
Diabetes mellitus Typ 2 – Zielwerterreichung in Österreich: Resultate der AUSTRO-PROFIT-Studie
Autor:innen:
Dr. Faisal Aziz1
Dr. Stephan Keszei1,2
Univ.-Prof. Dr. Susanne Kaser3
Univ.-Prof. Dr. Harald Sourij1
1 Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz
2 Krankenhaus Oberwart
3 Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: faisal.aziz@medunigraz.at
Die AUSTRO-PROFIT-Studie untersuchte zwischen 2021 und 2023 insgesamt 635 Personen mit Typ-2-Diabetes in der Primärversorgung hinsichtlich der metabolen Kontrolle der Risikofaktoren und deren Komorbiditäten. Bei einem Durchschnittsalter von 65,7 Jahren erreichten 44% das zuvor festgelegte Therapieziel für LDL-C und 53% jenes für HbA1c. Bei 13% der Probanden waren alle 3 kardiovaskulären Risikofaktoren im therapeutischen Zielbereich.
Keypoints
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Nur 13,2% der Studienteilnehmer:innen erreichten die Zielwerte für alle 3 kardiovaskulären Risikofaktoren.
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Patient:innen mit Typ-2-Diabetes sollten früh und konsequent behandelt werden, um kardiovaskulären Erkrankungen vorzubeugen.
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Die Therapie sollte nicht erst begonnen werden, wenn bereits Komorbiditätenvorliegen.
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Disease-Management-Programme wie „Therapie aktiv“ zeigen eine Effizienzsteigerung in der Behandlung von Typ-2-Diabetes.
Laut rezenten Schätzungen der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) leben in Österreich zwischen 800.000 und 900.000 Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2.
Die Lebenserwartung ist bei Menschen mit Diabetes speziell bei der Diagnosestellung in jungem Alter um bis zu 13 Jahren reduziert. Dies lässt auf eine nach wie vor sehr hohe Prävalenz an Diabetes-assoziierten Folgeerkrankungen schließen. In den letzten Jahren konnte zwar die kardiovaskuläre Mortalität insbesondere bei Männern mit Typ-2-Diabetes reduziert werden, weiterhin liegt sie aber deutlich über jener von Menschen ohne Diabetes. Dies trotz der Tatsache, dass neue Antidiabetika mit nephro- und kardioprotektiven Eigenschaften verfügbar sind und dass aufgrund der geänderten Studienlage die Zielwerte für kardiovaskuläre Risikofaktoren wie LDL-C adaptiert wurden.
Weder zur Prävalenz noch zum Gesundheitszustand von Menschen mit Typ-2-Diabetes liegen in Österreich gesicherte Daten vor. Ziel der von der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) initiierten AUSTRO-PROFIT-Studie war es daher, Informationen über Komorbiditäten und Zielwerterreichung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes in Österreich zu gewinnen. Diese Daten sollen als Grundlage für zukünftige Versorgungsplanungen dienen.
Durchführung
Allgemeinmediziner:innen aus dem niedergelassenen Bereich wurden von der ÖDG mit Unterstützung der Österreichischen Ärztekammer ersucht, an der Datenerhebung teilzunehmen. Nach Einholung einer Einverständniserklärung wurden routinemäßig erhobene Daten von Patient:innen mit Typ-2-Diabetes übermittelt. Bei den Betroffenen war entweder ein Typ-2-Diabetes bereits bekannt oder wurde im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung erstdiagnostiziert. Von über 8000 eingeladenen Allgemeinmediziner:innen aus allen 9 Bundesländern beteiligten sich schließlich 62 Ärzt:innen an dieser Erhebung. Die Daten von insgesamt 635 Studienteilnehmer:innen wurden mittels anonymisierter Prüfbögen übermittelt und an der Studienabteilung für Interdisziplinäre Metabolische Medizin der Medizinischen Universität Graz ausgewertet.
Ergebnisse
Die wesentlichen Charakteristika der Studienteilnehmer:innen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Das Durchschnittsalter betrug 66,7 Jahre, der durchschnittliche Body-Mass-Index (BMI) 29kg/m2, und etwa 58% aller Teilnehmer:innen waren männlich. Die mediane Diabetesdauer bei Studieneinschluss lag bei 10Jahren. Mehr als 16% gaben an, regelmäßig Nikotin zu konsumieren. Der mediane Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin-Wert (LDL-C-Wert) lag bei 74mg/dl, das Hämoglobin A1c (HbA1c) bei 7,1%, und die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) lag bei 65ml/min/1,73m2.
Bei Durchsicht der Komorbiditäten fällt auf, dass knapp 65% einen bekannten arteriellen Hypertonus aufweisen, beinahe 40% haben eine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung. Etwa ein Viertel der Studienteilnehmer:innen (23,9%) weisen4 oder mehr, 41,7% zumindest 2–3 Begleiterkrankungen des Typ-2-Diabetes auf. Details zu den Diabetes-assoziierten Erkrankungen bzw. Begleiterkrankungen sind Abbildung 1 zu entnehmen.
Abb. 1: Häufigkeit von Begleiterkrankungen bei Diabetes mellitus Typ 2 (modifiziert nach Sourij H et al. 2025)1
Therapieziele
Die Therapieziele für die einzelnen Risikofaktoren wurden wie folgt festgelegt:
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HbA1c-Ziel: <7% (<53mmol)
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LDL-C-Ziel: <70mg/dl (bzw. <55mg/dl bei vorliegender kardiovaskulärer Erkrankung oder vorliegender mikrovaskulärer Komplikation)
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Blutdruck: <140/90mmHg
In Tabelle 2 sind die entsprechenden Zielwerterreichungen aufgelistet. Rund die Hälfte (53,3%) der Teilnehmer:innen erreichte ihr HbA1c-Ziel, das LDL-C-Ziel wurde nur von 43,7% und das Blutdruckziel von 56,7% erreicht. Daraus ergibt sich, dass nur 13,2% alle Zielwerte erreichten.
Tab. 2: Zielwerterreichung in der Gesamtkohorte und Untergruppen (modifiziert nach Sourij H et al. 2025)1
Bei der Subgruppenanalyse fällt auf, dass dieser Prozentsatz vor allem bei <60-Jährigen unter dem Durchschnitt liegt und Frauen deutlich schlechter abschneiden als Männer (10,8% vs. 15,2%). Der größte Unterschied zeigt sich bei der LDL-C-Zielwerterreichung: Nur 34,4% aller Frauen erreichen im Vergleich zu 50,4% aller Männer das LDL-C-Ziel. Während die LDL-C-Zielwerterreichung mit zunehmender Diabetesdauer zunahm, verschlechterte sich die HbA1c-Zielerreichung mit zunehmender Erkrankungsdauer. Nur 8,9% jener Patient:innen mit einer Diabetesdauer von mehr als 20 Jahren erreichten alle Zielwerte.
Zusammenfassung
Nur bei einem sehr geringen Teil der Studienteilnehmer:innen (13,2%) wurden die Zielwerte für alle 3 kardiovaskulären Risikofaktoren erreicht, wobei jüngere Teilnehmer:innen und Frauen besonders schlecht abschnitten. Das Ergebnis ist insbesondere hinsichtlich der LDL-C-Ziel-wertereichung ernüchternd. In den letzten Jahren haben sich die Therapieoptionen, um dieses Ziel zu erreichen, deutlich erweitert. Die aktuellen Erstattungsrichtlinien in Österreich lassen eine effektive LDL-C-Senkung in den Zielbereich zu. Die Resultate dieser Studie sollten daher ein Weckruf dafür sein, Patient:innen mit Typ-2-Diabetes möglichst früh und konsequent zu behandeln, um kardiovaskulären Erkrankungen vorzubeugen und nicht erst (zu) spät bei bereits vorliegender Komorbidität zu handeln. Ein besonderes Augenmerk ist hier auf Frauen und jüngere Patient:innen zu legen. Die Daten dieser Erhebung unterstreichen die Bedeutung des Disease-Management- Programms „Therapie aktiv“, für das schon in früheren Studien eine Effizienzsteigerung in der Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes gezeigt werden konnte. Gleichzeitig zeigt vor allem die hohe Komorbiditätsrate, dass das Rahmenkonzept zur integrierten Versorgung für Menschen mit Typ-2-Diabetes dringlich umgesetzt werden sollte.
Praxistipp
Menschen mit Typ-2-Diabetes haben eine um bis zu 13 Jahre geringere Lebenserwartung. Dies deutet auf eine hohe Komor-biditätsrate, sodass es gilt, Konzepte zur integrierten Versorgung der Betroffenen rasch umzusetzen.Dies sieht unterschiedliche Versorgungsstufen vor, wobei in der ersten Stufe die Basisversorgung erfolgen sollte, während in der zweiten Stufe die Durchführung von komplexen Therapien und spezifischer Behandlung von Komorbiditäten vorgesehen ist. Dafür notwendig ist eine breite Versorgung im niedergelassenen Bereich durch Endokrinolog:innen und Diabetolog:innen oder Spezialist:innen in diesem Fachgebiet. Daraus leitet sich die Forderung ab, die Ausbildung in diesem Spezialgebiet zu fördern und gleichzeitig ein entsprechendes Umfeld im niedergelassenen Bereich zu schaffen.
Literatur:
1 Sourij H et al.: Metabolic risk factor targets in relation to clinical characteristics and comorbidities among individuals with type 2 diabetes treated in primary care - the countrywide cross-sectional AUSTRO-PROFIT study. Diabetes Obes Metab 2025; 27(1): 111-22
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