
©
Getty Images/iStockphoto
Insulin degludec: Real-World-Daten aus Österreich
Jatros
Autor:
Dr. Slobodan Peric
Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel/Karl-Landsteiner-Institut für Stoffwechselforschung und Nephrologie, Wien<br>E-Mail: slobodan.peric@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
08.03.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Seit 2013 steht Diabetikern mit Insulin degludec ein „ultralang wirksames“ Präparat als Basalinsulin zur Verfügung. In mehreren Studien zeigte sich, dass degludec im Vergleich zu anderen Insulinen deutlich weniger Hypoglykämien auslöst. Doch sind diese Daten ohne Weiteres in unseren klinischen Alltag übertragbar?</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Hypoglykämien sind, v.a. bei Typ-1-Diabetikern, mit einer signifikanten Morbidität assoziiert.</li> <li>Spezielle pharmakokinetische Eigenschaften führen dazu, dass unter Degludec weniger Hypoglykämien auftreten.</li> <li>Dies konnte nun auch in einer nicht interventionellen Studie in einem Real-World-Setting demonstriert werden.</li> </ul> </div> <p>Insulin degludec (Tresiba) ist ein Basalinsulin, das aufgrund seiner Halbwertszeit von 42 Stunden als „ultralang wirksames“ Insulin vermarktet wird. Möglich wird diese lange Wirksamkeit durch Modifikationen, die einen Zusammenschluss von Insulinmolekülen zu „Multi­hexameren“ herbeiführen, d.h., sechs Insulinmoleküle schließen sich zu einer Einheit zusammen und die Einheiten bilden untereinander lange Ketten. Die Multihexamere werden mit einer relativ konstanten Geschwindigkeit abgebaut und ins Blut freigesetzt, sodass ein im Vergleich zu anderen Insulinen stabilerer Wirkstoffspiegel im Plasma erreicht werden kann. Aus den Zulassungsstudien ist bekannt, dass mit degludec verglichen mit anderen Basalinsulinen bei gleich guter HbA1c-Senkung signifikant weniger Hypoglykämien auftreten, unabhängig davon, ob es sich um Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker handelt.<sup>1</sup> Zulassungsstudien finden jedoch in der Regel in einem streng kontrollierten Umfeld statt:</p> <ul> <li>Das Patientenkollektiv ist selektioniert, sodass z.B. multimorbide Patienten mit stark fluktuierenden Blutzuckerverläufen selten in solche Studien aufgenommen werden.</li> <li>Die Häufigkeit von Blutzuckermessungen ist festgelegt, Utensilien wie Messstreifen werden oft im Überfluss zur Verfügung gestellt.</li> <li>Arzt-Patient-Kontakte finden in festgelegten Abständen und wesentlich häufiger statt als im klinischen Alltag.</li> <li>Damit einhergehend wird die Insulindosis auch öfter angepasst. Zu diesem Zweck werden Titrationsalgorithmen zur Verfügung gestellt (die jedoch vom Studienpersonal nicht zwingend eingehalten werden müssen).</li> </ul> <p>Damit stellt sich natürlich die Frage, ob das geprüfte Insulin auch im klinischen Alltag, der eher von Zeitdruck, knappen materiellen Ressourcen und multimorbiden Patienten geprägt ist, ähnliche Vorteile bietet. Zur Gewinnung von sogenannten Real-World-Daten, also Effektivitätsdaten aus dem klinischen Alltag, werden in letzter Zeit vermehrt nicht interventionelle Studien (NIS) durchgeführt. Hierfür werden retrospektiv und prospektiv Daten von Patienten erhoben, die entweder vom behandelnden Arzt auf ein bestimmtes Produkt eingestellt werden oder aber die bereits das zu untersuchende Medikament verwenden. Im Falle von Insulin degludec wurde in sechs europäischen Ländern die EU-TREAT-Studie<sup>2</sup> durchgeführt, darunter auch in Österreich. Im Rahmen der Herbsttagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft wurden speziell die Ergebnisse der österreichischen Kohorte präsentiert.<br />Konkret wurden bei dieser Studie Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 rekrutiert, die von ihren behandelnden Ärzten mindestens sechs Monate zuvor auf Insulin degludec eingestellt worden waren. Gleichzeitig mussten die Patienten mindestens weitere sechs Monate zuvor ein anderes Basalinsulin gespritzt haben. Von jedem Teilnehmer musste ein HbA1c-Wert zum Zeitpunkt der Umstellung vorliegen, weiters eine Bestimmung der Nierenfunktion (im Sinne einer errechneten glomerulären Filtrationsrate) in den letzten 12 Monaten.</p> <h2>Studiensetting in Österreich</h2> <p>In Österreich wurden für diese NIS insgesamt 171 Patienten (von 2550 europaweit) rekrutiert, davon 148 Patienten mit Typ-1-Diabetes und 23 Typ-2-Diabetiker. In der Gesamtstudie waren zwei Drittel der Teilnehmer Typ-1-Diabetiker, in Österreich anteilsmäßig wesentlich mehr. Das zeigt, dass Degludec basierend auf den Zulassungsstudien primär bei den stärker Hypoglykämie-gefährdeten Typ-1-Diabetikern eingesetzt wird. Aufgrund dieses deutlichen Überhanges werden hier primär die Daten der Typ-1-Diabetiker behandelt.<br />Zunächst wurde der Grund der Umstellung auf Degludec erhoben (Abb. 1). Dieser war bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten eine starke tageszeitliche Schwankung der Blutzuckerspiegel. An zweiter Stelle wurden Hypoglykämien allgemein genannt, erst danach nächtliche Hypoglykämien. Schwere Unterzuckerungen (d.h. solche, bei denen Fremdhilfe notwendig war oder die mit einem Bewusstseinsverlust einhergingen) kamen seltener vor, waren aber bei immerhin 12 % mit ein Grund, zu Degludec zu wechseln. Weitere Gründe der Umstellung: hohe Tagesinsulindosen, Wunsch nach Reduktion der Injektionshäufigkeit (im Gegensatz zu den meisten anderen Basalinsulinanaloga muss Degludec bei allen Patienten nur einmal täglich verabreicht werden) und Schwierigkeiten, das Basalinsulin jeden Tag zur gleichen Uhrzeit zu verabreichen. Aufgrund der langen Halbwertszeit und des flachen Wirkspiegelverlaufs besteht bei Degludec die Möglichkeit, verpasste Dosen in einem relativ großen zeitlichen Rahmen nachzuspritzen, ohne die Wirkstärke nennenswert zu beeinflussen (nach Herstellerempfehlungen sollen zwischen zwei Gaben mindestens 8 und maximal 40 Stunden vergehen, sodass man verpasste Dosen meist noch nachholen und dann im gewohnten Ablauf weitermachen kann).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s17_1.jpg" alt="" width="1421" height="1699" /><br />Unter den in Österreich untersuchten Patienten mit T1DM waren 54 % Frauen, das Durchschnittsalter lag bei 49 Jahren. Der Ausgangs-HbA1c-Wert betrug vor der Umstellung 8,0 % . Der größte Teil der Patienten, nämlich 61 % , nutzte vor der Umstellung Insulin Glargin (U 100; Lantus); 37 % wurden vor der Umstellung mit Insulin Detemir (Levemir) behandelt, nur zwei Teilnehmer nutzten vor der Umstellung andere Insuline. Prandiale Insuline wurden erwartungsgemäß von allen Typ-1-Dia­betikern verwendet, primär Insulin Aspart (NovoRapid) und Lispro (Humalog); die durchschnittlich erhobene Dosis betrug dabei 24,4IE/Tag. Schließlich gab der Großteil aller Teilnehmer an, das Basalinsulin zweimal täglich zu injizieren, und zwar in einer durchschnittlichen Dosis von 23,1IE.<br />Für die Auswertung der Häufigkeit von Unterzuckerungen wurden die medizinischen Aufzeichnungen der behandelnden Ärzte untersucht. Neben den offensichtlichen Erwähnungen von allgemeinen, nächtlichen und schweren Hypos wurde auch eine Kategorie namens „zu Unterzuckerungen neigende Patienten“ definiert. Charakterisiert war diese Gruppe durch eines oder mehrere der folgenden Kriterien: a) zumindest eine schwere Unterzuckerung in den letzten 12 Monaten, b) moderate Nierenfunktionseinschränkung (eGFR 30–59ml/min/1,73m<sup>2</sup>), c) anamnestisch eingeschränkte Hypoglykämiewahrnehmung oder d) Diabetesdauer >15 Jahre (Typ 1) bzw. >25 Jahre (Typ 2). Insgesamt entsprachen 76,4 % aller Teilnehmer zumindest einem Kriterium der Hypoglykämieneigung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s17_2.jpg" alt="" width="2151" height="1141" /></p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Nach sechs Monaten betrug die Therapieadhärenz >90 % , d.h., nur wenige Patienten beendeten in diesem Zeitraum die Therapie mit Degludec. Der HbA1c-Wert sank durch die Umstellung um durchschnittlich 0,3 % , der Nüchternblutzucker um 7mg/dl. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Reduktion der benötigten Insulindosis: Die Dosis des Basalinsulins reduzierte sich um 3,9IE/d. Insgesamt benötigten die Teilnehmer im Durchschnitt pro Tag um 6,6IE Insulin weniger.Bei der Rate an Hypoglykämien fanden sich teils imposante Änderungen (siehe Tab. 1): Die Gesamthypoglykämierate sank in den sechs Monaten nach der Umstellung um 58 % , die Rate an nicht schweren Unterzuckerungen um 56 % . Betrachtet man nur die nächtlichen Hypoglykämien, erkennt man eine Reduktion um ganze 92 % . Bei schweren Unterzuckerungen konnte ebenso – bei jedoch geringer Fallzahl – eine Senkung um 77 % beobachtet werden. Für Typ-2-Diabetiker konnten in der österreichischen Population ähnliche Schlüsse gezogen werden, jedoch war dieser Teil der Studie aufgrund sehr geringer Fallzahlen nicht ausreichend gepowert; bezogen auf die europaweite Population kam es jedoch sehr wohl auch zu deutlichen Senkungen der Hypoglykämieraten.</p> <h2>Kommentar</h2> <p>Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass die wichtigste Fähigkeit von Degludec – die Verhinderung von Unterzuckerungen – auch im klinischen Alltag eine große Rolle spielt. Bedingt durch das Studiendesign ist natürlich ein gewisses „Recall-Bias“ anzunehmen, vergleichbare Studien in einem kontrollierteren Setting haben aber idente Ergebnisse erbracht, wenn auch in geringerem Umfang.<sup>3</sup> Degludec scheint daher besonders für Patienten geeignet, die nach ausreichender Schulung bezüglich ihrer Insulintherapie trotzdem rezidivierend Hypoglykämien erleiden, unabhängig davon, ob es sich um Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker handelt. Die HbA1c-Besserung unter Degludec ist ein angenehmer Nebeneffekt, sollte aber nur bei wenigen Patienten Grund für eine Umstellung sein. Sicherheitsbedenken sind in der Studie nicht aufgekommen, zumal für das Präparat vor Kurzem eine kardiovaskuläre Langzeitstudie bei Typ-2-Diabetikern durchgeführt wurde und auch dabei neben einer um 40 % niedrigeren Rate an schweren Hypos keine Signale gefunden wurden, die solche nahelegen.<sup>4</sup> <br />Insulin degludec wird mit 1.3. in den Erstattungscodex aufgenommen und kann – analog zu anderen Insulinen aus der hellgelben Box – für Diabetiker verordnet werden, die unter Insulinen aus der grünen Box rezidivierend nächtliche Unterzuckerungen erleiden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ratner RE et al.: Hypoglycaemia risk with insulin degludec compared with insulin glargine in type 2 and type 1 diabetes: a pre-planned meta-analysis of phase 3 trials. Diabetes Obes Metab 2013; 15: 175-84 <strong>2</strong> Siegmund T et al.: A European, multicentre, retrospective, non-interventional study (EU-TREAT) of the effectiveness of insulin degludec after switching basal insulin in a population with type 1 or type 2 diabetes. Diabetes Obes Metab 2017; doi: 10.1111/dom.13149. [Epub ahead of print] <strong>3</strong> Shimoda S et al.: A 1-year, prospective, observational study of Japanese outpatients with type 1 and type 2 diabetes switching from insulin glargine or detemir to insulin degludec in basal-bolus insulin therapy (Kumamoto Insulin Degludec Observational study). J Diabetes Investig 2016; 7: 703-10 <strong>4</strong> Marso SP et al.: Efficacy and safety of degludec versus glargine in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 723-32</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Wie oft wird Diabetes nicht oder spät erkannt?
Im Allgemeinen wird von einer hohen Dunkelziffer an Personen mit undiagnostiziertem Typ-2-Diabetes ausgegangen. Ein Teil davon sind von Ärzten „übersehene“ Fälle. Eine von der University ...
Neue Studiendaten zu Typ-2-Diabetes und Lebensstil
Dass gesunde Ernährung und Bewegung das Diabetesrisiko sowie verschiedene Risiken von Patienten mit Diabetes senken, ist seit Langem bekannt. Und das Detailwissen zur Bedeutung von ...
Diabetes erhöht das Sturzrisiko deutlich
Eine dänische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Patienten mit Typ-2-Diabetes öfter stürzen und häufiger Frakturen erleiden als Menschen aus einer ...