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Blutzuckermessung heute und in der Zukunft
Jatros
30
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Die Blutzuckermessung ist gar nicht so simpel, wie sie scheint. Hinter den aktuellen Techniken steckt viel Know-how. Als Optionen stehen heute die Flash-Glukosemessung und die kontinuierliche Glukosemessung zur Verfügung, deren Vor- und Nachteile wir beleuchten.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Flash-Glukosemessung und kontinuierliche Glukosemessung sind die neuesten Entwicklungen in der Blutzuckermessung.</li> <li>Ziel der FGM und der CGM ist die Vermeidung schwerer Hypoglykämien und schwerer Ketoazidosen, Reduktion diabetesassoziierter Folgeschäden sowie Verbesserung der Lebensqualität.</li> <li>Beide Systeme haben spezifische Vor- und Nachteile.</li> </ul> </div> <h2>Technik der Blutzuckermessung</h2> <p>„Zentrale Punkte der Blutzuckermessung sind die Signalerfassung, die Signalübersetzung, die Signalverarbeitung und schließlich die Signalvorhersage“, umreißt Dipl.-Ing. Alfons Felice, Klosterneuburg, Forschungsgruppe Biocatalysis and Biosensing an der Universität für Bodenkultur, die grundlegenden Faktoren.<br />Die Erfassung der zu untersuchenden Substanzen, z.B. der Glukose, kann entweder durch spezifische Reaktionen etwa mit Proteinen oder mit anorganischen Molekülen erfolgen oder durch direkte Messung der physikalischen Eigenschaften. Spannend wird es, wenn das Vorhandensein einer Substanz auch in ein verwendbares Signal umgesetzt werden soll. Durch eine enzymatische Reaktion der Glukose wird Sauerstoff freigesetzt, der über Mediatoren, die mit dem Sauerstoff reagieren, elektrochemisch detektiert wird. „Oder einfach: je mehr Glukose, desto mehr Sauerstoff, desto stärker der Strom“, so Felice.<sup>1</sup> Nach diesem Prinzip funktioniert z.B. das Messsystem „Freestyle Libre“ von Abbott. <br />Eine andere Möglichkeit ist die optische Signalübersetzung. Bindet sich Glukose an ein optisches Medium, so ändern sich die optischen Eigenschaften, die über eine Fluoreszenzmessung analysiert werden können. Dabei werden die Reaktanden nicht verbraucht.<sup>2</sup> Die Physiologie hat einen Einfluss auf die Sensorwerte hinsichtlich einer Verzögerung und der Genauigkeit.<sup>3</sup> Beim Prozess der Signalverarbeitung versucht man diese Werte mittels mathematischer Algorithmen zu bereinigen.<sup>4</sup><br />Ziel ist eine Vorhersage, um eine gezielte Intervention zu ermöglichen. Diese Intervention basiert auf den vorhergesagten Daten und kann z.B. für ein Abschalten der Insulinzufuhr durch die Insulinpumpe genutzt werden. Für die Zukunft zeichnen sich kleine, implantierbare Sensoren ab, die Daten an Smartphone-Apps übertragen und Vorhersagen des Zuckerwerts grafisch darstellen.</p> <h2>Flash- vs. kontinuierliche Glukosemessung</h2> <p>Bei der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) und bei der Flash-Glukosemessung (FGM) handelt es sich nicht um ein Medikament per se. „Wir Ärzte und auch unsere Patienten sind darauf angewiesen, mit diesen Geräten gut umgehen zu können, erst dann werden sie zur Therapie“, betont OÄ Dr. Ingrid Schütz-Fuhrmann, Krankenhaus Hietzing, Wien. Die CGM und die FGM ermöglichen gut geschulten Patienten im Alltag mehr Sicherheit – dies ist jedoch meist kein Endpunktkriterium in klinischen Studien. Der Einsatz kann entweder rein diagnostisch erfolgen oder auch mit therapeutischem Ziel. <br />Es sind auch Studien mit verblindeten Geräten durchgeführt worden – für die CGM etwa zum IPro2 und zum DexCom. Bei der FGM ist das Gerät nicht auf andere Patienten übertragbar, daher wurden im Rahmen von Studien speziell verblindbare Geräte eingesetzt. Eine Evidenz für einen Nutzen des retrospektiven Einsatzes der CGM hinsichtlich der Verbesserung des HbA<sub>1c</sub> gibt es nicht. „Diese Evidenz wird auch nie vorliegen. Bildlich gesprochen kann man die Situation mit dem EKG vergleichen – auch von diesem erwarten wir uns ja auch keine Prognose für den Outcome eines Herzinfarkts“, verdeutlicht Schütz-Fuhrmann.<br />Vom Einsatz eines CGM bei Patienten mit Typ-1-Diabetes erwartet sich der Arzt Folgendes: Vermeidung schwerer Hypoglykämien und schwerer Ketoazidosen, Reduktion diabetesassoziierter Folgeschäden sowie Verbesserung der Lebensqualität. Durch den Einsatz der CGM, aber auch der FGM soll der Anteil der Patienten deutlich erhöht werden, die die genannten Ziele erreichen.</p> <h2>Übersicht über die Systeme</h2> <p>Das Flash-Glukosemesssystem FreeStyle Libre (Abbott) ist ein Echtzeitsystem ohne Alarmfunktion, das auch Trendinformationen liefert. Der Sensor ist 14 Tage anwendbar. Der Scan dauert eine Sekunde und liefert den aktuellen Glukosewert. Dargestellt wird der Wert auf den Zeitraum einer Minute. Ein Vorteil des Systems ist, dass keine mühsame Kalibrierung notwendig ist, die oft eine hohe Fehlerquelle darstellt. Das System ist günstig und kann daher mehr Patienten zur Verfügung gestellt werden.<br />Bei der CGM gibt es zwei Systeme als Stand-alone-Lösungen:</p> <ol> <li>Guardian Real-Time®, Paradigm VEO, MiniMed 640 G (Medtronic) sind Echtzeitsysteme, bei denen das Einstellen von Alarmen für hohe und niedrige Werte möglich ist. Die Systeme liefern Trendinformationen und haben vorausschauende Funktionen. Ein Sensor kann 6 Tage verwendet werden. Die Anzeige interstitieller Glukosewerte ist alle 5 Minuten möglich.</li> <li>DexCom SEVEN®, DexCom G4/G5 (Dexcom) sind Echtzeitsysteme, bei denen es Alarme für hohe und niedrige Glukosewerte gibt. Ebenso sind Trendinformationen verfügbar. Der Sensor ist 7 Tage einsetzbar. Die Anzeige interstitieller Glukosewerte ist alle 5 Minuten möglich.</li> </ol> <h2>Datenlage zur Flash-Glukosemessung</h2> <p>„Zur FGM gibt es noch wenig Literatur, demgegenüber gibt es zur CGM einige randomisierte Studien, die bereits abgeschlossen sind“, so Schütz-Fuhrmann. An der rezent in „Lancet“ publizierten IMPACT-Studie<sup>5</sup> nahmen 241 Personen mit sehr gut kontrolliertem Diabetes mellitus Typ 1 teil, deren mittlerer HbA<sub>1c</sub> bei 6,74 % ± 0,56 % lag. Die Studie lief über 6 Monate an 23 Zentren in Europa – unter anderem auch in Österreich. Die Teilnehmer wurden zu gleichen Teilen entweder einer Gruppe mit dem FreeStyle Lite oder einer Gruppe mit dem FreeStyle Libre zugeteilt. Der primäre Endpunkt der Studie wurde erfolgreich erreicht: In der Gruppe mit dem FreeStyle Libre lagen die Werte der Teilnehmer signifikant weniger Zeit im hypoglykämischen Bereich von <70mg/dl. Dabei kam es zu keiner Verschlechterung des HbA<sub>1c</sub>-Wertes und die Teilnehmer gaben eine erhöhte Lebenqualität an. „Interessanterweise nahmen die Scans, die die Patienten durchführten, zu, was darauf schließen lässt, dass sich das Verhalten der Patienten geändert hat“, erklärt Schütz-Fuhrmann.<br />Die zweite interessante, jedoch noch nicht publizierte Studie zur FGM ist die REPLACE-Studie<sup>6</sup>, an der 224 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 teilnahmen. Dabei wurde FreeStyle Libre mit der „blutigen“ Glukosemessung verglichen. Der primäre Endpunkt, die signifikante Reduktion des HbA<sub>1c</sub>, wurde zwar nicht erreicht, es kam aber in der „FreeStyle Libre“-Gruppe auch in dieser Studie zu weniger Hypoglykämien. „Eventuell ergeben sich noch spannende Schlüsse für die Praxis“, so Schütz-Fuhrmann.</p> <h2>Datenlage zur kontinuierlichen Glukosemessung</h2> <p>Zur CGM sind seit den Jahren 2004 bzw. 2006 randomisierte Studien durchgeführt worden. Ein gutes Beispiel für eine Studie, die einen Zusatznutzen durch die CGM zeigt, ist die JDRF-Studie<sup>7</sup>. Diese untersuchte scheinbar gut eingestellte Patienten (HbA<sub>1c</sub>-Werte <7 % ). Die Evaluation ergab, dass auch bei diesen Patienten das Auftreten von Hypoglykämien noch weiter signifikant reduziert werden kann.<br />„Die zweite interessante und sauber durchgeführte Studie unter Beteiligung unseres Zentrums war die SWITCH-Studie“, so Schütz-Fuhrmann.<sup>8</sup> An dieser nahmen 153 Patienten mit HbA<sub>1c</sub> >7,5 % aus 8 europäischen Zentren teil. Dabei wurden die Sensor- und die Pumpentherapie über einen Zeitraum von 17 Monaten im Cross-over-Design randomisiert und kontrolliert verglichen. Patienten, die bereits eine Pumpe hatten, wurden zusätzlich mit einem Sensor ausgestattet. Dies führte zu einer signifikanten Reduktion des HbA<sub>1c</sub> bei Kindern von 0,46 % (p<0,001) und bei Erwachsenen von 0,41 % (p<0,001). Die Zeit, in der die Werte der Teilnehmer unter 70mg/dl lagen, fiel bei eingeschaltetem Sensor von 31min/d auf 19min/d. Wurde die Sensortherapie beendet, war auch der metabolische Erfolg wieder dahin.<br />Es gibt mehrere Studien zur sensorunterstützen Pumpentherapie mit Hypoglykämieabschaltung. Dabei wurden in einer australischen Studie 100 % der Hypoglykämien verhindert, wobei dies Patienten betraf, die mit diesem Problem stark zu kämpfen hatten.<br />Auch bei Typ-2-Diabetikern wurden CGM-Systeme im Rahmen einer Studie eingesetzt. Dabei zeigte sich, dass Patienten mit CGM-Systemen im Verlauf weniger häufig insulinpflichtig wurden. Darüber hinaus kam es in der CGM-Gruppe nach 12 Wochen zu einem signifikanten HbA<sub>1c</sub>-Abfall, der auch nach 52 Wochen bestehen blieb. Schütz-Fuhrmann dazu: „Offenbar war es für die Teilnehmer sehr eindrücklich, zu sehen, wie sich die gemessenen Werte nach einer üppigen Mahlzeit verändert hatten.“<br />„Abschließend lässt sich sagen, dass es bei beiden Systemen Vor- und Nachteile bei der Anwendung in der Praxis gibt“, so Schütz-Fuhrmann. Diese sind in Tabelle 1 zusammengefasst.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1701_Weblinks_s18.jpg" alt="" width="1419" height="1265" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 44. ÖDG-Jahrestagung, 17.–19. November 2016
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Hönes J et al: Diabetes Technology & Therapeutics 2008; 10; S10-26 <strong>2</strong> Pickup JC et al: Biosensors and Bioelectronics 2005; 20: 2555-2565 <strong>3</strong> Boyne MS et al: Diabetes 2003; 52: 2790-2794 <strong>4</strong> Faccinetti A et al: Diabetes Care 2013; 36; 793-800 <strong>5</strong> Bolinder J et al: Diabetes 2016, 65(S1): 868-P <strong>6</strong> Haak T et al: Diabetes Technology & Therapeutics. 2016; 18(S1): A28 <strong>7</strong> Black RW et al: Diabetes Care 2009; 32(8): 1376-1383 <strong>8</strong> Battelino T et al: Diabetologia 2012; 55(12): 3155–3162</p>
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