
Diabetes und Auge
Bericht:
Dr. med. Sabina Ludin
Chefredaktorin
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Der regelmässige Blick ins Auge von Diabetespatienten ermöglicht nicht nur das frühzeitige Erkennen von Retinaveränderungen und deren rechtzeitige Therapie, sondern bietet auch einen privilegierten Einblick in den Gefässstatus der Patienten.
Keypoints
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25% der Diabetiker leiden an einer diabetischen Retinopathie und ein Viertel davon an einem diabetischen Makulaödem.
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Diabetesdauer und Hyperglykämie sind die Hauptrisikofaktoren für eine Progression der Retinopathie.
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Die diabetische Retinopathie bleibt lange asymptomatisch.
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Die erste augenärztliche Untersuchung soll bei Typ-2-Diabetes bei Diagnosestellung und bei Typ-1-Diabetes nach 5 Jahren erfolgen.
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Die Laserkoagulation ist die Therapie der Wahl bei proliferativer Retinopathie und verhindert die Erblindung.
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VEGF-Hemmer sind sehr effizient in der Behandlung des diabetischen Makulaödems.
Diabetes kann am Auge zu einer diabetischen Retinopathie, einem diabetischen Makulaödem sowie zu einem frühzeitigen Auftreten einer Katarakt führen. Die diabetische Retinopathie und das Makulaödem sind Zeichen der mikrovaskulären Veränderung bei Diabetes, unterscheiden sich jedoch punkto Klinik, Therapie und Prognose. «Während das diabetische Makulaödem zu einer Visusverminderung führt, verursacht die Retinopathie lange keine Symptome. Was aber schlussendlich zur Erblindung führen kann, ist die diabetische Retinopathie», betonte Dr. med. Patrik Kloos vom Augenzentrum Wil am Diabetes Update Refresher. Die diabetische Retinopathie ist bei uns bezogen auf die Gesamtbevölkerung die zweithäufigste und bei Menschen im erwerbsfähigen Alter sogar die häufigste Ursache für eine Erblindung.1 In der Schweiz leiden 20–25% der Diabetiker an einer diabetischen Retinopathie und rund 5% an einem diabetischen Makulaödem.
Die erste augenärztliche Untersuchung sollte bei Typ-1-Diabetes 5 Jahre nach der Diagnosestellung oder ab dem 11. Lebensjahr erfolgen. Bei Typ-2-Diabetes muss die ophthalmologische Kontrolle bereits bei der Diagnosestelle erfolgen, weil hier schon zu diesem Zeitpunkt bei 16% der Betroffenen Zeichen einer diabetischen Retinopathie vorhanden sind.2 Anschliessend werden jährliche augenärztliche Kontrollen empfohlen.
Symptome und Befunde
Diabetische Retinopathie
Die Retinopathie bleibt in der Regel lange asymptomatisch und sogar im Spätstadium ist ein Drittel der Patienten noch symptomfrei. Die für die Therapieentscheidung relevanten morphologischen Veränderung treten jedoch sehr häufig vor einer funktionellen Verschlechterung auf, weshalb ein regelmässiges Screening essenziell ist.2 Für das Screening reicht eine Fundoskopie (Abb. 1). Nur für die detaillierte Betrachtung der mikrovaskulären Veränderung braucht es eine Angiografie mit Fluoreszin.
Die diabetische Retinopathie wird unterteilt in nicht proliferative und proliferative Stadien. Bei Ersteren findet man in der Fundoskopie Fleckblutungen, Mikroaneurysmen (sog. «red dots»), Exsudate als Zeichen von Lipideinlagerungen in der Netzhaut sowie Cotton-wool-Herde, die Zeichen lokalisierter Ischämien sind. In den proliferativen Stadien finden sich auf der Netzhaut zusätzlich Gefässneubildungen, die in einem späteren Stadium Traktionsmembranen bilden, welche zu Glaskörperblutungen und Netzhautablösungen führen können. Ausserdem kann in proliferativen Stadien ein neovaskuläres Glaukom auftreten, das schwer beherrschbar ist und innert weniger Jahren zur Erblindung führt. «Meistens sind derart ausgeprägte Veränderungen am Auge Ausdruck eines generell schlechten Gefässstatus bei schlechter Stoffwechseleinstellung. Die Mortalität ist bei diesen Patienten sehr hoch», so der Referent.
Abb. 1: Fundoskopie bei diabetischer Retinopathie mit Fleckblutungen, «red dots» und Cotton-wool-Herden
Makulaödem
Die Symptome des Makulaödems sind unspezifisch. Warnzeichen sind eine Verschlechterung der Sehschärfe, Schwierigkeiten beim Lesen, Farbsinnstörungen sowie verzerrtes Sehen. Auch beim Makulaödem gibt die Fundoskopie erste Hinweise, hier gehört zusätzlich eine OCT (optische Kohärenztomografie) zur Standardabklärung.
Risikofaktoren
Der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung und Progression von diabetischen Komplikationen an der Netzhaut ist die Diabetesdauer.2 Nach 20 Jahren Diabetesdauer haben >80% der Typ-1-Diabetiker und >50% der Typ-2-Diabetiker eine Retinopathie.3 Der nächstwichtige Risikofaktor ist die Hyperglykämie. Die Höhe des HbA1c korreliert mit dem Progressionsrisiko der Retinopathie. Eine Senkung des HbA1c um 1% führt zu einer Halbierung des Progressionsrisikos. Bei einem HbA1c <6,5% besteht praktisch kein Risiko für eine Retinopathie. «In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass das Progressionsrisiko nach einer Verbesserung des HbA1c vorübergehend erhöht ist. Hier ist es Aufgabe des Augenarztes, die Patienten zu beruhigen und ihnen zu erklären, dass es für eine Verbesserung der Retinopathie etwa drei Jahre braucht», sagte Kloos. Pathophysiologisch erklärt man sich dieses Phänomen damit, dass die Blutzuckersenkung zu einer retinalen Minderperfusion führt, wodurch bereits ischämische Areale noch stärker geschädigt werden.
Ein weiterer Risikofaktor für eine Retinopathie, vor allem aber für das Makulaödem ist die arterielle Hypertonie. Die diabetische Nephropathie korreliert eng mit dem Auftreten von Netzhautveränderungen. Die Albuminurie ist ein Indikator für die Retinopathie, sie geht ihr oft voraus und das Ausmass der Albuminurie korreliert mit dem Schweregrad der Retinopathie. «Bei einem Diabetiker mit neu aufgetretener Albuminurie lohnt sich also ein Blick ins Auge des Patienten. Umgekehrt sollte bei Diabetikern mit einer neu diagnostizierten Retinopathie die Niere kontrolliert werden», so Kloos.
Behandlung
Diabetische Retinopathie
Frühe Stadien müssen beobachtet, die Patienten jährlich durch einen Augenarzt kontrolliert werden. Bei schwerer nicht proliferativer und bei proliferativer Retinopathie ist der Goldstandard die Behandlung mittels Laserkoagulation. Unbehandelt erblinden 30% der Augen mit proliferativer Retinopathie innert dreier Jahre. Die Laserkoagulation senkt dieses Risiko unter 5% und führt in den meisten Fällen zur Stabilisierung der Situation. Andere Therapien wie die Injektion von Steroiden oder Anti-VEGF («vascular endothelial growth factor») und die Vitrektomie sind nur selten angezeigt.
Diabetisches Makulaödem
Hier ist die Behandlung der Wahl heutzutage die intravitreale Injektion von VEGF-Hemmern. Steroidinjektionen oder die Laserkoagulation kommen nur in sehr seltenen Fällen infrage. In der Schweiz sind die drei VEGF-Hemmer Ranibizumab (Lucentis®), Aflibercept (Eylea®) und Brolucizumab (Beovu®) zugelassen, wobei Letzterer erst für die Makuladegeneration und noch nicht für das diabetische Makulaödem zugelassen ist. Bevacizumab (Avastin®) ist für ophthalmologische Indikationen nicht zugelassen, kann aber off-label verwendet werden. Die Anti-VEGF-Behandlung führt zu einem deutlichen Visusgewinn. Die Wirksamkeit ist bei allen VEGF-Hemmern vergleichbar gut.4
Nach der Diagnosestellung eines diabetischen Makulaödems wird die Behandlung mit 3 Injektionen im Abstand von je einem Monat begonnen. Anschliessend kann reaktiv oder proaktiv weiterbehandelt werden. Bei der reaktiven Therapie wird das Auge, solange die Makula trocken ist, monatlich kontrolliert. Tritt erneut ein Makulaödem auf, werden wieder 3 Injektionen in monatlichem Abstand verabreicht und anschliessend wird monatlich nachkontrolliert, bis eine erneute Behandlung nötig ist. «Dies ist bei Diabetikern die am häufigsten angewendete Vorgehensweise», so der Ophthalmologe. Bei der proaktiven Therapie, die vorwiegend bei der Makuladegeneration oder zum Teil bei Diabetikern zur Anwendung kommt, die häufige Injektionen benötigen, werden auch bei trockener Makula in grösseren Intervallen regelmässig Erhaltungsdosen verabreicht.
Während der ersten drei Behandlungsjahre werden im Schnitt 7–8 Injektionen pro Jahr benötigt, danach nimmt der Bedarf ab. «Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist, dass die Kontroll- und Therapieintervalle strikt eingehalten werden. Eine gute Compliance ist zwingend!», betonte Kloos.
Die Kosten einer Anti-VEGF-Behandlung belaufen sich in der Schweiz auf ungefähr CHF 14000.– pro Jahr.5 Unter Berücksichtigung der gesamten sozioökonomischen Kosten ist die Anti-VEGF-Behandlung jedoch deutlich günstiger als die Folgekosten eines unbehandelten diabetischen Makulaödems mit Verlust der Selbstständigkeit.6
Katarakt
Wie in jedem anderen Fall wird die Katarakt auch bei Diabetikern bei entsprechender Indikation operativ behandelt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Situation der Retina vor der Operation stabilisiert werden muss. Bei bereits bestehendem Makulaödem kann die Kataraktoperation eine Verschlechterung desselben triggern.
Quelle:
FOMF Diabetes Update Refresher, 4. bis 6. November
2021, Zürich
Literatur:
1 Trautner C et al.: Incidence of blindness in southern Germany due to glaucoma and degenerative conditions. Invest Ophthalmol Vis Sci 2003; 44: 1031-4 2 Ziemssen F et al.: Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Diabetische Retinopathie. Ophthalmologe 2016; 113: 623-38 3 Klein BE, Klein R.: Gravidity and diabetic retinopathy. Am J Epidemiol 1984; 119: 564-9 4 Diabetic Retinopathy Clinical Research Network; Wells JA et al.: Aflibercept, bevacizumab, or ranibizumab for diabetic macular edema. N Engl J Med 2015; 372: 1193-203 5 Schmid MK et al.: Comparison of outcomes and costs of ranibizumab and aflibercept treatment in real-life. PLoS One 2015; 10: e0135050 6 Pershing S et al.: Cost-effectiveness of treatment of diabetic macular edema. Ann Intern Med 2014; 160: 18-29
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