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„Ein Gipfelsturm mit vier Ziegelsteinen im Rucksack“
Jatros
30
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12.07.2018
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<p class="article-intro">In der Reihe „persönlich gefragt“ kommen Menschen zu Wort, die mit besonderem persönlichem Engagement Projekte oder bestimmte Themen im Rahmen der Diabetesbehandlung vorantreiben. Dieses Mal sprachen wir mit OA Dr. Helmut Brath darüber, warum die Rauchfreiheit gerade im Zusammenhang mit Diabetes mellitus eine so große Bedeutung hat.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Sehr geehrter Herr Dr. Brath, Rauchen ist weltweit eine der wichtigsten Ursachen für erhöhte Morbidität und Mortalität. Wie sieht die Entwicklung des Rauchverhaltens in Österreich aus?<br /><br /> H. Brath:</strong> Leider muss man festhalten, dass die Entwicklung des Rauchverhaltens in Österreich nicht positiv aussieht. Eine im renommierten Journal JAMA publizierte Studie von Marie Ng und Kollegen,<sup>1</sup> in der die Entwicklung des Rauchverhaltens zwischen 1980 und 2012 in 187 Ländern untersucht worden war, ergab, dass weltweit eine Reduktion des Zigarettenkonsums zu verzeichnen ist. Dies gilt – was Männer betrifft – auch für Österreich. Bei Frauen dagegen wurde unter diesen 187 Ländern für Österreich nach Griechenland und Bulgarien die dritthöchste Rauchprävalenz erhoben und zusätzlich noch eine Zunahme des Rauchens über diesen Zeitraum verzeichnet. Noch nicht publizierte österreichische Daten, welche zwischen 2007 und 2014 von Frau Prof. Alexandra Kautzky-Willer, Prof. Thomas Dorner und mir erhoben wurden, zeigen, dass es bei Männern in diesem Zeitraum zu keiner weiteren Abnahme des Rauchens gekommen ist. Auch wir haben bei Frauen eine weitere Verschlechterung des Rauchverhaltens beobachtet. Diese Ergebnisse müssen uns sehr nachdenklich stimmen.<br /><br /><strong> Welchen Stellenwert hat das Rauchen speziell im Zusammenhang mit Diabetes?<br /><br /> H. Brath:</strong> Zwischen Rauchen und Diabetes besteht ein mehrfacher Zusammenhang. Bei Menschen, die noch keinen Diabetes haben, erhöht Rauchen die Blutzuckerwerte und das HbA<sub>1c</sub>.<sup>2</sup> Houston konnte darüber hinaus in der CARDIA- Studie<sup>3</sup> bei noch sehr jungen Menschen zwischen 18 und 30 Jahren zeigen, dass das Rauchen innerhalb von 15 Jahren das Risiko für die Entwicklung einer Glukoseintoleranz signifikant erhöht. Dies gilt für aktive, passive und ehemalige Raucher. Eine Metaanalyse von 88 prospektiven Studien<sup>4</sup> mit fast sechs Millionen Teilnehmern konnte belegen, dass Rauchen – und zwar ebenfalls sowohl aktives als auch passives Rauchen – die Inzidenz von Typ-2-Diabetes signifikant erhöht (Abb. 1). Für mich sind diese Ergebnisse zum Passivrauchen, gerade vor dem Hintergrund der jetzigen politischen Diskussion, besonders relevant. Bei Menschen, die das Rauchen aufgegeben haben, war das Risiko für die Entwicklung eines Typ- 2-Diabetes zunächst ebenfalls noch erhöht, es nahm aber mit der Dauer der Rauchabstinenz deutlich ab (Abb. 2). Bei Menschen, die bereits einen Diabetes entwickelt haben, führt das Rauchen zu einer zusätzlichen signifikanten Erhöhung des Risikos für die Gesamtmortalität, die kardiovaskuläre Mortalität und das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen. Mit dem Aufgeben des Rauchens kann dieses Zusatzrisiko wieder reduziert werden (Abb. 3).<sup>5</sup> Orth und Kollegen konnten zudem zeigen, dass bei Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, die nicht rauchten, die GFR über den Untersuchungszeitraum von im Median 5,1 Jahren konstant blieb. Bei rauchenden Diabetikern war die GFR schon am Studienbeginn geringer als bei den nicht rauchenden Diabetikern (95±26ml/min vs. 107±33ml/min; p<0,05), sie zeigten darüber hinaus jedoch eine konstante und signifikante Abnahme der GFR auf 83±22ml/min; p<0,0001). Dies war unabhängig von Faktoren wie Retinopathie, glykämischer Einstellung, Alter, Körperhabitus, Behandlung mit ACE-Hemmern, Blutdruckeinstellung oder dem Schweregrad der Proteinurie.<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1803_Weblinks_s38_abb1.jpg" alt="" width="1421" height="745" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1803_Weblinks_s38_abb2.jpg" alt="" width="1421" height="768" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Diabetes_1803_Weblinks_s38_abb3.jpg" alt="" width="1421" height="826" /></p> <p><strong>Was bedeutet dies in der klinischen Praxis im Umgang mit Menschen mit Diabetes? Wie oft sollte der Rauchkonsum evaluiert werden?<br /><br /> H. Brath:</strong> Wir sind mittlerweile in der Behandlung der Hyperglykämie, der Dyslipidämie und des Blutdrucks schon sehr gut geworden. Man muss aber ganz deutlich festhalten, dass das Zigarettenrauchen als zumindest gleichwertiger modifizierbarer Risikofaktor auch mit gleichen Interesse und Engagement verfolgt werden sollte wie die Behandlung der genannten klassischen Risikofaktoren. Man sollte bei jedem Erstkontakt mit einem Patienten auch eine Evaluation des Rauchverhaltens durchführen. Idealerweise fragt man aber nicht nur nach dem Tabakkonsum, sondern misst auch etwas: Dabei bietet sich die sehr einfach durchzuführende Messung des exhalatorischen Kohlenmonoxids an. Oberhalb eines Wertes von 10ppm spricht dies klar dafür, dass jemand aktiver Raucher ist. Werte zwischen 5 und 10ppm stellen einen Graubereich dar. In diesem Fall kann jemand auch am offenen Kamin gesessen sein oder passiv geraucht haben. Ein konkretes Messergebnis hat den Vorteil, dass ich den psychologischen Schutzmechanismus „Mich trifft’s eh nicht“ außer Kraft setzen kann, wenn ich dem Patienten einen pathologischen Wert zeige.</p> <p><strong>Menschen mit Diabetes müssen ja sehr viele Modifikationen in ihrem Leben umsetzen und haben oft komplexe Therapien. Ist das alles nicht ein bisschen überfordernd?<br /><br /> H. Brath:</strong> Rauchen hat aus Sicht des Betroffenen zahlreiche positive Aspekte, das darf man nicht negieren. Wenn der Patient das Gefühl bekommt, er darf gar nichts mehr, kann das sehr demotivierend wirken. Wichtig erscheint mir, dass man dem Patienten anbietet, auf eine gemeinsame Reise in Richtung „Rauchstopp“ zu gehen, und dass man das Rauchen auch immer wieder thematisiert. Hilfreich kann es sein, wenn es gelingt, mit dem Patienten eine Vision von einem Leben anzustoßen, wobei der Patient erkennt, dass ein kranker Körper auf dem Weg zu dieser Vision hinderlich ist. Dann hat man eine wesentlich bessere Basis, den Rauchstopp als gemeinsames Ziel zu definieren. Entscheiden muss aber der Patient letztlich selbst und nicht der Arzt.<br /><br /><strong> Wie kann man Ihrer Erfahrung nach Menschen mit Diabetes dabei unterstützen, den Rauchkonsum zu reduzieren bzw. ganz mit dem Rauchen aufzuhören?<br /><br /> H. Brath:</strong> Mit dem Rauchen aufzuhören ist eine sehr komplexe Sache. Ich vergleiche die Situation oft mit einer Bergwanderung: Der Weg dorthin kann beschwerlich sein, aber wenn man oben steht, ist die Freude groß. Raucher tragen – um bei diesem Bild zu bleiben – aus meiner Sicht vier wesentliche Ziegelsteine im Rucksack, die den Weg hinauf zum Ziel erschweren. Der erste dieser Ziegelsteine ist die körperliche Abhängigkeit. Diese ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: Circa ein Drittel hat gar keine Dependenz, bei einem Drittel ist sie mittelgradig und bei einem Drittel ist sie hochgradig ausgeprägt.<sup>7</sup> Das Ausmaß der Abhängigkeit kann mit dem Fagerström- Test erhoben werden. Bei körperlicher Abhängigkeit können wir als Ärzte mit sehr guten Medikamenten wirklich zu einer erheblichen Entlastung beitragen. Erwähnen möchte ich hier zunächst Vareniclin (Champix<sup>®</sup>), welches – über drei bis sechs Monate eingenommen – eine sehr gute Unterstützung bei vorhandener körperlicher Abhängigkeit darstellt. Im Vergleich zu Versuchen, das Rauchen ohne pharmakologische Unterstützung aufzugeben, erhöht diese Substanz die Erfolgswahrscheinlichkeit für einen Rauchstopp um das Doppelte bis Dreifache und ist im Schnitt auch der Nikotinersatztherapie und dem Bupropion (Wellbutrin<sup>®</sup>) überlegen.<sup>8</sup> Letzteres bietet sich aber dann besonders an, wenn das Rauchen im Zusammenhang mit einer Depression steht. Die Depression stellt einen zweiten, potenziell sehr gewichtigen Ziegelstein dar und muss adäquat behandelt werden. Die Nikotinersatztherapie verfolgt schließlich die Idee, sich das Nikotin aus einer ungefährlichen Quelle und nicht mittels Rauchen zuzuführen. Für jegliche medikamentöse Unterstützung gilt, dass sie erst durch eine gute therapeutische Begleitung ihr volles Potenzial ausschöpfen kann. Da sie nur temporär gegeben wird, dient sie Betroffenen vor allem als Chance, eine Verhaltensänderung leichter durchzuführen. Dies führt mich zum dritten Ziegelstein. Hier möchte ich das Aufbrechen von Rauchritualen, z.B. die Zigarette zum Kaffee, nennen. Hier geht es dann darum, neue rauchfreie Rituale als Ersatz zu entwickeln. Besonders hinderlich erweist sich schließlich oft der „soziale Ziegelstein“. Damit meine ich Situationen, wenn das soziale Umfeld raucht oder wenn zum Beispiel in Firmen wichtige Informationen im Rahmen gemeinsamer Rauchpausen ausgetauscht werden.<br /><br /><strong> In letzter Zeit ist für viele Raucher die Elektrozigarette zu einer attraktiven Alternative geworden. Was raten Sie Rauchern, die danach fragen?<br /><br /> H. Brath:</strong> Die Elektrozigarette ist wahrscheinlich keine sehr gute Alternative. Für die Nikotinersatztherapie liegt die Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit aus zahlreichen klinischen Untersuchungen vor. Eine derartige Evidenzbasis liegt für die Elektrozigarette nicht vor. Wir wissen zum Beispiel nicht, was Substanzen wie das Glykol, die im Rahmen der Vernebelung zur Bildung des Rauches eine Rolle spielen und inhaliert werden, im Organismus bewirken. Noch wesentlicher ist jedoch, dass die Tabakindustrie weltweit zunehmend mit ihrem Marketing auf Alternativprodukte wie die Elektrozigarette ausweicht. Die Elektrozigarette – am Anfang vielleicht sogar noch ohne Nikotin – ist im Begriff, die neue Einstiegsdroge bei Kindern und Jugendlichen zu werden. <br /><br /> <strong>Danke für das Gespräch!</strong></p></p>
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<p><strong>1</strong> Ng M et al.: Smoking prevalence and cigarette consumption in 187 countries, 1980-2012. JAMA 2014; 311: 183-92 <strong>2</strong> Clair C et al.: Relationships of cotinine and self-reported cigarette smoking with hemoglobin A1c in the U.S.: results from the National Health and Nutrition Examination Survey, 1999-2008. Diabetes Care 2011; 34: 2250-5 <strong>3</strong> Houston TK et al.: Active and passive smoking and development of glucose intolerance among young adults in a prospective cohort: CARDIA study. BMJ 2006; 332(7549): 1064-9 <strong>4</strong> Pan A et al.: Relation of active, passive, and quitting smoking with incident type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Diabetes Endocrinol 2015; 3: 958-67 <strong>5</strong> Pan A et al.: Relation of smoking with total mortality and cardiovascular events among patients with diabetes mellitus: a meta-analysis and systematic review. Circulation 2015; 132: 1795-804 <strong>6</strong> Orth SR et al.: Effects of smoking on renal function in patients with type 1 and type 2 diabetes mellitus. Nephrol Dial Transplant 2005; 20: 2414-9 <strong>7</strong> Schoberberger R, Kunze U, Schmeiser- Rieder A. Diagnosis and therapy of nicotine dependence. Versicherungsmedizin 1997; 49: 25-9 <strong>8</strong> Cahill K et al.: Nicotine receptor partial agonists for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2016; 5: CD006103</p>
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