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Eine hyperkalzämische Krise

<p class="article-intro">Der folgende endokrine Fall zeigt die Diagnosestellung eines primären Hyperparathyreoidismus bei einer jungen Patientin.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Erstvorstellung der Patientin</h2> <p>Im Dezember 2018 wurde eine 26-j&auml;hrige Studentin wegen seit einer Woche bestehendem rezidivierenden Erbrechen sowie schon l&auml;nger bestehender qu&auml;lender Obstipation und Bauchschmerzen an unserer Notfallambulanz vorstellig. Die Voranamnese war bis auf eine Fingerfraktur nach Sturz bei einer Bergwanderung im Sommer 2018 unauff&auml;llig. An regelm&auml;&szlig;iger Medikamenteneinnahme wurde von der Patientin Vitamin D (20 Tropfen Oleovit pro Woche) angegeben. Die Patientin pr&auml;sentierte sich bei Erstvorstellung in gutem Allgemeinzustand, wirkte leicht exsikkiert und hatte diffuse Druckschmerzen im gesamten Abdomen, weswegen sie zur weiteren Abkl&auml;rung der chirurgischen Ambulanz zugewiesen wurde. Dort erfolgte ein Ultraschall des gesamten Abdomens, der unauff&auml;llig war. Die durchgef&uuml;hrte Laboruntersuchung ergab einen auff&auml;llig erh&ouml;hten Kalziumwert, weswegen die diensthabende Endokrinologin im Haus hinzugezogen wurde. Die f&uuml;r den weiteren Verlauf zusammengefassten wichtigen Laborparameter sind in Tabelle 1 dargestellt.<br /> Definitionsgem&auml;&szlig; werden Kalziumwerte &gt;3,5mmol/l als hyperkalz&auml;mische Krise bezeichnet &ndash; ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das intensivmedizinisch betreut werden sollte. Als Komplikation drohen schwere, potentiell letale Herzrhythmusst&ouml;rungen (QT-Verk&uuml;rzungen), akutes Nierenversagen, sowie Somnolenz bis hin zum Koma. Die Patientin wurde daher umgehend monitiert und bei weiterhin gutem Allgemeinzustand und stabilen Vitalparametern auf der &Uuml;berwachungsstation unseres Hauses aufgenommen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1902_Weblinks_jatros_dia_1902_s35_tab1.jpg" alt="" width="550" height="209" /></p> <h2>Hyperkalz&auml;miesyndrom</h2> <p>Wir stellten uns die Frage nach der Ursache der schweren Hyperkalz&auml;mie, denn diese ist vielf&auml;ltig.<br /> H&auml;ufige Ursachen sind: prim&auml;rer, terti&auml;rer Hyperparathyreoidismus, Knochenmetastasen (Mamma-, Bronchial-, Prostata-, Pankreas-, Nieren-, Schilddr&uuml;senkarzinom), paraneoplastisch (PTHrP), maligne Systemerkrankungen (Plasmozytom, Leuk&auml;mie, Non-Hodgkin-Lymphom).<br /> Seltene Ursachen sind: &Uuml;berdosierung von Medikamenten (Calcitriol, Vitamin A, Thiaziddiuretika, Lithium), Sarkoidose, Tuberkulose, M. Paget, Milch-Alkali-Syndrom (Milch plus kalziumhaltige Antazida), FHH (famili&auml;re hypokalziurische Hyperkalz&auml;mie), Endokrinopathien (Hyperthyreose, NNR-Insuffizienz, Ph&auml;ochromozytom).<br /> Um die Ursache genauer eingrenzen zu k&ouml;nnen, wurden bei der Patientin in der Folge weitere Laborparameter erhoben (Tab. 2). Dieser Laborbefund war differenzialdiagnostisch sehr hilfreich. Die ermittelten Werte zeigten, dass die Beschwerden der Patientin durch eine hyperkalz&auml;mische Krise bei Hyperparathyreoidismus hervorgerufen wurden. Anmerkend sei darauf hingewiesen, dass es sich theoretisch auch um eine famili&auml;re hypokalzurische Hyperkalz&auml;mie handeln h&auml;tte k&ouml;nnen, allerdings sind die Kalziumwerte dabei selten so massiv erh&ouml;ht und die Patienten sind meist asymptomatisch. Maligne Erkrankungen scheiden de facto aus, denn dabei w&auml;re das Parathormon (PTH) erniedrigt. Auch eine Vitamin-D-Intoxikation konnte aufgrund der Laborbestimmung ausgeschlossen werden.<br /> Daher konnten wir uns anhand der vorliegenden Laborkonstellationen darauf konzentrieren, den Hyperparathyreoidismus weiter zu differenzieren (Tab. 3). Differenzialdiagnostisch musste bei unserer Patientin anhand der PTH- und Kalziumwerte zwischen einem prim&auml;ren und einem terti&auml;ren Hyperparathyreoidismus unterschieden werden. Der terti&auml;re Hyperparathyreoidismus schied aber anamnestisch aus, denn er entwickelt sich nur bei langj&auml;hrig niereninsuffizienten (Dialyse-) Patienten. Unsere Patientin war jedoch prim&auml;r internistisch gesund. Die aktuelle Verschlechterung der Nierenfunktionsparameter sahen wir am ehesten in Zusammenhang mit der Exsikkose durch das rezidivierende Erbrechen. Letztlich blieb laborchemisch differenzialdiagnostisch also nur der hochgradige Verdacht auf einen prim&auml;ren Hyperparathyreoidismus &uuml;brig.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1902_Weblinks_jatros_dia_1902_s35_tab2+3.jpg" alt="" width="550" height="326" /></p> <h2>Hyperkalz&auml;mische Krise &ndash; was tun in der Akutsituation?</h2> <p>In der Akutbehandlungssituation liegt das Hauptaugenmerk darauf, den Kalziumspiegel abzusenken, um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden.<br /> Leitliniengem&auml;&szlig; erreicht man dies am besten durch forcierte Diurese: 250ml NaCl 0,9 % /h mit mehreren Einzeldosen von Furosemid bis zur einer Harnmenge von 100&ndash;150ml/h. Dieses Prozedere war bei unserer Patientin aufgrund der vorbestehenden Exsikkose zu Beginn nicht realistisch, weswegen bei ihr deutlich mehr Fl&uuml;ssigkeit parenteral zugef&uuml;hrt wurde. Nach einigen Stunden konnte &ndash; unter regelm&auml;&szlig;iger Kontrolle der Elektrolyte &ndash; auch Furosemid additiv verabreicht werden. Dar&uuml;ber hinaus erhielt die Patientin in den ersten 48 Stunden alle 6 Stunden Calcitonin 100 IE s.c., um schneller einen Abfall des Kalziumspiegels zu erreichen (Calcitonin wirkt als Gegenspieler zum Parathormon. Calcitonin f&ouml;rdert die Kalziumausscheidung &uuml;ber die Niere, hemmt die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen und setzt die Kalziumresorption im Darm herab).<br /> Die Gabe von Bisphosphonaten w&auml;re bei tumorbedingter Hyperkalz&auml;mie indiziert, deshalb wurde im Fall unserer Patientin leitliniengerecht darauf verzichtet. Vor allem in Anbetracht dessen, dass aufgrund des lang anhaltenden Wirkungsmechanismus nach Operation des vermuteten Nebenschilddr&uuml;senadenoms wahrscheinlich schwere Hypokalz&auml;mien durch die Suppression der verbleibenden Epithelk&ouml;rperchen aufgetreten w&auml;ren. Kann man eine Vitamin-D-Intoxikation nicht ausschlie&szlig;en, sollte man additiv hoch dosierte Kortikosteroide (z.B. 100mg Prednisolut i.v.) verabreichen. Das war hier allerdings nicht der Fall.</p> <h2>Prim&auml;rer Hyperparathyreoidismus &ndash; von der laborchemischen zur bildgebenden Diagnose</h2> <p>Im weiteren Verlauf konnte die Patientin bei sinkenden Kalziumwerten und normalisierten Kreatininwerten von der &Uuml;berwachungsstation auf unsere endokrinologisch- internistische Station und dann auf die chirurgische Station verlegt werden. Am 2. Tag nach Erstkontakt wurde eine Nebenschilddr&uuml;senszintigrafie (99mTc-MIBI-Scan) an der nuklearmedizinischen Abteilung im Haus durchgef&uuml;hrt. Dabei fand sich ein Hinweis auf ein Nebenschilddr&uuml;senadenom im caudalen Bereich des linken Schilddr&uuml;senlappens lateral-dorsal. Die parallel dazu durchgef&uuml;hrte Sonografie best&auml;tigte diesen Verdacht.<br /> Bei der Patientin wurde daraufhin in weiterer Folge das Nebenschilddr&uuml;senadenom links caudal operativ entfernt. Postoperativ waren die Kalziumwerte durch die kompensatorische Downregulation der verbleibenden Epithelk&ouml;rperchen zu niedrig, was kurzzeitig sogar eine Gabe von Kalzium erforderlich machte. Im weiteren Verlauf lagen die Kalziumwerte ohne Substitution wieder im Normbereich und die junge Patientin gilt als laborchemisch und chirurgisch geheilt.<br /> Retrospektiv gesehen war die Fingerfraktur, die sich die Patientin bei einem Bagatelltrauma w&auml;hrend einer Wanderung um den Gosaukamm zugezogen hatte, das einzige hinweisende Zeichen f&uuml;r den Hyperparathyreoidismus (Parathormon mobilisiert &uuml;ber Aktivierung der Osteoklasten Kalzium aus dem Knochen). Die weiteren Symptome (Obstipation, Bauchschmerzen, Leistungsabfall, Erbrechen) waren so unspezifisch, dass nur die Bestimmung des Kalziumspiegels die Diagnosestellung in Gang setzen konnte.</p> <h2>Spezielle Endokrinologie</h2> <p>Bei famili&auml;rer H&auml;ufung sollte an eine multiple endokrine Neoplasie (MEN) gedacht werden:<br /> <strong>MEN 1</strong> (Chromosom 11q13, aut-dom.): prim&auml;rer Hyperparathyreoidismus mit 4-Dr&uuml;sen-Hyperplasie, enteropankreatische Tumoren, Zollinger-Ellison-Syndrom, Glukagonom, Insulinom, VIPom), hormonaktive Hypophysentumoren (Prolaktinom, Akromegalie, Cushing).<br /> <strong>MEN 2A</strong> (Chromosom 10q11, autdom.): medull&auml;res SD-Karzinom (100 % ), Ph&auml;ochromozytom (bis 50 % ), prim&auml;rer Hyperparathyreoidismus (20 % ).<br /> Erg&auml;nzend sei noch das <strong>Parathyroid hormone-related peptide (PTHrP)</strong> zu erw&auml;hnen. Diese paraneoplastische Produktion findet sich bei 60&ndash;80 % der Patienten mit Tumorhyperkalz&auml;mie (Bronchial-, Mamma-, Nieren-, Blasen- und &Ouml;sophaguskarzinome). Laborchemisch liegt hier ein prim&auml;rer Hyperparathyreoidismus vor. Bei entsprechender Karzinomanamnese kann die paraneoplastische PTH-Produktion durch Aufarbeitung im Labor nachgewiesen werden (DD Knochenmetastasen).</p></p>
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