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Eine Patientin mit rezidivierendem diabetischem Fußsyndrom
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Marlies Frank
Leiterin der diabetischen Fußambulanz<br> 1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie,<br> Endokrinologie und Nephrologie<br> KA Rudolfstiftung, Wien<br> E-Mail: marlies.frank@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
19.09.2019
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<p class="article-intro">Im Rahmen der aktuellen Coverstory präsentieren wir Ihnen den Fall einer Patientin mit Diabetes mellitus Typ 2 und rezidivierenden Fußulzerationen, die durch ein multidisziplinäres Prozedere zum Abheilen gebracht werden konnten.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In der Versorgung diabetischer Fußulzera ist eine multidisziplinäre Behandlung notwendig, um eine Abheilung der oft multikausal entstandenen Läsionen zu erreichen.</li> <li>Gefordert sind: Diabetologie, interventionelle Radiologie, Angiologie, Gefäßchirurgie, Neurologie, Chirurgie, Dermatologie, Orthopädie, orthopädischer Schuhmacher, Fußpflege und die mobilen Hauskrankenpflegedienste.</li> <li>Es besteht eine hohe Rezidivneigung, insbesondere bei Vorliegen einer Polyneuropathie, PAVK und von bereits vorbestehenden Fußfehlstellungen.</li> <li>Ein regelmäßiges Screening der Füße der Diabetespatienten und eine Schulung der Patienten und der in die Betreuung involvierten Angehörigen sind daher indiziert.</li> </ul> </div> <h2>Erstvorstellung der Patientin in der diabetischen Fußambulanz</h2> <p>Im Jänner 2018 suchte eine damals 80-jährige Patientin, Frau M. F., erstmals die diabetische Fußambulanz unserer Abteilung an der KA Rudolfstiftung auf. Vorbekannt waren bei der adipösen Patientin ein seit 1983 bekannter Diabetes mellitus Typ 2 unter oraler Therapie, eine diabetische Retinopathie mit hochgradiger Visuseinschränkung, eine Hyperlipidämie, eine chronische renale Insuffizienz bei diabetischer Nephropathie, eine koronare Herzerkrankung sowie ein chronisches Vorhofflimmern unter Antikoagulation mit Rivaroxaban.</p> <p><strong>Anamnese und Klinik</strong> <br />Anamnestisch ließ sich erheben, dass bereits 3 Jahre zuvor in einem auswärtigen Krankenhaus eine Amputation der 3. Zehe links aufgrund einer diabetischen Gangrän durchgeführt wurde. <br />Aktuell wies die Patientin rechts plantar im Bereich des Großzehenballens ein schmerzloses Ulkus mit hyperkeratotischem Randsaum im Sinne eines neuropathischen Mal perforans auf.</p> <p><strong>Allgemeiner Hintergrund</strong> <br />Fußulzerationen als Folge einer diabetischen Neuropathie finden sich an Stellen erhöhten plantaren Druckes. Aufgrund der distal betonten sensomotorischen Neuropathie kommt es zu Gefühlsstörungen im Bereich der Füße, sodass Patienten erhöhte Druckbelastungen oder Verletzungen an den Füßen nicht spüren. Die motorische Komponente der Neuropathie führt zur Atrophie der Fußmuskulatur mit Ausbildung von Krallen- und Hammerzehen. Durch diese Fehlstellungen entstehen Areale mit erhöhter Druckbelastung, häufig im Bereich der Metatarsaleköpfchen. Dies führt zum Entstehen von Hornhautschwielen, durch repetitive Überlastung zu Schwielenhämatomen und in weiterer Folge zum Auftreten eines Ulkus. Durch die im Rahmen einer begleitenden autonomen Neuropathie oft trockene Haut entstehen leichter Rhagaden, durch die Bakterien eintreten und zu Infektionen führen können.</p> <h2>Stationäre Aufnahme und Metatarsaleköpfchenresektion</h2> <p>Nach einer ambulanten Behandlungsserie mit regelmäßigem Abtragen der Hyperkeratosen und Beläge mit dem Skalpell und Verbandwechseln nach den Regeln der feuchten Wundtherapie kam es im Februar 2018 zu einer akuten Verschlechterung des Lokalbefundes. Die Patientin wurde am 18.2.2018 stationär aufgenommen. <br />Frau M. F. war zum Aufnahmezeitpunkt afebril, das CRP nur grenzwertig erhöht, ein Röntgen des Vorfußes war unauffällig. Aufgrund des tiefen, bis zum Knochen sondierbaren Ulkus wurde ergänzend eine Magnetresonanztomografie durchgeführt, die eine Osteomyelitis im Bereich des Caput des Os metatarsale I ergab. Eine an das Antibiogramm der Wundabstriche angepasste Antibiose mit Ampicillin/Sulbactam wurde etabliert. <br />Da eine PAVK mit einem oszillografisch gemessenen DI rechts von 0,6 und links von 0,7 vorlag, wurde eine Infusionsserie mit Alprostadil über 2 Wochen verabreicht. Von angiologischer und gefäßchirurgischer Seite wurde zum damaligen Zeitpunkt keine Indikation zu einer operativen oder interventionellen Revaskularisation gestellt. Da der Patientin das Gehen mit einem Vorfußentlastungsschuh schwerfiel, erfolgte eine Druckentlastung mittels Rollstuhl. <br />Aufgrund der Fußfehlstellung der Patientin mit Prominenz des osteomyelitischen Caput des Os metatarsale I würde auch nach orthopädischer Maßschuhversorgung mit erhöhten plantaren Druckbelastungen in diesem Bereich zu rechnen sein. Es erfolgte daher am 6.3.2019 der Entschluss zur Resektion des osteomyelitisch veränderten Metatarsaleköpfchens von einem plantaren Zugangsweg aus. Die postoperative Wundheilung gestaltete sich komplikationslos. Da der osteomyelitische Knochenanteil nun vollständig reseziert war, konnte die Antibiose 1 Woche postoperativ beendet werden. Nach weiteren 5 Wochen ambulanter Betreuung zeigte sich das Ulkus vollständig abgeheilt.</p> <h2>Neuerliche stationäre Aufnahme der Patientin</h2> <p>Im Mai 2019 kam Frau M. F. neuerlich in unsere Diabetesambulanz, weil ihre Blutzuckerwerte angestiegen waren. Eine neuerliche Fußulzeration wurde von der Patientin verneint. Im Rahmen der routinemäßigen Kontrolle der Füße fiel jedoch eine feuchte Gangrän im Bereich der 4. und 5. Zehe rechts auf, im Bereich der 4. Zehe reichte die Ulzeration bis an das proximale Interphalangealgelenk heran. Die Patientin hatte wegen ihrer Neuropathie keine Schmerzen verspürt und wegen der hochgradigen Visusstörung im Rahmen der Retinopathie die schwarze Verfärbung der Zehen nicht bemerkt (Abb. 1 und 2) <br />Da es sich klinisch nun um eine Gangrän im Rahmen einer PAVK IV handelte, haben wir Frau M. F. am 15.5.2019 sofort stationär aufgenommen. Im MRT des Vorfußes zeigte sich eine Osteomyelitis der 4. Zehe. Eine MR-Angiografie der Becken-Bein-Gefäße wurde durchgeführt und ergab an beiden Beinen unterschenkelbetonte Stenosierungen sämtlicher Gefäße mit fehlender Darstellung der A. tibialis posterior und Verdämmerung der A. interossea im mittleren Unterschenkeldrittel sowie eine kurzstreckige Stenose der A. femoralis superficialis rechts.</p> <p><strong>Allgemeiner Hintergrund</strong> <br />Typischerweise zeigen sich bei der diabetischen Makroangiopathie der Beingefäße distal betonte, beidseitige Gefäßstenosen. Aufgrund der häufig anzutreffenden zusätzlichen Polyneuropathie wird die typische Claudicatio-intermittens-Symptomatik vom Patienten nicht gespürt, die Diagnose erfolgt oft verspätet. Ulzera bei PAVK finden sich typischerweise akral (Zehen, Fersen) und zeigen häufig eine fehlende Heilungstendenz. Um Gewebsverlust und Amputationen zu vermeiden, ist es notwendig, vor geplanten chirurgischen Eingriffen am Fuß die Durchblutungssituation zu verbessern, um eine Wundheilung möglich zu machen.</p> <p><img style="float: left;" src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1904_Weblinks_s10_abb1.jpg" alt="" width="400" height="414" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1904_Weblinks_s10_abb2.jpg" alt="" width="400" height="411" /></p> <h2>Verbesserung der Durchblutung durch perkutane transluminale Angioplastie und Stent</h2> <p>Nach Einleitung einer antibiogrammgerechten Antibiose mit Ampicillin/Sulbactam und Sulfametrol/Trimethoprim und einer neuerlichen Infusionsserie mit Alprostadil wurde in einem interdisziplinären angiologischen Konsil unter Beteiligung von interventioneller Radiologie, Gefäßchirurgie und Angiologie die Indikation zu einer interventionellen Revaskularisation gestellt und am 4.6.2019 eine PTA und Stentimplantation in die rechte A. femoralis superficialis zur Verbesserung des vaskulären „run off“ durchgeführt. <br />Im Bereich der Ulzera wurden regelmäßig Nekrosektomien mit Abtragung des devitalen Gewebes durchgeführt, welche wegen der diabetischen Neuropathie ohne lokale Betäubung möglich waren. Zuletzt zeigten sich sämtliche Ulzera granulierend und in Abheilung befindlich. <br />Am 18.6.2019 konnte unsere Patientin in häusliche Pflege entlassen werden. Die Antibiose wurde mit Amoxicillin/Clavulansäure p. o. fortgesetzt. Da es sich um eine Osteomyelitis handelte, wurde eine Gesamttherapiedauer je nach klinischem und laborchemischem Ansprechen für mindestens 6–8 Wochen geplant. <br />Bei der vorerst letzten ambulanten Kontrolle in unserer diabetischen Fußambulanz zeigten sich die Ulzera weiter verkleinert ohne lokale Entzündungszeichen (Abb. 3). Eine mobile Heimkrankenpflege zur Durchführung der Verbandwechsel zu Hause wurde der Patientin zur Seite gestellt. Die bereits vorhandenen orthopädischen Maßschuhe der Patientin wurden vom orthopädischen Schuhmacher an die lokale Wundsituation adaptiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1904_Weblinks_s10_abb3.jpg" alt="" width="400" height="440" /></p> <div id="fazit"> <h2>Praxistipp</h2> <p>Eine Osteomyelitis kann beim Diabetespatienten häufig ohne Fieber und ohne Anstieg der serologischen Entzündungsparameter verlaufen. Auch das konventionelle Röntgen ist, v. a. in den ersten Wochen, oft ohne pathologischen Befund. Wegweisend können das Auftreten einer Blutzuckerentgleisung, klinisch die Ulkustiefe mit Sondierbarkeit des Knochens, eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und bildgebend die Magnetresonanztomografie sein.</p> </div></p>
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<p>bei der Verfasserin</p>
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