
Diabetes bei psychischen Erkrankungen und kognitiven Einschränkungen
Autorin:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner
Fachärztin für Innere Medizin Landeskrankenhaus Hochzirl
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Diabetiker, insbesondere Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2, weisen ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen auf. Dies betrifft vor allem depressive Störungen und im höheren Lebensalter kognitive Einschränkungen. Entsprechende Screeningmaßnahmen sollten im diabetischen Betreuungskonzept Berücksichtigung finden, um eine adäquate Therapie der psychischen Erkrankung, aber auch eine Anpassung der Behandlungsziele und des Therapieregimes zu ermöglichen.
Keypoints
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Als Teil des umfassenden Betreuungskonzepts für Menschen mit Diabetes mellitus werden von den Fachgesellschaften Screeninguntersuchungen auf das Vorliegen psychischer Erkrankungen (Depression, kognitive Einschränkungen, Angststörungen, Essstörungen) empfohlen.
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Eine schwere psychische Erkrankung bzw. Demenzerkrankung erfordert meist eine Adaptierung der Therapieziele und der Therapieform (Vermeiden einer Hypoglykämie, Gewichtseffekte, Unterstützung durch das Betreuungsumfeld).
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Wichtig ist die interprofessionelle Kooperation zwischen Diabetologen, Facharzt für Psychiatrie und Hausarzt.
Eine Reihe von psychischen Erkrankungen finden sich bei Menschen mit Diabetes mellitus häufiger als in der nichtdiabetischen Bevölkerung. Dazu zählen vor allem depressive Störungen, kognitive Einschränkungen, Ess- und Angststörungen, bipolare Erkrankungen, Schizophrenie, Borderline- und Persönlichkeitsstörungen sowie Suchterkrankungen.1 Diese psychischen Erkrankungen führen häufig zu einer beeinträchtigten Therapieadhärenz, einer schlechteren glykämischen Kontrolle, einem erhöhten Risiko für diabetische Akut- und Spätkomplikationen und einer gesteigerten Mortalität. Screeninguntersuchungen auf depressive Störungen bzw. kognitive Beeinträchtigungen sollten deshalb auch Teil des Betreuungsprogramms von Diabetikern sein.2
Kognitive Einschränkungen und Demenzerkrankung
Risikofaktoren
Im höheren Lebensalter steigt sowohl das Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetesals auch einer Demenzerkrankung an. So beträgt die Demenzprävalenz insgesamt bei 75- bis 78-Jährigen rund 12%, bei über 90-Jährigen 50%.
Das relative Risiko für das Auftreten einer Demenzerkrankung ist bei Typ-2-Diabetes um das bis zu 3-Fache erhöht,3 wobei ein bis zu 4-fach erhöhtes Risiko für eine vaskuläre Demenzerkrankung und ein bis zu 2-fach erhöhtes Risiko für eine Alzheimerdemenz besteht. Frauen mit Diabetes mellitus zeigen gegenüber Männern eine größere Zunahme des Demenzrisikos.4
Als Risikofaktoren für die Demenzerkrankung gelten die Hyperglykämie, rezidivierende schwere Hypoglykämien, starke Schwankungen der Blutzuckerwerte, die Insulinresistenz, Hypertonie, Dyslipidämie, atherosklerotische Komplikationen, die subklinische Inflammation und depressive Störungen.2,5 In der ACCORD-MIND(Memory in Diabetes)-Studie korrelierten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes höhere HbA1c-Werte mit einem schlechteren Outcome in den neuropsychologischen Tests zur Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Die Ergebnisse aus Langzeitstudien, wie der Australian Diabetes Obesity and Lifestyle Study, weisen darauf hin, dass bereits eine prädiabetische Stoffwechsellage zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktion im höheren Lebensalter führen kann.3
Vorsorge und Zielerreichung
Auswertungen einer UK Biobank ergaben, dass bei einem Erreichen der Zielwerte für die 5 bis 7 Hauptrisikofaktoren (Nichtrauchen, HbA1c, Blutdruck, BMI, Albuminurie, regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung) Diabetiker gegenüber der nichtdiabetischen Vergleichspopulation keine erhöhte Demenzinzidenz zeigten. Bei weniger als 2 Risikofaktoren im Zielbereich ist das Risiko um das 2,4-Fache erhöht.6
Die Vorsorge einer Demenzerkrankung beinhaltet somit eine Optimierung der glykämischen Kontrolle und die Therapie der kardiovaskulären Risikofaktoren. Zu betonen ist die Notwendigkeit des Beginns der Interventionen bereits im jüngeren und mittleren Lebensalter. Bewegungs- und Sportprogramme weisen sowohl günstige Effekte auf die metabolische Kontrolle bei Diabetes mellitusals auch auf die kognitive Leistungsfähigkeit auf.7 Höheres Lebensalter, niedriges Bildungsniveau, Schwerhörigkeit und soziale Isolation stellen weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenzerkrankung dar.
Screening auf kognitive Einschränkungen
Hinsichtlich der Notwendigkeit der Adaptierung der Therapieziele und des Therapieregimes ist eine frühzeitige Erfassung kognitiver Einschränkungen wichtig.2 Bei älteren Patienten sollten Screeningmaßnahmen im diabetischen Betreuungskonzept integriert sein. Im Rahmen des geriatrischen Assessments erfolgt das Screening auf kognitive Einschränkungen häufig durch den Mini-Mental-Test, gefolgt von Merk- und Rechenbeispielen, Uhrentest und dem Geldzähltest nach Nikolaus.
Die Diagnose einer kognitiven Einschränkung erfordert meist eine Anpassung der Therapieziele und der Medikation, vor allem auch hinsichtlich eines erhöhten Hypoglykämierisikos (Tab. 1).2 Dies betrifft vor allem das Insulinregime, einschließlich der Notwendigkeit einer Einbeziehung des Betreuungsumfeldes.2
Verbessern Antidiabetika auch die Kognition?
Ob antidiabetische Substanzklassen neben der Verbesserung der glykämischen Kontrolle auch einen Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit aufweisen, ist Gegenstand von Diskussionen. Vor allem für Metformin zeigten Einzelstudien und Metaanalysen mögliche präventive Effekte auf die Entwicklung einer Demenzerkrankung.8
Depressive Störungen
Bidirektionale Beziehung
Diabetes mellitus und Depressionen zeigen eine sogenannte bidirektionale Beziehung. Das Diabetesrisiko ist bei depressiven Störungen erhöht, aber auch das Risiko für die Entwicklung einer Depression bei einem manifesten Typ-2-Diabetes.1 Patienten mit Diabetes mellitus weisen gegenüber der nichtdiabetischen Bevölkerung eine Verdoppelung des Risikos für Depressionen auf.1,9,10 Das Auftreten depressiver Störungen verschlechtert die Therapieadhärenz und erhöht damit das Risiko für diabetische Komplikationen. Auch das Mortalitätsrisiko ist um das rund 2-Fache erhöht. Als pathophysiologische Ursachen für die bidirektionale Beziehung zwischen Typ-2-Diabetes und Depressionen werden unter anderem eine Hyperaktivität des sympathischen Nervensystems und der Hypothalamus-Hypophysenachse angeführt. Zusätzlich erhöhten Risikofaktoren, wie körperliche Inaktivität, Essstörungen, und auch Nebenwirkungen der Psychopharmakatherapie das Diabetesrisiko.
Als „diabetes distress“ werden die mit der chronischen Erkrankung Diabetes mellitus assoziierten Sorgen, Ängste und Bedenken zusammengefasst. Diese Belastungssituation kann mit der Entwicklung einer depressiven Störung verbunden sein.
Screening auf Depression
Einfache Screeningtests auf das Vorliegen einer Depression, wie der 2-Fragen-Test (Gab es in den letzten 4 Wochen eine Zeitspanne, während der Sie sich nahezu jeden Tag niedergeschlagen, traurig und hoffnungslos fühlten? Gab es in den letzten 4 Wochen eine Zeitspanne, während der Sie das Interesse an Tätigkeiten verloren haben, die Ihnen sonst Freude machten?), gestatten im klinischen Alltag eine rasche Orientierung. Werden beide Fragen bejaht sollten eine weiterführende Abklärung und Therapie durch den Facharzt für Psychiatrie erfolgen.11 Ein Screening auf das Vorliegen einer Depression ist auch hinsichtlich der Evaluierung auf kognitive Einschränkungen von Bedeutung, um eine sogenannte Pseudodemenz bei Depression diagnostisch zu erfassen.
Schizophrenie und bipolare Erkrankungen
Patienten mit schizoaffektiven oder bipolaren Erkrankungen weisen ein bis zu 3-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetesauf. Als ursächlich werden vor allem ein ungesunder Lebensstil infolge der psychiatrischen Erkrankung (Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen) und Nebenwirkungen der Psychopharmakatherapie angenommen. So führen Clozapin, Olanzapin und Risperidon zu einer deutlichen Gewichtszunahme,12 aber auch zu einer Beeinträchtigung der pankreatischen Insulinsekretion.13,14
Das psychiatrische Therapieregime sollte deshalb eine Kontrolle von Körpergewicht, Blutdruck, Blutzucker- und Lipidwerte beinhalten (einen Monat nach Beginn der Psychopharmakatherapie, dann im Intervall von 3–6 Monaten).1
Praxistipp
Die Awareness für das erhöhte Risiko für psychische Erkrankungen und kognitive Einschränkungen bei Menschen mit Diabetes mellitus ist von großer Bedeutung.Unabhängig vom Vorliegen eines Typ-2-Diabetes wurde in einzelnen klinischen Studien Metformin zur Prävention einer Gewichtszunahme unter Psychopharmakatherapie eingesetzt.15 In der Diabetestherapie weisen vor allem auch GLP-1-Analoga günstige Gewichtseffekte und ein niedriges Hypoglykämierisiko auf. Darüberhinaus kann die Option einer einmal wöchentlichen Administration für die Therapieumsetzbarkeit von Vorteil sein.16
Essstörungen und Angststörungen
Das Auftreten von Essstörungen, wie Bulimia nervosa, Anorexia nervosa, Binge Eating oder Night Eating Disorder, ist mit einem erhöhten Risiko für eine schlechte metabolische Kontrolle und der Entwicklung diabetischer Komplikationen assoziiert.17 Auch für Angststörungen (wie Agoraphobie, soziale Phobie, spezifische Phobien, generalisierte Angststörungen, Zwangsstörungen) wird eine erhöhte Prävalenz bei Patienten mit Diabetes mellitus angenommen.10 Ein mögliches bewusstes Einsparen von Insulin (Insulin-Purging) zur Gewichtskontrolle sollte bei einer schlechten oder stark schwankenden glykämischen Kontrolle differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Als eine besonders schwerwiegende Form der Selbstgefährdung gelten Suizidversuche, einschließlich einer absichtlichen Überdosierung von Insulin.
Interprofessionelle Diabetesbetreuung
Für das interprofessionelle Diabetesbetreuungsteam ist die Awareness für das erhöhte Risiko für psychische Erkrankungen und kognitive Einschränkungen bei Menschen mit Diabetes mellitus von großer Bedeutung. Eine möglichst frühzeitige Diagnose und Behandlung der psychischen Erkrankung sind eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Umsetzung der Diabetestherapie, zum Vermeiden diabetischer Komplikationen und vor allem zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten.
Literatur:
1 Abrahamian H et al.: Psychische Erkrankungen und Diabetes mellitus. Wien Klin Wochenschr 2016,128 (Suppl2): S170-S178 2 Standards of Medical Care in Diabetes 2022, Older Adults. Diabetes Care 2022,45 (Suppl 1):S195-S207 3 Biessels GJ, Despa F: Cognitive decline and dementia in diabetes: mechanisms and clinical implications. Nat Rev Endocrinol 2018, 14: 591-604 4 Chatterjee S et al.: Type 2 diabetes as a risk factor for dementia in women compared with men: a pooled analysis of 2.3 million people comprising more than 100 000 cases of dementia: Diabetes Care 2016; 39: 300-307 5 Ott A et al.: Diabetes mellitus and the risk of dementia: The Rotterdam Study. Neurology 1999; 53: 1937-42 6 Gennnip ACE et al.: Association of type 2 diabetes, according to the number of risk factors within target range, with structural brain abnormalities, cognitive performance, and the risk of dementia. Diabetes Care 2021; 44: 2493-2502 7 Callisaya M, Nosaka K: Effects of exercise on type 2 diabetes mellitus-related cognitive impairment and dementia. J Alzheimers Dis 2017; 59: 503-513 8 Campbell JM et al.: Metformin use associated with reduced risk of dementia in patients with diabetes: a systematic review and meta-analysis. J Alzheimers Dis 2018; 65: 1225-36 9 Ali S et al.: The prevalence of co-morbid depression in adults with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Diabet Med 2006; 23: 1165-73 10 Woon LSC et al.: Depression, anxiety, and associated factors in patients with diabetes: evidence from the anxiety, depression, and personality traits in diabetes mellitus (ADAPT-DM) study. BMC Psychiatry 2020; 20: 227-41 11 Van der Feltz-Cornelis C et al.: Treatment for comorbid depressive disorder or subthreshold depression in diabetes mellitus: Systematic review and meta-analysis. Brain and Behaviour. 2020; 11: e01981 12 Regen F et al.: Diabetes und Depression. Dtsch Med Wochenschr 2005; 130: 1097-1102 13 Holt RIG. Association between antipsychotic medication use and diabetes. Current Diabetes Reports 2019; 19: 96-105 14 Grajales D et al.: The second-generation antipsychotic drug aripiprazole modulates the serotonerig system in pancreatic islets and induces beta cell dysfunction in female mice. Diabetologia 2021,Epub ahead of print 15 Siskind DJ et al.: Metformin for clozapine associated obesity: a systematic review and meta-analysis. PLOSONE 2016; 1: 1-15 16 Trujillo J: Safety and tolerability of once-weekly GLP-1 receptor agonists in type 2 diabetes. J Clin Pharm Ther 2020; 45(Suppl1).43-60 17 Winston AP: Eating disorders and diabetes. Current Diabetes Reports 2020; 20:32
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