensstil&auml;nderungen) in allen Studien &uuml;berlegen.<sup>2</sup> Interessanterweise war die T2DM-Remissionsrate in diesen Studien auch bei weniger adip&ouml;sen T2-Diabetikern (BMI &lt;35kg/m<sup>2</sup>) gleich hoch wie bei den st&auml;rker &uuml;bergewichtigen Patienten (72 % vs. 71 % ).<sup>3</sup> Auch in Hinblick auf die Gesamtmortalit&auml;t nach 5 und nach 10 Jahren schnitt die Chirurgie bei sehr adip&ouml;sen T2-Diabetikern (BMI &ge;40kg/m<sup>2</sup>) besser ab als die medikament&ouml;se Therapie.<sup>4</sup> Die bariatrische Chirurgie &uuml;berzeugt auch im Hinblick auf die Langzeitresultate 20 Jahre nach der Intervention: Gewichtsverlust von 18 % (vs. 1 % mit Standardtherapie); Reduktion der Gesamtmortalit&auml;t um 29 % und der Diabetesinzidenz um 83 % im Vergleich zur konservativen Therapie.<sup>5</sup><br /> Aufgrund dieser Ergebnisse kam eine internationale Expertengruppe von Diabetologen und Chirurgen am zweiten &laquo;Diabetes Surgery Summit&raquo; 2016 (DSS-II) zum Schluss, dass die metabolische Chirurgie zur Behandlung des T2DM bei Patienten mit einer Klasse-III-Adipositas (BMI &ge;40kg/m<sup>2</sup>) in jedem Fall und bei solchen mit einer Klasse-II-Adipositas (BMI 35,0&ndash; 39,9kg/m<sup>2</sup>) empfohlen werden soll, falls die Hyperglyk&auml;mie mit einer optimalen konservativen Therapie nicht gen&uuml;gend kontrolliert werden kann (Klasse-1A-Empfehlung).<sup>2</sup> Auch bei Patienten mit einer Klasse-I-Adipositas (BMI 30,0&ndash;34,9kg/m<sup>2</sup>) sollte bei ungen&uuml;gender glyk&auml;mischer Kontrolle trotz optimaler konservativer Behandlung eine bariatrische Operation in Betracht gezogen werden (Klasse-1AEmpfehlung).<sup>2</sup> Verschiedene nationale und internationale Gesellschaften, darunter auch die SMOB (&laquo;Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders&raquo;), haben sich diesen Empfehlungen angeschlossen. &laquo;Das &lsaquo;Swiss Medical Board&rsaquo; stellte im Rahmen eines HTABerichts fest, dass die metabolische Chirurgie nicht nur wirksam, sondern auch kostensparend und kosteneffektiv ist, und kommt zu den exakt gleichen Empfehlungen wie die Experten am DSS-II&raquo;,<sup>6</sup> so Peterli. Wie jede chirurgische Massnahme sind auch bariatrische Operationen mit gewissen Risiken behaftet, insgesamt ist das Benefit-Risiko-Verh&auml;ltnis aber g&uuml;nstig. &laquo;Dabei ist es sehr wichtig, dass die Entscheidung zur Operation in einem interdisziplin&auml;ren Team gef&auml;llt wird und die Patienten sorgf&auml;ltig ausgew&auml;hlt werden&raquo;, betonte Peterli zum Schluss.<br /> Prof. Dr. med. Roger Lehmann, Leiter Diabetologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich, best&auml;tigte, dass er mit Prof. Peterli vollkommen einig sei, dass es nun aber neue Medikamente zur Behandlung von Diabetes und Adipositas gebe. &laquo;Chirurgen sind Helden, sie retten Leben&raquo;, sagte er. &laquo;Wenn wir als Endokrinologen mit ihnen konkurrieren wollen, m&uuml;ssen wir also auch Leben retten.&raquo; Und das ist, wie die LEADER- und die EMPAREG- OUTCOME-Studie zeigen, tats&auml;chlich auch m&ouml;glich: Reduktion der Gesamtmortalit&auml;t um 15 % mit dem GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) Liraglutid im Vergleich mit Placebo und um 32 % mit dem SGLT2-Hemmer Empagliflozin.<sup>7, 8</sup><br /> Aber es gibt auch andere Massnahmen, mit denen die Mortalit&auml;t von Diabetikern drastisch reduziert werden kann. So zeigte beispielsweise die d&auml;nische ADDITION- Studie, dass mit einem Diabetesscreening und einer fr&uuml;hzeitigen intensiven multifaktoriellen Intervention, die nebst der medikament&ouml;sen Therapie (Zielwerte: HbA<sub>1c</sub> &lt;7,0 % ; BD &le;135/85mmHg; LDL-C &lt;4,5mmol/l) auch Lebensstil&auml;nderungen mit vermehrter k&ouml;rperlicher Aktivit&auml;t umfasste, die Mortalit&auml;t der T2-Diabetiker praktisch auf das Niveau der Gesamtbev&ouml;lkerung gesenkt werden kann: Reduktion der Mortalit&auml;t um 50 % im Vergleich mit der d&auml;nischen Diabetespopulation und um 9 % im Vergleich mit der Standardbehandlung.<sup>9, 10</sup> &laquo;Ein ganz entscheidender Faktor ist auch die k&ouml;rperliche Fitness&raquo;, betonte Lehmann. Vergleicht man n&auml;mlich unfitte adip&ouml;se Menschen mit unfitten schlanken, f&auml;llt auf, dass die Mortalit&auml;t der adip&ouml;sen nur leicht h&ouml;her ist. Das gleiche Bild zeigt sich beim Vergleich von fitten adip&ouml;sen Menschen mit fitten schlanken. Ein sehr grosser Unterschied besteht jedoch zwischen den Gruppen der unfitten und der fitten Menschen (Abb. 2).<sup>11</sup> &laquo;Ich sage meinen Patienten deshalb immer, entscheidend ist nicht, dass ihr schlank werdet, entscheidend ist, dass ihr fit werdet&raquo;, sagte Lehmann. Auch das Diabetesrisiko bei Adipositas kann mit Lebensstil&auml;nderungen signifikant reduziert werden: Ein systematischer Review randomisierter kontrollierter Studien zeigte, dass mit Lebensstil&auml;nderungen das absolute Risiko f&uuml;r das Auftreten eines T2DM um circa 14 % und das relative Risiko um 50&ndash;70 % reduziert werden kann.<sup>12</sup> Dabei reicht eine Gewichtsabnahme von 1kg, um das Diabetesrisiko um 30 % zu reduzieren, und eine Abnahme von 5kg f&uuml;r eine Risikoreduktion von 60 % .<sup>13</sup> Gleichzeitig hat jede Massnahme, die zu einer Gewichtsreduktion f&uuml;hrt, auch einen g&uuml;nstigen Einfluss auf andere CV Risikofaktoren.<sup>14</sup> &laquo;Erfreulicherweise gibt es auch Antidiabetika, die zu einer Gewichtsreduktion f&uuml;hren. Bei den SGLT2-Hemmern liegt sie bei circa 3&ndash;4kg, bei den GLP-1-RA abh&auml;ngig von Dosis und Medikament bei 3&ndash;7kg&raquo;, so Lehmann. Mit Semaglutid, das in der Schweiz noch nicht zugelassen ist, kann laut Mitteilung des Herstellers sogar eine Gewichtsabnahme von bis zu 17kg erreicht werden.<sup>15</sup><br /> Zusammenfassend sagte Lehmann: &laquo;Auch wenn die bariatrische Chirurgie die potentere Methode zur Behandlung von Adipositas und Diabetes ist als die konservative Therapie, haben wir Endokrinologen insgesamt doch die besseren Karten, weil wir mit unseren Methoden &uuml;ber 90 % der betroffenen Patienten behandeln k&ouml;nnen, w&auml;hrend aus Kapazit&auml;tsgr&uuml;nden nur gerade 0,1 % von einer bariatrischen Operation profitieren k&ouml;nnen.&raquo;<sup>16, 17</sup></p> <p>&nbsp;<img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1801_Weblinks_lo_innere_medizin_1801_s22_abb1+2.jpg" alt="" width="1653" height="1811" /></p> <h2>Osteoporosetherapie: Dauer und Management nach dem Absetzen</h2> <p>erwiesenermassen wirksame Substanzen zur Behandlung der Osteoporose haben&raquo;, stellte Prof. Dr. med. Christian Meier, Leitender Arzt Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus am Universit&auml;tsspital Basel, fest. &laquo;Die schlechte Nachricht ist, dass wir diese Medikamente nicht einsetzen. Weltweit werden immer weniger Patienten gegen Osteoporose behandelt.&raquo; So zeigte beispielsweise eine grosse amerikanische Studie, dass die Rate an Patienten, die ein Jahr nach einer H&uuml;ftfraktur eine Osteoporosemedikation bekamen, von 40,2 % im Jahr 2002 auf 20,5 % im Jahr 2011 gesunken ist.<sup>18</sup> Gr&uuml;nde daf&uuml;r sind gem&auml;ss Meier die immer noch ungen&uuml;gende Awareness f&uuml;r Osteoporose, mangelndes Wissen &uuml;ber die Therapie bei den behandelnden &Auml;rzten sowie Unsicherheiten in Bezug auf die Behandlungsdauer und die Betreuung nach dem Absetzen.<br /> F&uuml;r die Bisphosphonate (Alendronat, Risedronat, Zoledronat) wurde in verschiedenen Studien gezeigt, dass die Knochendichte nach dem Absetzen der Medikation &uuml;ber mehrere Jahre kaum abnimmt.<sup>19, 20</sup> Nach einer 5-j&auml;hrigen Behandlung mit oralen Bisphosphonaten resp. einer 3-j&auml;hrigen Therapie mit Zoledronat i.v. kann bei postmenopausalen Patientinnen mit einem niedrigen bis moderaten Risiko gem&auml;ss den Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) deshalb eine Therapiepause von 2&ndash;3 Jahren gemacht werden (Abb. 3).<sup>21</sup> Bei Hochrisikopatientinnen &ndash; dazu z&auml;hlen a) solche, die in den f&uuml;nf Jahren vor oder w&auml;hrend der Behandlung eine H&uuml;ft-, eine Wirbel- oder mehrere osteoporotische Frakturen erlitten haben, b) solche, die aufgrund der klinischen Beurteilung oder wegen Komorbidit&auml;ten weiterhin ein hohes Frakturrisiko haben, sowie c) solche mit einer immer noch niedrigen Knochendichte &ndash; muss die Behandlung weitergef&uuml;hrt oder je nach Risiko- Benefit-Konstellation allenfalls ein Wechsel auf Teriparatid oder Denosumab in Betracht gezogen werden (Abb. 3).<br /> Die Bisphosphonate sind aber die einzigen Osteoporosemedikamente, deren Wirkung nach dem Absetzen noch weiter anh&auml;lt. Bei allen anderen kommt es nach dem Absetzen zu einer raschen Abnahme der Knochendichte. F&uuml;r Denosumab wurde beispielsweise gezeigt, dass die Marker f&uuml;r den Knochen-Turn-over nach dem Absetzen im Sinne eines Rebound-Effekts stark ansteigen und dass die Knochendichte unabh&auml;ngig von der Behandlungsdauer innerhalb von ein bis zwei Jahren auf die Ausgangswerte absinkt.<sup>22</sup> Gleichzeitig nimmt die Inzidenz von Wirbelfrakturen stark zu.<sup>23</sup> &laquo;Davon betroffen sind vorwiegend Patientinnen, die schon vor der Behandlung mit Denosumab Wirbelfrakturen erlitten haben, solche mit einer geringen Knochendichte bei Therapiebeginn, therapienaive Patientinnen und solche mit einer schlechten Compliance&raquo;,<sup>24, 25</sup> erkl&auml;rte Meier. Die SVGO empfiehlt deshalb f&uuml;r die Therapie mit Denosumab eine Dauer von mindestens 4&ndash;5 Jahren, bei Hochrisikopatientinnen bis zu 10 Jahren (Abb. 4).<sup>21</sup> Soll Denosumab abgesetzt werden, z.B. bei Patientinnen mit einem niedrigen Risiko, muss f&uuml;r 1&ndash;2 Jahre eine Behandlung mit Bisphosphonaten angeschlossen werden.<sup>21</sup> Bei Teriparatid muss nach dem Absetzen f&uuml;r 2&ndash;3 Jahre eine antiresorptive Behandlung mit Bisphosphonaten oder Denosumab durchgef&uuml;hrt werden (Abb. 5).<sup>21</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1801_Weblinks_lo_innere_medizin_1801_s26_abb3-5.jpg" alt="" width="2151" height="1871" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie, 16.–17. November 2017, Bern </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Batterham RL, Cummings DE: Diabetes Care 2016; 39: 893-901 <strong>2</strong> Rubino F et al.: Diabetes Care 2016; 39: 861-77 <strong>3</strong> Panunzi S et al.: Ann Surg 2015; 261: 459-67 <strong>4</strong> Arterburn DE et al.: JAMA 2015; 313: 62-70 <strong>5</strong> Sj&ouml;str&ouml;m L: J Intern Med 2013; 273: 219-34 <strong>6</strong> Swiss Medical Board: 2016 <strong>7</strong> Marso SP et al.: N Engl J Med 2016; 375: 311-22 <strong>8</strong> Zinman B et al.: N Engl J Med 2015; 373: 2117-28 <strong>9</strong> Griffin SJ et al.: Lancet 2011; 378: 156-67 <strong>10</strong> Carstensen et al.: Diabetologia 2008; 51: 2187-96 <strong>11</strong> Lee CD et al.: Am J Clin Nutr 1999; 69: 373-80 <strong>12</strong> Yoon et al.: Metabolism 2013; 62: 303-14 <strong>13</strong> Hamman RF et al.: Diabetes Care 2006; 29: 2102-7 <strong>14</strong> Zomer E et al.: Obes Rev 2 016; 1 7: 1001-11 <strong>15</strong> Novo Nordisk: Press release, 23. 6. 2017 <strong>16</strong> Angrisani L et al.: Obes Surg 2015; 25: 1822-32 <strong>17</strong> IDF Diabetes Atlas. 7<sup>th</sup> ed. 2015 <strong>18</strong> Solomon DH et al.: J Bone Miner Res 2014; 29: 1929-37 <strong>19</strong> Black D et al.: JAMA 2006; 296: 2927-38 <strong>20</strong> Black D et al.: J Bone Miner Res 2015; 30: 934 <strong>21</strong> Meier C et al.: Swiss Med Wkl 2017; 147: w14484 <strong>22</strong> Bone HG et al.: J Clin Endocrinol Metab 2011; 96: 972-80 <strong>23</strong> Brown JP et al.: ASBMR 2016. 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