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Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes – ein Überblick
Leading Opinions
30
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21.12.2017
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<p class="article-intro">Da die Insulinproduktion im Laufe des Lebens stetig abnimmt, muss man bei älteren Typ-2-Diabetikern irgendwann eine Therapie mit Insulin beginnen. Aber ab wann ist eine Insulintherapie sinnvoll und welche Präparate setzt man ein? Prof. Dr. med. Gottfried Rudofsky, Leitender Arzt, Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am Kantonsspital Olten, gab am Update Refresher Allgemeine Innere Medizin eine klare Anleitung.</p>
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<p class="article-content"><p>Immer wieder gibt es Kollegen, die meinen, die Wirkung der Antidiabetika lasse mit der Zeit nach, und auch Studien zeigen das»,<sup>1</sup> sagte Prof. Rudofsky. «Aber das stimmt wohl so nicht. Die Medikamente wirken oft noch gleich gut, aber die Insulinproduktion im Pankreas lässt nach.» Pro Jahr geht die körpereigene Insulinproduktion um circa 6 % zurück.<sup>2</sup> Gemäss einem Update der Leitlinie der amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaften ADA und EASD kann man Insulin bereits geben, wenn Metformin alleine den Blutzucker nicht ausreichend senkt und man ein zweites Präparat dazugeben muss.<sup>3</sup> Normalerweise ist eine Therapie mit Insulin so früh aber nicht nötig. Sinnvoll ist Insulin v.a. dann, wenn der HbA<sub>1c</sub>- Zielwert mit zwei oder drei oralen Antidiabetika nicht erreicht wird, die Stoffwechsellage dekompensiert ist, beim Patienten Kontraindikationen für orale Antidiabetika bestehen, wie z. B. eine Niereninsuffizienz oder bestimmte Komorbiditäten, etwa eine chronische Pankreatitis, wenn er gleichzeitig eine hoch dosierte Kortikosteroidtherapie bekommt oder wenn eine Patientin schwanger ist.</p> <h2>BOT-Schema ideal für die Praxis</h2> <p>«Für Insulin gibt es keine Kontraindikationen », sagte Rudofsky, «allerdings muss man sich bewusst sein, dass unter Insulintherapie häufiger Hypoglykämien auftreten, insbesondere in Kombination mit Sulfonylharnstoffen.»<br /> Es gibt verschiedene Schemata für die Insulintherapie. «Für die hausärztliche Praxis bietet sich das BOT-Schema an», sagte Rudofsky. BOT steht für basal unterstützte orale Therapie: Zusätzlich zu den oralen Antidiabetika spritzt der Patient einmal täglich ein lang wirksames Insulin. «Das Insulin deckt den nahrungsunabhängigen Grundbedarf des Körpers bis zu 24 Stunden ab», erklärte Rudofsky. «Dadurch kann das noch vorhandene körpereigene Insulin, unterstützt durch die Tabletten, zu den Mahlzeiten wieder besser wirken – man entlastet quasi die Betazellen im Pankreas.» Zusätzlich kommt es zu einer Normalisierung der nächtlichen Glukoneogenese.<br /> Bei der BOT beginnt man idealerweise mit 10 Einheiten Basalinsulin pro Tag, vorzugsweise am Abend. «Dabei ist es egal, welches Insulin Sie verschreiben», so Rudofsky (Tab. 1). Die Dosis wird dann anhand der Nüchtern-Blutzuckerwerte auftitriert. Bewährt hat sich ein Schema, wonach die Dosis wöchentlich anhand der vom Patienten selbst bestimmten Nüchtern- Blutzuckerwerte der letzten beiden Tage angepasst wird: Haben die Werte beispielsweise >8mmol/l betragen, erhöht man die Dosis um 4E auf 14E, sind sie unter 3,9mmol/l gelegen, reduziert man die Dosis um 2E (Tab. 2).<sup>4</sup> Humaninsuline (NPH-Insuline) verursachen mehr Hypoglykämien, weil sie rascher anfluten. Die neueren Analoginsuline zeigen flachere Wirkungskurven, weshalb Hypoglykämien seltener sind.<sup>5</sup> Analoginsuline sind deshalb die erste Wahl. «Insulin glargin U100 (Lantus<sup>®</sup>) zeigt ziemlich stabile Blutzuckerspiegel », erklärte Rudofsky. «Aber wenn man den Patienten auf einen strengen HbA<sub>1c</sub>-Zielwert einstellen will, kommt man auch damit in den Hypoglykämiebereich. » Deshalb wurden neuere Insuline wie Insulin degludec (Tresiba<sup>®</sup>) und Insulin glargin U300 (Toujeo<sup>®</sup>) entwickelt, die noch weniger Schwankungen zeigen. Insulin degludec bildet nach der Injektion lange Multihexamere im subkutanen Depot, die das Insulin langsam freigeben.<sup>6</sup> «Deshalb wirkt das Präparat so lange: mehr als 42 Stunden. Es muss aber trotzdem einmal täglich gespritzt werden. Ich setze es gerne bei Diabetikern ein, die viel reisen oder am Wochenende ausschlafen wollen.» Insulin degludec verursacht weniger Hypoglykämien als Insulin glargin U100, vor allem auch weniger nächtliche Hypoglykämien, und es senkt den Blutzucker genauso gut.<sup>7</sup><br /> «Bei Insulin glargin U300 (Toujeo<sup>®</sup>) (U300 bedeutet, dass in 1ml 300E enthalten sind, Anm.) haben die Entwickler die Oberfläche des Insulinmoleküls verkleinert, dadurch wird es langsamer freigesetzt und wirkt länger», erklärte Rudofsky. Es senkt den HbA<sup>1c</sup>-Spiegel genauso wie Insulin glargin U100, verursacht aber weniger Hypoglykämien.<sup>8</sup> «Der Vorteil ist, dass man einen Zeitrahmen von plus/minus drei Stunden hat, in dem man spritzen kann», sagte Rudofsky. «Man muss nicht zu einem so fixen Zeitpunkt spritzen wie mit U100.» Aufgrund des kleineren Volumens des Moleküls verursacht es möglicherweise auch weniger Lipodystrophien als Insulin glargin U100.<br /> Ebenfalls neu auf dem Markt ist Abasaglar<sup>®</sup>. Hierbei handelt es sich um ein Biosimilar von Lantus<sup>®</sup>, also ebenfalls um ein Insulin glargin U100. Es ist aber wesentlich günstiger.<br /> Als Nebenwirkung der Insulintherapie ist ausser möglichen Hypoglykämien auch eine Zunahme des Körpergewichts zu erwarten: mit Insulin degludec um durchschnittlich 2,7kg und mit Insulin glargin um 2,4kg.<sup>7</sup> «Die Patienten haben generell Vorbehalte gegenüber einer Insulintherapie. Dabei empfinden die meisten nicht das Spritzen als besonders schlimm, es ist vielmehr das Gefühl, jetzt auf der letzten Stufe angelangt zu sein», berichtete der Diabetologe. «Deshalb ist es wichtig, dass wir uns genügend Zeit nehmen, um mit dem Patienten über seine Sorgen zu sprechen.»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1706_Weblinks_s17_tab1.jpg" alt="" width="712" height="676" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1706_Weblinks_s17_tab2.jpg" alt="" width="707" height="793" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Update Refresher Allgemeine Innere Medizin, 12. Mai
2017, Zürich
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Tabák AG et al.: Trajectories of glycaemia, insulin sensitivity, and insulin secretion before diagnosis of type 2 diabetes: an analysis from the Whitehall II study. Lancet 2009; 373: 2215-21 <strong>2</strong> Kahn SE et al.: Glycemic durability of rosiglitazone, metformin, or glyburide monotherapy. N Engl J Med 2006; 355: 2427-43 <strong>3</strong> Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2015: a patient-centred approach. Update to a position statement of the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetologia 2015; 58: 429-42 <strong>4</strong> Riddle MC et al.: The treat-to-target trial: randomized addition of glargine or human NPH insulin to oral therapy of type 2 diabetic patients. Diabetes Care 2003; 26: 3080-6 <strong>5</strong> Yki-Järvinen H et al.: Less nocturnal hypoglycemia and better post-dinner glucose control with bedtime insulin glargine compared with bedtime NPH insulin during insulin combination therapy in type 2 diabetes. HOE 901/3002 Study Group. Diabetes Care 2000; 23: 1130-6 <strong>6</strong> Jonassen I et al.: Design of the novel protraction mechanism of insulin degludec, an ultra-long-acting basal insulin. Pharm Res 2012; 29: 2104-14 <strong>7</strong> Rodbard HW et al.: Comparison of insulin degludec with insulin glargine in insulin- naive subjects with Type 2 diabetes: a 2-year randomized, treat-to-target trial. Diabet Med 2013; 30: 1298- 1304 <strong>8</strong> Yki-Järvinen H et al.: New insulin glargine 300 units/mL versus glargine 100 units/mL in people with type 2 diabetes using oral agents and basal insulin: glucose control and hypoglycemia in a 6-month randomized controlled trial (EDITION 2). Diabetes Care 2014; 37: 3235-43</p>
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