<p class="article-intro">An der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien werden nicht nur Patienten stationär und ambulant versorgt, sondern es wird auch intensiv wissenschaftliche Forschung betrieben. Über die Schwerpunkte auf dem Gebiet der Diabetes- und Adipositasforschung berichten Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Abteilungsvorstand, und Dr. Johanna Brix, Oberärztin an der 1. Medizinischen Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Sie sind in der Diabetesforschung sehr aktiv. Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Abteilung?<br /><br /> Prof. Ludvik:</strong> Die Schwerpunkte der 1. Medizinischen Abteilung der Rudolfstiftung sind Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie. Die Abteilung hat eine sehr lange Tradition in der Forschung, vor allem auf dem Gebiet der Diabetologie, des Gestationsdiabetes und der Adipositas.<br /><br /> <strong>Dr. Brix:</strong> Die Behandlung des Gestationsdiabetes und der morbiden Adipositas steht derzeit im Mittelpunkt unserer Forschungstätigkeit. Wir untersuchen aber natürlich auch bestimmte Komplikationen des Typ-1- und Typ-2-Diabetes.<br /><br /> <strong>Prof. Ludvik:</strong> Unser Vorteil ist, dass wir hier im Haus sehr große Ambulanzen haben und damit sehr viele Patienten. Dies erleichtert uns das Bilden großer Studienkollektive, die Registrierung und die Charakterisierung der Patienten in Hinsicht auf Biomarker, Laborparameter oder anthropometrische Daten. Gerade im Bereich der morbiden Adipositas konnten wir in einer Reihe hochwertig publizierter Studien zeigen, dass zum Beispiel Patienten, die sehr übergewichtig sind und sich einer bariatrischen Operation unterziehen, bereits präoperativ Mangelerscheinungen aufweisen. Dies betrifft vor allem Vitamin D, Eisen und Folsäure. Letztere ist wegen des Risikos für Neuralrohrdefekte beim Kind besonders für Frauen im gebärfähigen Alter von Bedeutung. Diese Erkenntnis hat ganz unmittelbare Konsequenzen für die Praxis, denn der Mangel sollte frühzeitig, am besten noch vor der Operation, ausgeglichen werden. Durch die Art der Operation, den Magenbypass, kommt es postoperativ zu weiteren Mangelzuständen. Wir konnten zudem zeigen, dass eine Vitamin-D-Substitution bei diesen Patienten die Knochenparameter deutlich verbesserte.<br /><br /> <strong>Dr. Brix:</strong> Aufgrund der Größe dieser Studien mit über 1700 Patienten kann man davon ausgehen, dass diese Defizite bei fast allen adipösen Patienten auftreten, und nicht nur bei jenen, die zu uns kommen, um sich operieren zu lassen.</p> <p><strong>Wie sind Sie international vernetzt? Haben Sie kürzlich an internationalen Studien teilgenommen?<br /><br /> Prof. Ludvik:</strong> Wir forschen in Kooperation mit anderen universitären Einrichtungen, auch im Ausland. Ich möchte besonders Giovanni Pacini in Padua erwähnen. Er ist Mathematiker und gemeinsam mit ihm verwenden wir Modelle und Simulationen, um zu erkennen, wie Diabetes entsteht und wie man die Krankheit beeinflussen kann. Ein Beispiel ist ein Modell, um die Insulinsekretionskapazität oder die Insulinempfindlichkeit zu messen. Diese Daten wenden wir dann in der Forschung an.<br /><br /> <strong>Dr. Brix:</strong> Wir haben gerade eine Anfrage von der bekannten schwedischen Studiengruppe Swedish Obese Subjects (SOS) bekommen. Sie hat im Bereich der Adipositasforschung die erste große und sehr wichtige Studie, die sogenannte SOS-Studie, gemacht. Diese lief über 20 Jahre und zeigte den Überlebensvorteil durch bariatrische Operationen. Wir arbeiten nun am Aufbau einer Kooperation, worüber wir uns natürlich sehr freuen.<br /><br /> <strong>Prof. Ludvik:</strong> Im Inland kooperieren wir zum Beispiel mit der Medizinischen Universität Wien. Gemeinsam verwenden wir Assays, um Hormone bzw. Peptide und ihren Einfluss auf Stoffwechselerkrankungen zu testen oder zu sehen, wie sie sich im Krankheitsverlauf verändern.<br /><br /> <strong>Gibt es neue Erkenntnisse zu Biomarkern für Patienten mit besonders hohem Risiko für Diabetesfolgekrankheiten, z.B. der Nieren oder des Herz- Kreislauf-Systems?<br /><br /> Dr. Brix:</strong> Meiner Meinung nach sind sämtliche Biomarker, die derzeit erforscht werden, noch nicht reif für einen klinischen Einsatz. Diabetes ist eine sehr komplexe Erkrankung, die viele Bereiche und physiologische Abläufe beeinflusst. Ich halte es momentan für eher unwahrscheinlich, den „einen bestimmten Biomarker“ zu identifizieren. Allerdings gibt es bestimmte Risikoparameter, wie zum Beispiel einen vorangegangenen Gestationsdiabetes. Bei Vorliegen solcher Parameter sollte ein größeres Augenmerk auf eine mögliche Diabetesmanifestation gelegt werden.<br /><br /> <strong>Prof. Ludvik:</strong> Wir haben einige Biomarker erforscht und konnten zeigen, dass sie bei Diabetikern stärker oder anders exprimiert werden als bei Nichtdiabetikern. Allerdings bringen sie nur wenig Erkenntnisgewinn in Bezug auf die traditionellen Diagnosemöglichkeiten. Das Vorliegen einer familiären Belastung oder von Übergewicht ist für die Entwicklung des Diabetes aussagekräftig genug.<br /><br /> <strong>Dr. Brix:</strong> Ich möchte noch zum Thema Biomarker hinzufügen, dass Patienten mit morbider Adipositas allein aufgrund ihres Übergewichts schon sehr insulinresistent sind, selbst wenn sie noch keinen manifesten Diabetes haben. Unser Vorteil ist, dass wir diese Patienten vor und nach einer bariatrischen Operation untersuchen können, also nachdem sie erheblich an Gewicht verloren haben. Sie sind dann zwar immer noch insulinresistent, aber nicht mehr so stark wie vor der Operation. Wir können also auch sehr gut den Verlauf bestimmter Biomarker studieren.</p> <p><strong>Mit der alternden Bevölkerung nimmt auch die Zahl geriatrischer (multimorbider) Diabetiker zu. Gibt es Forschungsinitiativen in dieser Richtung?<br /><br /> Dr. Brix:</strong> Ich sehe das Problem, dass viele Studien, die „ältere“ Patienten einschließen, ein Alter über 65 Jahre angeben. Das sehen wir im klinischen Alltag anders, denn Patienten im Alter von 65 oder 70 Jahren sind meist noch fitte, mitten im Leben stehende Menschen. In der Zukunft wird man sich sicher mehr auf Altersgruppen jenseits von 80 oder 85 Jahren fokussieren müssen. Derzeit ist das aber noch nicht der Fall. <br /><br /><strong>Können Sie noch etwas zum Karl-Landsteiner- Institut für Adipositas und Stoffwechselerkrankungen sagen?<br /><br /> Prof. Ludvik:</strong> Unsere Forschungstätigkeit gliedert sich in zwei Bereiche: die akademische Forschung, über die wir gerade gesprochen haben, und die klinische Forschung, die im Karl-Landsteiner- Institut angesiedelt ist. In der klinischen Forschung führen wir einerseits selbst konzipierte („investigator initiated“) Projekte mit Medikamenten durch. Andererseits initiieren wir gemeinsam mit der Industrie Phase-IIund Phase-III-Studien.<br /> Das Karl-Landsteiner-Institut für Adipositas und Stoffwechselerkrankungen wurde 2015 gegründet. Dort sind ständig vier bis fünf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt, die ausschließlich in der Forschung arbeiten und nicht in den Klinikbetrieb eingebunden sind. Mit diesem Institut publizieren wir unsere Studien – allein 2018 bereits fünf Publikationen in hochrangigen Journalen, darunter drei Toparbeiten mit einem Gesamtimpactfaktor von 34 Punkten. Außerdem haben wir gemeinsam mit der Industrie eine wegweisende Studie mit zwei neuen Substanzen für die Diabetestherapie in Lancet Endocrinology veröffentlicht, die auch einen Impact-Faktor von 19,5 Punkten hat. Wir können also unsere Forschungstätigkeit auch anhand von hochrangigen Publikationen belegen. <br /><br /><strong>Haben Sie aktuell Studien aufgelegt, zu denen Sie noch Zuweisungen benötigen?<br /><br /> Dr. Brix:</strong> Da wir eine Spezialambulanz sind, haben wir ganz grundsätzlich das Problem, dass uns Patienten mit Diabetes im Anfangsstadium fehlen. Wir benötigen deshalb Zuweisungen von Patienten, die nur eine Metformintherapie erhalten. Solche Patienten sehen wir nicht, da sie keine Diabetesambulanz brauchen, sondern sehr gut von ihrem Hausarzt betreut werden.<br /> Die zweite Gruppe von Patienten, die wir suchen, sind Menschen mit Adipositas, aber nicht unbedingt morbider Adipositas, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten. Weitere Informationen können Interessierte gerne von mir erhalten. <br /><br /><strong>Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Diabetesforschung in der Rudolfstiftung und österreichweit?<br /><br /> Prof. Ludvik:</strong> Österreichweit müsste die Forschung besser vernetzt werden. Dazu gibt es die Österreichische Diabetes Gesellschaft. Wichtig wäre zudem ein Diabetesregister, in dem alle Diabetiker erfasst werden. Die skandinavischen Länder zeigen uns immer wieder, wie gut man damit zum Beispiel Versorgungsforschung betreiben kann.<br /> Hier im Haus wünschen wir uns weiterhin eine gute Kooperation mit der Industrie, die gegenseitige Befruchtung. Außerdem, dass wir unsere Forschung im gleichen Ausmaß weiterbetreiben können.<br /><br /><strong> Dr. Brix:</strong> Wir sind ein Haus, das in erster Linie einen Versorgungsauftrag hat. Die Forschung ist nicht Hauptbestandteil unserer Tätigkeit, aber sie macht Spaß. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass man sich mit einem Fachgebiet anders auseinandersetzt, wenn man auch Forschung betreibt. Deshalb würde ich mir mehr Zeit wünschen, um mich noch intensiver damit beschäftigen zu können. Ideen gibt es genug.<br /><br /><strong> Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>