
©
Getty Images/iStockphoto
Einfluss einer Insulin-induzierten Hypoglykämie auf Thrombozyten- und Gerinnungsaktivierung
Jatros
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Dr. Felix Aberer
Autor:
Peter N. Pferschy, BSc, MSc
Autor:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij
<br>für die <strong>DIAPLATE Research Group</strong> Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie Medizinische Universität Graz E-Mail: felix.aberer@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
12.11.2019
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Hypoglykämien bei Diabetes mellitus sind mit einem negativen Patienten-Outcome verbunden und die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen sind derzeit unzureichend geklärt. In dieser Studie wurde der Einfluss einer einzigen hypoglykämischen Episode auf die Aktivierung der Thrombozytenfunktion und der Gerinnungskaskade in einer experimentellen Clamp-Studie untersucht.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Analysen der ACCORD-Studie zeigten, dass Hypoglykämien mit einem ungünstigen kardiovaskulären Ausgang assoziiert sind.</li> <li>Als Hintergrund wird eine durch Hypoglykämien provozierte Aktivierung von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren vermutet.</li> <li>Unsere experimentelle Clamp-Studie zeigt, dass eine einzige Hypoglykämie von 45 mg/dl zu einer akuten und bis zu einer Woche anhaltenden Aktivierung der Thrombozytenfunktion und Gerinnung führt.</li> <li>Die Ergebnisse unserer Studie stellen einen möglichen mechanistischen Ansatz dar, der dazu beiträgt, die Assoziation zwischen hypoglykämischen Ereignissen und dem erhöhten kardiovaskulären Risiko zu erklären.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Während einige wenige randomisiertkontrollierte Studien einen kardiovaskulären Vorteil einer intensiven Blutzuckereinstellung demonstrierten,<sup>1</sup> zeigten andere Studien keine Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität.<sup>2–5</sup> Die ACCORD-Studie untersuchte in einer Kohorte von über 10 000 Studienteilnehmern mit Typ-2-Diabetes in einem randomisiert kontrollierten Setting, ob eine strikte Blutzuckereinstellung (HbA<sub>1c</sub>-Ziel unter 6 %) gegenüber einer moderateren Einstellung (HbA<sub>1c</sub>-Ziel zwischen 7 und 7,9 %) über einen Zeitraum von 3,5 Jahren mit einem kardiovaskulären Nutzen einhergeht. Dabei zeigte sich in der Gruppe mit der strikten Blutzuckereinstellung im Vergleich zur Gruppe mit moderater Einstellung eine höhere Mortalität. Zudem wurde in der intensiv behandelten Gruppe ein 5-fach erhöhtes Risiko für Hypoglykämien festgestellt.<sup>3</sup> Weitere Studien zeigten, dass regelmäßige und vor allem schwere Hypoglykämien mit einem ungünstigen kardiovaskulären Ausgang assoziiert waren.<sup>6–11</sup> <br />Die zugrunde liegenden Mechanismen der Auswirkungen von Hypoglykämien auf kardiovaskuläre Ereignisse beruhen auf mehreren Theorien.<sup>12</sup> Einerseits wurde gezeigt, dass durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems und die damit verbundene Ausschüttung von gegenregulatorischen Hormonen (v. a. Katecholaminen) hämodynamische Veränderungen entstehen können, welche schlussendlich das Risiko für kardiale Arrhythmien, QT-Zeit-Veränderungen und plötzlichen Herztod erhöhen.<sup>13–15</sup> Andere Theorien vermuteten als Hintergrund eine durch Hypoglykämien provozierte Aktivierung von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren, welche letztlich atherothrombotische Komplikationen hervorrufen können.<sup>16–19</sup> <br />Experimentelle Studien, welche den Einfluss von Hypoglykämien auf die Thrombozytenaktivierung untersuchten, wurden mehrheitlich bei Gesunden oder Menschen mit Typ-1-Diabetes durchgeführt.<sup>17, 20–22</sup> Ziel unserer Studie war es, den Einfluss einer Hypoglykämie (< 46 mg/ dl) auf die Thrombozyten- und Gerinnungsaktivierung bei Menschen mit Typ- 2-Diabetes, die mit Metformin behandelt werden, zu untersuchen und somit der oben als zweite genannten Theorie nachzugehen.<sup>23</sup></p> <h2>Material und Methoden</h2> <p>In diese Studie wurden 14 Teilnehmer (4 weiblich, 10 männlich, mittlere Diabetesdauer 55 ± 7 Jahre, mittleres HbA<sub>1c</sub> 6,8 ± 2,8 %) mit Typ-2-Diabetes mit Metformin- Monotherapie eingeschlossen. Hauptausschlusskriterium war das Vorliegen einer diagnostizierten kardiovaskulären Vorerkrankung oder eine laufende Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern. <br />Wir führten ein Clamp-Experiment durch, welches darauf abzielte, den Blutzucker der Probanden sukzessive auf 63 mg/ dl und anschließend auf 45 mg/dl abzusenken und jeweils für 30 Minuten auf dem jeweiligen glykämischen Niveau zu halten. Die Bestimmung der Thrombozytenfunktions- und Gerinnungsparameter erfolgte zu Beginn (100 mg/dl), am Ende der beiden hypoglykämischen Plateaus und nach der Erholungsphase wiederum bei 100 mg/dl. Um persistierende Effekte zu erheben, erfolgte sowohl am Tag nach dem Clamp- Experiment als auch eine Woche danach eine neuerliche Bestimmung dieser Parameter. Ergänzend wurde im Vorfeld bei allen Teilnehmern ein euglykämischer Clamp (Blutzuckerziel von 100 mg/dl) durchgeführt, um auszuschließen, dass die möglichen Effekte auf die Insulinapplikation alleine zurückzuführen sind. <br />Die Thrombozytenfunktion wurde sowohl mittels Licht-Transmissions-Aggregometrie (LTA) als auch mittels durchflusszytometrischer Analysen (FACS) erhoben. Zudem wurden folgende Gerinnungsparameter bestimmt: D-Dimer, Faktor VIII, Plasminogen- Aktivierungs-Inhibitor-1 (PAI-1), Von- Willebrand-Faktor-Aktivität (vWF) und Fibrinogen. Abbildung 1 zeigt das Prozedere bei den beiden Clamp-Untersuchungen (euglykämischer sowie hypoglykämischer Clamp).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1905_Weblinks_s24_abb1.jpg" alt="" width="1734" height="590" /></p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Die Ergbnisse sind in Abbildung 2 zu sehen. Während die Bestimmung der Thrombozytenaktivierung in der LTA (Abb. 2C) keine signifikanten Ergebnisse zeigte (Adenosin- Diphosphat-induzierte Thrombozytenaggregation [TAADP]), konnte in der sensitiveren FACS-Analyse eine Aktivierung von Thrombozyten (gemessen mittels der Aktivierungsmarker CD62P, CD63, PAC1 und einer Kombination davon) demonstriert werden (Abbildungen 2D–F). Dieser Anstieg trat nicht unmittelbar während der Hypoglykämie, sondern interessanterweise erst einen Tag nach dem hypoglykämischen Ereignis auf, zudem hielt die Aktivierung dann auch bis zu eine Woche nach dem hypoglykämischen Clamp-Experiment an.<sup>23</sup> <br />Auch die Mehrheit der Marker der Gerinnungskaskade zeigte einen Anstieg, der ebenfalls über eine Woche hinweg persistent war (Abbildung 2A, B). <br />Im euglykämischen Clamp zeigte sich weder eine signifikante Thrombozytenfunktions- noch eine Gerinnungsaktivierung (nicht Inhalt dieses Artikels).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1905_Weblinks_s24_abb2.jpg" alt="" width="650" height="864" /></p> <h2>Conclusio</h2> <p>Diese experimentelle Studie bestätigt, dass ein einziges Ereignis einer Hypoglykämie zu einer Aktivierung von Thrombozyten und der Gerinnungskaskade führt und dieser Effekt auch noch eine Woche nach dem hypoglykämischen Ereignis nachweisbar ist. Diese Studie bietet einen möglichen Erklärungsansatz für das beobachtete erhöhte kardiovaskuläre Risiko, welches vor allem mit schweren Hypoglykämien assoziiert ist.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Aberer F, Pferschy PN, Tripolt NJ, Sourij C, Obermayer AM,
Pruller F et al.: Hypoglycaemia leads to a delayed increase in
platelet and coagulation activation markers in people with
type 2 diabetes treated with metformin only: Results from a
stepwise hypoglycaemic clamp study. Diabetes Obes Metab
2019; Oct 8. doi: 10.1111/dom.13889. [Epub ahead of print]
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group: Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). Lancet 1998; 352(9131): 854-65<strong> 2</strong> UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group: Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 1998; 352(9131): 837-53 <strong>3</strong> Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study G, Gerstein HC et al.: Effects of intensive glucose lowering in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 358(24): 2545-59 <strong>4</strong> Heller SR, Group AC: A summary of the ADVANCE Trial. Diabetes Care 2009; 32 Suppl 2: S357-361 <strong>5</strong> Duckworth W et al.: Glucose control and vascular complications in veterans with type 2 diabetes. N Engl J Med 2009; 360(2): 129-39 <strong>6</strong> Investigators OT: Predictors of nonsevere and severe hypoglycemia during glucose-lowering treatment with insulin glargine or standard drugs in the ORIGIN trial. Diabetes Care 2015; 38(1): 22-8 <strong>7</strong> Genuth S, Ismail-Beigi F.: Clinical implications of the ACCORD trial. J Clin Endocrinol Metab.2012; 97(1): 41-8<strong> 8</strong> Seaquist ER et al.: The impact of frequent and unrecognized hypoglycemia on mortality in the ACCORD study. Diabetes Care 2012; 35(2): 409-14 <strong>9</strong> Bonds DE et al.: The association between symptomatic, severe hypoglycaemia and mortality in type 2 diabetes: retrospective epidemiological analysis of the ACCORD study. BMJ 2010; 340: b4909 <strong>10</strong> Marso SP et al.: Efficacy and safety of degludec versus glargine in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377(8): 723- 32 <strong>11</strong> Pieber TR et al.: DEVOTE 3: temporal relationships between severe hypoglycaemia, cardiovascular outcomes and mortality. Diabetologia 2018; 61(1): 58-65 <strong>12</strong> Davis IC et al.: Understanding the impact of hypoglycemia on the cardiovascular system. Expert Rev Endocrinol Metab 2017; 12(1): 21- 33 <strong>13</strong> Wright RJ, Frier BM: Vascular disease and diabetes: is hypoglycaemia an aggravating factor? Diabetes Metab Res Rev 2008; 24(5): 353-63 <strong>14</strong> Heller SR, Robinson RT: Hypoglycaemia and associated hypokalaemia in diabetes: mechanisms, clinical implications and prevention. Diabetes Obes Metab 2000; 2(2): 75-82 <strong>15</strong> Petersen KG et al.: Regulation of serum potassium during insulin-induced hypoglycemia. Diabetes 1982; 31(7): 615-7 <strong>16</strong> Wright RJ et al.: Effects of acute insulin-induced hypoglycemia on indices of inflammation: putative mechanism for aggravating vascular disease in diabetes. Diabetes Care 2010; 33(7): 1591-7 <strong>17</strong> Razavi Nematollahi L et al.: Proinflammatory cytokines in response to insulin-induced hypoglycemic stress in healthy subjects. Metabolism 2009; 58(4): 443-8 <strong>18</strong> Dandona P et al.: Proinflammatory and prothrombotic effects of hypoglycemia. Diabetes Care 2010; 33(7): 1686-7<strong> 19</strong> Dalsgaard-Nielsen J et al.: Changes in platelet function, blood coagulation and fibrinolysis during insulin-induced hypoglycaemia in juvenile diabetics and normal subjects. Thromb Haemost 1982; 47(3): 254-8 <strong>20</strong> Trovati M et al.: Studies on mechanisms involved in hypoglycemia-induced platelet activation. Diabetes 1986; 35(7): 818-25 <strong>21</strong> Gogitidze Joy N et al.: Effects of acute hypoglycemia on inflammatory and pro-atherothrombotic biomarkers in individuals with type 1 diabetes and healthy individuals. Diabetes Care 2010; 33(7): 1529-35 <strong>22</strong> Joy NG et al.: Effects of acute and antecedent hypoglycemia on endothelial function and markers of atherothrombotic balance in healthy humans. Diabetes 2015; 64(7): 2571-80 <strong>23</strong> Aberer F, Pferschy PN, Tripolt NJ, Sourij C, Obermayer AM, Pruller F et al.: Hypoglycaemia leads to a delayed increase in platelet and coagulation activation markers in people with type 2 diabetes treated with metformin only: Results from a stepwise hypoglycaemic clamp study. Diabetes Obes Metab 2019; Oct 8. doi: 10.1111/dom.13889. [Epub ahead of print]</p>
</div>
</p>