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Eine hyperkalzämische Krise
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Daniela Ralis
1. Medizinische Abteilung<br> Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien<br> E-Mail: daniela.ralis@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Der folgende endokrine Fall zeigt die Diagnosestellung eines primären Hyperparathyreoidismus bei einer jungen Patientin.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Erstvorstellung der Patientin</h2> <p>Im Dezember 2018 wurde eine 26-jährige Studentin wegen seit einer Woche bestehendem rezidivierenden Erbrechen sowie schon länger bestehender quälender Obstipation und Bauchschmerzen an unserer Notfallambulanz vorstellig. Die Voranamnese war bis auf eine Fingerfraktur nach Sturz bei einer Bergwanderung im Sommer 2018 unauffällig. An regelmäßiger Medikamenteneinnahme wurde von der Patientin Vitamin D (20 Tropfen Oleovit pro Woche) angegeben. Die Patientin präsentierte sich bei Erstvorstellung in gutem Allgemeinzustand, wirkte leicht exsikkiert und hatte diffuse Druckschmerzen im gesamten Abdomen, weswegen sie zur weiteren Abklärung der chirurgischen Ambulanz zugewiesen wurde. Dort erfolgte ein Ultraschall des gesamten Abdomens, der unauffällig war. Die durchgeführte Laboruntersuchung ergab einen auffällig erhöhten Kalziumwert, weswegen die diensthabende Endokrinologin im Haus hinzugezogen wurde. Die für den weiteren Verlauf zusammengefassten wichtigen Laborparameter sind in Tabelle 1 dargestellt.<br /> Definitionsgemäß werden Kalziumwerte >3,5mmol/l als hyperkalzämische Krise bezeichnet – ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das intensivmedizinisch betreut werden sollte. Als Komplikation drohen schwere, potentiell letale Herzrhythmusstörungen (QT-Verkürzungen), akutes Nierenversagen, sowie Somnolenz bis hin zum Koma. Die Patientin wurde daher umgehend monitiert und bei weiterhin gutem Allgemeinzustand und stabilen Vitalparametern auf der Überwachungsstation unseres Hauses aufgenommen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1902_Weblinks_jatros_dia_1902_s35_tab1.jpg" alt="" width="550" height="209" /></p> <h2>Hyperkalzämiesyndrom</h2> <p>Wir stellten uns die Frage nach der Ursache der schweren Hyperkalzämie, denn diese ist vielfältig.<br /> Häufige Ursachen sind: primärer, tertiärer Hyperparathyreoidismus, Knochenmetastasen (Mamma-, Bronchial-, Prostata-, Pankreas-, Nieren-, Schilddrüsenkarzinom), paraneoplastisch (PTHrP), maligne Systemerkrankungen (Plasmozytom, Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom).<br /> Seltene Ursachen sind: Überdosierung von Medikamenten (Calcitriol, Vitamin A, Thiaziddiuretika, Lithium), Sarkoidose, Tuberkulose, M. Paget, Milch-Alkali-Syndrom (Milch plus kalziumhaltige Antazida), FHH (familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie), Endokrinopathien (Hyperthyreose, NNR-Insuffizienz, Phäochromozytom).<br /> Um die Ursache genauer eingrenzen zu können, wurden bei der Patientin in der Folge weitere Laborparameter erhoben (Tab. 2). Dieser Laborbefund war differenzialdiagnostisch sehr hilfreich. Die ermittelten Werte zeigten, dass die Beschwerden der Patientin durch eine hyperkalzämische Krise bei Hyperparathyreoidismus hervorgerufen wurden. Anmerkend sei darauf hingewiesen, dass es sich theoretisch auch um eine familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie handeln hätte können, allerdings sind die Kalziumwerte dabei selten so massiv erhöht und die Patienten sind meist asymptomatisch. Maligne Erkrankungen scheiden de facto aus, denn dabei wäre das Parathormon (PTH) erniedrigt. Auch eine Vitamin-D-Intoxikation konnte aufgrund der Laborbestimmung ausgeschlossen werden.<br /> Daher konnten wir uns anhand der vorliegenden Laborkonstellationen darauf konzentrieren, den Hyperparathyreoidismus weiter zu differenzieren (Tab. 3). Differenzialdiagnostisch musste bei unserer Patientin anhand der PTH- und Kalziumwerte zwischen einem primären und einem tertiären Hyperparathyreoidismus unterschieden werden. Der tertiäre Hyperparathyreoidismus schied aber anamnestisch aus, denn er entwickelt sich nur bei langjährig niereninsuffizienten (Dialyse-) Patienten. Unsere Patientin war jedoch primär internistisch gesund. Die aktuelle Verschlechterung der Nierenfunktionsparameter sahen wir am ehesten in Zusammenhang mit der Exsikkose durch das rezidivierende Erbrechen. Letztlich blieb laborchemisch differenzialdiagnostisch also nur der hochgradige Verdacht auf einen primären Hyperparathyreoidismus übrig.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1902_Weblinks_jatros_dia_1902_s35_tab2+3.jpg" alt="" width="550" height="326" /></p> <h2>Hyperkalzämische Krise – was tun in der Akutsituation?</h2> <p>In der Akutbehandlungssituation liegt das Hauptaugenmerk darauf, den Kalziumspiegel abzusenken, um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden.<br /> Leitliniengemäß erreicht man dies am besten durch forcierte Diurese: 250ml NaCl 0,9 % /h mit mehreren Einzeldosen von Furosemid bis zur einer Harnmenge von 100–150ml/h. Dieses Prozedere war bei unserer Patientin aufgrund der vorbestehenden Exsikkose zu Beginn nicht realistisch, weswegen bei ihr deutlich mehr Flüssigkeit parenteral zugeführt wurde. Nach einigen Stunden konnte – unter regelmäßiger Kontrolle der Elektrolyte – auch Furosemid additiv verabreicht werden. Darüber hinaus erhielt die Patientin in den ersten 48 Stunden alle 6 Stunden Calcitonin 100 IE s.c., um schneller einen Abfall des Kalziumspiegels zu erreichen (Calcitonin wirkt als Gegenspieler zum Parathormon. Calcitonin fördert die Kalziumausscheidung über die Niere, hemmt die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen und setzt die Kalziumresorption im Darm herab).<br /> Die Gabe von Bisphosphonaten wäre bei tumorbedingter Hyperkalzämie indiziert, deshalb wurde im Fall unserer Patientin leitliniengerecht darauf verzichtet. Vor allem in Anbetracht dessen, dass aufgrund des lang anhaltenden Wirkungsmechanismus nach Operation des vermuteten Nebenschilddrüsenadenoms wahrscheinlich schwere Hypokalzämien durch die Suppression der verbleibenden Epithelkörperchen aufgetreten wären. Kann man eine Vitamin-D-Intoxikation nicht ausschließen, sollte man additiv hoch dosierte Kortikosteroide (z.B. 100mg Prednisolut i.v.) verabreichen. Das war hier allerdings nicht der Fall.</p> <h2>Primärer Hyperparathyreoidismus – von der laborchemischen zur bildgebenden Diagnose</h2> <p>Im weiteren Verlauf konnte die Patientin bei sinkenden Kalziumwerten und normalisierten Kreatininwerten von der Überwachungsstation auf unsere endokrinologisch- internistische Station und dann auf die chirurgische Station verlegt werden. Am 2. Tag nach Erstkontakt wurde eine Nebenschilddrüsenszintigrafie (99mTc-MIBI-Scan) an der nuklearmedizinischen Abteilung im Haus durchgeführt. Dabei fand sich ein Hinweis auf ein Nebenschilddrüsenadenom im caudalen Bereich des linken Schilddrüsenlappens lateral-dorsal. Die parallel dazu durchgeführte Sonografie bestätigte diesen Verdacht.<br /> Bei der Patientin wurde daraufhin in weiterer Folge das Nebenschilddrüsenadenom links caudal operativ entfernt. Postoperativ waren die Kalziumwerte durch die kompensatorische Downregulation der verbleibenden Epithelkörperchen zu niedrig, was kurzzeitig sogar eine Gabe von Kalzium erforderlich machte. Im weiteren Verlauf lagen die Kalziumwerte ohne Substitution wieder im Normbereich und die junge Patientin gilt als laborchemisch und chirurgisch geheilt.<br /> Retrospektiv gesehen war die Fingerfraktur, die sich die Patientin bei einem Bagatelltrauma während einer Wanderung um den Gosaukamm zugezogen hatte, das einzige hinweisende Zeichen für den Hyperparathyreoidismus (Parathormon mobilisiert über Aktivierung der Osteoklasten Kalzium aus dem Knochen). Die weiteren Symptome (Obstipation, Bauchschmerzen, Leistungsabfall, Erbrechen) waren so unspezifisch, dass nur die Bestimmung des Kalziumspiegels die Diagnosestellung in Gang setzen konnte.</p> <h2>Spezielle Endokrinologie</h2> <p>Bei familiärer Häufung sollte an eine multiple endokrine Neoplasie (MEN) gedacht werden:<br /> <strong>MEN 1</strong> (Chromosom 11q13, aut-dom.): primärer Hyperparathyreoidismus mit 4-Drüsen-Hyperplasie, enteropankreatische Tumoren, Zollinger-Ellison-Syndrom, Glukagonom, Insulinom, VIPom), hormonaktive Hypophysentumoren (Prolaktinom, Akromegalie, Cushing).<br /> <strong>MEN 2A</strong> (Chromosom 10q11, autdom.): medulläres SD-Karzinom (100 % ), Phäochromozytom (bis 50 % ), primärer Hyperparathyreoidismus (20 % ).<br /> Ergänzend sei noch das <strong>Parathyroid hormone-related peptide (PTHrP)</strong> zu erwähnen. Diese paraneoplastische Produktion findet sich bei 60–80 % der Patienten mit Tumorhyperkalzämie (Bronchial-, Mamma-, Nieren-, Blasen- und Ösophaguskarzinome). Laborchemisch liegt hier ein primärer Hyperparathyreoidismus vor. Bei entsprechender Karzinomanamnese kann die paraneoplastische PTH-Produktion durch Aufarbeitung im Labor nachgewiesen werden (DD Knochenmetastasen).</p></p>
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