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Schilddrüsenfunktion in der Schwangerschaft

Eine kritische Betrachtung

<p class="article-intro">Potenzielle Funktionsstörungen der Schilddrüse treten bei bis zu 15 % aller Schwangeren auf und gehören damit zu den häufigsten Fragestellungen, mit denen Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Betreuung von Frauen mit Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft in der klinischen Praxis konfrontiert sind. Während in älteren Leitlinien ein generelles TSH-Ziel von &lt;2,5mU/l empfohlen wurde, wird die Problematik in der aktuellen Empfehlung der amerikanischen Schilddrüsengesellschaft1 deutlich differenzierter betrachtet und es wird ein individuelles Vorgehen empfohlen, was die Situation für den Behandler leider nicht übersichtlicher macht. Die Grundzüge dieser neuen Empfehlungen sollen hier diskutiert werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Hypothyreose</h2> <p>Die zentrale Neuerung besteht in der Einbeziehung des m&ouml;glichen Vorliegens einer Autoimmunthyreoiditis in die Entscheidung, ob in der Schwangerschaft eine Substitutionstherapie mit Schilddr&uuml;senhormon (T4) eingeleitet werden soll.<br /><br /> <strong>Auf welche Basis st&uuml;tzt sich diese Empfehlung?</strong><br /> Die um die 10. Schwangerschaftswoche maximale Freisetzung des Schwangerschaftshormons HCG bewirkt durch dessen (schwache) Bindungsf&auml;higkeit an den TSH-Rezeptor eine Stimulation der Schilddr&uuml;senfunktion der Mutter. Dadurch sinkt im ersten Trimenon der Schwangerschaft die m&uuml;tterliche TSHKonzentration ab, w&auml;hrend die Konzentration von freiem T4 passager leicht ansteigt. Rezente Studien haben gezeigt, dass dieser Mechanismus bei Frauen mit erh&ouml;hten TPO-Antik&ouml;rpern als Marker einer bestehenden Autoimmunthyreoiditis gest&ouml;rt ist.<sup>2</sup> Erh&ouml;hte Schilddr&uuml;sen- Autoantik&ouml;rper finden sich bei 2 bis 17 % aller Schwangeren. Durch die verminderte funktionelle Reserve der Schilddr&uuml;se bei Autoimmunthyreoiditis kann der in der Schwangerschaft erh&ouml;hte Bedarf an Schilddr&uuml;senhormon nicht immer gedeckt werden. Dadurch kann es trotz initial normalen TSH in ca. 20 % der F&auml;lle zu einem Anstieg des TSH &gt;4mU/l (latente Hypothyreose) kommen. <br /><br /><strong>Konsequenz f&uuml;r die Praxis</strong><br /> Bei euthyreoten Schwangeren mit erh&ouml;hten Schilddr&uuml;senautoantik&ouml;rpern werden regelm&auml;&szlig;ige Kontrollen der Schilddr&uuml;senfunktion w&auml;hrend der Schwangerschaft (initial alle 4 Wochen) empfohlen.<br /> Wie oben erw&auml;hnt sinkt die TSH-Konzentration in der Schwangerschaft normalerweise vor allem im ersten Trimenon etwas ab. Viele Leitlinien empfehlen daher bei Kinderwunsch und im ersten Trimenon der Schwangerschaft einen TSH-Zielwert von &lt;2,5mIU/l. Neuere Studien legen aber nahe, dass bei vielen verwendeten Assays und in vielen Populationen der obere TSH-Normalwert in der Schwangerschaft etwas h&ouml;her liegen d&uuml;rfte.<br /> Die aktuelle Leitlinie der Amerikanischen Schilddr&uuml;sengesellschaft empfiehlt daher das Erstellen von trimesterspezifischen Normalwerten auf Basis von Daten aus der lokalen Bev&ouml;lkerung. Falls diese nicht verf&uuml;gbar sein sollten, k&ouml;nnten vom oberen Normalwert f&uuml;r nicht schwangere Erwachsene 0,5mIU/l abgezogen werden.<br /> Aus den beiden genannten Neuerungen ergibt sich ein im Gegensatz zu den bisherigen Empfehlungen deutlich komplexeres Bild, das in der Tabelle 1 zusammengefasst wird. Letztlich wird die Indikation zur Einleitung einer Thyroxintherapie in der Schwangerschaft durch Anwendung dieser Empfehlungen etwas zur&uuml;ckhaltender gestellt werden. Neue Daten, die eine Assoziation nicht nur von erniedrigten, sondern auch erh&ouml;hten Konzentrationen von freiem T4 der M&uuml;tter mit einem minimal geringeren Intelligenzquotienten der Kinder zeigen, unterst&uuml;tzen m&ouml;glicherweise diese Vorgangsweise oder zumindest eine bedarfsgerechte Dosierung von Thyroxin.<sup>2</sup> Inwieweit sich diese doch recht komplexen Empfehlungen in der Praxis bew&auml;hren und angenommen werden, bleibt abzuwarten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1804_Weblinks_s36_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1010" /></p> <h2>Schilddr&uuml;senantik&ouml;rper und Fehlgeburt</h2> <p>Spontane Fehlgeburten kommen bei 17&ndash;31 % aller Schwangerschaften vor. Neben Faktoren wie dem Alter der Mutter, Familienanamnese und Komorbidit&auml;ten sind bekannterma&szlig;en auch endokrine St&ouml;rungen ein Risikofaktor f&uuml;r Fehlgeburtlichkeit. Erstmalig wurde 1990 in einer prospektiven Beobachtungsstudie ein Zusammenhang zwischen Abort und positiven Schilddr&uuml;senantik&ouml;rpern (TPO-AK, TG-AK oder beide) gefunden.<sup>3</sup> Seither zeigten zahlreiche Studien &auml;hnliche Ergebnisse, wobei Metaanalysen ein 1,8&ndash;2,5-fach erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Schwangerschaftsverlust bei Autoimmunthyreoiditis ergaben.<sup>4, 5</sup> Trotz dieser klaren Assoziation ist die Kausalit&auml;t nicht bewiesen und auch der zugrunde liegende Mechanismus unklar.<br /> Als Therapieoptionen zur Senkung des Abortrisikos werden bei euthyreoten Frauen mit Autoimmunthyreoiditis eine Thyroxinsubstitution bzw. eine intraven&ouml;se Immunglobulintherapie (IVIG) diskutiert. Aufgrund der schlechten Datenlage wird die Behandlung mit IVIG bei fraglichem Benefit, jedoch Nebenwirkungen, hoher Komplexit&auml;t und nicht zuletzt bedeutenden Kosten nicht empfohlen.<br /> Auch bez&uuml;glich Thyroxintherapie gibt es nur unzureichende Evidenz, um definitiv festzulegen, ob diese Therapie das Abortrisiko reduziert. Da diese Therapieform in niedriger Dosierung sicher ist und ein potenzieller Benefit besteht, ist hier ein Therapieversuch mit Thyroxin vertretbar.<br /><br /> <strong>Konsequenz f&uuml;r die Praxis<sup>1</sup></strong></p> <ul> <li>Bei Frauen mit Kinderwunsch/Schwangerschaft, erh&ouml;hten TPO-Antik&ouml;rpern und einem Abortus in der Anamnese kann auch bei Euthyreose eine niedrig dosierte Thyroxintherapie (25&ndash;50&micro;g) zur Reduktion des Abortusrisikos erwogen werden, insbesondere, wenn keine andere Ursache f&uuml;r den stattgehabten Abort identifiziert werden konnte (schwache Evidenz).</li> <li>Bei erh&ouml;hten TPO-Antik&ouml;rpern und geplanter assistierter Reproduktion kann auch bei Euthyreose eine niedrig dosierte Thyroxintherapie (25&ndash;50&micro;g) erwogen werden (schwache Evidenz).</li> <li>Bei latenter Hypothyreose und geplanter assistierter Reproduktion (IVF) sollte eine Thyroxintherapie eingeleitet werden (TSH-Ziel &lt;2,5 mU/l).</li> <li>Alle (hypothyreoten) Frauen sollten &uuml;ber den in der Schwangerschaft erh&ouml;hten Bedarf an Schilddr&uuml;senhormon (20&ndash;30 % ) und die daher empfohlenen Laborkontrollen informiert werden.</li> </ul> <h2>Hyperthyreose</h2> <p>Die h&auml;ufigste Ursache f&uuml;r eine Hyperthyreose in der Schwangerschaft ist die transiente Thyreotoxikose der Schwangerschaft, gefolgt vom Morbus Basedow.<br /> Erstere ist durch eine physiologische Stimulation des TSH-Rezeptors durch das insbesondere in der Fr&uuml;hschwangerschaft hohe HCG bedingt und tritt vermehrt bei Patientinnen mit Hyperemesis gravidarum und Mehrlingsschwangerschaft auf. Durch den auf die erste H&auml;lfte der Schwangerschaft beschr&auml;nkten und tendenziell milden Verlauf wird aufgrund des Fehlbildungsrisikos keine thyreostatische Therapie empfohlen. Eine niedrig dosierte Therapie mit &szlig;-Blocker kann entsprechend der American Thyroid Association &uuml;berlegt werden. Ergibt die Abkl&auml;rung der Hyperthyreose einen Morbus Basedow, in aller Regel durch positive TSH-Rezeptor-stimulierende Antik&ouml;rper (TRAK), stellt die Therapie hinsichtlich der Wahl des Thyreostatikums und seiner Dosierung eine Herausforderung dar.<br /><br /> Rezente Studien zeigen, dass nicht nur, wie bisher bekannt, die Einnahme des Thyreostatikums Thiamazol, sondern auch das im ersten Trimenon der Schwangerschaft empfohlene Alternativmedikament Propylthiouracil (Prothiucil<sup>&reg;</sup>) im Gegensatz zu fr&uuml;heren Annahmen ebenfalls mit einem signifikanten Missbildungsrisiko assoziiert ist. Die durch Propylthiouracil bedingten Missbildungen sind generell jedoch milder als die durch Thiamazol verursachten Fehlbildungen. Falls die thyreostatische Therapie in der Fr&uuml;hschwangerschaft nach individueller Einsch&auml;tzung des Arztes<sup>1</sup> nicht pausiert werden kann, sollte in den ersten 16 Schwangerschaftswochen daher Propylthiouracil verabreicht werden.<br /> Rezente Hinweise, dass ein Wechsel von Thiamazol auf Propylthiouracil in der Schwangerschaft in der Praxis keinen protektiven Effekt auf das Fehlbildungsrisiko haben k&ouml;nnte<sup>6</sup>, und die Problematik einer schlechteren Kontrolle der Hyperthyreose in der Umstellungsphase bedingen, dass die Betreuung von Schwangeren mit Hyperthyreose nach wie vor eine Herausforderung darstellt.<sup>1</sup> Neben dem Risiko der Missbildungen besteht durch die Autoimmunerkrankung und die thyreostatische Therapie der Mutter auch die Gefahr von fetalen Schilddr&uuml;senfunktionsst&ouml;rungen.<br /><br /> Die TSH-Rezeptor-stimulierenden Antik&ouml;rper (TRAK) werden transplazentar in den Feten transportiert und f&uuml;hren damit bei h&ouml;heren Konzentrationen (&gt;3-facher oberer Normalwert) ab der ca. 20. Schwangerschaftswoche zu einem Risiko f&uuml;r eine fetale bzw. neonatale Hyperthyreose. Bei allen Frauen mit M. Basedow in der Anamnese (auch nach definitiver Sanierung mittels Operation oder Radiojodtherapie) sollte daher in jedem Trimenon die TRAK-Konzentration bestimmt werden.<br /> Auch eine Hypothyreose beim Fetus muss vermieden werden. Die fetale Schilddr&uuml;se hat ein h&ouml;heres Ansprechen auf die thyreostatische Therapie als die m&uuml;tterliche Schilddr&uuml;se. Daher sollte der TSH-Wert der Mutter nicht den Bereich erreichen, der bei nicht schwangeren Erwachsenen der Euthyreose entspricht. In diesem Fall m&uuml;sste zum Schutz des Fetus die Therapie reduziert werden. Das freie T4 sollte im oberen Referenzbereich liegen oder etwas dar&uuml;ber. Prinzipiell sollte die niedrigstm&ouml;gliche Dosierung gew&auml;hlt werden und Kontrollen im Intervall von zumindest 4 Wochen erfolgen. <br /><br /><strong>Konsequenz f&uuml;r die Praxis</strong><br /> Die aktuellen Leitlinien empfehlen, dass die M&ouml;glichkeit einer zuk&uuml;nftigen Schwangerschaft und das in dieser Situation komplexe Management der Erkrankung mit allen geb&auml;rf&auml;higen Frauen besprochen werden sollen. Die Risiken und Nebenwirkungen aller Therapieoptionen sollten diskutiert und im individuellen Fall abgewogen werden.<br /> Generell sollte das Management von geb&auml;rf&auml;higen und schwangeren Frauen mit Hyperthyreose in Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Zentrum erfolgen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Alexander EK et al.: Thyroid 2017; 27(3): 315-89 <strong>2</strong> Korevaar TIM et al.: Nat Rev Endocrinol 2017; 13(10): 610-22 <strong>3</strong> Stagnaro-Green A et al.: JAMA 1990; 2 64(11): 1422-5 <strong>4</strong> Chen L et al.: Clin Endocrinol ( Oxf) 2011; 74(4): 513-9 <strong>5</strong> Thangaratinam S et al.: BMJ 2011; 342: d2616 <strong>6</strong> Sego et al.: Ann Intern Med 2018</p> </div> </p>
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