© Getty Images/iStockphoto

Insulin degludec: Real-World-Daten aus Österreich

<p class="article-intro">Seit 2013 steht Diabetikern mit Insulin degludec ein „ultralang wirksames“ Präparat als Basalinsulin zur Verfügung. In mehreren Studien zeigte sich, dass degludec im Vergleich zu anderen Insulinen deutlich weniger Hypoglykämien auslöst. Doch sind diese Daten ohne Weiteres in unseren klinischen Alltag übertragbar?</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Hypoglyk&auml;mien sind, v.a. bei Typ-1-Diabetikern, mit einer signifikanten Morbidit&auml;t assoziiert.</li> <li>Spezielle pharmakokinetische Eigenschaften f&uuml;hren dazu, dass unter Degludec weniger Hypoglyk&auml;mien auftreten.</li> <li>Dies konnte nun auch in einer nicht interventionellen Studie in einem Real-World-Setting demonstriert werden.</li> </ul> </div> <p>Insulin degludec (Tresiba) ist ein Basalinsulin, das aufgrund seiner Halbwertszeit von 42 Stunden als &bdquo;ultralang wirksames&ldquo; Insulin vermarktet wird. M&ouml;glich wird diese lange Wirksamkeit durch Modifikationen, die einen Zusammenschluss von Insulinmolek&uuml;len zu &bdquo;Multi&shy;hexameren&ldquo; herbeif&uuml;hren, d.h., sechs Insulinmolek&uuml;le schlie&szlig;en sich zu einer Einheit zusammen und die Einheiten bilden untereinander lange Ketten. Die Multihexamere werden mit einer relativ konstanten Geschwindigkeit abgebaut und ins Blut freigesetzt, sodass ein im Vergleich zu anderen Insulinen stabilerer Wirkstoffspiegel im Plasma erreicht werden kann. Aus den Zulassungsstudien ist bekannt, dass mit degludec verglichen mit anderen Basalinsulinen bei gleich guter HbA1c-Senkung signifikant weniger Hypoglyk&auml;mien auftreten, unabh&auml;ngig davon, ob es sich um Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker handelt.<sup>1</sup> Zulassungsstudien finden jedoch in der Regel in einem streng kontrollierten Umfeld statt:</p> <ul> <li>Das Patientenkollektiv ist selektioniert, sodass z.B. multimorbide Patienten mit stark fluktuierenden Blutzuckerverl&auml;ufen selten in solche Studien aufgenommen werden.</li> <li>Die H&auml;ufigkeit von Blutzuckermessungen ist festgelegt, Utensilien wie Messstreifen werden oft im &Uuml;berfluss zur Verf&uuml;gung gestellt.</li> <li>Arzt-Patient-Kontakte finden in festgelegten Abst&auml;nden und wesentlich h&auml;ufiger statt als im klinischen Alltag.</li> <li>Damit einhergehend wird die Insulindosis auch &ouml;fter angepasst. Zu diesem Zweck werden Titrationsalgorithmen zur Verf&uuml;gung gestellt (die jedoch vom Studienpersonal nicht zwingend eingehalten werden m&uuml;ssen).</li> </ul> <p>Damit stellt sich nat&uuml;rlich die Frage, ob das gepr&uuml;fte Insulin auch im klinischen Alltag, der eher von Zeitdruck, knappen materiellen Ressourcen und multimorbiden Patienten gepr&auml;gt ist, &auml;hnliche Vorteile bietet. Zur Gewinnung von sogenannten Real-World-Daten, also Effektivit&auml;tsdaten aus dem klinischen Alltag, werden in letzter Zeit vermehrt nicht interventionelle Studien (NIS) durchgef&uuml;hrt. Hierf&uuml;r werden retrospektiv und prospektiv Daten von Patienten erhoben, die entweder vom behandelnden Arzt auf ein bestimmtes Produkt eingestellt werden oder aber die bereits das zu untersuchende Medikament verwenden. Im Falle von Insulin degludec wurde in sechs europ&auml;ischen L&auml;ndern die EU-TREAT-Studie<sup>2</sup> durchgef&uuml;hrt, darunter auch in &Ouml;sterreich. Im Rahmen der Herbsttagung der &Ouml;sterreichischen Diabetes Gesellschaft wurden speziell die Ergebnisse der &ouml;sterreichischen Kohorte pr&auml;sentiert.<br />Konkret wurden bei dieser Studie Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 rekrutiert, die von ihren behandelnden &Auml;rzten mindestens sechs Monate zuvor auf Insulin degludec eingestellt worden waren. Gleichzeitig mussten die Patienten mindestens weitere sechs Monate zuvor ein anderes Basalinsulin gespritzt haben. Von jedem Teilnehmer musste ein HbA1c-Wert zum Zeitpunkt der Umstellung vorliegen, weiters eine Bestimmung der Nierenfunktion (im Sinne einer errechneten glomerul&auml;ren Filtrationsrate) in den letzten 12 Monaten.</p> <h2>Studiensetting in &Ouml;sterreich</h2> <p>In &Ouml;sterreich wurden f&uuml;r diese NIS insgesamt 171 Patienten (von 2550 europaweit) rekrutiert, davon 148 Patienten mit Typ-1-Diabetes und 23 Typ-2-Diabetiker. In der Gesamtstudie waren zwei Drittel der Teilnehmer Typ-1-Diabetiker, in &Ouml;sterreich anteilsm&auml;&szlig;ig wesentlich mehr. Das zeigt, dass Degludec basierend auf den Zulassungsstudien prim&auml;r bei den st&auml;rker Hypoglyk&auml;mie-gef&auml;hrdeten Typ-1-Diabetikern eingesetzt wird. Aufgrund dieses deutlichen &Uuml;berhanges werden hier prim&auml;r die Daten der Typ-1-Diabetiker behandelt.<br />Zun&auml;chst wurde der Grund der Umstellung auf Degludec erhoben (Abb. 1). Dieser war bei der &uuml;berwiegenden Mehrheit der Patienten eine starke tageszeitliche Schwankung der Blutzuckerspiegel. An zweiter Stelle wurden Hypoglyk&auml;mien allgemein genannt, erst danach n&auml;chtliche Hypoglyk&auml;mien. Schwere Unterzuckerungen (d.h. solche, bei denen Fremdhilfe notwendig war oder die mit einem Bewusstseinsverlust einhergingen) kamen seltener vor, waren aber bei immerhin 12 % mit ein Grund, zu Degludec zu wechseln. Weitere Gr&uuml;nde der Umstellung: hohe Tagesinsulindosen, Wunsch nach Reduktion der Injektionsh&auml;ufigkeit (im Gegensatz zu den meisten anderen Basalinsulinanaloga muss Degludec bei allen Patienten nur einmal t&auml;glich verabreicht werden) und Schwierigkeiten, das Basalinsulin jeden Tag zur gleichen Uhrzeit zu verabreichen. Aufgrund der langen Halbwertszeit und des flachen Wirkspiegelverlaufs besteht bei Degludec die M&ouml;glichkeit, verpasste Dosen in einem relativ gro&szlig;en zeitlichen Rahmen nachzuspritzen, ohne die Wirkst&auml;rke nennenswert zu beeinflussen (nach Herstellerempfehlungen sollen zwischen zwei Gaben mindestens 8 und maximal 40 Stunden vergehen, sodass man verpasste Dosen meist noch nachholen und dann im gewohnten Ablauf weitermachen kann).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s17_1.jpg" alt="" width="1421" height="1699" /><br />Unter den in &Ouml;sterreich untersuchten Patienten mit T1DM waren 54 % Frauen, das Durchschnittsalter lag bei 49 Jahren. Der Ausgangs-HbA1c-Wert betrug vor der Umstellung 8,0 % . Der gr&ouml;&szlig;te Teil der Patienten, n&auml;mlich 61 % , nutzte vor der Umstellung Insulin Glargin (U 100; Lantus); 37 % wurden vor der Umstellung mit Insulin Detemir (Levemir) behandelt, nur zwei Teilnehmer nutzten vor der Umstellung andere Insuline. Prandiale Insuline wurden erwartungsgem&auml;&szlig; von allen Typ-1-Dia&shy;betikern verwendet, prim&auml;r Insulin Aspart (NovoRapid) und Lispro (Humalog); die durchschnittlich erhobene Dosis betrug dabei 24,4IE/Tag. Schlie&szlig;lich gab der Gro&szlig;teil aller Teilnehmer an, das Basalinsulin zweimal t&auml;glich zu injizieren, und zwar in einer durchschnittlichen Dosis von 23,1IE.<br />F&uuml;r die Auswertung der H&auml;ufigkeit von Unterzuckerungen wurden die medizinischen Aufzeichnungen der behandelnden &Auml;rzte untersucht. Neben den offensichtlichen Erw&auml;hnungen von allgemeinen, n&auml;chtlichen und schweren Hypos wurde auch eine Kategorie namens &bdquo;zu Unterzuckerungen neigende Patienten&ldquo; definiert. Charakterisiert war diese Gruppe durch eines oder mehrere der folgenden Kriterien: a) zumindest eine schwere Unterzuckerung in den letzten 12 Monaten, b) moderate Nierenfunktionseinschr&auml;nkung (eGFR 30&ndash;59ml/min/1,73m<sup>2</sup>), c) anamnestisch eingeschr&auml;nkte Hypoglyk&auml;miewahrnehmung oder d) Diabetesdauer &gt;15 Jahre (Typ 1) bzw. &gt;25 Jahre (Typ 2). Insgesamt entsprachen 76,4 % aller Teilnehmer zumindest einem Kriterium der Hypoglyk&auml;mieneigung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1801_Weblinks_s17_2.jpg" alt="" width="2151" height="1141" /></p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Nach sechs Monaten betrug die Therapieadh&auml;renz &gt;90 % , d.h., nur wenige Patienten beendeten in diesem Zeitraum die Therapie mit Degludec. Der HbA1c-Wert sank durch die Umstellung um durchschnittlich 0,3 % , der N&uuml;chternblutzucker um 7mg/dl. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Reduktion der ben&ouml;tigten Insulindosis: Die Dosis des Basalinsulins reduzierte sich um 3,9IE/d. Insgesamt ben&ouml;tigten die Teilnehmer im Durchschnitt pro Tag um 6,6IE Insulin weniger.Bei der Rate an Hypoglyk&auml;mien fanden sich teils imposante &Auml;nderungen (siehe Tab. 1): Die Gesamthypoglyk&auml;mierate sank in den sechs Monaten nach der Umstellung um 58 % , die Rate an nicht schweren Unterzuckerungen um 56 % . Betrachtet man nur die n&auml;chtlichen Hypoglyk&auml;mien, erkennt man eine Reduktion um ganze 92 % . Bei schweren Unterzuckerungen konnte ebenso &ndash; bei jedoch geringer Fallzahl &ndash; eine Senkung um 77 % beobachtet werden. F&uuml;r Typ-2-Diabetiker konnten in der &ouml;sterreichischen Population &auml;hnliche Schl&uuml;sse gezogen werden, jedoch war dieser Teil der Studie aufgrund sehr geringer Fallzahlen nicht ausreichend gepowert; bezogen auf die europaweite Population kam es jedoch sehr wohl auch zu deutlichen Senkungen der Hypoglyk&auml;mieraten.</p> <h2>Kommentar</h2> <p>Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass die wichtigste F&auml;higkeit von Degludec &ndash; die Verhinderung von Unterzuckerungen &ndash; auch im klinischen Alltag eine gro&szlig;e Rolle spielt. Bedingt durch das Studiendesign ist nat&uuml;rlich ein gewisses &bdquo;Recall-Bias&ldquo; anzunehmen, vergleichbare Studien in einem kontrollierteren Setting haben aber idente Ergebnisse erbracht, wenn auch in geringerem Umfang.<sup>3</sup> Degludec scheint daher besonders f&uuml;r Patienten geeignet, die nach ausreichender Schulung bez&uuml;glich ihrer Insulintherapie trotzdem rezidivierend Hypoglyk&auml;mien erleiden, unabh&auml;ngig davon, ob es sich um Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker handelt. Die HbA1c-Besserung unter Degludec ist ein angenehmer Nebeneffekt, sollte aber nur bei wenigen Patienten Grund f&uuml;r eine Umstellung sein. Sicherheitsbedenken sind in der Studie nicht aufgekommen, zumal f&uuml;r das Pr&auml;parat vor Kurzem eine kardiovaskul&auml;re Langzeitstudie bei Typ-2-Diabetikern durchgef&uuml;hrt wurde und auch dabei neben einer um 40 % niedrigeren Rate an schweren Hypos keine Signale gefunden wurden, die solche nahelegen.<sup>4</sup> <br />Insulin degludec wird mit 1.3. in den Erstattungscodex aufgenommen und kann &ndash; analog zu anderen Insulinen aus der hellgelben Box &ndash; f&uuml;r Diabetiker verordnet werden, die unter Insulinen aus der gr&uuml;nen Box rezidivierend n&auml;chtliche Unterzuckerungen erleiden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong>&nbsp;Ratner RE et al.: Hypoglycaemia risk with insulin degludec compared with insulin glargine in type 2 and type 1 diabetes: a pre-planned meta-analysis of phase 3 trials. Diabetes Obes Metab 2013; 15: 175-84 <strong>2</strong>&nbsp;Siegmund T et al.: A European, multicentre, retrospective, non-interventional study (EU-TREAT) of the effectiveness of insulin degludec after switching basal insulin in a population with type 1 or type 2 diabetes. Diabetes Obes Metab 2017; doi: 10.1111/dom.13149. [Epub ahead of print] <strong>3</strong>&nbsp;Shimoda S et al.: A 1-year, prospective, observational study of Japanese outpatients with type 1 and type 2 diabetes switching from insulin glargine or detemir to insulin degludec in basal-bolus insulin therapy (Kumamoto Insulin Degludec Observational study). J Diabetes Investig 2016; 7: 703-10 <strong>4</strong>&nbsp;Marso SP et al.: Efficacy and safety of degludec versus glargine in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 723-32</p> </div> </p>
Back to top