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Auf Genderspezifika achten

Diabetes mellitus Typ 2 – warum Frauen später die Diagnose gestellt bekommen

Die Diagnose Diabetes mellitus wird bei Frauen später als bei Männern gestellt. Ursächlich dafür sind geschlechtsspezifische Unterschiede bei biologischen, psychosozialen und diagnostischen Faktoren. Was kann man tun, um besonders bei Frauen mit einem hohen Diabetesrisiko früher zur Diagnose zu kommen?

Keypoints

  • Diabetes mellitus Typ 2 wird bei Frauen erst später diagnostiziert.

  • Faktoren wie die weiblichen Geschlechtshormone, das Fettverteilungsmuster des Körpers, psychosoziale Faktoren und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Diagnostik von Diabeteserkrankungen spielen hier eine wesentliche Rolle.

  • Erkrankungen wie ein PCOS oder ein Gestationsdiabetes in der Anamnese erhöhen das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2.

Einleitung

Im Jahr 2021 lag die Zahl von Diabeteserkrankungen bei etwa 537 Millionen Menschen weltweit – dies ist mit einem Prozentsatz von etwa 10,5% gleichzusetzen. Es wird angenommen, dass die Zahl an diagnostizierten Diabeteserkrankungen weiter stark ansteigen wird und im Jahr 2045 schätzungsweise 783 Millionen Menschen davon betroffen sein werden. Prinzipiell wird bei Männern häufiger die Diagnose Diabetes mellitus gestellt – die aktuellen Daten der internationalen Diabetesföderation zeigen auf, dass im Jahr 2021 10,8% der Männer und 10,2% der Frauen im Erwachsenenalter einen diagnostizierten Diabetes mellitus hatten.1 Vor allem im jungen und mittleren Lebensalter wird bei Männern, anders als bei Frauen, häufiger die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 gestellt.1

Für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es multiple Ursachen: Einerseits steigen postprandiale Glukosewerte bei alternden Frauen stärker an als bei Männern – dies hat insofern klinische Relevanz, als postprandiale Glukosewerte vor allem im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen nicht so häufig erhoben werden wie beispielsweise Nüchternglukosewerte. Neben der Diagnostik selbst tragen andererseits auch biologische Faktoren (z.B. die natürlichen Veränderungen der Sexualhormone), Umweltfaktoren und psychosoziale Faktoren zu der Tatsache bei, dass bei Frauen Diabetes mellitus Typ 2 erst später diagnostiziert wird.2

Multiple Faktoren beeinflussen die Diagnosestellung

Wie bereits einleitend erwähnt, gibt es multiple Faktoren, die die Diagnosestellung von Diabeteserkrankungen geschlechtsspezifisch beeinflussen können.

Insulinresistenz

Ein wesentlicher Faktor, der die Diagnosestellung von Diabeteserkrankungen beeinflusst, ist die Insulinresistenz.3 Bei prämenopausalen Frauen wurden eine stärkere Insulinsensitivität in der Skelettmuskulatur und der Leber sowie eine stärkere stimulierte Insulinsekretion beschrieben – dadurch erklären sich unter anderem die niedrigeren Nüchternglukose- und HbA1c-Werte bei prämenopausalen Frauen verglichen mit Männern.3,4

Der Eintritt in die Menopause hat einen signifikanten Einfluss auf die Glukosekonzentrationen und führt zu einem Anstieg der HbA1c-Konzentrationen sowie zu einer ungünstigen Fettverteilung, die zu einem erhöhten kardiometabolischen Risiko führt. Außerdem kommt es in der Menopause auch zu einem Anstieg einer gestörten Glukosetoleranz und dadurch zu einer Abschwächung der bekannten biologischen Vorteile bei Frauen.3

Metabolische Risikofaktoren

Bereits vor der Manifestierung eines Diabetes mellitus Typ 2 liegen bei Frauen signifikante metabolische Risikofaktoren vor; dazu zählen unter anderem ein erhöhter Blutdruck sowie Veränderungen der Lipidkonzentrationen und des BMI.5,6 Liegen Erkrankungen wie zum Beispiel eine NAFLD vor, so sind auch prämenopausale Frauen einem deutlich höheren Diabetesrisiko ausgesetzt.2

Faktor Adipositas

Bekanntermaßen entwickeln Männer bereits in einem jüngeren Alter und bei niedrigeren BMI-Werten einen Diabetes mellitus Typ 2.3,7 Vor allem die geschlechtsspezifische Fettverteilung hat darauf auch einen wesentlichen Einfluss. Frauen haben einen höheren gluteofemoralen und subkutanen Fettgewebsanteil und dadurch einen metabolischen Vorteil, verglichen mit Männern.3

Praxistipp
Frauen haben häufiger eine gestörte Glukose­toleranz, weshalb der OGTT besonders wichtig in der Diagnostik von Diabetes­erkrankungen ist.

Es ist bekannt, dass vor allem jüngere Frauen häufiger Adipositas haben,2 Männer jedoch bereits unter niedrigeren BMI-Werten ein höheres Diabetesrisiko aufweisen.2 Die gynoide Fettverteilung bei prämenopausalen Frauen bringt insofern einen metabolischen Vorteil, als sie beispielsweise mit einer gesteigerten Ausschüttung von Adipokinen wie Adiponectin oder Leptin zusammenhängt, die das Diabetesrisiko senken.4 Auch der höhere Anteil an dem metabolisch protektiv wirkenden braunen Fettgewebe bei Frauen dürfte mit der späteren Diagnosestellung von Diabetes mellitus Typ 2 zusammenhängen.8,9

Postmenopause, PCOS, Gestationsdiabetes

In der Postmenopause kommt es vermehrt zu einer Veränderung des gynoiden Fettverteilungsmusters in ein androides und dadurch zu einem Anstieg des kardiometabolischen Risikos,2 wie zum Beispiel einem Anstieg des Risikos für Diabeteserkrankungen. Bei Frauen mit einem polyzystischen Ovar-Syndrom oder einem Gestationsdiabetes in der Anamnese liegt bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein erhöhtes Diabetesrisiko vor.2

Gestörte Glukosetoleranz – häufigerer OGTT-Test

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der zu einer späteren Diagnosestellung von Diabeteserkrankungen bei Frauen beiträgt, ist die Tatsache, dass bei Prädiabetes Männer häufiger erhöhte Nüchternglukosewerte und Frauen häufiger eine gestörte Glukosetoleranz haben, die zumeist mittels oraler Glukosetoleranztests (OGTT) diagnostiziert wird.2 Im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen werden meistens die Nüchternglukosewerte und der HbA1c-Wert analysiert, wobei Männer in der frühzeitigen Diagnostik einen Vorteil haben könnten. Als Grund für die häufiger vorkommende gestörte Glukosetoleranz bei Frauen wurden die für beide Geschlechter mit 75g Glukose standardisierte Glukosebelastung im Rahmen des OGTT, eine zeitverzögerte Resorption von Glukose im Darm bei Frauen, die geringere Körpergröße bei Frauen sowie die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Muskelmasse und der höhere Anteil an fettfreier Masse bei Männern beschrieben.3,10,11

Weibliche Geschlechtshormone

Vor allem aber auch die weiblichen Geschlechtshormone tragen dazu bei, dass Diabetes mellitus Typ 2 bei Frauen erst späterdiagnostiziert wird. Es ist bekannt, dass Östradiol die Insulinsensitivität und die glukoseinduzierte Insulinausschüttung verbessert. Hohe Testosteronkonzentrationen bei Frauen können die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 beschleunigen, wohingegen sich diese bei Männern protektiv auswirken.2 Neben den biologischen spielen auch psychosoziale Faktoren in der Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2 eine wesentliche Rolle und können die Diagnosestellung beeinflussen. So erhöhen beispielsweise ein niedriger sozioökonomischer Status, ein niedriges Bildungsniveau und ein niedriger beruflicher Status das Risiko bei Frauen besonders.2

Zusammenfassung

Zusammengefasst konnte aufgezeigt werden, dass Diabetes mellitus Typ 2 bei Frauenerst später diagnostiziert wird – für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es multiple Gründe. Vor allem bei Frauen mit hohem Diabetesrisiko sollte häufiger ein OGTT durchgeführt werden, um aussagekräftigere Ergebnisse zu bekommen (Abb. 1).

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Abb. 1: Häufigere OGTT-Tests bei Frauen könnten die Diagnosestellung eines Diabetes Typ 2 verbessern

1 International Diabetes Federation: IDF Diabetes Atlas. 10 ed. Brussels, Belgium, 2021 2 Kautzky-Willer A et al.: Sex differences in type 2 diabetes. Diabetologia 2023; 66(6): 986-1002 3 Kautzky-Willer A et al.: Sex and gender differences in risk, pathophysiology and complications of type 2 diabetes mellitus. Endocr Rev 2016; 37(3): 278-316 4 Goossens GH et al.: Sexual dimorphism in cardiometabolic health: the role of adipose tissue, muscle and liver. Nat Rev Endocrinol 2021; 17(1): 47-66 5 Du T et al.: Sex differences in cardiovascular risk profile from childhood to midlife between individuals who did and did not develop diabetes at follow-up: the Bogalusa Heart Study. Diabetes Care 2019; 42(4): 635-43 6 Ramezankhani A et al.: Sex differences in rates of change and burden of metabolic risk factors among adults who did and did not go on to develop diabetes: two decades of follow-up from the Tehran Lipid and Glucose Study. Diabetes Care 2020; 43(12): 3061-9 7 Tramunt B et al.: Sex differences in metabolic regulation and diabetes susceptibility. Diabetologia 2020; 63(3): 453-61 8 Herz CT et al.: Sex differences in brown adipose tissue activity and cold-induced thermogenesis. Mol Cell Endocrinol 2021; 534: 111365 9 Becher T et al.: Brown adipose tissue is associated with cardiometabolic health. Nat Med 2021; 27(1): 58-65 10 Harreiter J TA, Kautzky-Willer A: Geschlechtsspezifische Medizin. Frauen- und Männergesundheit. In: Luger A, Anvari-Pirsch A (Hrsg.): In: Innere Medizin: Symptome und klinische Probleme. Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG, 2018. S. 107-22 11 Anderwald C et al.: Mechanism and effects of glucose absorption during an oral glucose tolerance test among females and males. J Clin Endocrinol Metab 2011; 96(2): 515-24

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